Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiter Brief.

Wien, August 1869.

Zeichnung: A. Oberländer

Carissima Leona!

Wie weit bin ich von Dir entfernt! Ich stehe bereits an der ersten Pforte des Orients. Ach, mich ergreift bei diesem Gedanken ein wahrhaft geographisches Gefühl! Eisenbahn und Dampfschiff, ihr seid die beiden Schwingen, welche uns über die engen Grenzen des häuslichen Patriotismus empor tragen!

Meine Reise über Regensburg nach Wien auf dem Donaustrome, welcher in Bayern und Oberösterreich grün, in den Weingegenden Niederösterreichs aber grau ist – weßhalb der berühmte Walzerkönig Strauß seinen berühmten Walzer »An der schönen blauen Donau« benannt hat – war vom schönsten Wetter begünstigt. Aber ich weiß nicht, warum mir Europa in den letzten Wochen so langweilig geworden ist, daß ich kaum ohne Gähnen eine europäische Gegend oder Stadt anblicken konnte. Meine reiche Phantasie spiegelte mir schon immer nichts anders als Palmen, Sykomoren, Schlangen, brüllende Löwen und Kameele vor, und so wurde ich auf meiner afrikanischen Reise durch Bayern und Oesterreich völlig indignirt durch den Anblick von Europäern, gothischen Domkirchen, lieblichen Dörfern und Landhäusern, Rathhäusern, Eisenbahnen und Dampfschiffen. Laß mich daher, o liebenswürdige Leona, über meine Reiseerlebnisse bis Wien lieber schweigen!

In Wien und Umgebung beginnt wenigstens eine neue Schattirung der Gegenstände, welche das ausländische Auge betrachtet. Die Gegend erscheint bereits gelber, das Grün ist schon mehr vertrocknet, die Menschen sind magerer und schwärzer geworden – es ist also ein leiser Uebergang in's Afrikanische gewonnen. Als wir am Quai landeten, frug mich Nettel, ob wir bereits in Afrika aussteigen würden, weßhalb ich dieser jungen Thörin eine Ohrfeige gab. O, dieses Nettchen! Wie kann man so ohne jeden geographischen Vorbegriff geboren sein! In unserem Zeitalter! – Doch halt. Bald hätte ich ein kleines Abenteuerchen zu beschreiben vergessen. Als ich mit Nettchen das Dampfboot bei Regensburg betrat, und das thörichte Mädchen aus Angst vor der Wasserreise in stummen Thränen zerfloß, bemerkte ich, daß ein interessant aussehender Reisender uns theilnehmend betrachtete. Ich setzte mich in seine Nähe und nahm eine interessante Stellung an. Wie hingegossen ruhte ich auf dem Verdecke und gebot Netteln, ihre Thränen zu trocknen. Nettel setzte sich schweigend auf ihren Koffer und strickte, stille Thränen vergießend. Ich blätterte harmlos in meinem Bädeker und warf von Zeit zu Zeit einen schmachtenden Blick auf den Regensburger Dom. Der interessante, blondgelockte Fremdling näherte sich mir und knüpfte alsbald ein geistreiches Gespräch mit mir an. Ich erzählte ihm meine Biographie, worauf er mir gestand, daß er ein Professor aus Norddeutschland sei – und nach Suez reise. Ich unterdrückte einen leise aufkeimenden Schrei.

O Leonie! Ich gestehe Dir, daß dieser geistreiche Blondin gar bald einen tiefen Eindruck auf mich machte. Alles, was er sagte, erschien mir pikant und schwungvoll, mein Seelenkern fühlte sich so kräftig berührt. Seine, wenn auch magere Gestalt imponirte mir, seine blauen Brillen milderten die intensive Gluth geistsprühender Blicke. Ich empfand alsbald den Rapport mit einer originalen Persönlichkeit. O Leonie! »Gleich und gleich gesellt sich gern,« – ich lud Herrn Professor Müller also ein, mich auf meinen Wanderungen nach dem Innersten von Afrika zu begleiten, was er nach halbstündiger, reiflicher Ueberlegung auch freudigst annahm.

Als wir Nachts im Mondenschimmer auf den Wogen des vaterländischen Stromes dahinfuhren, weinte Nettchen bitterlich. Sie frug mich alle drei oder vier Stunden, wie weit es noch bis Afrika sei, weßhalb ich trotz meines weichen Gemüthes gezwungen war, ihr öfters eine Ohrfeige zu geben, worauf sich das Mädchen gewöhnlich beruhigte.

In Wien angekommen, durchfuhren wir jene mir aus früheren Tagen bekannten Straßen und Plätze dieser volkdurchwimmelten Hauptstadt. Nettel vergoß aus nervöser Reizbarkeit über das ungewohnte Geräusch die bittersten Thränen. Der Professor, welcher mit uns im Fiaker saß, betrachtete mit geistvollen Blicken die Zustände der österreichischen Hauptstadt. Ich fand die Stadt nach acht Jahren gründlichst metamorphosirt. Wohin das Auge blickte, bis in die Wolken hinauf, Aushängschild an Aushängschild mit der Bezeichnung: »Bank, Nationalbank, Volksbank, Fürstenbank, Gewerbebank, Eisenbahnbank, Handelsbank, Baubank, Anglo-Franco-Austro-Orient-Occident – Austro-Aegypto-Austro-Turko – Austro-Hinterindische-Hungaria-Holländische Bank«, – die Augen gingen mir völlig über unter diesen handelspolitischen Beziehungen. Dazwischen wogten die Aushängschilder der Photographen, Schneider, Handschuhmacher, Zahnärzte und Marchandes des Modes, kurz ich fand die ganze Hauptstadt an der »schönen blauen Donau« in ein Aushängschild verwandelt.

Die Bevölkerung wimmelte zwischen den Aushängschilden sowohl zu Fuß, als auf Pferdebahnen, in Fiakern, in Schaaren von Omnibussen, deren Bedachungen selbst von Einwohnern übersät waren, schauderhaft gedrängt umher.

Ich seufzte: »O wäre ich doch auf der stillsten Oase Afrika's!«

Der Professor machte ein sprechend statistisch-geographisches Gelehrtengesicht, war aber gleichfalls froh, als wir unser Hôtel betraten.

Nettel schwamm in Thränen – sie war höchst agitirt, und bat mich, meine gütig dargereichte Hand küssend, so bald als möglich abzureisen.

Abends noch machte ich am Arme des Professors, gefolgt von dem schluchzenden Nettchen, einen Spaziergang durch die Stadt nach dem Stadtparke, wo wir uns zwischen Rosenbäumen und zierlich gewundenen Kobäen bei »Gefrornem« niederließen, um unsere körperlichen Bestandtheile ein wenig aufzufrischen und unsere ermüdeten Geister neu zu stärken.

Zeichnung: A. Oberländer

Der Stadtpark, mit seinen mir ungewohnten Oelbäumen, welche mich sogleich an die Schwelle des Orients versetzten, mit seinen duftenden Rosen und anderen Blümchen, wäre ein entzückender Aufenthalt, wenn er nicht hinter den vielen Tausenden von lorgnettirenden Herren und Damen völlig unsichtbar sein würde. Aber auf jeden Grashalm kommen zehn spazierenwandelnde Personen, auf jede duftaushauchende Centifolie zwanzig Nasen, welche den Duft einschlürfen, und auf jeden Baum kommen hundert blaue, schwarze oder graue Augen, welche sich an seinem Anblicke ergötzen.

Mein Nervensystem wurde daher in wenigen Augenblicken durch das Menschengewoge gänzlich zerrüttet, und ich athmete erst wieder auf, als ich am Arme des Professors, gefolgt von dem agitirten Nettchen, die dreißig Klafter breite Ringstraße betrat, woselbst ein Pferdebahnwagen gerade vor meinen Augen zwei kleine Kinder und ihre bleichgewordene Bonne überfuhr, weßhalb Nettchen in ein diabolisches Geschrei um verspätete Hilfe ausbrach. Obwohl ich ihrer menschenfreundlichen Aufregung durch eine flüchtige Mahnung auf ihre Wange zu steuern suchte, so war ich doch selbst von all diesem Geschrei und Gedränge so sehr beeinflußt, daß ich erst meine völlige Fassung wieder gewann, als ich am Arme meines blondgelockten Professors das Hôtel betrat.

Ich genoß an Müllers beschwichtigender Seite einen »Esterhazyrostbraten« und lächelte ihm mit herzgewinnendem Ausdrucke in das geistvolle Gesicht. »O Müller«, lispelte ich kaum hörbar, »o Müller, ein Königreich für eine Oase!« Müller blickte mich an … o Leonie, dieser Blick entschied über mein verwittwetes Geschick.

Am nächsten Morgen bestieg ich am Arme des Professors, gefolgt von dem bebenden Nettchen, den Stephansthurm. Tief zu unseren Füßen lag die zu einem Ensemble verschmolzene Stadt.

»O Müller«, lispelte ich, »dort über den schimmernden Alpen liegt die blauglänzende Adria! Ach, wie bangt meine Seele nach den Pyramiden, nach dem Sande der Wüste, nach Palmen und Sykomoren! Dieses uns zu Füßen concentrirte Europa widert mich an! Gehen wir!«

Tief zu unseren Füßen schlängelten sich die Eisenbahnen nach allen Weltgegenden. Dieser sich schlängelnde Anblick ergriff mich tief. Ich nahm eine interessante Stellung an und lispelte sanft: »O Müller, ich bin ganz – Poesie geworden! In meinem Herzen verschmilzt der Orient mit dem Occident.« Müller ergriff meine Hand und küßte sie, Nettel schluchzte, der Wind spielte mit meinen Locken, – es war ein unvergeßlicher Augenblick.

Als wir eine Stunde später unten in der Stadt die vielen neu erbauten Paläste der durch die vielen Speculationsbanken reichgewordenen Verwaltungsräthe bewunderten, flüsterte mein sanftes, liebeathmendes Gemüth: »Ach – ihr prunkenden Säulen! Eine Oase und – sein Herz!«

Meine unvergeßliche Leonie! In wenigen Stunden geht es über die Alpen nach der Adria! Aus Kairo wirst Du mein nächstes Briefchen bekommen. Ich drücke einen Kuß auf Deine Lippen und auf meine Kinder als Deine unvergeßliche

Laura Gruber, geb. Fischer.


 << zurück weiter >>