Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Abschnitt 7.

Ritt durch die Wildnis. – Wasser. – Die Antilopen. – Die Grenze des Prairiebrandes. – Die Klapperschlangen. – Der Delawaren-Häuptling. – Das Lager der Indianer. – Der schwarze Panther. – Rückkehr in das Fort. – Indianerfreundschaft. – Der Frühling. – Die Bestürmung. – Letztes Mittel. – Die nahende Rache.


. Am folgenden Morgen hatte Karl nun schon frühzeitig den Hengst gesattelt, die Büffelhaut zusammengerollt und hinter den Sattel gebunden und das getrocknete Fleisch an demselben befestigt. Nachdem er selbst sowie sein Pferd sich noch einmal an dem Quell gelabt hatten, bestieg er dasselbe und ritt in den Strahlen der aufsteigenden Sonne nach Südwesten davon. Die Hoffnung, die Seinigen bald wieder zu sehen, trieb ihn vorwärts, und der Gedanke, durch sein Erscheinen ihren Kummer, ihren Gram zu heilen, beseligte sein junges, hochschlagendes Herz. Er trieb den Rappen zur Eile an und ließ ihn häufig lange Strecken traben, nach Verlauf von einigen Stunden aber fand er schon aus, daß dessen Kräfte zu einem tüchtigen Ritt, wie er ihn auf dem Falben oft gemacht hatte, nicht ausreichten. Er mußte darum seiner Sehnsucht nach den Seinigen Zwang anthun und sich mit einem raschen Schritt des Tieres zufrieden stellen, wobei ihn die Überzeugung tröstete, daß nur die große Ermattung desselben ihn überhaupt in den Stand gesetzt habe, es seinem Willen so weit unterthänig zu machen. Die weite Fläche, über welche er seinen Weg richtete, gewährte einen schauerlichen, trostlosen Anblick; wie in einem schwarzen Trauerkleide lag sie, wellenförmig auf- und niedersteigend, um ihn ausgebreitet, nirgends war ein grüner Halm, ein grüner Baum zu sehen, hier und dort bezeichnete eine dünne, aufsteigende Rauchsäule den trockenen Stamm einer abgestorbenen Mimose, welche Feuer gefangen hatte und nun so lange glühte und kohlte, bis selbst die Wurzeln in der Erde verbrannt waren, und in allen Richtungen sah man Schwärme von Geiern über toten Tieren schweben, die den Flammen des Prairiebrandes zum Opfer geworden waren. Links und rechts ritt Karl an gefallenen Büffeln, Bären, Hirschen und Antilopen vorüber, manch schönes Pferd sah er verendet liegen, und der toten Wölfe waren es unzählige, deren versengte Körper wie schwarze Steine über dem verbrannten Boden emporragten.

Vergebens spähte Karl unaufhörlich und sehnsüchtig in die Ferne, ob er nicht den freundlichen, grünen Schein lebender Vegetation erkennen könne; das finstere Bild blieb unverändert. Die Sonne überschritt ihren Höhepunkt und neigte sich dem westlichen Horizont zu, und noch hatte Karl seinem Pferde nicht einen Augenblick Rast gegeben, immer noch hielt er an dem Glauben fest, er müsse einen grünen Punkt in der schwarzen Ferne entdecken.

Der Rappe war sehr erschöpft und sein Reiter mußte ihn mit den Sporen antreiben, sollte er nicht stille stehen. Endlich aber half auch dieses Mittel nicht mehr und Karl stieg ab, um dem Tiere die Last zu erleichtern. Er ging nun zu Fuße und zog sein Pferd an dem Zügel hinter sich her, denn die Hoffnung konnte er nicht aufgeben, Wasser zu finden.

Die Sonne hatte den flachen, dunklen Rand der Prairie erreicht und versank hinter demselben wie ein glühender Feuerball, während der Himmel über ihr sich blutrot färbte und sein feuriger Widerschein über die schwarze Steppe zitterte. Jetzt weigerte sich der Rappe, noch einen Schritt weiter zu gehen, und Karl sah es ein, daß es nicht böser Wille des Tieres, sondern vollständige Entkräftung war, die dasselbe an die Stelle fesselte. Er zog es mit Gewalt bis zu einem Mosquitobaume, befestigte es an dessen Stamm und nahm seine Bürde ab. Wie gern hätte er ihm Gras weit hergeholt und ihm Wasser in seinem Hute zugetragen, aber wo sollte er es hernehmen? Ihn selbst peinigte der Durst, und doch würde er ihn gern ertragen haben, hätte er dem erschöpften Tiere nur helfen können. Dasselbe legte sich bald nieder, und Karl streckte sich, ohne ein Abendbrot genossen zu haben, neben ihm auf seiner Jaguarhaut aus und deckte sich mit dem Büffelfell zu; denn das getrocknete Hirschfleisch hätte er nicht verzehren können, ohne erst seinen Mund mit einem Trunk Wasser zu erfrischen. Die Nacht breitete sich schnell über die Einöde aus, weder nah noch fern verriet ein Laut die Gegenwart eines lebenden Wesens, und selbst die Lüfte schienen zur Ruhe gegangen zu sein, denn nicht der leiseste Hauch bewegte die reichen Locken Karls, der mit dem Kopfe auf den Sattel zurückgesunken war und den Sternen sein Leid klagte, die so heiter blitzten und so freundlich auf ihn niederfunkelten.

Ein bleicher Lichtstreifen am östlichen Himmel zeigte sich über dem Rande der Steppe und verkündete den nahenden Tag, als Karl aus süßen, wonnigen Träumen, wie sie nur die frische Jugend spendet, erwachte und sich verwundert umschaute; denn er konnte im ersten Augenblick sich nicht besinnen, wo er eigentlich war. Die schwarze, schwere Masse seines Rappen, den er neben sich durch die Dunkelheit erkannte, rief ihm seine Lage schnell ins Gedächtnis zurück und er schaute nun besorgt und mitleidig auf das entkräftete Tier und rührte sich auf seinem Lager nicht, um seinen armen Leidensgefährten nicht in seiner Ruhe zu stören. Er lenkte aber seinen Blick zu den hellen Sternen über sich, faltete seine Hände und bat den Allmächtigen, ihm seinen ferneren, gnadenreichen Beistand zu verleihen.

Karls Vertrauen auf Gottes Schutz und Hilfe war von seiner frühesten Kindheit an unbedingt und unerschütterlich gewesen, und der augenscheinliche wunderbare Beistand des Höchsten in den vielen, großen Gefahren, in welchen der Knabe sich trotz seiner Jugend schon befunden hatte, war an ihm nicht unbeachtet vorübergegangen, er hatte das Vertrauen nur tiefer in seinem dankbaren Herzen befestigt. Auch jetzt schaute er mit Zuversicht und unverzagt in die nächste Zukunft und sagte sich, daß die Hand, die ihn schützend hierher geleitet hatte, ihn auch ferner nicht verlassen würde.

Der Morgen zitterte über die Erde und der Tag warf bald sein helles, heiteres Licht auf die öde, ausgestorbene Wüste. Es that Karl leid, den Rappen in seiner Ruhe stören zu müssen, er wollte aber in der Kühle des Morgens den besten Ritt machen und lieber in der Mittagshitze rasten. Der Hengst sprang rasch empor und schaute ganz erfrischt und munter um sich, ja, er widersetzte sich sogar ein wenig, als sein Herr ihm Sattel und Zeug auflegen wollte. Dies Zeichen von Stärkung war Karl jedoch sehr willkommen, und er wandte nur Güte an, um das Tier zur Weiterreise fertig zu machen, dann schwang er sich auf dessen Rücken und hatte seinen großen Spaß darüber, als der Hengst in Galopp fiel und mit ihm davonrennen wollte. Bald wurden Karl die Anstrengungen des Rappen doch zu bedenklich, und er faßte die Zügel mit beiden Händen, um ihn in seiner Gewalt zu behalten. Das Tier aber war kaum zu bändigen, hob die Nase immer hoch gegen den frischen Wind und drängte sich gewaltsam rechts aus der Richtung, in welcher sein Reiter es zu halten suchte. Diese auffallende Veränderung in dem Benehmen des Pferdes, und namentlich das hartnäckige Bestreben, etwas weiter nördlich zu gehen, fiel Karl auf und er ließ ihm mehr Freiheit. Kaum fühlte das Roß aber die lockeren Zügel, als es mit seinem Reiter dahinsauste, wie wenn es nie ermüdet gewesen wäre, so daß Karl seine Last hatte, nur einigermaßen noch die Herrschaft zu behaupten.

.

Der Lauf des Hengstes wurde immer wilder, immer flüchtiger und unbändiger, und sein Reiter konnte nichts mehr thun, als sich nur im Sattel zu erhalten. In wenigen Minuten waren einige Meilen zurückgelegt, da erblickte Karl in der Ferne vor sich einen hellgrünen Streif und noch ein paar Minuten später erkannte er deutlich zwei Pappeln, das sicherste Zeichen, daß Wasser sich in der Nähe befinde. Jetzt war ihm klar, weshalb das Tier so gewaltig nach dieser Richtung gestrebt hatte, denn der Wind wehte gerade von den Pappeln her und das Pferd hatte das Wasser schon auf Meilen weit gewittert.

In sehr kurzer Zeit waren die Pappeln erreicht, welche an dem Ufer eines klaren, nach Nordost fließenden Baches standen. Noch ehe aber das Roß an das Ufer kam, hielt Karl es mit Gewalt an, sprang aus dem Sattel, nahm diesen von dem Rücken des Pferdes und leitete dasselbe dann am Zügel nach dem Wasser, weil er voraussetzte, daß das Tier sich in den Bach hineinlegen würde. Dies geschah nun auch sofort, der Hengst warf sich in dem Bache nieder und wälzte sich von einer Seite zur andern; dann sprang er auf, schüttelte sich, stillte seinen Durst und wandte sich darauf nach dem frischen, saftigen Grase an dem Ufer. Karl befestigte ihn mit dem Strick an eine der Pappeln, so daß er beide Ufer erreichen und darauf weiden konnte, und nachdem er nun selbst seinen großen Durst gelöscht hatte, ließ er sich in dem Grase nieder und verzehrte einige Stücke des getrockneten Fleisches.

Erquickt und gestärkt ruhte er mit dem Rücken an einem der Bäume und sah während einiger Stunden mit Freuden seinem Rappen zu, wie derselbe zwischen dem hohen, vom Feuer verwelkten, schilfartigen Grase die zarten, frischen Halme und Kräuter verzehrte und sich daran labte. Endlich hatte das Tier sich gesättigt und die Ruhe schien ihm das Notwendigste zu sein, denn es ließ sich im Grase nieder und streckte die Glieder darin aus. Auch Karl fühlte sich schläfrig und die Augen waren ihm zugefallen. Nach einer Weile schlug er sie wieder auf und ließ seinen Blick über die weite, öde Fläche wandern, als wolle er sich überzeugen, daß er sich unbesorgt einem festen Schlafe hingeben könne.

Da traf sein Auge in der Ferne auf einen hellen Fleck, den er früher nicht bemerkt hatte. Er zog sein Fernglas hervor und erkannte durch dasselbe einige zwanzig Antilopen, welche über die schwarze Ebene wanderten und wahrscheinlich, wie sein Rappe es gethan hatte, das Wasser aufsuchten. Ihre Richtung war aber weiter nach dem Bache hinauf, wo kein Busch, kein hohes Gras ein Annähern an dieselben möglich machte, und da Karl die große Neugierde dieser Tiere kannte, so hieb er schnell einen langen Stock von der Pappel, spitzte ihn unten zu, band sein Taschentuch an das obere Ende und pflanzte diese Fahne einige fünfzig Schritte am Bache hinauf in dessen erhöhtes Ufer. Nun legte er sich hinter die Pappel und beobachtete die Antilopen durch sein Fernglas. Sie kamen unbekümmert und unaufmerksam immer näher, bis sie plötzlich still standen und sämtlich die Köpfe emporrichteten. Sie blickten verwundert und neugierig nach der im Winde wehenden Fahne. Ein altes Tier setzte sich jetzt in Bewegung und schritt dem Rudel voran der Fahne zu, während die anderen sich zusammendrückten und der Alten folgten. Karl hielt noch immer das Glas auf sie gerichtet, bis sie sich in Trab setzten, dann griff er schnell nach der Büchse, hob sich hinter dem Baum auf ein Knie und machte sich zum Schusse bereit. Jetzt kamen die Antilopen im Galopp nach der Fahne herangesprungen, und als sie dieselbe bis auf fünfzig Schritte erreicht hatten, wandten sie sich im Kreis um sie und jagten direkt auf die Pappeln zu. Da hob der Rappe seinen Kopf aus dem Grase empor und die Antilopen sprangen erschrocken zur Seite. Karl aber hatte seine Büchse schon fest auf einen jungen Bock gerichtet und gab Feuer. Das Tier überschlug sich und bemühte sich vergebens, wieder aufzuspringen, um seinen Gefährten zu folgen; es konnte nicht weiter, die Kugel war ihm am Herzen durchgegangen. Mit raschen Sprüngen hatte Karl den Bock erreicht und ihm den Todesstoß gegeben. Er schnitt schnell das beste Fleisch von ihm ab, um für einige Tage frisches Wildbret zu haben, und zündete darauf ein Feuer bei den Pappeln an, über welchem er sich ein Mittagsmahl aus den feistesten Stücken bereitete. Es schmeckte ihm ganz vortrefflich, er labte sich nochmals durch einen frischen Trunk und dann streckte er sich im Grase aus, um sich vollends für die Weiterreise zu stärken.

Die Sonne begann sich schon zu neigen, als er erfrischt erwachte und seinen Rappen zum Aufstehen ermunterte. Derselbe schien auch neues Leben bekommen zu haben, und Karl hatte ziemlich viel Mühe, um ihn zu satteln. Endlich aber saß er wieder auf dem Rücken des Hengstes und ließ ihn nun tüchtig austraben, indem er dem Bache hinauf folgte, da derselbe aus Südwest hergeflossen kam. Er beabsichtigte nämlich, so weit in dieser Richtung vorzudringen, wo das Feuer nicht mehr gewütet hatte, und dann seinen Weg nach Osten einzuschlagen, wo er jedenfalls auf Ansiedelungen stoßen mußte. An diesem Wasser war sein Pferd vor Hunger und Durst gesichert, und es stand zu erwarten, daß er auch an seinen Ufern Wildbret antreffen werde. Er ritt noch spät in die Nacht hinein, schlief abermals an dem Rande des Baches und folgte demselben während des ganzen nächsten Tages. Mit Sonnenuntergang erreichte er auf einer Höhe, wo wenige entlaubte Eichen standen, die Quellen des Baches, und schlug hier sein Nachtlager auf. Am folgenden Morgen glückte es Karl, wieder einen feisten Hirsch zu erlegen, wodurch sein Vorrat an frischem Fleisch ersetzt wurde.

Das Wasser war hier nun zu Ende, und der Knabe würde abermals mit Zweifeln über seine nächste Zukunft sein Pferd bestiegen haben, hätte er nicht von hier aus in der Ferne vor sich die blauen Umrisse eines über dem Prairierand aufsteigenden Waldes erkannt. Mit neuer Hoffnung, in jenem Walde endlich die Grenze der Verwüstung, die das Feuer angerichtet hatte, zu finden, verließ er die Quellen und gab seinem Hengst die Zügel, damit er ihn möglichst schnell aus dieser Einöde tragen möge. Der Rappe hatte sich sehr erholt und begann durch seinen Übermut seinem Reiter oft viel zu schaffen zu machen, dieser aber kannte ein sehr gutes Mittel, um ihn zu bändigen: er ließ ihn nach Herzenslust laufen und wenn er dann, etwas ermüdet, langsam gehen wollte, dann trieb er ihn mit den Sporen zum Galopp an, bis ihm der weiße Schaum auf den schwarzen Flanken stand. Nach einigen Stunden flüchtigen Rittes näherte sich Karl dem Walde, dessen grüner Schein von immergrünen Baum- und Straucharten zeugte, die sich in demselben befanden. Karls Hoffnung, hier die Grenze der Feuerverwüstung zu finden, wuchs mit jedem Schritte des Rappen, und sie wurde zur Wahrheit, als er um die Mittagszeit das Holz erreichte. Der Brand war bis an dessen Saum gedrungen und war an ihm hin nach Nordwesten gezogen. Der Wald war ziemlich licht, nur einzeln zeigte sich hier und dort eine Dickung von immergrünen Lorbeer- und Myrtenarten in demselben, aber allenthalben unter den einzeln stehenden Bäumen befand sich frisches, junges Gras, in welchem das Feuer keine Nahrung gefunden hatte.

Karl verfolgte seine Richtung durch den Wald, in der Hoffnung, Wasser zu finden, welches er um so sicherer glaubte, weil sich nach allen Seiten hin ungeheure Felsstücke aus dem Boden erhoben. Schon nach Verlauf einer halben Stunde gelangte er an die westliche Seite des Holzes, wo dasselbe sich an eine hügelige Prairie lehnte, die, so weit das Auge reichte, mit frischem jungen Grase bedeckt war. Dieses Land mußte vor einigen Monaten von Indianern abgebrannt sein, wie denn überhaupt alle Prairiebrände durch die Wilden erzeugt werden. Wenn ein Indianerstamm eine Zeit lang an einem Orte verweilt hat und das Wildbret spärlicher wird, so zieht er weiter und benutzt den Augenblick, wo der Wind von daher weht, wohin er reisen will, um das Gras anzuzünden, damit er, wenn er nach einigen Monaten in diese Gegend zurückkehrt, hier frische Weide und Reichtum an Wildbret vorfindet.

An dem Saume des Waldes traf Karl denn auch auf ein herrliches, klares Wasser, welches von einer felsigen Höhe zu seiner linken Seite herabkam. Er beschloß, hier zu rasten, sich und sein Pferd auszuruhen und dann der Grenze der Feuerverwüstung bis zu deren Anfang nach Südost zu folgen. – Die Felsen erhoben sich in dem Walde in kurzer Entfernung von Karl, und er lenkte sein Pferd nach ihnen hin, indem er an dem rauschenden Wasser hinaufritt.

Je näher er den hoch übereinander aufgetürmten Steinmassen kam, um so mehr einzelne mächtige Felsblöcke lagen zwischen den Bäumen umher, so daß er endlich sein Roß in das Wasser selbst leiten mußte, um nach dessen Quellen gelangen zu können.

Ohne große Schwierigkeiten erreichte er den Fuß der hohen Felsenpartie, wo das Wasser aus einer tiefen Spalte in dem grauen Gestein lustig hervorsprudelte und durch einen kleinen Grasplatz rieselte, der ihm sein frisches, üppiges Gras verdankte. Dies war ein herrlicher Weideplatz für den Rappen, sowie ein recht heimliches Versteck für ihn und seinen Reiter, deshalb sah sich Karl nach einem passenden Ort um, wo er sein Lager aufschlagen wollte. Er war nur eine kurze Strecke an den steil aufstrebenden Felsen zwischen uralten, immergrünen Eichen und umherliegendem Gestein hingeschritten, als er hinter einem dichten Lorbeergebüsch eine tiefe Spalte in der Felswand bemerkte, die sich nach unten sehr erweiterte und eine geräumige Höhle zu bilden schien. Als er seinen Rappen zu deren Eingang führte, fand er, daß sie weit in den Berg hineinführte und geräumig genug war, ihn und sein Pferd in sich aufzunehmen. Einen passenderen Platz für seine Rast hätte er sich gar nicht wünschen können; nur wollte er vorsichtig das Innere der Höhle untersuchen, ob auch kein Raubtier darin verborgen sei, denn es war ja die Schlafzeit der Bären. Er führte den Rappen von dem Eingange hinweg, befestigte ihn an einem Baum und schritt dann mit der Büchse in der Hand in die Höhle hinein. Kaum aber war er eingetreten, als ein betäubendes Geklapper darin erschallte und Karl schnell wieder in den Eingang zurücksprang; denn er erkannte das warnende Zeichen der Klapperschlange, welches sie mit der Klapper an dem Ende ihres Schwanzes einem jeden Nahenden giebt, und er glaubte, daß wenigstens hundert dieser Tiere sich in der Höhle befinden müßten, um ein solches Getöse hervorzubringen. Er hatte aber in der Nähe des Forts schon so unzählig viele dieser Schlangen totgeschlagen und wußte, daß sie einem Menschen in keiner Weise gefährlich werden können, wenn ihm nur ihre Gegenwart bekannt ist, da sie nur aus Notwehr beißen und immer ängstlich vor dem Menschen fliehen. Karl bewaffnete sich daher mit einem tüchtigen langen Stock und ging dann in die Höhle zurück. Die Schlangen hatten sich sämtlich in das hinterste Ende derselben geflüchtet und sich zwischen losem Gestein verkrochen; das Tageslicht fiel aber von der Höhe der Felsspalte hinreichend auf sie herab, so daß Karl sie erkennen konnte. Als er sich ihnen nun näherte, hoben sie die Köpfe hoch empor und klapperten durch die schnelle, zitternde Bewegung ihres Schwanzes; jeder Hieb des Knaben aber, den er nach einem der Köpfe führte, tötete eine Schlange. Es waren deren, große und kleine zusammen, einige Dutzende; Karl warf sie mit dem Stock zur Höhle hinaus und untersuchte in derselben alles genau, ob sich keines dieser widrigen Tiere noch irgendwo versteckt halte; er hatte sie aber sämtlich getötet. Nun befreite er sein Roß von Sattel und Zeug, trug alles in die Höhle hinein und band dann den Rappen auf dem nahen Grasplatz in die Weide. Er hatte einige köstliche Stücke Hirschfleisch mit hierher gebracht, welche er jetzt für seine Mahlzeit zubereitete, und zwar innerhalb der Höhle, wo er ein Feuer anzündete. Der Rauch desselben zog durch die hohe Spalte wie durch einen Schornstein ab, und verschwand in den dichtbelaubten Kronen der Lebenseichen, die ihre ungeheueren Äste rings um den Felsen ausbreiteten, so daß eine aufsteigende Rauchsäule Karls Gegenwart nicht an Wilde verraten konnte, im Falle sich deren in der Umgegend aufhalten sollten. Von dem Eingange der Höhle aus konnte er nicht allein sein Pferd beobachten, sondern auch, wie von einer Festung herab, weithin durch den Wald blicken, und hielt während des ganzen Tages scharfe Wacht. Mit Ausnahme von einigen Rudeln Hirsche, die flüchtig vorüberzogen, gewahrte er aber weder Tiere noch Indianer, und er wunderte sich, hier nicht einen größeren Reichtum von Wildbret zu finden, da im Walde sowohl als auch auf der nahen Prairie das Gras jung und üppig stand und im Osten das Land auf so ungeheure Entfernungen kahl gebrannt war.

Als die Sonne sich neigte und der Rappe nicht mehr weiden wollte, sondern sich in dem Grase zum Ruhen niederlegte, führte ihn Karl in die Höhle und befestigte ihn dort an einem starken Holzpflock, den er mit dem Beile zurecht gehauen und in eine enge Spalte zwischen dem Gestein eingeschlagen hatte. Dann stellte er einige dicht belaubte Büsche vor die Höhle, damit der Eingang einem unberufenen, fremden Auge verborgen bleiben möge, und nahm seine Waffen, um in der Nähe zu versuchen, ob er ein Stück Wild erlegen könne. Nochmals durchblickte er von der Höhe herab den Wald und ging dann vorsichtig zwischen den Felsstücken hin, indem er fortwährend mit wachsamem Auge um sich spähte. Er traf nur wenig Wild an, und die einzelnen Hirsche und Antilopen, die er zu Gesicht bekam, waren außerordentlich scheu und flohen schon auf weite Entfernungen, wenn er sich ihnen nahen wollte. Er hatte in der Umgebung des Forts, wo er und Daniel doch so oft jagten, niemals das Wild so scheu gesehen, und erklärte sich dessen Wildheit hier durch den stattgehabten Prairiebrand, welcher die Tiere so in Flucht gesetzt haben mußte. Es war schon sehr düster geworden, als Karl an dem Wasser hinauf nach seiner Höhle zurückging, ohne daß es ihm gelungen war, eine Jagdbeute zu machen, und er erstieg die felsige Höhe im letzten Scheine des scheidenden Tageslichtes, da kam es ihm vor, als ob er in der Ferne einen Schuß gehört habe. Er blieb stehen und lauschte lange Zeit, es war aber alles still, und er suchte sich zu überreden, daß er sich verhört habe, denn der Schuß konnte nur von einem Indianer herrühren, und die Gegenwart von Wilden, welche in dieser Gegend jagten, konnte auch die Ursache von dem scheuen Benehmen der Tiere sein.

Er beruhigte sich aber, als er durch die Büsche in die Höhle trat, denn in diesem Versteck war er zu gut verborgen, als daß ihn ein Indianer hätte auffinden können, und lange wollte er ja auch nicht hier verweilen. Wenn er hier nur einen Hirsch erlegte und dessen Fleisch trocknete, so hoffte er mit diesem Mundvorrat seine Rückreise nach dem Fort ausführen zu können, im Fall ihm die Jagd unterwegs keine neue Beute liefern sollte. Zu diesem Zweck wollte er am folgenden Morgen sein Jagdglück noch einmal versuchen.

Seinen Rappen fand Karl wohlbehalten, der Ruhe pflegend, auf dem Boden ausgestreckt, und das Tier hob nur zutraulich den Kopf empor, um seinen Herrn zu begrüßen. Karl klopfte ihm schmeichelnd den Hals, legte dann seine Waffen ab und zündete ein Feuer an, um sein Abendbrot zu bereiten. Sobald dieses aber geschehen war, löschte er das Feuer wieder aus, damit der helle Schein in der oberen Felsspalte seine Gegenwart nicht etwa verraten möge. Er hätte es gern während der Nacht unterhalten, denn es wurde sehr kühl und der Wind blies in die Höhle herein, seine Vorsicht aber untersagte es ihm, deshalb hüllte er sich dicht in seine Büffelhaut und empfahl sich Gottes Schutz, während ihm die Müdigkeit die Augen zudrückte.

Der Morgen graute, als Karl aus einem ruhigen, erquickenden, ungestörten Schlafe erwachte und schnell emporsprang, damit er die Dämmerung noch zu der beabsichtigten Jagd benutzen könne. Mit der Büffelhaut um die Schultern und der Büchse in der Hand trat er aus der Höhle auf einen der vorspringenden Felsen und durchspähte und überlauschte die nahe Umgebung, dann erfrischte er sich schnell bei dem sprudelnden Wasser, trug die Büffelhaut in sein Versteck zurück und trat nun seine Wanderung in den Wald hinab an, von Stein zu Stein, lauschte auf jedes, auch das leiseste Geräusch, und achtete auf jede Bewegung, die ein leichter Luftzug in dem schwer betauten Laube und in den üppigen Pflanzen um ihn her erzeugte. Wohl eine halbe Stunde lang war er in dem Walde hin und her geschlichen, ohne auch nur ein Stück Wild zu Gesicht zu bekommen, da warf die Sonne ihren ersten Blick durch die immergrünen Bäume, und in dem goldigen Lichte, welches auf eine frische, grüne Grasfläche unter hohen Lebenseichen fiel, erkannte Karl die glänzend rote Farbe eines sich äsenden Hirsches. Er schlich sich leichten Fußes schnell von Eiche zu Eiche und hatte sich dem Tiere bis auf hundert Schritte genähert, als dieses plötzlich zusammenfuhr und mit weiten Sätzen davonsprang. Karl aber folgte ihm mit dem Rohre seiner Büchse, und es hatte nur wenige Sprünge gethan, als der Schuß des Knaben den Wald durchhallte und der Hirsch, tödlich getroffen, zusammenstürzte. Freudig sprang Karl zu ihm hin, warf sich über ihn her, damit er ihm nicht entgehe, und gab ihm mit dem Jagdmesser den Todesstoß. Die Büchse hatte er neben sich in das Gras gelegt und kniete bei dem Hirsch, um ihn auszuweiden, da sagte eine Stimme ganz in seiner Nähe:

»Ei, ei, noch so jung und doch schon ein so guter Jäger?«

Karl fuhr erschrocken empor, indem er zugleich seine Büchse ergriff, und blickte sich nach dem Sprecher um; da trat in kurzer Entfernung von ihm ein großer, schöner Mann hinter einer Eiche hervor und winkte ihm freundlich zu, indem er sagte:

»Brauchst nicht zu dem Gewehre zu greifen, du hübscher Knabe, denn wenn ich dir hätte etwas zuleide thun wollen, so würde ich dich nicht angeredet haben. Du warst ja in meiner Gewalt und auch ich weiß die Büchse zu handhaben; aber dein Schuß nach diesem Hirsch war ein Meisterschuß, und es jagen nicht viele Jäger in diesem Lande, die dir denselben nachthun können. Wo lagert deine Jagdgesellschaft? Ich bin ein Delaware und ein Freund der weißen Männer, führe mich zu ihnen, damit ich mit ihnen rauchen und reden kann.«

Karl hatte auf den ersten Blick erkannt, daß der Fremde ein Indianer sei, wenngleich dessen Erscheinung von der jener Wilden verschieden war, die er bisher gesehen hatte. Derselbe trug ein aus Wildleder verfertigtes, bunt gesticktes und zierlich befranstes Jagdhemd, welches ihm bis an die Kniee reichte, trug hirschlederne Gamaschen und Mokassins von demselben Material, und um seinen Kopf war ein buntes, seidenes Tuch in Form eines Turbans gewunden. Unter demselben hing das glänzend schwarze Haar des Indianers über seine breiten Schultern herab, und um seinen braunroten Nacken lag eine breite Perlenschnur, an welcher eine große, silberne Medaille mit dem Bildnis des Präsidenten der Vereinigten Staaten bis auf seine nackte, dunkelfarbige Brust reichte. Er war eine hohe, schöne Mannsgestalt von schlankem, aber muskulösem Bau, und die Formen seines männlichen Gesichts waren edel und ausdrucksvoll. Die Adlernase und die hohe Stirn zeugten von Willenskraft, Entschlossenheit und Mut, und in seinen großen dunklen Augen lag ernste Ruhe und tiefe Leidenschaftlichkeit zugleich. Dieselbe Ruhe lag auf seiner ganzen stolzen Erscheinung, und jede seiner Bewegungen schien von ihr beherrscht zu werden. Als er aber zu Karl sprach, hatten seine Züge einen freundlichen, milden Ausdruck angenommen, der dem Knaben Vertrauen einflößte und die schreckhafte Überraschung, die sich seiner im ersten Augenblicke bemeistert hatte, verscheuchte.

»Wenn du ein Delaware-Indianer bist, so habe ich keine Ursache, vor dir besorgt zu sein; denn die Delawaren sind ja immer Freunde der Weißen gewesen und haben gegen die Engländer mit großer Treue an ihrer Seite gefochten, als sie sich von deren Herrschaft befreiten. Daniel hat mir sehr viel Gutes von den Delawaren erzählt,« entgegnete Karl, indem er ohne Bangen dem Indianer die Hand hinreichte, die dieser zutraulich ergriff.

»Wer ist denn der Daniel, der so viel Gutes von den Delawaren gesagt hat?« fragte der Indianer.

»Er ist ein Neger, der sich als Freund bei meinem Onkel aufhält,« antwortete Karl.

»Und wo ist dein Onkel? Führe mich zu ihm,« fuhr der Indianer fort.

»Mein Onkel ist nicht hier, er wohnt am Bärfluß, ich bin allein hier.«

»Du allein hier?« fragte der Indianer mit einem Tone, als bezweifle er die Wahrheit von Karls Aussage.

»Ja, ganz allein. Der Prairiebrand hat mich hierher getrieben und es ist ein Wunder, daß ich nicht dabei umgekommen bin. Mein armes Pferd habe ich verloren, doch habe ich mir ein wildes Pferd dafür gezähmt, welches mich hierher getragen hat,« erwiderte Karl mit seiner natürlichen Offenherzigkeit.

»Du setzest mich in Erstaunen; bist ja doch nur noch ein Knabe, und dein Benehmen sowie deine Handlungen sind die eines tüchtigen Mannes. Wie heißest du? Mein Name ist Leopard.«

»Ich heiße Karl Scharnhorst und mein Onkel am Bärfluß heißt Max Turner,« antwortete Karl.

»So komm mit in mein Lager, Karl, ich bin mit meinem Stamme auf dem Wege nach dem Bärfluß und will dich zu deinem Onkel zurückbringen. Am Choctawbache habe ich viele Freunde, die ich in jedem Frühjahr besuche. Wo hast du dein Pferd?« nahm der Indianer wieder das Wort und legte liebkosend seine Hand auf die Schulter des Knaben.

»Dort hinauf, in jenem Felsen,« entgegnete Karl, nach der Höhe zeigend.

»In der Höhle dort oben? Ich habe schon manchen feisten Bären in ihr getötet, sie ist ein Lieblingsaufenthalt der Petze. Lade deine Büchse, ich will dem Hirsch schnell die Haut abnehmen,« sagte der Indianer, und kniete bei dem erlegten Tiere nieder, während Karl den Schuß in seinem Gewehr ersetzte.

»Du wirst nicht viel Wild mehr in diesem Walde angetroffen haben,« fuhr Leopard während seiner Arbeit fort, »wir haben über zweihundert Hirsche und Antilopen hier geschossen, denn wir fanden sehr viel Wild hier vor, als wir vor einem Monat hierher kamen, und das Feuer auf der Prairie trieb uns noch eine große Anzahl davon zu. Es ist gut, daß ich dich getroffen habe, denn wir wollten morgen von hier aufbrechen. Schade nur, daß du nicht früher hier wärest; ein Jäger, wie du es bist, wäre mir sehr willkommen gewesen.«

In wenigen Minuten hatte der Indianer dem Hirsch die Haut abgenommen, denselben zerlegt und sich mit den beiden Keulen beladen, während er die Schulterblätter und den Rücken desselben zusammenband und Karl zu tragen gab. Darauf ergriff er seine lange, einfache Büchse und schritt mit seinem jungen Gefährten den Felsen zu, die sie bald erreichten. Leopard kannte den Weg nach der Höhle sehr gut und trat voran in dieselbe hinein. Der Rappe sprang entsetzt vor dem Indianer zurück, Karl aber beruhigte ihn, und während jener das Roß von allen Seiten betrachtete und seine Formen lobte, legte Karl demselben Sattel und Zeug auf und befestigte das mitgebrachte Wildbret an demselben. Nachdem er nun noch die Büffelhaut über den Sattel geworfen hatte, leitete er das Pferd aus der Höhle dem Indianer nach, welcher einen, Karl noch nicht bekannten Pfad zwischen den Felsen hinabschritt, auf welchem sie bald die frischgrüne Prairie erreichten. Leopard war verstummt und schien in Gedanken versunken, und Karl war im Geiste schon im Fort zurück, sah sich von seinen Lieben umarmt und hörte ihren Jubel, ihre Worte der Liebe. So schritten sie schweigend an dem Waldsaume hin, bis sie nach einer halben Stunde das Lager der Delawaren erreichten.

Karl erkannte dasselbe schon von weitem an den Rauchsäulen, die zwischen den einzeln stehenden Eichen aufstiegen, und bald darauf an den vielen Pferden, welche teils in dem Schatten der Bäume, teils in der nahen Prairie weideten.

Das Lager selbst bestand aus einigen zwanzig Zelten, die aus Baumwollzeug verfertigt und vermittelst hölzerner Stangen aufgestellt waren. Vor jedem Zelte brannte ein Feuer, an welchem man Indianerinnen beschäftigt sah, Speisen zu bereiten, während daneben junge, kräftige Männer auf Büffelhäuten ruhten oder ihre Waffen reinigten und in stand setzten. Wo man hinblickte, sah man zum Trocknen ausgespannte Tierfelle an den Bäumen hängen, oft einige Dutzend derselben, die bis in die höchsten Äste hinauf sich in dem Winde schaukelten.

Als Leopard mit seinem Gaste in das Lager schritt, erhoben sich die Männer und kamen ihm entgegen, um ihn zu begrüßen; denn er war der Häuptling dieses Stammes und zugleich erster Häuptling aller Delawaren, die aus zehn solcher Abteilungen bestanden. Die ganze Nation zählte kaum noch einige tausend Seelen, obgleich sie in früheren Jahren die mächtigste unter den Indianern dieses Weltteils war und die östlichen Länder von der Chesapeakebai bis zu den großen Landseen im Norden als ihr Eigentum beherrschte. Von den Weißen aus ihrer Heimat verdrängt, blieben die Delawaren denselben dennoch treu befreundet und wanderten unter blutigen Kämpfen mit anderen Indianern weiter und weiter nach Westen, bis sie endlich an dem Kansasflusse, westlich von Missouri, eine bleibende Stätte sich gegründet hatten, welches Land ihnen von der Regierung der Vereinigten Staaten als freies, unantastbares Eigentum überwiesen wurde. Dort hatten sie sich nun einer Art von Civilisation hingegeben, das heißt, sie gaben ihr Wanderleben auf, bauten sich Dörfer, trieben Viehzucht und pflanzten Mais. In diesen kleinen Niederlassungen wohnten nur die alten Leute, die größere Zahl der Frauen und die Kinder, während die jungen Männer mit nur wenigen Weibern jahraus jahrein der Jagd lebten, und im Frühjahr nach Norden bis in die Felsengebirge und im Herbst nach Süden bis an die Ufer des Golfs von Mexiko dem Wild folgten. Auf ihrer Durchreise hielten sie sich nur einige Wochen in ihren Niederlassungen auf und nahmen dann abermals auf ein halbes Jahr Abschied von den Ihrigen. Die Delawaren standen aber auch in dem Dienste der Regierung der Vereinigten Staaten und wurden von derselben zu Unterhandlungen und Vermittelungen mit den anderen Nationen der Indianer verwandt, wofür sie jährlich eine sehr bedeutende Summe Geldes bar ausbezahlt bekamen. Dies Freundschaftsverhältnis zu der Regierung war teilweise eine Ursache, weshalb die Delawaren bei den anderen Indianern in hohem Ansehen standen; der Hauptgrund lag aber in ihrer Persönlichkeit, in ihrem Charakter. Offenheit, Biederkeit und tiefes Gefühl für Freundschaft, aber auch unversöhnliche Rachsucht, Kühnheit und Tapferkeit bis zur Verzweiflung waren ihre vorherrschenden Eigenschaften. Auch die mächtigsten unter den Indianern wagten es nicht, zu Feindseligkeiten mit den Delawaren Veranlassung zu geben, und erkannten ihre große Überlegenheit als Krieger an. Die Delawaren waren sämtlich vortreffliche Schützen, besaßen die besten Feuerwaffen und waren ebenso gewandt zu Fuß wie zu Pferde. Namentlich gegen die südlichen Indianer, welche mit den Weißen in noch keinerlei freundliche Beziehung getreten waren und noch in ihrem ursprünglichen Naturzustande lebten, standen sie in großem Vorteile; denn jene führten durchaus keine Feuerwaffen, weil die Weißen ihnen dieselben nicht ausbesserten und ihnen keine Munition zukommen ließen.

Jetzt war Leopard mit seinem Stamme auf seiner Rückreise nach Norden, nachdem er mehrere Monate lang in diesen südlichen Ländern gejagt hatte, und wollte wieder einige Wochen bei den Seinigen am Kansasflusse rasten, ehe er nach Norden zur Jagd aufbräche; denn der Frühling sollte ihm voranziehen und dort die Grasfluren mit frischem Grün schmücken. Der Häuptling übergab Karls Roß einer Indianerin, damit sie für dasselbe Sorge trage, führte ihn selbst zu seinem Zelte, wo er ihn willkommen hieß und ihm seinen Schutz und seine Gastfreundschaft zusicherte. Er sprach, wie alle Delawaren, sehr gut englisch, rief aber nun in seiner Muttersprache die Männer aus dem Lager zusammen und teilte ihnen mit, in welcher Weise er mit dem fremden Knaben bekannt geworden sei, woher derselbe stamme und daß er beabsichtige, ihn zu seiner Familie an den Bärfluß zurückzubringen. Die Mitteilung über Karls Tüchtigkeit als Jäger erwarb ihm bei den Indianern sofort Ansehen und sie betrachteten mit großer Bewunderung seine Waffen. Sie hatten sich zu ihm gesetzt und ließen seine Büchse von Hand zu Hand gehen, da ein jeder von ihnen dieselbe in Augenschein nehmen wollte, als plötzlich ein großer Raubvogel über ihnen erschien und seine Kreise in der Luft beschrieb. Leopard sah Karl lächelnd und fragend an und deutete auf den Vogel über sich, als ob er wünsche, daß sein junger Gast die Mitteilung wahr machen möchte, welche er seinen Leuten über dessen Geschicklichkeit im Schießen gegeben habe. Karl blickte nach dem Vogel hinauf, ergriff rasch die ihm hingereichte Büchse, zielte einen Augenblick nach dem über ihm schwebenden Falken und gab Feuer. Der Raubvogel aber ließ in demselben Augenblick seine Flügel sinken und fiel unter dem lautesten Jubel und den Freudenrufen der Indianer aus der Luft herunter in das Gras. Der Häuptling schaute mit einem stolzen Blick durch die Versammlung und reichte dann Karl wie zum Danke die Hand, indem er sagte: »Warum mußtest du auch unter den Weißen geboren werden und nicht unter den Delawaren? Du würdest ein großer Mann unter ihnen geworden sein. Hättest du keine Freunde am Bärflusse, so sollten die Delawaren deine besten Freunde werden.«

Nun folgten alle Indianer dem Beispiele ihres Häuptlings, reichten Karl die Hand und ein jeder von ihnen sagte dem Knaben, daß er sein Freund sei. Karl war ganz glücklich über die liebevolle Behandlung, die ihm zu teil ward, und es freute ihn, daß er Daniels Mitteilungen über die Delawaren so treu bestätigt fand. Er wurde nun mit der größten Aufmerksamkeit bewirtet, es wurden ihm in der Asche gebackene Bärentatzen, geröstete Markknochen von Büffeln und gebratene Hirschleber vorgesetzt, und herrlicher, klarer Honig dazu gereicht. Nach dem Essen lagerten sich die Indianer um ihn im Schatten der Bäume und er mußte ihnen von Europa erzählen; denn er hatte dem Häuptling mitgeteilt, daß er nicht in Amerika geboren sei.

Er hatte unzählige Fragen zu beantworten, und alles, was der Knabe sagte, wurde mit größter Aufmerksamkeit angehört. Abends aber nach dem Essen, als sie vor dem Zelte des Häuptlings beim Feuer lagen, bat Karl diesen, er möge ihm nun auch über die Geschichte seines Volkes etwas erzählen, da ihn dies ebenso sehr interessiere, wie ihn Karls Mitteilungen über Europa. Der Häuptling schien sich durch diese Bitte geschmeichelt zu fühlen, setzte sich aufrecht und begann mit ernstem feierlichen Tone die Größe seines Volkes in jener Zeit zu schildern, als dasselbe die Ufer der Chesapeakebai, des Susquehanna und der großen Landseen im Norden seine Heimat nannte, und sein Reich sich bis an die Küsten der Oceans erstreckte. Mit hinreißender Begeisterung pries er den damaligen unerschöpflichen Reichtum der endlosen Jagdgründe in dem Lande der Delawaren, schilderte die Schönheit der edlen Pferde und der auserlesenen Waffen, welche seine Vorfahren besessen hatten, und nannte mit Verehrung die gefeiertsten Krieger, deren Namen seit Jahrhunderten von Mund zu Mund, von Geschlecht zu Geschlecht in dem Andenken des Volkes fortgelebt hatten. Er sprach von der Macht der Delawaren, von ihrer Wahrheitsliebe, von ihrer Gastfreundschaft, von ihrer Tapferkeit und von den vielen glorreichen Siegen, die sie über ihre Feinde erkämpft hatten. Er redete mehrere Stunden lang, ohne von einem der Umsitzenden unterbrochen zu werden, und ebenso, wie alle übrigen Zuhörer, wurde auch Karl von der feierlichen Mitteilung über die vergangene Größe der Delawaren tief ergriffen. Mit einem Ausdruck der Wehmut, der Trauer verstummte der Häuptling endlich und saß eine Zeit lang, schweigend vor sich niedersehend, da, dann ergriff er die Hand Karls und sagte mit einem Blick zu dem sternbedeckten Himmel über sich: »Es ist der Wille des großen Geistes, daß die roten Kinder den Weißen Platz auf dieser Erde machen sollen!«

Abermals versank er dann in stummes Nachdenken, welches, wie es schien, die übrigen Indianer als einen Wink des Häuptlings betrachteten, sich zu entfernen; denn sie erhoben sich sämtlich und begaben sich nach ihren verschiedenen Zelten. Als nun der Häuptling noch allein mit Karl beim Feuer saß, wandte er sich zu ihm und sagte: »Du nanntest heute früh einen Neger den Freund deines Onkels; ich will wünschen, daß dein Onkel sich nicht von dem Neger bethören läßt; ein Mohr ist niemals ein Freund, ein Mohr redet mit doppelter Zunge und sein Herz ist so schwarz wie seine Haut.«

»Dann macht unser Freund Daniel eine Ausnahme von der Regel, er ist uns ein wahrer, aufrichtiger und uneigennütziger Freund,« fiel ihm Karl schnell in die Rede, um auch nicht einen Augenblick länger einen so ungerechten Verdacht auf seinem Daniel zu lassen.

»Das läßt er euch glauben, so lange, bis es ihm einen Vorteil bringt, euch zu hintergehen,« fuhr der Häuptling fort.

»Nein, nein, Daniel ist und bleibt ewig unverändert unser treuer Freund und will uns niemals verlassen,« fiel Karl wieder ein; denn von dem ehrlichen Daniel sollte niemand etwas Unrechtes sagen.

»Er wird so lange bei euch bleiben, bis er anderswo glaubt einen angenehmeren Aufenthalt zu finden. Auch bei mir lebte ein Neger, er hieß der schwarze Panther, und er war mein bester Jäger, so wie mein bester Krieger. Den schwarzen Panther fürchteten die Indianer von dem Golf von Mexico bis hinauf zu den Felsengebirgen! Er wurde unter uns geboren, denn sein Vater und seine Mutter waren Sklaven meines Vaters. Ich habe den Knaben zuerst auf ein Pferd gesetzt, ich habe ihm die ersten Waffen in die Hände gegeben und ihn angewiesen, sie zu gebrauchen, und ich war es, der ihm das Kriegsgeschrei der Delawaren lehrte, welches später keiner von uns allen mit solcher Gewalt ertönen lassen konnte, wie der schwarze Panther. Er hat an meiner Seite geschlafen, gespeist, gejagt und gekämpft, und wo der Leopard und der schwarze Panther erschienen, da war ihnen der Sieg gewiß. Seine Eltern starben, ihre Gebeine ruhen bei denen meiner Väter, und der schwarze Panther wurde dem Leoparden untreu und verließ ihn, ohne Abschied von ihm zu nehmen. Er floh den Ansiedelungen der Weißen zu, ich folgte ihm, um ihm die Füße zu lähmen und ihn den wilden Tieren als Beute zu überlassen; die Füße des schwarzen Panthers aber waren schneller und leichter als die des Leoparden, und er entkam unter die Weißen. Ich habe nie wieder von ihm gehört; ein Neger hat kein Herz für einen Freund, er hat nur ein Herz für sich selbst.«

Bei diesen Worten des Häuptlings verstummte Karl, es war ihm, als ob ihm der Atem genommen würde, denn die Worte Daniels fielen ihm ein, die derselbe dem fliehenden Waco-Indianer zugerufen hatte, ehe er ihn niederschoß: »Du hast wohl einmal vom schwarzen Panther gehört!«

Daniel war der schwarze Panther, darüber konnte Karl nicht mehr in Zweifel sein, und mit Angst und Schrecken dachte er daran, daß der Häuptling den Neger im Fort wiedersehen und ihm dann ein Leids zufügen würde. Er bereute es tief, daß er überhaupt von Daniel gesprochen hatte, weil Leopard gewiß nach ihm fragen würde, wenn sie das Fort erreichten; und Karl sann auf Mittel und Wege, ein Zusammentreffen des Indianers mit dem Neger zu verhindern. Der Häuptling unterhielt sich noch eine Zeit lang mit dem Knaben; als er aber dessen Wortkargheit bemerkte, glaubte er, derselbe sei müde und wünsche, sich zur Ruhe niederzulegen.

Er bat ihn daher, in sein Zelt einzutreten, und wies ihm dort ein Lager an, welches die Frauen für ihn aus weichen Tierhäuten bereitet hatten. Dann wünschte er ihm eine sanfte Ruhe, die ihn für die Reise, welche sie am folgenden Morgen antreten wollten, stärken möchte.

Vier Tage später saßen Turners abends, als die Sonne sich neigte, in deren wohlthuendem Strahlenlichte an der Außenseite des Forts auf einer Bank, und Daniel hatte sich neben ihnen im Grase niedergelassen. Sie ruhten sich von der vollbrachten Tagesarbeit aus und ließen ihre Blicke in trauerndem Andenken an den geliebten, für sie verlorenen Karl über die weite Grasflur wandern, auf welcher sie glaubten, daß der treue, brave Knabe seinen Opfertod gefunden habe. Sie hatten schon eine Zeit lang in spärlicher Unterhaltung dagesessen, immer wieder war Karl genannt worden, immer wieder war die Unterhaltung verstummt, und Madame Turner hatte wiederholt die Thränen heimlich weggewischt, die ihr in die Augen getreten waren, da richtete sich Daniel auf seiner linken Hand empor und hielt die Rechte über die Augen, indem er in die flache Ferne schaute.

»Sollten das Büffel sein, die dort herangezogen kommen? Sehen Sie dort den schwarzen Strich über jenem Mosquitobaume nicht? Er bewegt sich – es sind wahrscheinlich Büffel. Wenn sie nahe herankommen, so will ich doch einen von ihnen schießen, wir können frisches Fleisch gebrauchen,« sagte der Neger, indem er wieder auf seinen Ellenbogen zurücksank und seinen Blick auf die Ferne geheftet hielt.

»Als Karl noch bei uns war, da hatten wir immer Überfluß an frischem Wildbret im Hause; seit seinem Scheiden scheint alles bei uns die Thätigkeit verloren zu haben,« sagte Madame Turner, und abermals entfielen Thränen der Wehmut ihren Augen.

»Jawohl, die frohe, rege Thätigkeit hat uns verlassen; weiß der Himmel, ich mag die Büchse gar nicht mehr anrühren, denn immer sehe ich dann den lieben Karl wieder vor mir, und es ist mir, als ob mir das Herz zerreißen wollte,« sagte Daniel mit einem schweren, schmerzlichen Atemzug, sprang aber plötzlich auf und rief: »Das sind keine Büffel, das ist ein Zug Indianer, sie kommen hierher.«

Mit diesen Worten rannte er in das Fort hinein und kehrte nach wenigen Augenblicken mit dem Fernglas in der Hand zurück. Er schaute nun durch dasselbe nach dem schwarzen Streifen hin, der jetzt deutlicher in seiner Bewegung am Horizont zu erkennen war.

»Das sind Indianer!« sagte er nach einer Weile mit einem Ton, der unverkennbar verriet, daß ein Schreck den Neger ergriffen hatte.

»Es müssen viele Indianer sein, denn es ist ja ein langer Zug,« fiel Turner ein, der die Aufregung Daniels bemerkte, welcher unverwandt das Fernglas vor die Augen hielt, ohne eine Silbe zu erwidern.

»Sollen wir nicht in das Fort gehen und unsere Waffen zur Hand nehmen?« fragte Turner, mehr und mehr besorgt.

»Sie und die Ihrigen haben nichts von jenen Indianern zu befürchten, es sind Delawaren, und die sind den Weißen in Freundschaft zugethan,« fuhr Daniel mit bebender Stimme fort und hielt immer noch das Fernglas vor dem Auge. Plötzlich aber schlug er mit einem lauten Schrei die Arme auseinander und rief: »Karl – Karl, unser Karl – er lebt – er kommt – großer Gott – es ist Karl!« und Karl, Karl, schrieen Turners und breiteten weinend und jauchzend ihre Arme nach der Ferne aus, wo der Reitertrupp schnell dem Blicke deutlicher wurde. Daniel aber war in dem Fort verschwunden und kehrte nach wenigen Minuten mit seinen Waffen in der Hand unter sichtbarlich gesteigerter Aufregung zu Turners zurück.

»Ich muß fort,« sagte er, heftig bewegt; »die Delawaren dürfen mich nicht sehen; sollten sie nach mir fragen, so sagen Sie, ich hätte Sie verlassen, um wieder auf See zu gehen.«

»Daniel, um Gottes willen, Daniel, du wolltest uns verlassen? – das ist unmöglich, du darfst nicht fort – bester Daniel, bleibe bei uns – was soll ohne dich aus uns werden!« riefen Turners durcheinander und schlangen ihre Arme um den Neger; doch dieser wand sich mit den Worten von ihnen los: »Ich muß fort, um Ihretwillen und um meiner selbst; wenn Karl nicht zu viel über mich geredet hat, so werden die Delawaren sich nicht lange aufhalten, und dann komme ich zu Ihnen zurück; ich bleibe im Walde. Sagen Sie nur dem Häuptling, wenn er nach mir fragt, ich sei wieder auf See gegangen.«

Mit diesen Worten sprang Daniel davon, eilte nach dem Kanoe und verschwand bald darauf an der anderen Seite des Flusses in dem Walde.

Turners standen sprachlos; das Glück und der Schmerz hatten sie gleich gewaltig ergriffen und Thränen der Freude und des Leids füllten zugleich ihre Augen. Das Glück aber war für den Augenblick stärker; sie sahen den Reiterzug nahen und mit ihm den totgeglaubten Liebling ihres Herzens ihren Armen entgegeneilen. Näher und näher kamen die Reiter, schneller und stürmischer schlugen die Herzen der Turners, und sehnsüchtiger und verlangender breiteten sie die Arme nach dem geliebten Wiederkehrenden aus. Da sprengte von der Spitze der nahenden Schar Karl Scharnhorst auf seinem Rappenhengst heran über das wogende Gras und sauste unter jauchzenden Freudenrufen am Hügel herauf seinen Lieben zu. Es warf sich vom Pferde und Turners in die Arme. Es war ein Augenblick höchster Seligkeit, welche die Wiedervereinten überwältigend durchbebte, die keine Worte, die nur Thränen, heiße Freudenthränen hatten, um ihren Gefühlen Ausdruck zu geben, ihren übervollen Herzen Luft zu machen.

»Wo ist Daniel?« rief Karl plötzlich, wie aus einem Rausche erwachend, und blickte sich erschrocken nach den Indianern um, die jetzt den Fuß der Höhe erreicht hatten und von ihren Pferden stiegen.

»Er ist fort in den Wald; wir sollen sagen, er sei wieder auf See gegangen,« antwortete Turner rasch.

»Gottlob, dann wird alles gut gehen!« sagte Karl und wandte sich schnell dem Häuptling zu, der jetzt auf der Höhe mit feierlichem Ernst herangeschritten kam. Karl ergriff seine Hand und führte ihn zu den Seinigen, indem er denselben als seinen liebevollen, hilfreichen Freund vorstellte. Turners hießen den Indianer mit so stürmischer Herzlichkeit willkommen, daß derselbe tief ergriffen ward und mit augenscheinlicher Freude die Danksagungen, die Liebkosungen der beglückten Familie hinnahm. Sie ließen ihm kaum Zeit, seinen Leuten zuzurufen, daß sie weiter am Fluß hinauf ihr Lager aufschlagen möchten, und zogen ihn, von ihren Armen umschlungen, in das Fort hinein, um ihm dort wieder und wieder ihre Dankgefühle darzuthun.

Dem Häuptlinge waren solche stürmische Ausdrücke menschlicher Gefühle ebenso fremd wie überraschend, denn der Indianer zeigt niemals in seiner äußeren Erscheinung, was in seinem Innern vorgeht; im höchsten Schmerz, im höchsten Glück liegt dieselbe stolze Ruhe auf seinen Zügen. Diese Kundgebungen der Freude und der Dankbarkeit Turners aber rissen ihn aus seiner äußeren Teilnahmlosigkeit, seine Züge erheiterten sich, Freude, herzinnige Freude strahlte aus seinen Blicken, – und immer wieder drückte er Turner und dessen Gattin die Hände und nahm die Kinder in seine Arme. Es dauerte lange, ehe der Sturm des unverhofften Glückes der Wiedervereinten verwogte; dann aber mußte Karl ausführliche Mitteilung über seine Schicksale und über seine Rettung machen. Alle lauschten seiner Erzählung mit der größten Teilnahme, manches »Gottlob« drang von den Lippen der Hörer, manch dankbarer Blick wurde von ihnen zum Himmel gesandt und manche Thräne entfiel ihren Augen. Als er seinen Bericht aber beendet hatte, da ging der Knabe abermals aus einer Umarmung in die andere, und der Häuptling wiederholte die Worte: »Warum mußtest du unter den Weißen und nicht unter den Delawaren geboren werden?«

Bis jetzt war des Negers noch nicht erwähnt worden und Turners vermieden absichtlich jedes Wort, welches das Gespräch hätte auf denselben lenken können. Madame Turner und Julie entfernten sich, um ihren Gast auf das beste zu bewirten, und Turner und Karl unterhielten ihn, indem sie ihm ihre sämtlichen Waffen zeigten und ihm deren Vorzüge vor den, in diesem Lande gewöhnlich benutzten langen, einfachen Büchsen auseinander setzten. Das Abendessen war für diese Wildnis ein ausgezeichnetes zu nennen. Madame Turner hatte dabei alle ihre Kochkunst aufgeboten und das Beste ihrer Vorräte dazu verwandt. Auch war das gute Porzellan dabei aufgetragen, und alles Silberzeug auf den Tisch gebracht und derselbe herrlich mit Blumen geschmückt. Dem Häuptling entging es nicht, daß alles dies nur ihm zu Ehren geschah; denn er war schon oft von Grenzansiedlern bewirtet worden, wo es immer viel einfacher hergegangen war.

Die Aufmerksamkeiten und Herzlichkeiten Turners machten ihm Freude und er meinte, daß die Europäer mehr Gefühl für Freundschaft und Dankbarkeit hätten als die Amerikaner.

Nach dem Abendessen, als er mit der Familie bei dem Kaminfeuer saß und so wie Turner eine Cigarre rauchte, fiel ihm der Neger wieder ein, und er fragte halb verwundert, weshalb derselbe sich noch nicht gezeigt habe, da er doch ein so guter Freund der Familie sein solle. Turner entgegnete ihm etwas verlegen, daß der Schwarze ihn vor kurzem verlassen habe, um wieder auf See zu gehen, weil ihm dort ein besserer Verdienst zu teil werde.

Der Häuptling sah Karl mit einem triumphierenden Blick an und sagte: »Glaubst du nun noch an die Freundschaft eines Negers, junger Mann? Dein geliebter Daniel ist ein eben solcher Freund gewesen, wie mein schwarzer Panther; auch sein Herz ist so schwarz wie seine Haut.«

Karl gab dem Indianer keine Antwort, was dieser für Anerkennung seiner ausgesprochenen Ansicht hielt und darauf das Gespräch auf einen anderen Gegenstand lenkte.

Der Abend verstrich in traulicher Unterhaltung, und ehe der Häuptling dann von dem für ihn bereit gehaltenen Ruhelager auf Daniels Bett Gebrauch machte, begab er sich nach seinen Leuten, um ihnen zu sagen, daß er bei seinen weißen Freunden schlafen werde.

Am folgenden Morgen hatte Madame Turner schon sehr zeitig das Frühstück bereitet, weil ihr Gast mit Sonnenaufgang seine Weiterreise antreten wollte. Nach beendigtem Mahle wurde dem Häuptling sein Pferd vor das Fort gebracht, er nahm einen herzlichen Abschied von seinen Freunden, versprach, im nächsten Herbst sie wieder zu besuchen, und bemerkte dabei, daß Karl ihn dann auf einige Wochen begleiten und mit ihm jagen müsse. Der Knabe geleitete ihn darauf zu seinem Lager und brachte die Indianer bis zu dem Wege, welcher durch den Wald nach dem Choctawbache führte, damit seine Freunde mit weniger Schwierigkeiten das Holz durchreiten könnten. Nochmals versprach er hier dem Häuptling, im Herbst mit ihm zu jagen, und sah mit erleichtertem Herzen die Delawaren dahinziehen, weil er die Minute kaum erwarten konnte, wo er Daniel in die Arme fallen würde.

Der Neger aber hatte aus dem Dickicht des Waldes die Bewegungen der Indianer beobachtet, war, als er sie den Weg nach dem Choctawbache einschlagen sah, mit fliegender Eile durch den Wald nach dessen anderer Seite gerannt, und hatte den Saum erreicht, als die Delawaren schon in der Prairie jenseits angelangt waren. Er kletterte schnell auf einen der höchsten Bäume, um ihnen von dort aus weithin mit dem Blicke folgen zu können, und als er sie endlich in der blauen Ferne verschwinden sah, da ließ er sich rasch auf die Erde nieder und rannte nun, von der Sehnsucht seines treuen Herzens getrieben, nach dem Fort, um seinen geliebten jungen Freund wieder zu sehen. Kaum hatte er den Fleck an dem Ufer des Flusses erreicht, wo er unter überhängenden dichten Laubmassen das Kanoe verborgen hatte und dasselbe in den Strom hineingerudert, als Karl von dem Fort hergesprungen kam und ihm jubelnd und jauchzend entgegeneilte. Das Glück der beiden, als sie sich in die Arme fielen, kannte keine Grenzen, und »mein Daniel, mein Karl!« war alles, was sie hervorstammeln konnten.

Der Neger ging nun mit Karl Arm in Arm nach dem Fort zurück, wo er mit großer Freude von Turners empfangen wurde und wo er ihnen nun mitteilte, daß er der schwarze Panther sei, der vor einer Reihe von Jahren dem Häuptling entsprungen war. Er gestand es ein, daß derselbe ihn gut und liebevoll behandelt habe, stellte aber ein jedes Unrecht, welches man in seiner Flucht finden möchte, in Abrede, da seine Eltern freie Neger gewesen und von den Delawaren gewaltsam zu Sklaven gemacht waren. Sie hatten an der Indianergrenze sich eine Niederlassung gegründet, waren dort von dem Vater Leopards überfallen und fortgeführt worden. An ihm, sagte Daniel, hätten sie demnach kein Eigentumsrecht, wenn es überhaupt ein Recht gebe, einen Menschen als Eigentum zu besitzen, und er fühle sich durchaus frei davon, ein Unrecht gegen Leopard begangen zu haben.

Turner fragte den Neger nun, was denn der Häuptling mit ihm thun würde, wenn er ihn wieder in seine Gewalt bekäme; worauf Daniel erwiderte, daß derselbe ihn in einer grausamen Weise umbringen würde, da die Rache eines Indianers nur mit dem Tode seines Feindes ende.

»Wenn der Häuptling aber deinen Wert in Geld ausgezahlt bekäme, würde er dich dann nicht verkaufen?« fragte Turner.

»An Geld ist dem Indianer nichts gelegen, weil er alles besitzt, wonach seine Wünsche trachten. Außerdem opfert er auch alles seiner Rache,« entgegnete der Neger, und wies alle Anerbietungen Turners, ihm sein ganzes bares Geld zur Verfügung zu stellen, als nutzlos zurück. Er suchte aber zugleich seine Freunde zu beruhigen, indem er ihnen auseinander setzte, daß ihm keine Gefahr drohe, da die Delawaren nur im Frühjahr und im Herbst diese Gegend besuchten, und er selbst sich dann vor ihnen leicht verborgen halten könne. Anderen Indianern, sagte er, wäre er nicht so genau bekannt, und so könnten die Delawaren auch nicht erfahren, daß er der schwarze Panther sei und sich hier aufhalte.

Der Tag verstrich in dem Glücke, welches mit Karl unter die Ansiedler zurückgekehrt war, und als der Abend kam, verließ Daniel das Fort, um in dem Walde zu übernachten, wo er überhaupt verweilen wollte, bis die Delawaren sich aus dieser Gegend entfernt haben würden. Er nahm einige Häute und Kochgeschirr mit sich, um eine Art von Wohnung im Walde einzurichten. Karl begleitete ihn, um ihm dabei behilflich zu sein und den Platz seines Aufenthalts zu kennen.

Der Knabe kehrte spät nach dem Fort zurück, und die Besorgnis um den Neger minderte sich, als er die Nachricht brachte, wie derselbe sich gut versteckt habe und sicher niemand ihn auffinden könne. Am folgenden Morgen besuchte er seinen Freund wieder, brachte ihm Brot und andere Lebensmittel, und tags darauf ritt er frühzeitig nach dem Choctawbache, um Erkundigungen über die Delawaren einzuziehen.

Bei Warwicks, in deren Nähe dieselben gelagert hatten, wurde Karl mit großem Jubel bewillkommnet; sie hatten schon durch die Indianer von seiner Rettung gehört und wußten es ihm besonders großen Dank, daß er nun selbst gekommen war, um sich ihnen zu zeigen. Die Delawaren hatten schon früh am Morgen ihr Lager abgebrochen und waren dem Roten Flusse zugeritten, um sich nach ihrer Ansiedelung am Kansasstrome zu begeben.

Ungeachtet dieser erfreulichen Nachricht, die Karl seinem Freunde überbrachte, verweilte derselbe noch einige Wochen in dem Walde, da er sagte, einem Indianer dürfe man nie trauen; dann aber kehrte er in das Fort zurück, und die Besorgnis wegen der Sicherheit Daniels wurde bald vergessen.

Das Frühjahr hatte seinen ganzen Schmuck, seine ganze Pracht über Wald und Prairie ausgebreitet, und die bunte Blumenflur prangte in dem frischen Grün der Bäume und der Büsche, sowie in dem saftigen, üppigen jungen Grase. Aus dem glänzenden, dunklen Laube der Magnolien, die sich zwischen den Riesenbäumen des Waldes zum Himmel erhoben, glänzten deren alabasterweiße Blüten wie kolossale Rosen hervor, die Tulpenbäume waren mit goldigen Blumen übersäet, der Hundeholzbaum streckte seine großen, weißen Sternblüten gegen den blauen Himmel, die Bignonie trug ihre blaßroten Blütenfackeln zur Schau, die Jucka hielt den dreißig Fuß langen, mit schneeigen Glocken behangenen Blütenstengel über ihrer Stachelkrone empor, und in tausendfältigem Farbenspiel schlangen sich die blühenden Lianen von Ast zu Ast, von Wipfel zu Wipfel, und wehten wie bunte Guirlanden in der lieblich duftenden Frühlingsluft, die über die Blumenfelder der unabsehbaren Prairie gezogen kam. Der Spottvogel, der Kardinal, der Blauvogel sangen in dem schattigen Dunkel des Waldes ihre süßen Lieder, der Kolibri summte von Blütenkelch zu Blütenkelch, und das glänzend bunte Gefieder der Papageien blitzte und funkelte durch die reichen, üppigen Laubmassen. Alles sollte neues, reges Leben empfangen, und auch die Ansiedler waren von frischer Thätigkeit beseelt; denn die Arbeit gedieh unter ihren fleißigen Händen und versprach ihnen eine reiche, sorgenlose Zukunft. Das Feld prangte in größter Üppigkeit, der Garten bot ihnen Überfluß und der Viehstand vermehrte sich schnell. An die Gefahren, welche ihnen von seiten der Indianer drohten, hatten sie sich gewöhnt, und dadurch hatten dieselben für sie das Fürchterliche verloren, ja, sie würden sie ganz vergessen haben, hätte nicht der vorsichtige Freund Daniel sie immer wieder daran erinnert und bei jeder Gelegenheit sie ermahnt, auf ihrer Hut zu sein. Er sorgte dafür, daß abends die Pferde immer zeitig in das Fort gebracht wurden, daß dessen Thor immer gut und fest verschlossen ward, daß man die Hunde hinaussperrte, und daß die Waffen stets zum augenblicklichen Gebrauch in gutem Stande blieben. Auch ließ er die drei Knaben oft nach einem Ziele schießen und hatte stets für den besten Schuß ein Geschenk zu geben, welches dann in einem Pulvermaß, einem Kugelbeutel, einer Angel oder einer ähnlichen kleinen Arbeit seiner eigenen Hände bestand. Die Ruhe im Fort blieb jedoch ungestört, und die Ansiedler hätten jetzt ihr stilles Glück nicht mehr für alle Freuden in der großen Welt vertauscht.

Der Wald bot nun auch in den süßen, überreifen Maulbeeren seine ersten Früchte, und Daniel ging regelmäßig, wenn der Abend kam, mit den Kindern über den Fluß und sammelte mit ihnen einen Korb voll dieser köstlichen Beeren.

Madame Turner brachte dieselben dann beim Abendbrot auf den Tisch, gab herrliche, kühle Milch dazu und alle labten sich dann an dem Gericht nach Herzenslust.

Es war eines Abends spät geworden, ehe Daniel mit seinen jungen Freunden aus dem Walde zurückkehrte, denn sie hatten diesmal viel Maulbeeren gesammelt, weil Madame Turner den Kindern versprochen hatte, Fruchtkuchen davon zu backen. Turner hatte bereits die Pferde getränkt und in das Fort gebracht, als Daniel mit den Knaben dort anlangte; das Thor wurde geschlossen, die Hunde hinausgesperrt, und bald saßen die Ansiedler in traulichem Kreise um den großen Tisch und erfreuten sich an dem einfachen, guten Mahle, welches Julie aufgetragen hatte. Dann holte ein jeder von ihnen seine Arbeit herbei; Karl mußte wieder erzählen, wie er unter den Wurzeln des Mosquitobaumes gesessen hatte, als die fliehenden Tierscharen bei ihm vorübersausten und das Feuermeer über ihn hinzog; hundert Fragen mußte er beantworten, und bald wurde er bedauert, bald wurde über ihn gelacht, wobei er dann immer von ganzem Herzen mit einstimmte. Der Abend verstrich in der heitersten Stimmung und es war später als gewöhnlich geworden, ehe die Ansiedler ihr Lager aufsuchten und sich einem sorglosen Schlafe hingaben.

Friedliche Ruhe lag auf dem Fort, die Pferde hatten sich in ihren Ställen auf den Boden hingestreckt, und Pluto lag regungslos in dem Hofe. Es war Mitternacht, als Daniel durch das ziemlich ferne Gebell der Hunde außerhalb des Forts geweckt wurde. Er richtete sich auf seinem Lager aus und lauschte dem Lärm, welcher schnell näher und näher kam. Die Hunde wichen unverkennbar vor einem Feinde zurück, und ihr Gebell wurde mit jedem Augenblick heftiger und wütender. Jetzt klagte und heulte einer derselben laut, und alle hatten bald darauf die Palissaden erreicht, wo nun Pluto aus dem Innern des Forts mit seiner tiefen Baßstimme in ihren rasenden Lärm mit einstimmte. Der Neger sprang aus dem Bette und wollte Karl wecken, doch dieser war auch schon auf den Füßen und fragte:

»Was mögen die Hunde vorhaben?«

»Es müssen Indianer sein, die sie zurücktrieben, ich hörte das Bellen der Hunde schon weit in der Prairie. Nur schnell in die Kleider und zu den Waffen, ich will Herrn Turner wecken!«

Mit diesen Worten sprang Daniel nach Turners Zimmer und wollte an die Thür klopfen, als dieser ihm schon entgegentrat und bestürzt sagte:

»Ich glaube, es sind Indianer vor dem Fort, nur schnell mit den Waffen in den Hof, ehe sie die Palissaden übersteigen, es ist draußen so finster, daß man keine Hand vor Augen sehen kann.

»Ich will es bald hell machen, eilen Sie, nehmen Sie die Schrotgewehre, Arnold und Wilhelm müssen helfen!« rief der Neger, und sprang in den Hof hinaus, wo es so dunkel war, daß man kaum die Spitzen der Palissaden gegen den Himmel erkennen konnte. Dort traf er Karl, der mit der Schrotflinte in der Hand, der Doppelbüchse über der Schulter und den Revolvern im Gürtel nach der Höhe der Palissaden spähte, während Pluto mit wütendem Gebell an denselben auf und nieder rannte.

»Geben Sie acht, junger Herr, daß keiner der Wilden übersteigt, ich will schnell die Feuer anzünden und dann gehen Sie in jenen Turm,« rief Daniel, eilte zu dem einen der früher erbauten Galgen und füllte den Eisenkorb mit Kienspänen. In diesem Augenblick sprang Pluto mit rasender Wut an der anderen Holzwand in die Höhe, und über derselben erschien eine dunkle menschliche Gestalt.

»Karl, Karl, dort, sehen Sie!« schrie der Neger, als er den Indianer auf den Palissaden erblickte; da blitzte es aber schon aus Karls Flinte und der Indianer verschwand mit einem gellenden Schrei. Der Krach des Gewehrs und der Schrei des Indianers aber wurden von einem höllischen Zetergeheul außerhalb des Forts beantwortet, als würde es von hundert Kehlen angestimmt.

Nun loderten die Flammen des angezündeten Kienholzes aus dem Eisenkorbe auf und im nächsten Augenblick hatte Daniel denselben emporgezogen, so daß der Hof und die Umgebung des Forts blendend erhellt waren. Ein noch stürmischeres Geschrei erschallte jetzt außerhalb der Festung, und Karl, der in einen der Vorbaue gesprungen war und durch eine Schießöffnung blickte, sah, wie die Indianer in verworrenen Haufen in wilder Flucht den Hügel hinabrannten.

»Das haben sie nicht erwartet!« rief Daniel, indem er sich beeilte, den zweiten Eisenkorb mit Holz zu füllen und anzuzünden. »Sie haben einen Schrecken bekommen, werden aber doch bald zurückkehren.«

Auch der zweite Korb schwang sich nun mit seiner Feuerglut über die Palissaden, und Turner trat mit Arnold und Wilhelm in den Vorbau daneben, während Daniel sich zu Karl in die andere Ecke der vorderen Holzwand begab. Die Wilden hatten sich außer Schußweite von dem Fort in dem hohen Grase gesammelt, und die Belagerten erkannten zu ihrem Schrecken, daß die Zahl ihrer Feinde über hundert betragen mußte. Daniel aber ermutigte seine Gefährten und versicherte sie, daß sie die Wilden sicher von dem Fort zurückhalten würden, wenn sie tüchtig mit Schrot unter sie schössen, denn so viele Kugeln in einem Schusse sei ihnen etwas neues und würde sie mit Entsetzen davonjagen. Er benutzte den Augenblick, um sämtliche Gewehre aus dem Hause zu holen und noch Pulver und Schrot herbeizuschaffen. Nachdem er Waffen und Munition verteilt, trat er wieder zu Karl und schaute nach den Indianern hinaus.

»Sie beraten sich, auf welche Weise sie stürmen wollen,« sagte er zu Karl. »Es sind Reiterindianer, denn dort etwas weiter in der Tiefe sehe ich ihre Pferde. Jetzt laufen sie zu denselben hin; was mögen sie vorhaben?«

Wirklich waren sämtliche Wilde zu ihren Pferden geeilt, doch konnten die Belagerten nicht erkennen, was sie dort vornahmen. Bald darauf aber sollte es ihnen klar werden, denn sie sahen die Feinde jetzt mit ihren Lassos in den Händen heranschreiten, während sie Bogen und Pfeile in dem Köcher über den Schultern und die Streitaxt im Gürtel um den Leib trugen.

»Sie haben ihre Lassos geholt, um dieselben über die Spitzen der Palissaden zu werfen und daran in die Höhe zu klettern. Sie wollen stürmen. Schießen Sie immer in den dichtesten Haufen, dann wirkt das Schrot besser,« rief Daniel seinen Kameraden zu, während die Indianer sich in drei Abteilungen sonderten. Plötzlich stimmte einer von ihnen den Kriegsgesang an und alle ließen nun ein furchtbares Geheul ertönen.

»Das ist das Kriegsgeschrei der Comantschen, geben Sie acht und schießen Sie nicht fehl!« rief Daniel laut und sagte dann zu Karl: »Schießen Sie immer dahin, wo viele zusammen sind, und nicht zu nahe, damit das Schrot sich auseinander breitet.«

Die Wilden kamen in drei Haufen mit einem betäubenden Zetergeschrei wie im Sturmwind herangesaust und hatten in wenigen Augenblicken die Palissaden bis auf vierzig Schritt erreicht, da krachte es aus den Schießscharten und das tödliche Blei fuhr aus den Gewehren der Ansiedler tausendfach in die nackten Körper der Indianer, daß dieselben in wilder Verwirrung durcheinander stürzten. Sie wichen aber nicht zurück, sie warfen ihre Lassos über die Spitzen der Palissaden und kletterten an den Stricken in die Höhe. Das mörderische Feuer aber, welches aus beiden Vorbauen der Festung auf sie unterhalten wurde, stürzte die meisten zu Boden, und nur dreien von ihnen gelang es, unverwundet in das Fort hinabzuspringen. Kaum aber berührten sie die Erde, als Pluto einen derselben niederriß und Karl den Wilden mit dem Revolver erschoß, in dem Augenblick, als derselbe die Streitaxt gegen den Hund erhob, Turner den zweiten mit einem Büchsenschusse tötete und Daniel sich mit dem Messer in der Hand auf den dritten warf und mit ihm zu Boden stürzte. Es war nur ein Kampf weniger Sekunden, dann sprang der Neger von seinem getöteten Gegner auf und eilte zu Karl zurück, um wieder durch die Schießscharte zu blicken. Die Indianer waren geflohen und sammelten sich abermals außer Schußweite, während viele Verwundete vor den Palissaden sich heulend im Grase wanden und Tote hier und da herumlagen. Jetzt sprang Daniel aus dem Vorbau durch den Hof nach der hinteren Seite des Forts und ließ die Leiter auf den Felsen in den Fluß hinab, indem er seinen Geführten zurief: »Schnell, schnell, retten Sie sich in den Wald, Madame Turner, Julie, schnell, schnell, ehe es zu spät wird!«

Madame Turner und Julie waren bleich und bebend aus dem Hause getreten und, wie von einer höheren Macht getrieben, folgten alle der Aufforderung des Negers. Turner stieg zuerst auf den Felsen hinab, dann folgte seine Gattin, dann kamen ihre Kinder, und Karl stand noch zögernd an der Leiter, indem er die Hand des Negers ergriff und sagte: »Du gehst mit uns, Daniel?«

»Nein, nein, ich bleibe, es giebt noch ein Mittel, die Niederlassung zu retten. Fort, fort, führen Sie die Ihrigen durch den Wald und eilen Sie nach Warwicks; der Allmächtige wird Sie in seinen Schutz nehmen!«

Mit diesen Worten drängte der treue, schwarze Freund seinen Liebling Karl auf die Leiter und auch dieser erreichte den Felsen. Turner sprang nun mit den anderen in das Kanoe und ruderte an das jenseitige Ufer. Der Neger ergriff dann seine Doppelbüchse, öffnete schnell das Thor und stürzte nun hinaus vor das Fort, wo er im hellen Scheine des Feuerlichts sich im Angesichte der noch beratenden Indianer aufstellte.

»Kennt ihr den schwarzen Panther der Delawaren?« schrie er mit donnernder Stimme den Comantschen zu und schwang seine Axt hoch über sich durch die Luft, daß ihr blanker Stahl in dem Feuerschein blitzte. »Wer von euch will den Skalp eines Delawaren erbeuten? So viele Haare, wie derselbe enthält, so viele Skalpe der Comantschen werden die Delawaren als Zahlung dafür nehmen. Kommt heran, wenn ihr den schwarzen Panther besiegen wollt, bringt aber eure besten Waffen mit!«

Nun stimmte der Neger das furchtbare Kriegsgeschrei der Delawaren an und tanzte, seine Waffen über sich schwingend, nach dieser Schreckensmelodie deren Kriegstanz.

Die Überraschung und zugleich der Schreck der Wilden war augenscheinlich groß, denn sie standen unbeweglich und stierten nach dem schwarzen Delawaren hinauf, auf dem das Licht des lodernden Kienholzes flackerte; nicht lange aber besannen sie sich, denn sie beredeten sich nur wenige Minuten, warfen dann ihre Waffen von sich und kamen, die Arme auf der Brust gekreuzt, auf Daniel zugeschritten. Der Häuptling nahm das Wort und sagte:

»Die Comantschen sind Freunde der Delawaren und Freunde des schwarzen Panthers. Sie wußten nicht, daß ein Delaware unter diesen Bleichgesichtern lebte, sonst würden sie nicht nach deren Leben getrachtet haben. Laß uns unsre gefallenen Brüder mit uns nehmen und lösche deine Feuer aus; du kannst ruhig schlafen!«

Dabei reichte er Daniel die Hand, machte dann nochmals das Zeichen der Freundschaft und winkte seinen Leuten zu, die Toten und Verwundeten fortzuschaffen. Der Neger teilte ihm mit, daß noch drei Tote in dem Fort lägen, und ging, von einer Anzahl Wilden gefolgt, in dasselbe hinein, welche die Erschlagenen davontrugen. Nach Verlauf von einer Stunde waren die Comantschen verschwunden und die Feuer in den Körben waren erloschen.

.

Daniel saß in dem Zimmer an dem großen Tische und vor ihm brannte eine düstere Lampe. Er hatte seine Stirn in seine Hand gelegt und dachte an die Folgen dieser Nacht. Es war kein Zweifel darüber, daß binnen ganz kurzer Zeit die Delawaren von seinem Hiersein unterrichtet werden und sofort hier erscheinen würden, um seiner habhaft zu werden. Was sollte er thun? Flüchtete er sich von hier, so mußten Turners mit ihrem Leben oder, wenn sie entkamen, mit ihrem Eigentum dafür büßen, denn die Delawaren würden die ganze Niederlassung zerstören. Er würde dann die Ansiedelung aus den Händen der Comantschen gerettet haben, um ihre Vernichtung den Delawaren zu überlassen. Blieb er hier und überlieferte sich dem Leopard, so wußte er, daß ein schrecklicher Martertod seiner erbarmungslos harrte. Er saß lange Zeit regungslos an dem Tische und dachte an die Zukunft seiner Freunde, und der bleiche Schimmer des nahenden Tages stahl sich durch die Thür herein, als er aufstand und hinausging, um die Pferde in das Gras zu binden. – Er hatte beschlossen, hier zu bleiben, um sich den Delawaren zu überliefern.

Nachdem er die Pferde in die Weide geführt hatte, brachte er alles im Fort wieder in Ordnung, was während der Verwirrung in der Nacht in Unordnung geraten war; er reinigte die Gewehre, lud sie wieder, hing sie in Turners Zimmer an der Wand auf und verbrachte den Tag mit Arbeit im Fort und im Garten. Daß seine Freunde glücklich die Niederlassung am Choctawbache erreicht hatten, darüber war er beruhigt, denn Karl war ja bei ihnen, und er war überzeugt, daß sofort alle Männer von dort hierher eilen würden, um die Indianer zu vertreiben. So geschah es denn auch. Noch stand die Sonne hoch am westlichen Himmel, als eine Schar von vierzig Reitern, mit dem alten Warwick an ihrer Spitze, aus dem Walde hervorgesprengt kam und zu dem Fort heraufjagte.

Auch Turner und Karl befanden sich unter ihnen, und ihr Erstaunen war groß, als Daniel aus dem Fort hervortrat und ihnen mitteilte, daß die Comantschen in Frieden abgezogen seien. Auf die Frage, wie dies möglich und was sie dazu bewogen habe, sagte der Neger, er sei zu ihnen hinausgegangen und habe mit ihnen geredet und ihnen gesagt, daß die Männer am Choctawbache bald hier sein und sie verfolgen würden, so weit sie ihre Pferde tragen könnten. Wenn nun diese Mitteilung Warwick und seinen Gefährten auch rätselhaft und unglaublich erschien, so war es doch Thatsache, daß alles in und um das Fort sich unversehrt fand, und daß die Wilden sich entfernt hatten.

Preis und Lob wurde über den treuen Neger ausgesprochen, und Warwick meinte, daß Daniel im Besitze eines Zaubermittels sein müsse, durch welches er die Rothäute gebändigt habe. Die Männer vom Choctawbache traten bald darauf den Heimweg wieder an und mit ihnen Warwicks beide Söhne; der Alte aber wollte hier bleiben, bis am folgenden Tage Madame Turner mit ihren Kindern hierher zurückgekehrt sein würde.

Karl hatte in der Nacht die Seinigen glücklich durch den Wald geführt und hatte mit ihnen erst gegen Mittag die Niederlassung Warwicks erreicht, denn das Gehen in dem hohen Grase der Prairie war Madame Turner und den Kindern sehr mühsam geworden. Nur die Angst und das Entsetzen vor den Wilden hatte es ihnen überhaupt möglich gemacht, den Weg ohne Aufenthalt zurückzulegen, und zu Tode erschöpft waren sie bei ihren teilnehmenden Freunden angelangt. Die beiden Söhne Warwicks sollten ihnen nun die frohe Kunde bringen, daß alle Gefahr vorüber sei, und sie dann am folgenden Tage zu Pferde nach dem Fort zurückgeleiten. Karl ritt ihnen am nächsten Morgen entgegen und langte dann auch noch vor der Mittagszeit mit ihnen wohlbehalten zu Hause an. Madame Turner rief allen Segen des Himmels auf den treuen Daniel herab und ihre Danksagungen wollten kein Ende nehmen. Der alte Warwick frohlockte über das Ereignis, welches Turners unter so großer Gefahr glücklich überstanden hatten; denn er meinte, daß sie nun, nachdem die Comantschen, die mächtigsten Indianer dieses Landes, ihren Angriff aufgegeben hätten, vor allen übrigen Wilden sicher wären und weissagte ihnen nun ungestörten Frieden in ihrem Eigentum. Seine langjährige Erfahrung, seine genaue Bekanntschaft mit dem Thun und Lassen der Indianer und seine zuversichtlichen Worte flößten Turners Vertrauen ein und beruhigten ihre Gemüter, denn immer noch klangen die Schreckenstöne der Wilden durch ihre Seelen. Der biedere, alte Freund scherzte und lachte über die einzelnen Scenen in jener Nacht und that alles, um die erschreckten Herzen der Ansiedler aufzuheitern. Er verweilte bei ihnen, bis die Sonne sich neigte, sagte ihnen dann ein herzliches Lebewohl, versprach bald wieder zu kommen und trat dann mit seinen beiden Söhnen den Heimritt an.

Die sorglose Ruhe, der glückliche Friede, welche bisher die Ansiedler umgeben hatten, waren aber tief erschüttert, und mit Bangen und Zagen sahen sie jetzt immer die Nacht hereinbrechen. Daniel that sein Möglichstes, ruhig und sorglos zu erscheinen, um seinen Freunden Mut zu geben und vor ihnen seinen eigenen Seelenkampf zu verbergen, der ihm, wo er ging, wo er stand, sein unvermeidliches, furchtbares Ende vorspiegelte. Tage verstrichen aber, und Wochen eilten dahin, ohne daß die Ruhe im Fort abermals gestört worden wäre, und dem Frühling mit seinen tausend Schönheiten, seinen zahllosen Reizen gelang es, die Herzen der Bedrängten wieder zu ermutigen, zu erfreuen. Die ganze Natur war ja heiter und festlich gestimmt, es war ja kaum möglich, etwas Schreckliches zu denken, denn das Bild eines ewigen Friedens umgab die Niederlassung. Bei Turners zog nach und nach das frühere Glück, die frühere heitere Zuversicht in ihre Zukunft wieder ein; aber im Herzen Daniels wurde es von Tag zu Tag trüber, und mit Bangen schloß er abends das Fort, mit Bangen blickte er morgens über dessen Umgebung. Er wollte seinem Schicksal nicht entgehen, er wollte sich für seine Freunde opfern, aber es schauderte ihn, dachte er an die grausame Rache der Indianer. Er war stets der erste, der morgens einen Blick aus den Schießscharten der Palissaden warf, um zu sehen, ob die Delawaren das Fort noch nicht umstellt hätten; denn sobald dieselben erschienen sein würden, wollte er sich durch Turner an sie ausliefern lassen, damit bei den Indianern jeder Vorwurf gegen seine Freunde verschwinden möge.


 << zurück weiter >>