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Dritter Brief.

Kairo, September 1869.

 

Meine Unvergeßliche!

Auf afrikanischem Boden stylisire ich hier das Erinnerungszeichen meiner Liebe. O Leonie! Du ahnst es gar nicht, in welch' einer kolossalen Weise sich meine Seele hier entpuppt hat. Meine Individualität ist gleich einer Palme in schlanke Höhe geschossen; aber wie kann dieß auch anders in einem Lande sein, wo man zwischen Sphinxen und Pyramiden wandelt? Aber laß Dir einen kurzen Reisebericht erstatten.

Am frühesten Morgen reiste ich am Arme des Professors, gefolgt von dem leise schluchzenden Nettchen, aus der Kaiserstadt ab. Hinter uns lag das über Thal und Hügel ausgegossene Häusermeer im Morgenroth. Ich war ganz aufgelöst in Poesie, aber selbst der kühle, norddeutsche Professor gab es gelassen zu, daß ein solcher, ganz in Licht und Farbe getauchter Anblick auf deutscher Erde etwas Exquisites sei. Als die Locomotive den schrillen Abfahrtston hören ließ, begann Nettchen zu wimmern. Dieses uncultivirte Geschöpf kann sich an die civilisatorischen Erfindungen unseres Jahrhunderts, an Dampfschiff und Locomotive, nicht gewöhnen. Sie wimmerte, als sich der Zug in Bewegung setzte, sie weinte, als wir pfeilschnell an den Weinbergen dahinsausten, sie schluchzte, als wir uns den jähen Felswänden der Alpen näherten, sie schrie laut auf, als wir die Höhe des Semmering erreicht hatten und wir tief unter uns die schwarzen Abgründe unbewohnter Horste erblickten.

Wir durchfuhren in Windeseile die südlichen Provinzen Oesterreichs, und mein Hals wurde durch den Reiz der Gegenden völlig verbogen. Als wir den Spiegel des adriatischen Meeres erblickten, hatten meine Halsmuskeln bereits einige Zoll an Länge gewonnen und es war mir nicht mehr möglich meinen Kopf in gewohnter schelmischer Haltung zu tragen, was mich sehr indignirte, da ich mir vorgenommen hatte, am Strande des Meeres einen desto anmuthigeren Eindruck auf Müllern zu machen. Ich nahm es daher nicht böse, daß sich der Professor mit Interesse gegen das adriatische Meer wendete.

Die Stadt Triest bietet nichts Ungewöhnliches dar; es ist ein kleines Wien ohne Paläste, ohne Gärten und ohne Omnibusse. Doch versetzte mich das Rauschen des Meeres in eine ungeheuchelte Stimmung; Nettchen indessen wurde völlig rasend, als sie die Unermeßlichkeit des Oceans vor sich auf- und niederwogen sah.

Die Ueberfahrt auf der Adria war indessen mehr interessant als angenehm. Das Schiff wurde nämlich von einigen Wirbelwinden ergriffen, welche es bald an die italienische bald an die dalmatinische Küste schleuderten und uns endlich in einer Art von Strudel begruben. Du kannst Dir, o Leonie, mein unangenehmes Erstaunen vorstellen, wenn ich Dir Folgendes erzähle.

Ich hatte mich bald nach der Abfahrt von Triest auf die Vorderspitze des Schiffes gesetzt und, – höre Leonie, wie interessant, – spielte auf meiner Harfe. Zu meinen Füßen ruhete, gleich einem bezwungenen Löwen, mein Professor; etwas seitwärts saß Nettel, strickte und weinte. Diese ungebildete Persönlichkeit war stets in der peinlichsten Stimmung; ihre Thränen flossen unaufhaltsam, da sie sich sowohl vor den Wogen des Meeres, als auch vor den riesigen Haifischen fürchtete, welche uns zähnefletschend in ganzen Rudeln umschwammen. Obwohl ich diese junge Thörin durch einige kleine, wohlgemeinte Ohrfeigen von der Nichtigkeit ihrer grundlosen Befürchtungen überzeugen wollte, fruchtete doch meine gütige Theilnahme nichts und ich mußte sie rücksichtslos ihren schmerzlichen Gefühlen überlassen.

Zeichnung: A. Oberländer

Theils um die Haifische in eine friedlichere Stimmung zu versetzen, theils um meinem kühlen Professor eine wünschenswerthe Empfindsamkeit beizubringen, spielte ich ein Adagio von Mendelssohn. Der edle Müller wollte mir eben tief ergriffen die Hand drücken, als sich ein beißbarer Haifisch aus dem Meere emporarbeitete und uns mit grimmigem Blicke anglotzte. Nettel weinte in Strömen, aber auch ich hielt meine Harfe krampfhaft umklammert und warf einen gebrochenen Blick auf meinen Ritter. Dieser aber hieb mit herkulischer Kraft nach dem frechen Fische, welcher sich mit den Eindrücken der fünf Finger Müllers begnügte und sich heulend davonschlich. Der Professor versank hierauf wieder in sein dumpfes Schweigen und ich begann auf meiner Harfe eine Nocturne von Chopin zu spielen.

Mit einem Blicke, welcher Liebe, sanfte Ergebenheit, Energie des Wollens und das reiche Gefühl weiblicher Erkenntlichkeit ausdrückte, belohnte ich schweigend meinen Reisegefährten. Er war eben im Begriffe, mir mit dem Ausdrucke tiefsten Seelenverständnisses die Hand zu küssen, als sich ein Sturm erhob und das Schiff in allen Fugen zu krachen begann. O Leonie! Wie oft hatte ich die Reisenden im Verdachte, daß sie die Stürme des Meeres übertrieben schilderten, aber nun sah ich, daß Alles, was ich über Meeresstürme gelesen hatte, nur schwache Schilderungen enthielt. Mein Meeressturm fuhr heulend in das Gewoge und spaltete das Meer in zehntausend Klüfte. Tief unter uns gähnte des Meeres Grund schwarz wie die Hölle. Schreckliche Larven fraßen sich in der Tiefe gegenseitig auf.

Schauder zog in mein Herz, meine Blicke wurden stierer und stierer, Nettel weinte laut und schrie in Einem fort: »O gnädige Frau, ich bitte kehren wir lieber wieder um!« Trotz meiner Agitation und meiner stieren Blicke gab ich meinem Nettchen eine Ohrfeige, da ich meine angeborene Abneigung gegen laut gewordene Dummheit nicht bemeistern konnte. Der heldenmüthige Müller aber stand mit seiner blauen Brille sieghaft über den Meereswogen wie der gehörnte Siegfried. Dieser Anblick machte auch meine Seele eisern. Ich stand gleich einer Eiche im Sturm, und – die Wissenschaft errang in mir einen ihrer schönsten Triumphe. Trotz meines Entsetzens zog ich nämlich meinen Reisethermometer hervor, und zählte die Wärmegrade, welche 17 über Reaumur betrugen. Leonie! Du hast eine starke Freundin, vor welcher sich die Elemente beugen müssen.

Müller betrachtete mich mit wahrhaft begeisterten Blicken. Der Gute war eben im Begriffe, mir stumm die Hand zu küssen, als das Schiff wie auf einer Schlittenbahn von der Woge hinab rutschte und in der Tiefe des gähnenden Meeres versank. Ich ward bleich wie eine statue de marbre, Nettel schrie gleich einer Besessenen. Ich klammerte mich an meine Harfe und schlug einen Akkord an, als die Wogen über unseren Häuptern zusammenschlugen. Ich rang nach Fassung. Müller wollte mir eben einen stummen Abschiedshändedruck geben, als sich das Schiff wie durch ein Wunder emporhob und die glühende Abendsonne noch ihre glänzendsten Strahlen über diese Scene warf.

Der Professor schüttelte sich das Wasser von den blonden Locken und rief: »Hören Sie, das war unangenehm!«

Die fernere Ueberfahrt nach Alexandrien glich einer ungetrübten Gondelfahrt.

Endlich langten wir im Hafen von Afrika an, und mit zufriedenen Seelen stiegen wir aus. Aber kaum waren wir am Land, als Nettel einen herzzerreißenden Schrei ausstieß und unter einem Strom von Thränen auf einen – Mohren deutete. Es liegt offenbar etwas Naturhistorisches darin, geliebte Leonie, daß Nettel durchaus keinen Mohren vertragen kann. Hier begegnet man deren so vielen, aber so oft Nettchens Blick aus einen dieser geschwärzten Südlinge fällt, erhebt sie den herzdurchbohrendsten Jammerschrei und zerschmilzt förmlich in Thränen. Auch die Kameele haben für das unglückliche europäische Landmädchen etwas so Nervenaufregendes, daß es bei jeder Kammeelbegegnung in ein krampfhaftes Schluchzen ausbricht. O Leonie! Die nervösen Dienstboten machen uns das Leben so schwer, besonders in Afrika, das beinahe gänzlich aus Mohren und Kameelen besteht. Ach, – ich will Afrika civilisiren und habe noch nicht einmal meine Nettel gehörig regeneriren können!

Zeichnung: A. Oberländer

Alexandrien ist eine gemischte Stadt, welche man vom humanen Standpunkte aus höchstens pittoresk nennen kann. Die Straßen sind oft so enge, daß man sich nur mit Mühe zwischen den Kameelen und Mohren hindurchpressen kann. Du kannst Dir daher, o Leonie meiner unwandelbaren Zuneigung, vorstellen, welch' jämmerliches Geschrei Nettchen bei diesen Spaziergängen in fast ununterbrochener Gewaltäußerung ausstößt.

Zeichnung: A. Oberländer

Herr Müller zeigte sich in Afrika sehr enttäuscht. Als wir einen kurzen Abstecher nach Port Said machten, konnten wir nämlich trotz unserer ängstlichsten Bemühungen so wenig von dem berühmten Suezkanale entdecken, daß selbst ich darüber trostlos geworden wäre, wenn ich nicht an das Innere von Afrika und meine Mission als Culturverbreiterin gedacht hätte. Wir kehrten also bald wieder nach Alexandrien zurück, um – nicht auf der Eisenbahn, sondern nach altägyptischer Weise – nach Kairo zu reisen.

Zeichnung: A. Oberländer

Wir mietheten nämlich drei Kameele. Ich ignorire das Geschrei Nettchens bei der Proposition, sich auf ein Kameel zu setzen, welches von einem Schwarzen geleitet wurde. Müller hat sich bereits orientalisirt. Er trägt einen Kaftan und einen Turban, welcher ihm zu seinen blauen Brillen allerliebst steht. Mein Reisekostüm ist ein elegantes Negligé; es besteht aus einem weißen Linonkleide mit Spitzen besetzt, einem Morgenhäubchen und einem langen, weißen Schleier, welcher Haupt und Glieder sanft wallend umhüllt. Ich habe verfügt, daß auf meinem Kameele stets die Harfe befestigt wird, damit ich sogleich in die Saiten greifen kann, wenn mich eine musikalische Stimmung erfaßt, oder wenn wir in irgend eine afrikanische Stadt einziehen. Ich will mir gleichsam das Air einer Prophetin geben, um desto besser auf das Gemüth dieser verirrten Völker wirken zu können.

O Leonie meiner Hoffnung, meiner edelsten philanthropischen Empfindungen! Lege im Geiste Deine Hand auf mich und gedenke meiner als einer Heldin, welche für das Wohl kommender Jahrtausende Jugend, Schönheit, Lebensgenüsse und vielleicht das Leben selbst zu opfern freudigst bereit ist. A propos, was machen meine Töchterchen? Schreibe mir nach Tombuktu poste restante.

Aber jetzt höre weiter, meine Leonie. Man nennt Kairo die Wunderstadt des Orients. Ich kann dies nicht finden. München ist bei weitem interessanter; man findet dort weit mehr Biblio-, Pina- und Glyptotheken als in dieser abgelegenen Hauptstadt von Aegypten. Die Straßen von München sind auch breiter angelegt, die Häuser dort weniger maurisch gebaut, die Menschen, selbst die brünettesten, weniger schwarz als hier die blondesten. Auch mein Professor findet sich sehr enttäuscht – er sagt aber nicht, was er hier Besonderes erwartete; er ist eine so schweigsame Natur, daß er fast nur durch Blicke spricht. Aber diese Blicke sind so sprechend! Ich habe ihm den Antrag gemacht, alle Kosten der Reise zu tragen, wenn er mich als Ritter in's Innerste von Afrika begleiten wolle. Nach mehr als viertelstündiger reiflicher Ueberlegung versprach er mir, mich nach Tombuktu zu führen. Er ist wirklich die Güte selbst.

Nachdem wir mehrere Stunden lang Kairo auf Eseln durchstreift und nichts gefunden hatten, was unserer Aufmerksamkeit würdig war, spürte ich die heftigste Sehnsucht nach den Pyramiden. Gesagt, gethan. Ich, auf meinem Kameele, ritt voraus, und spielte auf meiner Harfe eine Nocturne von Chopin, hinter mir ritt die lautweinende Nettel, dieser folgte der Professor auf einem leichtfüßigen Dromedar. Einige schwarze Sclaven schlossen die Karavane.

Als wir der Pyramiden ansichtig wurden, sprach ich halblaut zu mir: »Vierzig Jahrhunderte sehen jetzt von der Pyramide des Cheops auf mich herab.« Der Professor stieß ein schweigsames »Ah« aus, Nettel aber, die uncivilisirte Magd, wurde durch den Anblick dieser kolossalen Bauten so unangenehm berührt, daß sie mich dringend beschwor, sobald als möglich wieder nach Bayern zurückzukehren, denn es schaudere ihr Herz zurück vor diesen so großen Ueberbleibseln einer diabolischen Vergangenheit. Doch zwangen wir die Lautschluchzende, mit uns die Pyramide des Cheops zu ersteigen.

O Leonie! Das Hinaufklettern war selbst für mich, die Heldin, welche ihr Leben der Civilisirung Afrika's preisgegeben, schauderhaft zu nennen. Auch Müller langte mehr todt als lebendig auf dem Plateau der Pyramide an, denn ihn schwindelte so sehr, daß er sich die Augen fest verbinden ließ, um nicht Krämpfe zu bekommen. Nettchen aber biß in ihrer nervösen Aufregung, trotz ihrem Widerwillen, den sie führenden Mohren in die Hand, und als sich dieser empört von ihr wegwenden wollte, umklammerte sie seinen schwarzen Hals so krampfhaft, als wäre er vom weißesten Alabaster gewesen. Eine solche Metamorphose bewirkt das excentrische Gefühl.

Zeichnung: A. Oberländer

Auf der Höhe angekommen, blickte ich um mich und zog meinen Thermometer hervor. Er zeigte um 4 Uhr Nachmittags 40 Grade in der Sonne. Sonst war meine Enttäuschung groß, denn ich sah von oben nichts anderes, als was ich unten gesehen hatte. Müller saß mit verbundenen Augen und klammerte sich an zwei Mohren an. Nettel badete den Gipfel der Pyramide mit ihren Thränen. »Gnädige Frau«, sagte sie boshaft, »ich gehe durchaus nicht mehr in das Innerste von Afrika. Mir wird es hier schon ganz schwarz vor den Augen.« Ich steckte meinen Thermometer in den Busen und gab Netteln eiligst eine Ohrfeige, da mich ein so uncivilisirtes Verkennen so gewaltiger historischer Umstände auf's tiefste empörte. Bald kehrten wir unter noch größeren Schwierigkeiten zurück in die Tiefe der ägyptischen Wüste. Der Professor mußte von vier Mohren mittelst Stricken hinabgelassen werden, Nettel kämpfte mit ihrem Abscheu vor Mohren, Pyramiden und Kameelen, ich selbst klammerte mich schwindelnd an meine Führer. Als wir des Nachts wieder in Kairo ankamen, waren wir alle Drei so ermüdet, daß ich darauf vergaß, meiner Harfe Töne zu entlocken, und der Professor und Nettchen mehr todt als lebendig von den Kameelen gehoben werden mußten. Das Hôtel, worin wir die Nacht zubrachten, war ziemlich comfortable eingerichtet und wir trösteten uns bald in Morpheus' Armen über die erlittenen Strapazen.

Des Morgens um 5 Uhr erwachte ich. Ich zog meinen Thermometer hervor – er wies 17 Grade. Nachdem ich der Wissenschaft dieses Opfer gebracht hatte, schlief ich wieder ein.

Um 10 Uhr erwachte ich auf's Neue und schrieb an diesem Briefe. In einer Stunde reisen wir nach dem Innersten von Afrika ab. Müller wird noch früher diesen Brief an Dich der Post übergeben. Schreibe mir gewiß nach Tombuktu. Während unserer Reise dürfte der Suezkanal seiner Vollendung näher kommen. Anfangs November wollen wir wieder in Kairo eintreffen, um die Festlichkeiten im Kanale nicht zu versäumen. Diese sollen imposanter werden als der Kanal selbst. Man erwartet sich hunderttausende von Gelehrten, Banquiers und regierenden Häuptern. Das Gemisch dreier Welttheile, der Zusammenfluß so vieler Professoren und orientalischer Völkerstämme dürfte höchst interessant werden.

O Leonie! Lebe wohl bis zur Eröffnung des Suezkanals! Wer weiß, ob ich nicht bis dahin in so manche afrikanische Seele das Licht der Humanität geträufelt habe! An meines Müller heroischer Seite will ich durch die Wüste wandeln, die Völker zu beglücken. O Leonie! Wie sehne ich mich darnach, die erste Oase zu erblicken! So etwas gibt es nur in Afrika! Europa bietet keinen Reiz mehr Deiner Dich umarmenden

Laura Fischer, geb. Gruber.


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