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Scherze

Erzählung eines alten Arbeiters

Ich bin ein alter Mann. Mein Lebtag hab' ich mich nicht viel in Vereinen herumgeschlagen, aber das muß ich sagen, einen schöneren Verein wie den unserigen kann's nicht geben. Schade, daß der Titel so lang ist, daß man sich ihn kaum merken kann: »Spar-, Unterstützungs- und Hilfsverein Caritas«. Ich rede nicht vom Zweck des Vereines, das ist eine schwere, fein durchdachte Sache, die ich nicht so genau erklären kann. Aber was für Menschen, Herr! was für gemütliche, einfache, edle Menschen sitzen im Vorstand! Kommt man abends in das Bureau des Vereines – 3. Bezirk Rochusgasse 14 – so sitzt da der feinste Mann neben dem gewöhnlichsten! Da giebt's keinen Unterschied. Da sitzt der Freiherr Emerich von Schicktanz, ein pensionierter Direktor, in einem Fauteuil und raucht teure Cigarren. Daneben sitzt der Monteur Anton Walenta, ein Proletarier durch und durch, der es liebt, Cigarrenstummeln zu kauen. Ja, andere mögen jammern, daß die Gegensätze zwischen den Klassen immer schärfer werden, unser kleiner Verein ist der Beweis dafür, daß sich auch die Gegensätze, wenn man guten Willens ist, umarmen können in inniger Verbrüderung, arm und reich, vornehm und gering, Bürger und Arbeiter und wie alle diese rein äußerlichen Gegensätze heißen. Wenn man im Herzen gleichgesinnt ist! ...

Erzähle ich zu Hause meiner Familie von diesem kleinen Paradiese inmitten der anderen bestialischen Welt, so lächelt mein Schwiegersohn Eduard immer so überlegen und frech, wie eben nur ein Unwissender, der sich einbildet, im Vorhinein alles zu durchschauen, lächeln kann. Und Ludmilla, meine Tochter, die natürlich immer ihrem Manne recht giebt und noch ärger ist als er, sagt: »Aber Vaterl, Du bist ein gutes Patscherl, Du glaubst immer an jeden Schwindel.« »Ludmilla,« habe ich gestern gesagt, »ich verbitte mir diese Ausdrucksweise! Ich bin Dein Vater! Übrigens würdest Du dasselbe sagen, wenn Du einmal in das Bureau hinaufkommen könntest.« Und weil sie sah, daß ich mich ärgerte, gab sie nach und sagte: »Na ja. Vielleicht ist es richtig so, wie der Vater sagt. Nicht, Eduard? Es kann ja sein! Wann's der Vater so bestimmt sagt!« Aber der Schwiegersohn antwortete nicht, er saß da und lächelte wie vorher, gerade so überlegen und frech.

»Red' etwas!« sagte ich zu ihm, »und höre auf mit dem heimtückischen Lachen.«

»Ah, was soll ich denn reden? Ich sag' nur, ich kenn' den Herrn von Schicktanz. Ich habe ihn gesehen, wie er noch im Dienst war. Es ist ja nicht möglich.«

»So? Na also darf ich Dir ein Beispiel erzählen? Du weißt ja, das Vorstandsmitglied Walenta hat die Gewohnheit Cigarrenstummeln zu kauen. Ausgezeichnete Stummeln! Na, gestern komm' ich hin, da giebt mir der Walenta ein kleines Paket. Da hast Du, sagt er, Stummeln von lauter pikfeinen Cigarren. Ich sag: Was fällt Dir ein? Die brauchst Du ja selber! Gar keine Idee, sagt er, ich hab' aufgehört mit dem Brauch. Da schau! und dabei zeigt er mir eine Cigarrentasche voll mit den feinsten Cigarren, Havanna und Regalitas. Siehst, sagt er, mit denen hat mir der Freiherr von Schicktanz aufgewartet. Jeden Abend, wenn ich in die Rochusgasse komme, liegen fünf Stück Cigarren auf meinem Tisch. Sie sollen auf Ihre alten Tage wirklich wissen, was Cigarrenrauchen ist, nicht dieses Stümpferle kauen, hat er gesagt ... Nein, Ihr könnt's Euch ja nicht denken, was das für ein Mensch ist. Nicht vielleicht herablassend, wie Du Dir ihn vorstellst, Eduard. Gar nicht. Er läßt abends Pilsner Bier heraufholen und wir alle zusammen trinken. Dabei spielt er sich nicht auf den feinen Mann heraus. Nein, er sitzt und schimpft und redet, daß Du meinst, ein Arbeiter, kein Freiherr, sitzt vor Dir! Gott sei Dank, das ist kein so dünnes Herrerl, sondern ein kräftiger starker Mann, der selbst einmal gearbeitet hat. Den Walenta zum Beispiel, hebt er, mitsammt dem Sessel, mit einer Hand in die Höhe! ... Na, Du verstehst das nicht. Du weißt nicht, wie gemütlich, lustig, unterhaltend es dort am Abend zugeht. Überhaupt, wozu rede ich?«

Der Schwiegersohn hatte nicht aufmerksam zugehört. Am Schlusse saß er wieder da, mit seinem verdammten, heimtückischen Lächeln. Seine Frau sah ihn noch dazu verständnisvoll an ...

* * *

Jeden Abend kam, weiß der Teufel wieso, das Gespräch immer wieder aus den Unterstützungsverein. Ich begegnete immer wieder demselben blöden Mißtrauen. Aber ich habe endlich etwas durchgesetzt! Eduard mußte sich entschließen, Samstag mit mir in das Bureau in die Rochusgasse zu gehen.

* * *

Als wir Samstag abends ins Bureau des Unterstützungsvereins eintraten, war nur Walenta, der Monteur, anwesend. Er saß im Beratungszimmer vor seinem Schreibtisch. Der grüne Tisch des Präsidenten Freiherrn von Schicktanz war leer. Ich stellte Walenta meinen Schwiegersohn Eduard vor. Eine Zeitlang saßen wir da und plauderten.

Plötzlich sagte Eduard: »Entschuldigen Sie mich für einen Moment. Ich geh' nur hinunter, um mir eine Cigarre zu kaufen.«

Da Eduard sonst kein leidenschaftlicher Raucher ist, war ich etwas erstaunt. Da fiel mir ein, daß Walenta ihm doch hätte eine von seinen feinen Cigarren anbieten sollen. Aber da entdeckte ich plötzlich, daß er wie in früheren Zeiten wieder seine Cigarrenstummeln kaute. Ich sah es an den merkwürdigen Bewegungen seines Gebisses.

»Ja,« sagte Walenta, »der Freiherr mußte vor drei Tagen plötzlich verreisen. Da sind mir die Cigarren ausgegangen.«

Eduard kam zurück. Walenta heizte tüchtig ein. Es wurde warm und behaglich im Bureau. Der Diener holte Bier, diesmal Abzug. Ich ärgerte mich, daß durch diese Zwischenfälle, – die Abreise, die Cigarren, das Abzugbier – nicht das rechte Animo in die Gesellschaft kam.

Plötzlich wurde die Thür aufgerissen, der Freiherr stürmte herein. Krachend warf er die Thür zu und rief uns zu:

»Servus alle miteinander. Ich bin wieder da.«

Während er das rief, warf er seinen Pelz von sich, ging direkt auf Eduard zu, stellte sich rasch vor und reichte ihm die Hand.

»Schön warm ist's da,« sagte er »das hast Du gut gemacht, Walenta,« und dabei schlug er voll Vergnügen über die behagliche Wärme des Zimmers Walenta kräftig drei-, vier-, fünfmal, immer lauter, auf die Schulter.

»Na, hören S' auf!« sagte der magere, kleine Monteur, »das thut ja weh.«

»Ach was, das schad' nix. Das macht warm,« schrie der Freiherr, dem an diesem Abend offenbar etwas sehr Angenehmes passiert sein mußte. »Eine noch! Bitte?« sagte er lachend und ließ seine flache Hand auf den schmalen Rücken Walentas fallen, daß es klatschte. »Übrigens stinkt der Ofen? Nicht? Irr' ich mich.« Er schnupperte in der Luft herum.

Wir schoben die Sessel zusammen, machten dadurch Platz frei für den Angekommenen und wollten das Gespräch wieder aufnehmen. Da bemerkte der Freiherr das Abzugbier. Er kostete aus einem Glase, spie aber sofort den Schluck auf den schön gebürsteten Fußboden aus.

»Geben S' acht auf den frischen Fußboden,« mahnte Walenta ärgerlich.

»Oho! Nur keine Belehrungen. Übrigens, wie konnten Sie diese Räume durch Abzugbier entweihen?«

»Sind S' froh, daß wir Ihnen das geben,« sagte lachend der magere Monteur.

Der Freiherr erhob sich. Er war in brillanter Laune, geneigt zu allen Possen. Mit gespreizten Beinen stand er da und rief: »Nein. Das ist ja unerhört. In diesem Ton wagen Sie mit mir zu reden! Sie verlassen sofort das Zimmer!«

Walenta lachte über diesen Scherz, ich auch. Eduard nicht.

»Da schauen Sie, was der neue Gast für ein ernstes Gesicht macht,« sagte Walenta.

Der Freiherr wandte sich zu Eduard: »Sie als Unparteiischer werden zugeben: er muß hinaus. Ich verlang' es. Er soll Pilsner Bier holen lassen. Wir werden doch nicht Abzug trinken.«

Nun verzog sich auch Eduards Gesicht zu einem Lächeln. Das Pilsner Bier kam. Es sah sehr gut aus, goldhell, frisch, schäumend. Das erste Krügel leerten wir auf das Wohl des Vereins, der keinen Unterschied kennt zwischen arm und reich, vornehm und gering, und wie alle diese äußerlichen Gegensätze sonst noch heißen ...

Eine halbe Stunde saßen wir da und plauderten.

Mit einem Mal sprang der Freiherr in die Höhe und schrie: »Nein. Das geht nicht, Sie Schwein! Das nicht. Sie sitzen ja da und kauen wieder Cigarrenstummeln. Pfui Teufel! Da wird einem ja schlecht dabei! Daher kommt dieser scheußliche Gestank, den ich gleich beim Hereinkommen spürte. Sie sind aber doch ein unverbesserliches Schwein!« Walenta erwiderte verlegen lachend: »Das ist mir lieber wie Ihre Cigarren.«

»Aber hier werden Sie solche Schweinereien nicht fressen. Hier nicht!«

»Oho, wenn's mir schmeckt. Übrigens, darf ich Ihnen einmal aufwarten?« Bei diesen Worten zog er fünf, sechs Stummeln aus der Tasche und hielt sie auf der flachen Hand.

Der Freiherr sah absichtlich nicht hin:

»Nein, wirklich, hören Sie auf.«

Walenta steckte den Vorrat ein, kaute aber ruhig weiter. Diese seltsame stumme Bewegung seines Gebisses regte den Freiherrn derart auf, daß er drohend sagte:

»Sie, Walenta, ich werf' Sie mit eigenen Händen hinaus, wenn Sie nicht aufhören.«

Jetzt war Walenta verpflichtet, weiter zu kauen. Er erwiderte:

»Oh je. Einen Arbeiter trauen Sie sich nicht anzurühren.«

Da zog der Freiherr seinen Rock aus. In Hemdärmeln dastehend, sah er noch breitschultriger und wohlgenährter aus:

»Wollen Sie aufhören oder nicht?«

Walenta kaute weiter.

Der Freiherr trat auf ihn zu und zeigte ihm seine Fäuste: »Sie! Siiiie!«

Unwillig stieß ihn der Monteur weg: »Hören S' auf mit diesen Scherzen.«

»Aber das ist gar kein Scherz!«

Walentas Gebiß arbeitete stumm und eifrig weiter ...

Da schlug der Freiherr seine Arme um den mageren schmalen Körper des Monteurs. Walenta sträubte sich. Aber wie ein eiserner Ring lagen die Arme des Freiherrn um seinen Leib. Er wollte ihn zur Thüre tragen. Walenta klammerte sich an den Schreibtisch. Mit einem furchtbaren Ruck riß ihn der Freiherr weg. Dem Bedrängten stieg das Blut ins Gesicht. »Aufhören!« keuchte er »Aufhören.«

Einen Moment hielt der Freiherr stille. Dann hatte er mit einem Riß den Körper des Arbeiters bis zur Thüre gezerrt.

»Aufhören,« schrie jetzt Walenta. »Sie haben mir was eingedrückt.«

In diesem Moment trat Eduard hinzu. Ich sah in seine Augen und wußte, was er dachte. Zum Glück hatte der Ruf des Monteurs schon gewirkt. Er war schon frei, brachte seine Kleider in Ordnung und sagte noch atemlos: »Nix ist g'schehen. Aber das sind keine Scherze.«

Der Freiherr war einstweilen zu seinem Schreibtische getreten. »Da, in der dritten Lade sind die Cigarren, auch wenn ich weg bin. Verstehen Sie? Es ist ja schrecklich dieses Kauen.«

Der Freiherr zog seinen Rock an. Walenta, dieser abgemagerte Schwächling, legte sich auf den Divan, um sich zu erholen.

Der Freiherr ließ Pilsner Bier holen, Schinken, Käse. Seine Cigarren sind brillant. Wir saßen gemütlich beisammen bis gegen Mitternacht. Das heißt: Eduard war sofort nach dem scherzhaften Kampf weggegangen. Er hatte den Schinken nicht mehr gesehen. Den Käse nicht gekostet, die feinen Cigarren nicht angerührt. Den eigentlichen gemütlichen Abend hat er nicht gesehen ...

Als ich nach Hause kam, saßen der Schwiegersohn und die Tochter noch beim Tische bei der Lampe. Eduard wollte etwas sagen, aber Ludmilla fiel ihm ins Wort: »Geh, reg' den Vater nicht auf.« Er redete nichts mehr. Selbst als ich dann absichtlich von unserem gemütlichen Abend bei Pilsner Bier und Schinken zu reden begann, redete er nichts. Nur dieses niederträchtige Lächeln wich nicht von seinem Gesicht ...


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