Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

21. Kapitel.
Das Volksleben

Eine erschöpfende Beschreibung alles dessen zu geben, was unter dem Sammelnamen »Volksleben« begriffen wird oder begriffen werden kann, ist weder unsere Absicht, noch unsere Aufgabe. Wir werden uns in diesem Kapitel wesentlich auf die frühere Zeit beschränken und auf das, was diese an Eigentümlichem gegenüber der Gegenwart aufweist. Was die letztere an altväterischem Wesen und Brauch sich aus früheren Tagen gerettet hat, kann immerhin daneben berücksichtigt werden. Leider geht das, was über die ältere Zeit zu sagen ist, ziemlich nahe zusammen. Der Grund leuchtet von selbst ein. Das Interesse für alles »Volkstümliche«, die Wissenschaft der »Volkskunde« ist sehr jungen Ursprungs. Es ist früher niemand, wenigstens hier, eingefallen, das zu verzeichnen und zu beschreiben, was zur selbstverständlichen, von jedermann geübten, jedermann vertrauten Sitte gehörte. Dazu kommt noch ein anderer Umstand. Es will uns bedünken, als ob unser Ort von jeher ein wenig arm gewesen sei an bezeichnenden, ausdrucksvollen Formen des Lebens; als ob die unleugbare Armut an solchen, wie sie für die Gegenwart festzustellen ist, nicht allein auf Rechnung der Neuzeit zu setzen sei. Diese räumt ja überall rasch und gründlich mit allem altmodischen Wesen auf, schleift die Besonderheiten ab, gleicht die Mannigfaltigkeit aus und ist mit bedauerlichem Eifer beflissen, alles auf ein einförmiges Durchschnittsmaß zurückzuschneiden.

So hat auch die Muse volkstümlichen Dichtens unserer Stadt längst den Rücken gewandt, wenn sie je hier heimisch war: das Märchen, das holde, liebliche Kind, und die Sage, die ehrwürdige Frau. Aber es scheint, sie hatten auch vor Zeiten hier keine bevorzugte Heimstätte. Und doch, wo hätten sie sich – sollte man denken – lieber einwohnen mögen als in unserem Städtchen, dessen Mauern allem dem, was das sinnende und dichtende Volksgemüt an lieblichen, abenteuerlichen, seltsamen, oder auch unheimlichen und spukhaften Gestalten zu erzeugen liebt, erwünschtesten Unterschlauf gewähren mußte; dessen Türme hoch genug sind, um auch dem üppigsten Geranke der Sage Halt und Stütze zu bieten.

Wir können darum den Leser nicht in einen Zaubergarten führen voll reichwachsender Wunderblumen der Volksphantasie; wir müssen suchen und schauen und froh sein, wenn wir da und dort ein bescheidenes Pflänzchen finden, mit welchem vielleicht ein Liebhaber seine Sammlung bereichern kann.

 

1. Sitte und Brauch, zunächst im Anschluß an kirchliche Handlungen. – Geburt, Heirat, Tod: das sind wohl die Hauptstationen eines Menschenlebens. Sie empfangen alle drei ihre Weihe durch die Kirche und durch Priestershand: in der Taufe, der Trauung, der kirchlichen Beerdigung.

Mit der Taufe eines Neugeborenen hatte man es früher eiliger als jetzt. Auch wenn keine Lebensgefahr im Verzug war, wurde sie doch bei der nächsten Gelegenheit (Gottesdienst), oft schon am Tage der Geburt, meistens einen oder zwei Tage darauf vorgenommen (die Geburtstage werden übrigens im T.B. erst vom J. 1722 an vermerkt!). Im 16. und im Anfang des 17. Jahrh. wurde gewöhnlich nur ein Taufpate genommen, bei Knaben ein Mann, bei Mädchen eine Frau. Während dem 30jährigen Krieg standen sehr oft der O.Vogt und der U.Vogt, die Geistlichen, die B.M. und andere Honoratioren Pate, in Fällen, wo eine nähere verwandtschaftliche Beziehung offenbar nicht vorlag. Standespersonen pflegten zur Taufe eines Kindes den Magistrat einzuladen. In den Beilagen zu den B.M.R. findet sich noch eine Reihe derartiger Einladungsschreiben. Gewöhnlich wurde dann eine »Taufverehrung«, in Geld oder Wein, dem Täufling »einzubinden« bewilligt. – Zu den Taufen in der Kirche – im Haus wurde nur im Notfall getauft (»Gachtaufen«) – bestellte man sich den Schuldiener zum Singen (1750), wofür er 1 Maß Wein und ein Paar Wecken oder 10 kr. erhielt; mußte er die Orgel schlagen, so empfing er das Doppelte. In jedem Fall wurde auch der Pfarrfrau »zur Tauf gesagt«, was diese mit einer »Kindbettverehrung« wettmachte (mindestens 1 Maß Wein und für 2 kr. Brot, 1700). – Als eine schädliche, armen Burgern beschwerliche Gewohnheit werden im V.B. 1605 die » Taufsuppen« in Löchgau bezeichnet, bei welchen die Weiber in großer Zahl die Kindbetterin überfallen, »denen man allen den Kragen füllen muß und kostet das einen armen Gesellen so viel, daß er mit seinem Weib, die 6 Wochen vorher nit hat haußen können, oft muß Mangel leiden.«

Einzelheit (G.P. 1700): »Weil Diakonus wider jenige Weibsbilder, so jüngst bei der Tauf nicht im Schleier erschienen, sehr hart geredt, wird auch verglichen, ihm zu sagen, daß, weil die Tauf ein Freudenaktus (freudige Handlung), man auch nicht finden könne, warum man im Schleier erscheinen solle; man hoffe, daß, wann künftig eine Frau in einer Kappen oder Hauben erscheine, werde er nichts darwider haben.«

Bis um die Mitte des 17. Jahrh. wird stets nur ein Vorname gegeben. Die ersten Doppelvornamen sind veranlaßt durch das häufige Hans (Anna); gar bald aber wird es Mode, zwei Vornamen zu geben, auch wenn kein Hans (Anna) dabei ist. Im 15. und im Anfang des 16. Jahrh. überwiegen noch die deutschen Vornamen; später überwuchern immer mehr die fremdländischen. Am schlimmsten ist es um die Mitte des 18. Jahrh., wo jeder dritte Mann Christian heißt. Die Karl, Wilhelm, Friedrich, welche Jahrhunderte hindurch fast verschollen sind, werden wieder gäng in der 2. Hälfte des 18. und im 19. Jahrh., unter der Regierung gleichnamiger Fürsten. Seit der Mitte des 19. Jahrh. gewinnt das deutsche Vornamentum wieder das Uebergewicht, eine Wendung zum Besseren, welche noch anhält, ja sich immer stärker geltend macht.

Bei Trauungen wurde von lateinischen oder deutschen Schulknaben ein » Hochzeitsspruch« gesprochen (K.K.P. 1732). – Das Reustin-Sammeln (die Reiste = zusammengedrehtes Bund gehechelten Flachses), mit welchem ein großer Mißbrauch getrieben wird, soll in Zukunft denjenigen, welche zum zweitenmal oder welche eine Auswärtige statt einer Bürgerstochter heiraten, verboten werden (1709). Gegen übertriebenen Aufwand bei Hochzeiten sah man sich verschiedentlich genötigt einzuschreiten. Nach K.K.P. 1698 und 1700 soll morgens um 9 Uhr der Kirchgang beginnen, um dem übermäßigen Frühstück zu steuern. Präzis 12 Uhr beginnt das Mittagessen, abends soll man um 6 Uhr, nicht später, zu Tisch sitzen; mit dem Glöcklein auf dem Rathaus soll ein Zeichen gegeben werden. Nachts 10 (11) Uhr soll ein Gerichtsverwandter und der Stadtknecht ins Hochzeitshaus gehen und abbieten. – Die Zahl der Hochzeitsgäste war gesetzlich beschränkt. Wer mehr Tische, als für gewöhnlich erlaubt war, besetzen wollte, mußte um Dispensation bei der Regierung einkommen. So bittet 1596 Konrad Imlen zu Besigheim um 12 Tische; es werden ihm aber nur 8 Tische für je 10 Personen bewilligt (die Amtleute durften nur bis zu 6 Tischen für je 8 Personen gestatten).

Zu den Hochzeiten von Honoratioren wurde regelmäßig der Magistrat eingeladen. Dieser ordnete dann den Stadtschreiber oder einen B.M. als Vertreter ab, natürlich mit einer »Hochzeitsverehrung«. Dabei wurde auch der Köchin und »Spihlerin, welche aufgestellt«, gedacht und ein Trinkgeld »in ihr uffgestellte Löffel« gelegt (um 1680).

Eheverspruch. Oefters kommt es vor, daß ein Bursche einem Mädchen ein Stück Geld (etwa einen Dukaten oder weniger) als »Haftgeld« (auch Drauf-, Angeld genannt) gibt. Von einem Mädchen wird ausgesagt, sie habe sich mit einem Garnmacher versprochen und es sei zur Bekräftigung ein Glas mit Wein über beider Hände gegossen worden.

Die Beerdigungen fanden gewöhnlich sehr früh, am ersten oder zweiten Tag nach dem Todestag, statt. Leichenbitter gab es früher keine, sondern in jedem einzelnen Fall war ein guter Freund oder Bekannter eingetreten. Erst um das Jahr 1758 wurden zwei Leichenbitter bestellt. Die Leichen waren bis zu Vogt Essichs Zeit »seit unerdenklichen Zeiten« die Staffel am Essich'schen Haus hinaufgetragen worden. Essich wollte das nicht mehr dulden, daher mußte man von da an den Umweg am Pfarrhaus vorbei machen. Ebenso wollte Essich das Kreuz abschaffen, welches den Leichen voraufgetragen und auf das Grab gesteckt zu werden pflegte. – Das Hinaussingen bei Leichen von Vermöglichen war von jeher Brauch gewesen (1649: »Bei alten Leuten wird zu Grab gesungen; jeder Schuldiener erhält 1–1½ fl.«). Das wurde aber im J. 1681 und wieder 1751 verboten, desgleichen die » Abdankungen« wegen vieler Versäumnis der Schule. Das Verbot ließ sich jedoch gegenüber dem Widerspruch der Lehrer – wegen großen Ausfalls an ihrem Einkommen – nicht aufrechterhalten. Bei Kindern waren Abdankungen niemals üblich (vgl. auch die 1758 für das ganze Land herausgegebene Leichenordnung).

Ort und Zeit der Beerdigung. An einem besonderen Ort auf dem Kirchhof und bei Nacht wurden beerdigt Selbstmörder, übel beleumundete Personen, in späterer Zeit auch »Malefizpersonen«. Die Beerdigung von Selbstmördern auf dem Kirchhof stieß aber öfters auf den heftigen Widerspruch der Bürgerschaft, welche einmal sogar eine besondere Deputation an den Herzog absandte (To.B. 1755, 1775, 1779, 1782, 1795).

Uebrigens wurde im Fall eines Selbstmords regelmäßig bei der Regierung angefragt, wie man sich verhalten solle. Noch im 18. Jahrh. aber kommt es vor, daß solche, die sich selbst »leiblos gemacht«, irgendwo anders verscharrt wurden; z. B. wird 1702 eine Selbstmörderin nachts durch den Wasenmeister von Bönnigheim unter Begleitung etlicher Musketiere in der »Buschenthald oberhalb der Deytelstahl« begraben. Aehnliche Fälle s. To.B. 1729, 1734, 1765 und 1770 (Vergrabung im Wald durch den Kleemeister von Bönnigheim)! – Als im J. 1768 eine schlechte Weibsperson auf dem Friedhof beerdigt werden sollte, nachts nach der Torglocke, »rottierte« sich ein Haufe von mehr als 40 Bürgern zusammen, so daß die Bestattung erst nachts 12 Uhr statthaben konnte. – Einer, der sich und seine Frau getötet (1783), hätte zwar das Begräbnis unter dem Galgen verdient; er wird aber um seiner angesehenen Verwandtschaft willen in einer abgelegenen Klinge begraben (J.A.). Auf dem Friedhof werden Hingerichtete z. B. im J. 1606 und 1747 begraben; im letzteren Fall wird die Leiche »uneröffnet des Kirchhofs« durch die Leute des Scharfrichters vermittels einer Leiter über die Mauer in den Kirchhof geschafft. – Auch »Papisten« werden mehrmals an abgesondertem Ort auf dem Kirchhof beerdigt (z. B. 1745, 1760, 1777). – Im J. 1745 werden 2 Soldaten, ein verunglückter Katholik und ein erstochener Protestant, eigenmächtig hinter der Mauer des »Schlepplensgartens« (vgl. S. 97); später, um 1780, Garten des Apothekers) eingescharrt.

Abends mit der Glocke werden begraben Kinder (1729), Verunglückte, wenn es fremde und geringe Leute sind (z. B. 1728 und 1731), selbst ein Chirurg und Ratsverwandter, der aber zweimal im Zuchthaus gewesen (1755), ferner einer, der, ein Verächter des Wortes und Sakramentes, in seiner Völlerei ohne Verstand starb (1733), ohne Geläut ein papistischer Bettler (1727).

Zu Vogt Essichs Zeit war es Sitte, Honoratiorenkinder des Nachts bei Fackelschein zu begraben. Wegen der Feuersgefahr wurde das verboten, es sollten Laternen gebraucht werden. – Offiziere und Adelige wurden »nach militärischer Manier« (bei Fackelschein) auf den Kirchhof geführt, z. B. im J. 1724 Phil. Konr. Schertlin von Burtenbach. Als aber in Walheim die Familie einer nicht adeligen Frau verlangte, der Pfarrer solle nicht allein bei aufgesteckten Lichtern ihr einen Sermon in der Kirche halten, sondern es solle auch der Sarg auf den Altar gestellt und erst nach gepredigtem Sermon hinausgetragen werden, weigerte sich des der Pfarrer, weil das gegen die fürstl. Leich- und Trauerordnung und außer adeligen Personen oder solchen von adeligem Rang niemand sonst erlaubt sei. Sechs Jahre vorher war der damalige Pfarrer abends um Glockenzeit ohne alle Zeremonien und Gepräng in der Kirche begraben worden, nach seiner eigenen Anordnung (1754). Ebenso im J. 1766 Pfr. Mauchart, abends um 8 Uhr in der Stille, auf dem »inneren« Kirchhof.

Der christehrlich begrabenen Personen wurde am Schluß des sonntäglichen Gottesdienstes auf der Kanzel gedacht (To.B.).

Beisetzungen in der Kirche s. S. 13 und 51! – Fälle von Selbstmord sind im 18. Jahrh. nicht gar selten. Die Selbstmörder suchen ihren Tod fast ausnahmslos im Wasser und zwar mit Vorliebe in der Enz, deren düstere, mit der Stimmung der Lebensmüden gewissermaßen »wahlverwandte« Umgebung auf jene eine geheimnisvolle Anziehungskraft auszuüben scheint.

Die heiligen Zeiten. Das Weihnachtsfest hatte früher entfernt nicht die Bedeutung, welche ihm gegenwärtig zukommt, wenigstens was die Feier in der Familie betrifft. Eine besondere Feier am heiligen Abend wird nie erwähnt, was ja auf Zufall beruhen kann. Sicher ist und noch jetzt aus dem Munde der älteren Leute zu erfahren, daß der Christbaum, jedenfalls die Verwendung des Tannenbaums, früher dem gemeinen Mann so gut wie unbekannt war. Merkwürdiger Weise wird der Christbaum beim Volke allgemein nicht so, sondern »Buchsbaum« genannt. Der Buchsbaum scheint also der Vorläufer des Tannenbaums gewesen zu sein.

Wie Pfarrer Dr. Losch in Hausen a. Z. dem Verfasser auf Anfrage hin mitteilte, »erinnern sich alte Leute in Murrhardt, wo dieselbe Benennung üblich ist, noch aus ihrer Jugend, daß man als Christbaum keinen Tannenbaum, sondern einen wirklichen, künstlich zurechtgemachten Buchsbaum hatte. Er wurde mittels Buchszweigen hergestellt, indem man ein Gestell aus Stäben und Reifen machte, um welche die Buchszweige gelegt bezw. gewunden wurden.« – »Im oberen Filstal (»Gaisentäle« von Geislingen bis Wiesensteig) schneidet man einen Kirschenast am St. Barbaratag (4. Dez.) und stellt ihn in lauwarmes Wasser. Dann kommt er bis Weihnachten ins Blühen. Dieser sehr schöne Christbaum wird dann auch noch mit dem üblichen Schmuck und mit Lichtern ausgestattet.«

Das Sichbeschenken erscheint um 1755 noch als eine Neuerung. »Es ist der Mißbrauch entstanden, daß zur Weihnachtszeit die Gevattersleute ihren Döthlen und letzterer Eltern hinwiederum ihren Gegengevattersleuten allerlei an Geld und Geldeswerth verehren und unnötige Kosten causiren« (G.P.). Nicht ganz verständlich ist, was wir im K.K.P. (um 1700) lesen, daß nämlich in der heiligen Weihnachtszeit einige Mädchen sich (um Gewinns willen) haben als »Christkindlein« gebrauchen lassen (vgl. übrigens die neue O.A.B. von Reutlingen, S. 142 oben!).

Die gegenwärtig bestehende Sitte, in der Weihnachtszeit auf die Gräber von Angehörigen, besonders von Kindern, kleine Tannenbäumchen, mit selbstverfertigten weißen Papierrosen geschmückt, zu tragen und dort aufzustellen, geht keinenfalls über die 1870er Jahre zurück und ist wahrscheinlich von auswärts eingeführt.

Sonst ist nur zu erwähnen, daß »in den heiligen Weihnachtsfeiern« die Schuldiener mit den Schulknaben von Haus zu Haus umsangen, jedenfalls gegen Geld- und Naturalspenden. Schon im 17. Jahrh. aber wurde dieses Umsingen meist untersagt, wegen des daran sich knüpfenden »Ueberlaufs«; als Entschädigung wurde jedem der beiden Lehrer 1 fl. aus dem B.M.A. gereicht. – Am Pfeffertag wurde »gepfeffert«, was aber z. B. schon 1672 und wieder um 1800 untersagt wird.

Ein hübscher, sinniger Brauch aus der Gegenwart ist es, daß am Sylvesterabend, wenn nach der Predigt die Leute aus der Kirche kommen, die Christbäume angezündet und in die Nähe des Fensters gestellt werden, was sich sehr feierlich ausnimmt.

Die amtliche Feier des Neujahrs schloß sich an die Weinrechnung an in Gestalt des »Heringsmahls«, das als »Neujahrsverehrung« bezeichnet wird. Dabei sangen die Schulknaben den Herren auf dem Rathaus das neue Jahr an (S. 79). – Die Nachtwächter halten 1709 an, ob sie das neue Jahr dürfen anschreien und hernach bei einem oder dem andern etwas an »Köchts« holen, was jeder gerne geben möchte? Bescheid: es soll gänzlich abgeschlagen sein; sie dürfen nur demjenigen anschreien, der sie bestellt. – Das Anschießen des Neujahrs wird um 1721 verboten, vermutlich nicht zum erstenmal. Im J. 1800 spricht sich »das« Kirchenkonvent aus: »Die Nachtwächter sollen alle Schwänke und Unanständigkeiten lassen und statt der gewöhnlichen Formel 1 oder 2 Neujahrsliederverse vor den Häusern singen«.

In Löchgau werden (1659) am »heiligen« Neujahrstag üblichem Gebrauch nach einer gemeinen Burgerschaft auf dem Rathaus zu verzehren gegeben 2 fl. 18 kr. Die Schulknaben singen auf dem Rathaus das neue Jahr an (18 kr.).

Am » Eschermittwoch hat man uff dem Marckht faßnachtspihl getriben und gebrütscht; alle Häuser sind voller Leutt gewesen, die von den Fenstern aus zugesehen haben« (1599).

In Hessigheim ist es (1684) ein altes Herkommen, daß am Aschermittwoch den Weibern auf dem Rathaus eine Mahlzeit gegeben wird, wobei bis in die tiefe Nacht hinein gezecht wird und allerlei Zänkerei und Ueppigkeit vorkommt.

Osterzeit. Am Palmsonntag, zwischen Vor- und Nachmittagsgottesdienst, findet sich regelmäßig eine Schar Kinder zusammen, um den Esel auf dem Bilde des Hochaltars (Flucht nach Aegypten) als vermeintlichen »Palmesel« zu bewundern.

Ostereier waren, wie es scheint, von jeher üblich und schon vor Zeiten pflegten die Kinder sich mit »Eierdupfen« zu vergnügen (1740).

An Pfingsten wurden »Maien« (d. h. wohl Birkenbäumchen) in der Kirche aufgestellt. Im Juni 1708 wurde beschlossen, dieses » Majenstecken«, das dem Wald sehr schädlich sei, zumal auch der Stadt allweg viel Wein für die damit Bemühten gekostet habe, gänzlich abzuschaffen. – Die ledigen Burschen pflanzten (G.P. 1681) den Mädchen Maien vor das Haus, die aber nachts gehütet werden mußten vor solchen, welche »Maien gipfeln« wollten. – Am Pfingstmontag (K.K.P. um 1723) »sind die Roßbuben mit zwei in ... (unleserlich) verkleideten Pfingstlemmeln, wie sie es nennen, und unter Anstimmung des Posthorns in die Stadt geritten«.

Auch in Löchgau stellt der Schütz (1650) Maien in die Kirche, altem Gebrauch nach. In Bietigheim wurden sie von den Schulknaben im Wald geholt (1619).

Johannisfeiertag. »Am Tag St. Joannis (24. Juni) hat des Herrenkiefers Weib umb das Feuer gedanzt und schändliche Lieder gesungen«, wofür sie um 21½ kr. (= ½ Pfd. hl.) gestraft wird ( Biet. Almos.R. 1639).

Eine Kirchweihfeier hat es hier nie gegeben. Dafür ging man bei Kirchweihen von Nachbargemeinden zu Gaste.

Wenn die Kirchweihe eines Dorfs von Leuten aus einem Nachbarort besucht wurde, so verehrte man letzteren beim Abschied einen Kuchen, den man »dem Gebrauch nach« an einen Stecken band (G.P. 1649 betr. die Hessigheimer Kirchweihe am 5. Aug., welche von Ingersheimern besucht wurde).

Aus dem Leben der Kinder ist erwähnenswert das » Maienfest«. Zum erstenmal ist es genannt G.P. 1681. Der Pfarrer hatte bei dem Magistrat das Gesuch gestellt, »auf künftigen Pfingstmontag alhiesige Schuljugend altem Herkommen gemäß uff das Kies in die Majen führen zu dürfen«. Demgemäß wird »das uralte Majenfest wieder zu halten beschlossen, zumal heuer ein feiner Weinsegen (im Stadtkeller) zugegen, auch die Schuljugend dadurch zu mehrerem Fleiß in docendo (?!) animirt wird«. Die Kosten trägt hälftig das Almosen, hälftig das B.M.A. Die Geistlichen, der Vogt, die Schulbedienten, der Magistrat, auch der Zinkenist nehmen Teil und es werden ihnen 4 Imi 1 Maß hinausgetragen. Auch 1683 wird das »gewonliche Majenfest« wieder » celebrirt« (11 Imi 6 Maß). Auf dem Kies werden Zelte aufgeschlagen (B.M.R.). Im J. 1687 wird die Schuljugend wieder auf das Kies geführt, licitae recreationis causa (zur erlaubten Erholung), wobei sogar der O.Vogt anwesend ist. Die Kinder erhalten Papier, Federkiele und Brot.

Außerdem finden wir das Fest nur ein paarmal im 18. Jahrh. erwähnt. So, wie es gefeiert wurde, war es offenbar ein Schulfest, das vielleicht aus dem mittelalterlichen »Rutenfest« (» virgatum-Gehen«) herausgewachsen war; es ist aber sehr leicht möglich, daß es, wie sein Name besagt, ursprünglich ein reines »Maienfest« war (Einholen des Frühlings) ohne Beziehung zur Schule.

Das jetzige »Kinderfest« (seit Anfang der 1870er Jahre) hat mit dem alten Maienfest nichts zu tun.

Kinderspiele. Im J. 1903 hat Verfasser den damaligen Bestand an Kinderspielen aufgenommen. Wir geben ihn unten wieder. Wer der Sache seine Aufmerksamkeit schenkt, wird bemerken, daß das Inventar ziemlich rasch wechselt. Fortwährend kommen neue Spiele auf – etwa in der Kinderschule gelernt, oder von auswärts durch eine Schülerin importiert – um oft nach kurzer Zeit vom Spielplan wieder zu verschwinden. Ein gewisser Grundstock bewährter, meist seit langem üblicher Spiele erhält sich durch die Jahrzehnte. Mitteilungen aus älterer Zeit fehlen leider vollständig. Während die Spiele der Knaben nur verhältnismäßig wenige Nummern umfassen, sind die der Mädchen zahl- und inhaltsreicher. Auch in ihnen ist, wie in denen der Knaben, Leben und Bewegung, oft aber auch dramatische Handlung.

Der den meisten zugrunde liegende Gedanke ist entweder aus dem Leben der Erwachsenen gegriffen, deren Tun und Treiben nachahmend dargestellt wird, oft mit bewußt-unbewußter Ironie; oder ist er dem Leben der Kinder selbst entnommen, oder es ist eine Geschichte, eine Fabel u. dgl.; oder endlich sind es einfache Bewegungsspiele. Die letzteren werden weitaus am häufigsten gespielt. Die der anderen Art erfordern eben zu ihrer ruhigen und behaglichen Entfaltung Zeit, mehr Zeit als die knapp zugemessenen Unterrichtspausen gewähren, und namentlich Platz, »Spielraum«. Wir lassen nun die Spiele in alphabetischer Reihe folgen:

1. Aus dem Busch, 2. Ballspiele, (s. u.!), 3. Blauer, blauer Fingerhut, 4. Blindekuh, 5. Blümles und Vögeles, 6. Blutiger Mann, reg' mich nicht an, 7. Der Kaiser schickt sein' Lakai aus, 8. Die Reise geht nach hopp, hopp, hopp, 9. Dieser L L Böbbeles Ball, 10. Dilbes, Dalbes, Nägelesstock, 11. D' Katz sauft d'Milch aus, 12. Dreimal um's Kät(h)chen (=?), 13. Eck um Eck ums andere, 14. Ehle(=?) auf der Wiesen, 15. Ei, Bua, was kost' dei Heu, 16. Ei'les, 17. Ellenmessen, 18. Frau Mutter, leih' mir d'Scher', 19. Frau Pfarrer, brauchen Sie keine Magd? 20. Frau, verkaufen Sie ihr Kind nicht? 21. Gicker, was schärrst? 22. Gnädige Frau, wo geh'n Sie hin? 23. Hasch, Hasch! 24. Hast dei' Gläsle g'schwunka? 25. Herr, ich bin auf deinem Land, 26. Hexe im Keller, 27. Jakob, wo bist? 28. Ich hab' keine Hilfe, 29. Ich hab kei' Eise, 30. Ich sitz' den ganzen Tag nicht, 31. Ich tritt dem Herrn auf's Füßle, 32. Jetzt kommt der Herr mit ei'm Pantoffel, 33. Kaiser, König, Kurfürst, Graf etc., 34. Königs, Kaisers Töchterlein (vgl. übrigens u.!), 35. Macht auf das Tor (es kommt ein goldner Wagen), 36. Mariechen saß auf einem Stein, 37. Mutter, was nähst? 38. Pfandspiel, 39. Ringelreihen, 40. Schäflein, kommet alle heim, 41. Schlange machen, 42. Steckela verschieben, 43. Turm zu Babel, 44. Viktoria, Viktoria! Zum erstenmal herein, 45. Warfelspiele, 46. Was tut der Fuchs im Garten? 47. Wer tappt da hauß (draußen)? 48. Wie viel Schritte gibst du mir? 49. Wir kommen aus dem Morgenland, 50. Wir wollen durch die goldne Brücke fahren, 51. Wißt ihr nicht, wo Stuttgart liegt? 52. Wollt ihr mit nach Stuttgart ziehen? 53. Wollt ihr wissen? 54. Schulehalten, 55. Töpfle's (= Kreiseltreiben) u. s. f.

Bei dem Ballspiel werden unterschieden: Dreieckball, Einserle, Examen, Kaiser-, Königsexamen, Gruben-, Länder-, Namen-, Schritt-, Zuckball, schöner Bogen, was hast gegessen?

Erst vor kurzem aufgekommen und nicht allen Kindern bekannt sind folgende Spiele: 1. Der Bauer fuhr ins Holz, 2. Der Lenz geht 'rum (Kinderschule), 3. Der Sandmann ist da (Schule), 4. Ein Edelmann ritt zum Tore hinaus (aus Stuttgart), 5. Fuchs, du hast die Gans gestohlen (Schule), 6. Kinder, wir wollen ein Körbchen flechten, 7. Königs, Kaisers Töchterlein (? wahrscheinlich aus Ludwigsburg), 8. Lupus (wahrscheinlich noch nicht lange gespielt), 9. Wo seid ihr denn so lang gewesen? 10. Zeigt mir eure Strümpfe (Schule)!

Zählreime (beispielsweise):

1) 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, eine alte Frau kocht Rüben;
Eine alte Frau kocht Speck,
ich oder du mußt weg.

2) 1, 2, 3, 4, hinter dem Klavier
Sitzt ein Ding, das macht kling, kling, kling;
Kling, kling macht es und du bist es.

3) Lieber Onkel, sei so gut,
schick mir ein' Tirolerhut!
Nicht zu groß und nicht zu klein,
nach der Mode soll er sein.

4) 1, 2, 3, du bist drei;
4, 5, 6, du bist nex;
7, 8, 9, du mußt es sein;
10, 11, 12, dich fressen alle Wölf'.

5) I zähl an und du bist duß (draußen);
wer mi fangt, der kriegt a Nuß;
Wer die Nuß verbeißt, dem verschlag i's Kreuz.

6) 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, wer will mir den Schubkarren schieben? Wo denn hin, nach Berlin, wo die schönen Mädchen sind. Mädchen tragen Lorbeerkränze, Buben aber Rattenschwänze; Mädchen auf dem Ball, Buben in dem Schweinestall.

7) 1, 2, 3, Herr Gevatter frei.
Herr Gevatter fixe, faxa,
sechzehn Heller gilt der Batza.

8) Ene, dene, dupp!
Wer kocht Supp'?
Frau oder Mann?
Wer's am besten kann.

 

Schaukelverse für kleine Kinder (beispielsweise):

1) Hopp, hopp, Edelmann! D'Katz hat Stiefel an,
Reit' um den Brunnen, hat a Kindle g'funnen,
Wie soll's heißen? Böckle oder Geißle?
Wer will d'Windel wäscha? D'Anna mit der Klemmertäscha!

2) Hoppa, hoppa, hära! So reitet d'Fräla,
So reita kleine Kind(er), die noch nicht geritten sind.
Wenn sie größer werden, reiten sie auf Pferden;
Wenn sie größer wachsen, reiten sie nach Sachsen;
Reiten vor des Königs Schloß, schießen drei Pistolen los.
      Piff, paff, puff!

3) Gautscha, gautscha! Sitzt a Mädle drauße.
Hat Aepfela fail, hat Bira feil; gibt mei'm Kindele au en Teil.

4) Hopp de hopp! Der Hans ist hier. Hopp de hopp! Was tut er hier?
Hopp de hopp! Er will a Weib. Hopp de hopp! Er ist net g'scheit.

5) Hoppa, hoppa, Rösle! Z'Stuagart steht a Schlößle etc.

6) Auf'm Berg steht a Wirtshaus, guckt a Frau 'raus,
Heißt Gret',
Hat en Rollakopf und a Schlappergosch
Und a Nas' wie a Trompet'.

Sprichwörter und Redensarten: N. N. will sich glasschön machen; leer Stroh dreschen; sein rachsüchtig Gemüetlein erkühlen; N. N. behandelt den andern, als ob er sein Fußtuch wäre; einem heimzünden, uff die Kürbin laden; nit reden wie ein Biedermann (16. Jahrh.). N. N. hat die Sache allzufrüh angefangen und vor dem Hamen fischen wollen; einen anzapfen; durch den Bank leugnen; sein Geld an nasse Ware hängen; auf der faulen Bärenhaut liegen (17. Jahrh.). Ans dürre Böhmlin (an den Bettelstab) kommen; es einem schriftlich geben; einem den Wehtag an den Hals wünschen; das ist über's Bohnenlied; an einen Schröpfe ansetzen, daß er bekennt; wenn ein Bettler auf ein Roß kommt, so reitet er stärker als ein anderer (18. Jahrh.). Die Hexe sitzt in der Raufe, eine gute Kuh macht die Raufe (es kommt auf die Fütterung an); der Socher überlebt den Pocher; was der Mensch wert ist, das widerfährt ihm; gut (mütig) sein ist ein Stück von der Liederlichkeit; wenn der Wagen fällt, hat er fünf Räder. – Von einem ungeschickten Menschen sagt man: »Er zieht die Hosen mit der Beißzange an« (Gegenwart).

Einzelne Ausdrücke: besch..... (betrügen), schmieren (bestechen), kapitulieren (den Text verlesen), lumpen, dieben, schelmen etc. (Lump, Dieb, Schelm etc. schimpfen), kipplen (aufziehen), gassatum ( gossatum)-Gehen Nachtschwärmen), allerlei Gugelfuhr treiben (16.-18. Jahrh.).

.

Kriegerdenkmal an der Kirche.

Der Wortschatz des gemeinen Mannes hat manche altertümliche, in der Schriftsprache ausgestorbene Wörter oder Wortformen aufbewahrt, z. B.: Karch, Kern (Keller), Trotte (Kelter), Sägas (Sense), Waitag (Epilepsie des Viehes), Ziefer (Geflügel), Buppaper (bübischer, unmännlicher Mensch; Buppapers-Aerbat d. i. schlechte Arbeit; von mhd. bipaper = herumziehender Krämer, der seine Ware durch Ausspielen an den Mann bringt), Aehne (Großvater), Ahne (Großmutter), Gode (Patin; fast nur noch bei Bauersleuten im Gebrauch und im Rückgang gegenüber dem üblicheren »Dote«), Schwenkfelder (leichtsinniger Mensch); der und der ist ein »Heroischer« d. i. ein wilder, rauher, unartiger Mensch (gäng und gäbe bei dem Volk). – Filzen (ausschelten), zackern (ackern), gruaga (ausruhen), rüafa (rufen), sidrher (seit-her), aid (öde, fade, z. B. vom Brot), Dahle (Dohle), Witwähr (letzte Silbe sehr gedehnt mit Nachton), Treger (Träger, mit geschlossenem e gesprochen).

Nachbarneckereien. Nach der Ansicht der Groß-Ingersheimer sind die Besigheimer »jahmermäßig«; bei den Bietigheimern und Hessigheimern heißen sie »Hoba«, bei den letzteren auch »Steinbäuche«. Umgekehrt hören die Klein-Ingersheimer auf den Rufnamen »Kuckuck«; denn sie ließen einmal – sagt man – bei der Kirchweih einen Mann, der Kuckuck hieß, Hungers sterben. Die Gemmrigheimer werden hier »Hoka« genannt; auch lockt man ihnen mit dem Ruf: »Horo, Goro«; die Hessigheimer heißen »Welschkorneber« oder »Stöpper«, Stopper (»Stopper« = beliebte Mehlspeise), die Walheimer »Schnoka«, neuerdings auch »Sturmläuter«; die Löchgauer »Hasaropfer«, die Bietigheimer »Hummelfänger«, die Erligheimer »Kolba«, die Schozacher »Hellauf«, die Metterzimmerer »Schnecka«, die Kirchheimer »Wassermäuse«. Die Bönnigheimer heißen in der Nachbarschaft die »Grieleshenker« (»Grielein« – junge Gänse), auch »Halbbatzenstricke«. Alle diese Namen weiß man auch mit erfundenen oder wirklich geschehenen Geschichten zu begründen. – Der Uebernamen der Besigheimer z. B. schreibe sich daher, daß sie bis vor nicht langer Zeit zu den Arbeiten im Weinberg weder Messer noch Rebschere, sondern nur Hapen besessen hätten. Für diese Hapen sei an der Hose ein besonderes Täschchen angenäht gewesen.

Wetterregeln (beispielsweise). Auch hier geht man noch vielfach auf die Tage zwischen Christ- und Erscheinungsfest. Wie das Christfest ist, so wird der Dez.; wie der Tag darauf, so der Jan. u. s. f., denn »nach de Losdäg, wird d'r Monat so werda«. – Wenn die Pfifferlinge reichlich wachsen, kommt Regenwetter. – So viel Körnlein in einem »Kornschüsselein« (Pilzart im Dinkel) drin sind, soviel Mark soll der Dinkel gelten. – Wenn der Kuckuck im Feld ruft, so kommt noch einmal kaltes Wetter. – Barnabas naß, leert Scheuer, Kelter und Faß; – Wenn Veit s' Häfele verschütt' no bringt er Regawett'r mit. – Urban hell gibt ein Weinjahr, ebenso Sonnenschein am St. Vinzenz. – Wie die drei Christfeiertage, so wird die Ernte. – Lichtmeß, bei Tag eß, alle Tag' a Spindel vergeß! – Wenn es am Karfreitag regnet, so schlägt das ganze Jahr kein Wetter an; das Futter wird teuer und wenn es auf den Dächern wächst. – Mariä Verkündigung schmeißt der Nähterin d'Ampel um. – Mariä Geburt, wenn d'Sonne scheint wie (in?) Hut, so wird der Wein noch gut. – Wenn der Mai recht trocken ist, sagt man: der »Brochat« wird schon Regenwetter bringen, oder: der Br. bringt vielleicht herein, was der Mai verfehlt hat. Ist der Febr. recht rauh, so heißt es: er hat seinen Namen Hornung nicht umsonst. Nur in diesen Redensarten haben sich die altdeutschen Monatsnamen für den Febr. und Juni noch erhalten.

 

Der Aberglaube. Wenn man sich nach Dingen erkundigt, welche in dieses dunkle Gebiet einschlagen, so wird man zunächst zur Antwort bekommen: früher sind die Leute sehr abergläubisch gewesen, aber jetzt ist man aufgeklärter (»nicht mehr so dumm«); an Hexen u. dgl. glaubt man nicht mehr. Bald aber wird man finden, daß noch mehr als genug Aberglaube im Schwange geht, nur daß er etwas lichtscheu ist, als »Pestilenz, die im Finstern schleichet und Seuche, die am Mittag verderbet«.

Dennoch, es ist etwas Wahres an obiger Rede. Die letzten Jahrzehnte haben auch auf diesem Gebiet aufgeräumt, und das jüngere Geschlecht hat manches vergessen, was nach dem kundigen Zeugnis älterer Leute dereinst noch lebendig war. Ob das nun dem »Glauben« zu gute kam und kommt und ferner, ob nicht mancher Verlust an altem Aberglauben durch modernen Aberglauben, der um kein Haar besser ist als jener, ersetzt worden sei – das ist eine Frage, welche zu beantworten hier nicht der Ort ist.

Soweit die frühere Zeit in Betracht kommt, werden wir uns zuerst in den V.B. und in den K.K.P. nach Beispielen umsehen. Aber unsere Ausbeute ist nicht groß. In jenen finden wir nichts, in diesen nicht viel, was auch von den G.P. gilt. Wir begnügen uns, einige bemerkenswerte Fälle anzuführen.

Die N. N. hatte den Gaul des Bauern Christi. Pantrion gestreichelt und gesagt: »Bauer, was hast du für einen hübschen Gaul?« Bald darauf ging das Tier ein und der Besitzer beschuldigte nun jene, daß sie ein »Unhold« sei. Der Fall wurde als Injuriensache vom Gericht behandelt und beigelegt (G.P. 1596). – Die N. N. hat, als sie an Burgermüllers Eselstall vorbeiging, ein Stück Eselskot aufgehoben, worauf bald zwei Esel umfielen (1640). – Die Untergänger von Besigheim und Walheim beklagten sich (1650), daß Schultheiß Locher von W. sie öffentlich verschimpfiere, als ob sie nächtlicherweile wie feurige Männer auf dem Feld herumliefen. – N. N. hofft, er werde es noch erleben, daß N. feurig bei seinem veränderten Markstein werde müssen umlaufen (1679). – Eine Frau hat über eine andere das Sieb gedreht und will dadurch herausgebracht haben, daß sie von jener bestohlen worden sei. Sie weiß nicht, daß das etwas Schlimmes sei. Es geschehe, ohne Nennung des Namens Gottes, so: »Sieb, ich gebiete dir bei deiner Tru (Treu) und ayd, daß du mir anzeigest, ob N. N. mir das Meinige genommen; wo nicht, so stehe still« (1695). – Schon länger her ist, unwissend des Predigtamts, ein leichtfertiger Aberglaube im Schwang gegangen. Man hat nämlich verstorbenen Kindbetterinnen in die Totenbahr mitgegeben ein Scherlein, Nadel, Faden und Fingerhut. Das ist erst letzthin zufällig offenbar geworden. Die Hebammen erklären, sie hätten darin nichts Unrechtes gesehen und daher diese Gewohnheit ohne Scheu beobachtet. Es wird ihnen aber verboten, da diese Sitte vielleicht aus dem abergläubischen Heidentum ihren Ursprung haben möchte (1737).

Das Hochgericht war natürlich ein besonders unholder Ort, nach der Meinung des Volks ein Tanzplatz der Hexen.

Fahrende Leute anderer Art als die, von welchen im 19. Kapitel die Rede war, lernen wir aus dem V.B. 1601 kennen. In Mundelsheim fand sich eine Magd, von Klein-Aspach gebürtig, die hatte selbst von sich bekannt, »sie sei der fahrenden Leut«, wisse wer im Himmel und in der Hölle sei und wer ein Unhold. Vor den Visitator gestellt fängt sie an zu weinen, beteuert, keine Unholdin zu sein, bekennt endlich (nachdem sie beruhigt worden, es solle ihr nichts geschehen), sie könne fahren, aber allein an den heiligen Tagen, nämlich am Sonntag und am Zinstag gegen Abend um 8 Uhr, nicht früher noch später. Da stehe sie auf die Bühne, mache das hl. † und sage: »Das walte Gott etc.« und fahre also dahin zum Laden hinaus. Da sehe sie dann an einem Ort den Himmel, einen hellen lustigen Ort wie der helle Tag, unaussprechliche Freude; an einem anderen Ort aber die Hölle und darin dicke Finsternis und Feuerflammen etc.; sie bitte Gott, wenn sie daran denke, daß er sie davor behüte. Es sitze auch daselbst im Himmel der allmächtige Gott, habe nur ein Jüpplein an; der zeige ihnen, was sonst in der Welt geschehe, als Diebstahl, Mord u. dgl. Es seien auch viele Kräutlein da zu sehen und wozu jedes nütze sei. Sie (die fahrenden Leute) zechen und tanzen nicht mit einander, sie reden nur mit einander, fragen einander, besonders die Jungen die Alten, z. B. was in der und der Krankheit helfe. – Es seien der Leute wenige auf Erden, die solchergestalt fahren könnten; sei niemand mit ihr gefahren. Sie habe nie einen Bekannten dort gesehen, ausgenommen einen Mann von Klein-Aspach. Eine Frau dort habe sie das Fahren gelehrt und gesagt: »Liebes Kind, wenn du diese Kunst kannst, kannst du manchem Mann einen guten Rat geben, der sonst gestorben wäre.« – Die Frau dieser Magd sagte aus: ihre Magd habe ihr gesagt, wenn sie ausfahren wolle, nehme sie nur ein »limplin« in die Hand und spreche etc. Sie behaupte, alle Unholde im Flecken zu kennen.

Nach Pf.B. 1749 »ist der Aberglaube in Zauberei und Segensprechen und dgl. in einer versteckten Weise so gemein, daß man fast nicht weiß, wie dem Unwesen Einhalt zu tun«.

In den verhältnismäßig wenigen Fällen, in welchen derartige Dinge vor den Kirchenkonvent kamen, behandelte man übrigens die Sache ziemlich kühl und meist begnügte man sich mit einer Verwarnung der verdächtigen Person; mehrmals aber mußte die klagende Partei Abbitte leisten und Strafe zahlen. Von Hexenprozessen fanden wir hier nicht die geringste Spur.

Aus neuerer Zeit. Nach der Sage ging in der Nähe der Ingersheimer Steige ein Lichtlein, das mit einer früher dort befindlichen Kapelle und weiterhin mit einem alten Pfarr- (dem jetzt Mauk'schen) Haus in Zusammenhang gebracht wurde. – Auf der Ottmarsheimer Straße sah man, besonders zur Fastenzeit, 3 Lichter scheinbar auf einander zuhauen; sie trennten sich und vereinigten sich bis zum Ottmarsheimer Wald, wo sie verschwanden. – Einem verstorbenen Untergänger, der als Geist ging, begegnete seine eigene Tochter. Ein anderer wurde nach seinem Tod auf Marksteinen und überall da sitzen gesehen, wo zu seinen gunsten betrogen worden war. Denselben fand man an einem Sonntag in seinem Gartenhaus sitzen. – Wenn zwei mit einander Streit hatten, konnte wohl der eine zum andern sagen: »Du kommst wieder feurig«. – Wie man Vogt Essich hinaustrug, sei ein junges Schwein vor der Bahre gesprungen. Auch in seinem Haus (späterem Präzeptorat) soll(te) es spucken. Oft ging die Schultüre von selbst auf; das wußte Mesner St. noch aus seiner Schulzeit. Dekan Zeller habe im Unterricht oft abbrechen müssen, so habe es gewettert; wenn er auf die Bühne hinaufgegangen sei, sei es ruhiger geworden. Die Kinder des 2. Schuljahrs schreckten sich mit der Rede, es ständen feurige Schühchen auf dem Katheder. – In dem Kommerell'schen Haus bezw. dessen Vorgänger ging ein Geist, »der Kommerell« genannt. Dieser schaffte den Leuten im Haus ungesehen ihr Sach; wenn ein Wagen mit Korn abgeladen wurde, stand er unsichtbar droben und bot das Korn hinauf. Einmal aber neckte man ihn: »Kommerell, laß dich sehn!« Das tat er auch, indem er das Haus anzündete (50er Jahre). – Das Haus, in den städtischen Akten oft genannt, trug seinen Namen von Hans David Kommerell von Tübingen, hier zum Bürger angenommen am 4. Aug. 1639. Nachkommen von ihm sind noch im 18. Jahrh. hier.

Das wilde Heer lebt noch in andrer Bezeichnung fort. Wenn es recht stürmt im »Forst«, so heißt es etwa: »heute tut der Ulrich wieder«. Oft lärme Ulrich so, daß man sein eigen Wort nicht mehr höre. Am »Fürstenstand« sei Ulrich zu Pferd hinabgesprungen, als er einem Hirsch nachsetzte. Das Pferd zerschellte, aber der Hirsch entkam. – Früher sei der wilde Jäger allemal vom Forst über das Enztal in die Rossert hinüber und wieder zurück. Damals sei bei der Bernhälde noch ein Steg über den Fluß gegangen. Das Modesheer (geschlossenes o!) hörte man beim Hardtwald, auf dem Ingersheimer Feld, singen, dann habe man gesagt: »es wird ander Wetter«. (Bei dem jüngeren Geschlecht scheint der Ausdruck »Modes Heer« verklungen zu sein).

 

3. Das sittliche Leben. Nichts ist schwieriger, als irgend eine Zeit, die Gegenwart nicht ausgenommen, nach ihrem sittlichen Stande zu beurteilen. Handelt es sich um die alte Zeit, so werden wir unwillkürlich unsere jetzigen sittlichen Begriffe zum Maßstab nehmen. Eine nähere Ueberlegung belehrt uns bald, daß dieses Verfahren nicht ganz gerecht ist. Wir entschließen uns nun, die betreffende Zeit »mit ihrem eigenen Maß zu messen«.

Aber das ist nur eine liebenswürdige Selbsttäuschung. So oder so wird der uns geläufige Maßstab doch wieder zu einem Hintertürchen hereinkommen. Wir werden dieser Gefahr am sichersten entrinnen, wenn wir darauf verzichten, gegenüber der alten Zeit das Amt des Sittenrichters auszuüben.

Es ist freilich nicht ganz leicht, diesen Vorsatz mit Standhaftigkeit durchzuführen. Durchblättern wir die K.K.P. und die G.P., so sind wir stark versucht, auszurufen: »Wir Kinder des 20. Jahrh. sind doch bessere Leute!« Ehrenrührige Schimpfworte, Unmäßigkeit im Trinken, Ehezerwürfnisse, namentlich Mißhandlung der Frau durch den Mann scheinen etwas Alltägliches gewesen zu sein.

Ueberaus erbaulich beginnt gleich das erste Blatt des ältesten K.K.P. (1669 ff.). Adam Kantengießer führt ein epikurisch Leben, ist dem Wein ergeben, treibt sich nachts auf der Gassen herum wie ein lediger Gesell, hat bereits 200 fl. [vertan]. Als ihm sein Weib Essen in den Weinberg gebracht, fuhr er sie mit Ungestüm an, sie solle den T... heraustun (das Essen meinend), und zerschlug auf ihrem Rücken einen Pfahl in drei Stücke etc. Und sie hatte ihm doch so gute Knöpflen gemacht, mit reichlich Eiern und Schmalz!

Allein, was beweisen solche Fälle? Kommen derartige Dinge jetzt nicht mehr oder seltener vor? Das ist noch sehr die Frage. Nur werden heutzutage manche dgl. »Mißverständnisse« in der Stille beigelegt oder bleiben sie auf sich beruhen, während man früher nur ein paar Schritte zu gehen hatte, um eine widerfahrene Kränkung vor dem Stadtgericht oder vor dem K.K. klagbar anzubringen.

Unsitten, gegen welche mit besonderem Eifer angekämpft werden mußte, waren das Trinken, das Tanzen, das Spielen, das Schwören.

Ob früher mehr getrunken wurde als jetzt, bleibe unentschieden; jedenfalls wurde viel, sehr viel getrunken. Das zeigt schon die Tatsache, daß die Maßeinheit, nach welcher man beim Trinken rechnete, die Maß (= 4 Schoppen) war. Es scheint fast, daß man eine Maß trank, wie man heute seinen Schoppen trinkt. Wie zahlreich allein die Gelegenheiten waren, bei welchen von Obrigkeits wegen ein Trunk geboten wurde, davon konnten wir uns schon mehrfach überzeugen. Nicht umsonst also hielt sich die Stadt einen Stadtkeller mit vielen und großen Fässern darin. Uebrigens vertrat der Trunk sehr häufig die Stelle der Bezahlung, was aber die Sache nur um so bedenklicher macht.

Nach G.P. 1595 trinkt man sich zu, indem N. es dem N.N. »bringt«. Dieser »gesegnet es ihm«. Oder sagt der Zutrinkende, nachdem ihm der andere nicht hat Bescheid tun wollen, er »wölle ihm uff Hofrecht Bescheid tun« (d. h. etwa: ohne sich etwas Schlimmes zu denken, oder: ohne sich etwas zu vergeben). Ueber den Ausdruck »Hofrecht« wird dann disputiert. – »Trinkstubengeld« (Trinkgeld) erwähnt schon im J. 1444 der Pfarrer von Walheim.

Wenn einer zu lange sitzen blieb, so ließ er sich wohl beigehen, leichtfertige Lieder zu singen, als den »Pompernickel« und den »blauen Storckher« (1641). Oft genug ward auch die Nachtruhe des friedlichen Bürgers gestört, wenn z. B. (G.P. 1680) die jungen Burschen auf der Gasse »johlten und sich durch Tumultuiren, Thürenschlagen, Steinwerfen, mit Verwexlung der Sprachen, indem sie wie Katzen und Hunde geschrieen, sich gar grausam und tyrannisch gehalten«.

Die Scharwacht, einer vom Rat, zwei Bürger und der Stadtknecht, war angewiesen, auf solche »Nachtvögel« oder »Nachtschwärmer« ein besonderes Auge zu haben. Ihre Autorität war freilich nicht gar groß, obwohl sie mit bloßem Degen umging, da sie aus Furcht oder Schwäche oft durch die Finger und – mit ins Gläschen schaute.

Das fast ausschließliche Getränke bis tief ins 18. Jahrh. hinein ist der Wein. Bier fanden wir nur ein paarmal und spät erwähnt. Einmal (1658) richtete die Stadt an die Regierung das Gesuch, daß man dem Bürger das Bierbrauen gestatte wie anderen Orten der Nachbarschaft. Nach acht Fehlherbsten habe der gemeine Mann keine Maß Wein mehr im Keller und könne doch nicht bei Wasser und Brot arbeiten. Das Gesuch wurde aber abgewiesen, da Besigheim mitten im Weinland gelegen sei.

Das Tanzen war Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit der Sittenpolizei. Es wurde getanzt mit oder ohne Erlaubnis (im ersteren Fall gegen Zahlung einer Taxe) auf dem Kies, auf dem Marktplatz und im Wirtshaus, besonders an den Markttagen. An der Fastnacht hielt die Metzgerzunft einen Tanz ab, obwohl das durch Gener.Reskr. verboten war (1751). Zu den Hochzeitstänzen auf dem Rathaus drängten sich gern auch Unbefugte hinzu (1708), Männer, Weiber, Söhne, Töchter, Knechte, Mägde; sie tanzten schon am Vormittag, sogar vor und während dem Gottesdienst, und behelligten die Hochzeitsgäste. – Die Geistlichkeit war diesen Tanzvergnügungen nicht eben hold. Allein, meinte die Behörde, alles Tanzen niederzulegen stehe nicht in ihrer Macht. Doch solle an Markttagen die Scharwacht patrouillieren, bei Hochzeitstänzen sollen die Väter für Unordnungen haftbar sein (1785). Im J. 1798 wird berichtet: viele Hochzeiten finden am Sonntag statt. Aber um der Härte der Zeit willen wird auch an den auf einen Markttag fallenden Hochzeiten selten getanzt.

Das Spielen um Gewinns willen, mit Würfeln und Karten, war allem nach sehr beliebt, trotz der darauf gesetzten Strafe (»Spielainung«).

Auch auf das ruchlose » Schwören« (Fluchen) war eine Strafe gesetzt, 1 Pfd. hl. in den Armenkasten. Die Wirte hatten » Schwörbüchsen« aufzustellen, in welche die Schuldigen eine Geldstrafe zu zahlen hatten. Da aber diese Schwörbüchsen sich meist leer erfanden, so wurde für diesen Fall den Wirten eine (Straf-)Taxe auferlegt.

Die Lichtkärze (Nachtkärze, Vorsitze) wurden zwar nicht gern gesehen, doch mochte man sie auch nicht geradezu verbieten. Man ließ sie also bestehen, jedoch unter mehr oder weniger Einschränkungen.

Als im März 1755 ein fürstl. Reskr. anordnete, besondere Mißstände anzugeben, waren hier folgende Laster namhaft zu machen: 1) »Der Kleiderpracht, dadurch das Geld außer Landes gebracht und der Unterthan enervirt (entnervt, arm) wird, ist abscheulich gestiegen; wäre ihm Einhalt zu thun. 2) das Caffé-Trinken hat auch unter dem gemeinen und niederen Mann sehr eingerissen; wäre ihm niederzulegen.« 3) und 4) wird der Mißbrauch der Weihnachtsgeschenke (S. 220) sowie des Bettelns am Pfeffertag und des Reustensammelns bei Hochzeiten beklagt.

Die Sittlichkeit im engeren Sinn. Wir begnügen uns, das jeweilige Verhältnis der ehelichen zu den unehelichen Geburten (in Prozenten) nach dem T.B. anzugeben. Eine Statistik redet doch eine deutlichere Sprache als die hie und da laut werdenden Klagen, welche, weil zu allgemein gehalten, doch meist wenig besagen.

Die Zahl der unehelichen Geburten beträgt 1601-10: ⅓%, 1610-20: 0, 1621-30: 0, 1639-48: ⅓%, 1661-70: 2,89%, 1676-85: 1%, 1703-12: 0,39%, 1731-40: 2,82%, 1746-50: 2,37%, 1750-1800: 1,92 bzw. 2,5 bzw. 2,37 bzw. 1,6 bzw. 2,6%, 1801-30: 5,9 bzw. 7,3 bzw. 3,57%, 1841-1900: 6,80 bzw. 7,96 bzw. 10,23 bzw. 7,27 bzw. 3,82 bzw. 3,82%, 1901: 6,12%, 1902: 1,16%.

Die alten Protokolle zeigen, daß man vormals mit Schimpfworten eher noch freigebiger gewesen ist als in unserer Zeit. Dabei fällt uns auf, daß auch auf diesem Gebiet Geschmack und Mode mit den Zeiten sich wandeln. Die Mehrzahl der früher üblichen ehrenrührigen Bezeichnungen ist heute außer Gebrauch gekommen. Merkwürdig ist, daß solche, welche den Verstand des lieben Nächsten in Zweifel ziehen, früher so gut wie ganz fehlten.

Nach den K.K.P. beklagten sich einmal die ledigen Burschen, selbst die Soldaten, über die ledigen Mägdlein, welche allen und jeden Namen geben, ja sogar Pasquille (Schmähzettel) machen. Ein solches schändlich und gottlos »Zeddulen« wird dem K.K. vorgelegt. Besonders das »Regele« (Regina) hat wieder einmal Namen erdacht, aber auch andere haben Namen und Reime gemacht; eine soll allen Ledigen Namen gegeben haben. Man sprach einige der Mädchen (welche leugneten) ins Häuschen, damit sie sich besännen, wer die Hauptschuldigen seien.

Gegen die Kräftigkeit der Ausdrucksweise unserer Vorväter sticht seltsam ab die geschraubte und gespreizte Sprache, welche wenigstens in den Protokollen sich breit macht; ging doch die Zimpferlichkeit so weit, daß man von den natürlichsten und unschuldigsten Dingen der Welt nicht redete, ohne ein » c. v.«, » s. v. v.«, » c. rever.« u. dgl. (mit Verlaub, mit Respekt zu melden) einzuschieben, als z. B. »das c. v. erkaufte Schwein«, »ein c. v. Paar Strümpfe«, »das c. rever. Dungrecht«.

Den Abschluß dieses Kapitels möge eine Probe Besigheimer Volksdichtung – so ziemlich die einzige, die uns begegnete – bilden. Das Gedicht ist dem Gerichtsverwandten und späteren B.M. Joh. Jak. Doderer zu Ehren, vielmehr zu Hohn, gedichtet und gesungen worden. Die 4 ersten »Gesetz« (Verse) haben einen Melch. Helger zum Verfasser; bei den übrigen halfen einige andere junge Leute mit. Das Lied wurde zusamt einem Roggenschaub (Bund Roggenstroh) ins Halseisen auf dem Markt gesteckt. Als Grund ihrer malefizischen Untat gaben die Schuldigen an, daß Doderer »die Waisen mit den Teilgarben begehrte zu betrügen«. Nun also:

»Des Doderers Lied« (1648).

1. Höret zue ihr Liebe burste
was gibts für ein discurse
ich kann nicht unterlassen
ein Bundtnagel zu machen
denselben eim zu geben
damit er recht und eben
sein garben binden thuet.

2. Horcht weiter was ich euch sage
die garben thuet er jagen
wol in der scheuren sein
aus groß macht er klein
aus zweien macht er vier
obß ihn schon thuet verdrießen
muß Ich doch lachen sein.

3. Daß er ein schuester ist
gehet um mit diesem list
treibt solche lose bosten (Possen)
garben binden soll er lassen
flickh darfür die schueh
so bleibt er fein mit rhue (Ruh).

4. Der Rockh (Roggen) will nur nit still sein
er kommt in brangel (Pranger) hinein
das werdet ihr nun sehen
was alda ist geschehen
bey dem halßeisen dort.

5. Der Müller fuehr ahm Morgen
mit seinem Esel ohne Sorgen
über den Marckht hinein
bald sahe das Eselein
den Schaub dorther ahn dem Brangel
bald war er hingegangen
sein fruestuck sucht er dort.

6. Die Hüener auch thäten sehen
sie lieffen daher mit frewden
gackh, gackh ihr Morgengesang
das es wol uff dem Marckht erclang
bald fingen sie an zu zöhren
niemandt kondts ihnen wehren
ihr Speiß zu suechen da.

.

 << zurück weiter >>