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Erster Brief.

(Laura Gruber, geborne Fischer, an Leonie Meyer.)

Schloß Taubenheim in Bayern, August 1869.

 

O Leonie meiner Seele!

Beinahe sieben Jahre lang lag ich an Deinem treuen Freundesherzen und genoß mit Dir die seligsten Stunden. Ermüdet durch meine Lebenserfahrungen freute ich mich der Ruhe, der Poesie, der Erinnerungen meiner Frühlingszeit, Deiner Freundschaft. O Leonie! Nur Du konntest in meiner Seele lesen! Der Kern meines individuellen Daseins lag vor Dir offen, seit wir uns im Pensionate ewige Jugendfreundschaft geschworen. Dir allein dankt mein dreifach gebrochenes Herz kindliche Heiterkeit und gänzliches Vergessen früherer böslicher Verhältnisse.

Ich bin die verwittwete Mutter weiblicher Zwillinge. Du weißt, daß ich meinen Gemahl, ehe er sich den Hals gebrochen während jenes unglücklichen Spazierrittes, nur in wenigen Momenten leidenschaftlich geliebt habe. Ich betrachtete unsere Verbindung immer als Mariage par raison; denn, wenn mein Gatte nicht 300,000 Gulden im Vermögen gehabt hätte, dann, o Leonie meiner Liebe, dann hätte ich wohl niemals den vulgären Namen »Gruber« angenommen. Du kennst ja meinen ästhetischen Geschmack. Aber mein Gatte starb, indem er mir alle seine Staatspapiere hinterließ, und so sehe ich mich als seine Wittwe ihm zu innigstem Danke verpflichtet. Ich ließ ihm an dem leise murmelnden Bache meines Gartens ein Mausoleum erbauen und frühstückte aus Pietät täglich auf diesem Gedenksteine, welcher sich so originell unter der Hänge-Esche erhebt. Du weißt, o Leonie meiner Seele, daß ich selbst die Zeichnung zu diesem Erinnerungssteine entwarf.

Zeichnung: A. Oberländer

Auf niedrigem Sockel, welcher zugleich als Kanapee dient, steht eine Urne mit dem Medaillon meines Gattenkopfes; darüber beugt sich, leise schluchzenden Gesichtsausdruckes, eine trauernde Gestalt mit anmuthiger Handbewegung. Unterhalb dieser gebeugten Gramesgestalt kniet ein weinender Engel mit einem Körbchen auf dem Kopfe. Ich habe praktischen Sinn mit dieser figuralen Poesie zu vereinigen gesucht, indem ich die Urne, so weit als es möglich war, platt meiseln ließ – derart, daß sie mir zugleich als Frühstücktisch dienen konnte. In der Hand der weinenden Gestalt steckt ein kleiner Nagel, an welchem ich meine Kaffeemaschine hänge, und das Körbchen auf dem Trauerkopfe des Engels verwende ich als Brodkorb. So sitze ich an heiteren Frühlings- und Sommermorgen, wie Du weißt, auf dem Mausoleum meines Gatten und frühstücke, während mich meine kleinen Töchterchen, die Ausgeburten unserer Liebe, mit ihren Butterbrödchen umspielen.

Diese Situation, meine Leonie, ist Dir bekannt, – nicht aber jene Idee, welche sich in meiner Seele oberhalb des Mausoleums entwickelte. Obwohl ich noch mit Dir dasselbe Landhaus bewohne und Dir also füglich meine Gedanken mündlich hinterbringen könnte, so wähle ich dennoch den geheimnißvollen Weg eines Briefes, um Dir, ohne Furcht belauscht zu werden, meine Projecte bekannt zu geben.

Du weißt aus den Zeitungen, o Leonie meiner Jugend, daß noch im Laufe dieses Jahres der Suezkanal eröffnet werden soll. Diesen Suezkanal, die Ausgeburt heroischer Genialität, welcher uns die Hinterländer antiker Civilisation erschließen wird, soll auch mir eine Region neuer Lebensverhältnisse eröffnen. Der Suezkanal ist das Thor, welches den europäischen Verhältnissen gestattet, in Afrika einzudringen. Selbst das geheimnißvolle Tombuktu steht winkend hinter dem Suezkanale. O Götter! Kaiser, Kaiserinen, Könige und Kronprinzen, Präsidenten und Gemeinderäthe, Sängerinen und Diplomaten, Maler und Dichter aller Nationen werden dieser Suezeröffnung beiwohnen. Warum sollte ich allein, die verwittwete Gattin eines Verstorbenen, die Flügel meiner Seele beschneiden und meine Jugend im stillen Kämmerchen ungesehen verweinen?! Weßhalb noch viele Worte? Kurz – ich werde nach Suez reisen. Meine Phantasie ist bereits stärker als meine Häuslichkeit geworden.

Aber höre mich weiter. Es ist nicht der Kanal allein, welcher mich begeistert und meine Energie emporstachelt. Du weißt es, Leonie meiner unabänderlichen Freundschaft, daß mich die Politik anekelt. Ich habe mich daher auf Poesie, Philosophie, Naturgeschichte und Reisebeschreibungen geworfen. Unter den letzteren waren es immer die afrikanischen, welche das Tiefste meiner Seele am schmerzlichsten berührten. Wie tief, dachte ich weinend, steht noch das afrikanische Menschengeschlecht unter dem Niveau moderner Civilisation! Ja, wie erhaben däucht mich selbst ein Chinese, ein Mohikaner, ein Konstantinopolitaner neben dem geschwärzten Sohne des nie durchforschten Erdtheils hinter der Wüste Sahara. Mein philanthropisches Herz blutete bei diesen menschenfreundlichen Gedanken, und ein Wunsch trat erst leise, dann immer lauter redend, an meine Seele heran. Wie wäre es, dachte ich mir, wenn ich als Lehrerin, als Missionärin dieser verwahrlosten Menschenkinder am Aequator aufträte und hinter meinen Fußtapfen Gesittung und Aufklärung zurückließe. Wie dankbar wären mir die kommenden Jahrtausende! Ach, Deine Laura ist so gütig, so weich!

Ich bin zwar ein schwaches Weib, – aber was Alles kann ein schwaches Weib erleben, ertragen! Was Alles habe ich schon erlebt und ertragen, o Leonie! Es ist besser, ich ziehe einen undurchdringlichen Schleier darüber!

Eine Ida Pfeifer zog von Welttheil zu Welttheil! Sie zog allein, mutterseelenallein durch Wüsten und Sümpfe, durch Haiden und Einöden, welche kein menschlicher Fuß seit Jahrtausenden betreten! Und in diesen schauerlichen Einsamkeiten that ihr Niemand etwas zu Leide, überfiel sie kein Beduinenschwarm, massacrirte sie kein blutdürstiger Tyrann, scalpirte sie kein befiederter Indianerhäuptling. Und Ida Pfeifer kam auch zeitweise in bewohnte Gegenden; aber auch hier rührte ihre weibliche Gestalt die schändlichsten Bösewichter der tropischen Zone. Der Sultan einer unbekannten Insel empfing sie sogar unter dem Donner der Kanonen; die eklatantesten Menschenfresser lagerten sich friedlich zu den Füßen der Vereinsamten und beschnüffelten nur die Ingredienzien ihres Reisesackes. Sie erzählt ja so rührend, daß sie ein einziges Mal von einem Neuholländer in das Bein gebissen wurde, und selbst dieser Abscheuliche ließ sich durch freundliches Zureden von dem beabsichtigten Meuchelmorde abwendig machen. Was also der unsterblichen Ida gelang, das kann ja auch Deiner Laura gelingen.

Zeichnung: A. Oberländer

Und von Orpheus erzählt man, daß sein holder Gesang die reißenden Thiere bezwungen hätte. Löwen, Hyänen und Rhinocerosse legten sich winselnd zu seinen Füßen. O Leonie! Ich bin keine Schwärmerin, und suche immer das Praktische mit meinen schönsten Empfindungen von Liebe und Poesie zu vereinigen, aber der Gedanke enthusiasmirt mich – durch meinen Gesang ein wildes Thier winseln zu machen. Kurz, – höre und staune!

Zeichnung: A. Oberländer

Ich habe es heute auf der Urne meines Gatten mir selbst feierlichst zugeschworen, nach Afrika zu reisen, um daselbst die Civilisation zu verbreiten. Ich werde meine beiden Zwillingstöchterchen Deiner jungfräulichen Sorgfalt übergeben und allein – einzig gefolgt von meinem getreuen Kammerkätzchen Nettel, die Pilgerreise nach Tombuktu antreten. Ich werde mich mit wenigem Gepäcke belasten und nur meine Harfe und ein Thermometer mitnehmen, um erstens die wilden Völkerschaften vor Allem durch Musik zu bezähmen und anderseits auch meteorologische Forschungen über die Wärmeverhältnisse der verschiedenen Windströmungen anzustellen. Frisch gewagt ist halb gewonnen!

Leonie meines getreuen Schwesterherzens! Ich breite im Geiste meine liebenden Arme über Dich und meine Kinder und bleibe ewig

Deine Dir unvergeßliche
Laura Gruber, geb. Fischer.

In acht Tagen bin ich bereits in Triest.«


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