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4. Kapitel.

Das Geschwisterpaar wanderte auf den Bahnhof die Gäste zu empfangen, während Auguste zu Hause ihnen den Willkomm entbieten sollte.

Nein, war diese Frau Westerfeldt reizend! Und so jung sah sie aus, es war reineweg gar nicht zu glauben, daß die schon so große Kinder hatte. Und die Buben liebe, herzige Kerle. Sie hatte sofort der alten Dämchen ganzes Herz gewonnen.

Thiddi war noch ganz der alte, ihr liebes Hätschelkind. Gott ja, wie sollte er sich denn auch so urplötzlich ändern; waren es doch erst gut vierzehn Tage her, seit er fort gegangen war.

Vierzehn Tage, es schien unglaublich. So endlos lang war ihnen allen dreien die Zeit geworden. Aber nun gab es Leben. Fröhliches, jugendliches Leben durchschallte das stille Haus. Die Jungen hatten endlos sich zu freuen. Es gab gar mancherlei des Neuen. Da war die Marine, der Kriegshafen, Torpedoboote, und was des Sehens noch sonst wert war.

Von Thiddi hatten die Verwandten wenig. Nur das Bewußtsein, daß er bei ihnen war. Denn selbst wenn die herrlichen Pfingsttouren zu Wasser und zu Lande in die Umgegend gemacht wurden, war Thiddi nicht viel bei den Seinen. Er hatte es wichtig, seinen jungen Freunden alles zu zeigen.

Um so mehr hatten sie von der reizenden Mutter dieser großen Jungen. Die hüllte sie förmlich ein mit all ihrer Anmut, Grazie und liebenswürdigen Heiterkeit. Es wäre unrecht gewesen, von einem Zwang zu sprechen, wo diese liebenswürdige Frau weilte.

Rauchen? Ach Gott, alles konnte der Hausherr machen, sie verschmähte ja selber eine Zigarette nicht. Und wie ihr das stand!

Zuerst hatten Malve und Auguste ja große Augen gemacht, als Frau Westerfeldt – o Gott – rauchte!

»Aber nein, Guschi,« stellte Malve fest, »es sieht wirklich gar nicht unweiblich aus bei dieser allerliebsten Person. Alles kleidet ihr. Zierlich, niedlich, reizend wie sie ist.«

Auguste war ganz derselben Meinung. Eines schickt sich eben nicht für alle. Theodor Lamprecht kam aus dem Entzücken gar nicht heraus. Er war ganz weg.

Daß es so etwas überhaupt gab? Dieses Tändelnde, Leichte, Liebenswürdige.

Herrgott, der alte Junggeselle fuhr sich mit der fetten Patsche über die Glatze. Heiß wurde ihm. Hatte der Hermann Westerfeldt ein Glück gehabt – nee. Das fesche Weibchen war einfach zum Verrücktwerden. Ja, so eine Frau, die ließ sich Theodor Lamprecht schon gefallen. Da lag Charme drin.

Er kriegte seinen Thiddi mal einen Augenblick beiseite.

»Du, verguck dich nur nicht in die Mama.«

Der Alte wurde ordentlich fidel, stieß seinem Jungen so ein bißchen in die Rippen

»Aber Onkel,« lachte der große Junge und drohte seinerseits seinem Alten mit dem Finger, daß dieser, weiß Gott, ein wenig im Gesichte anlief.

Ja, vor sich selbst wollte er kein Verstecken spielen; er war, gewiß und wahrhaftig, regelrecht verliebt.

»Na, aber solch eine Mutter, Kinder, Kinder, wie muß da erst die Tochter sein!«

Darüber belehrte ihn Thiddi gar bald.

»Die Tochter? Krieg nicht dein blaues Wunder, Onkel. Das ist eine ganz Feine, aber eine von der hochnasigen Sorte. Die nimmt mich nicht und ich sie auch nicht.«

Gleichviel, was lag denn daran? Es machte momentan wenig Eindruck auf den Onkel. Er sonnte sich in Frau Mercedes' holder Gegenwart Und als die Pfingsttage nur allzu schnell ihr Ende erreicht hatten, da blieb in Theodor Lamprechts Junggesellenherz eine große Leere zurück.

Mein Gott, was wollte er? Er, der eingefleischte Junggeselle, ein Mann von zweiundsechzig Jahren, war doch am Ende nicht wie ein Primaner verliebt? Die Zeiten der Schwärmereien waren doch für ihn längst vorüber.

Theodor Lamprecht stellte sich im Salon vor den großen Trumeaux. Hier konnte der den ganzen Eindruck seiner Persönlichkeit erforschen.

Noch niemals hatte er sich so eingehend mit seiner Person befaßt, noch niemals mit so kritischen Augen sein Aeußeres gemustert.

Aber du lieber Gott, aussetzen konnte man am Ende doch auch nicht viel an ihm. Er war im Grunde ein ganz stattlicher Kerl noch mit seinen zweiundsechzig Jahren. Er mußte, zum Henker, noch Eindruck auf die Weiber machen können. Hatte er am Ende auch gemacht. Wie oft vielleicht schon, was ihm ja nimmer zum Bewußtsein gekommen. War ihm im Grunde auch höchst schnubbe gewesen.

Bei Frau Mercedes jedoch sollte es ihn freuen. Das war eine Frau so recht nach seinem Justo. Na, und schließlich jung konnte sie auch nicht mehr sein mit der erwachsenen, heiratsfähigen Tochter.

Er zog vor dem Spiegel seine Weste gerade, ordnete seinen Schlips, obgleich alles seinen vollen Schick hatte.

»Theodor, was machst du denn da vor dem Spiegel?« scholl da plötzlich die Stimme seiner Schwester hinter ihm.

Er fuhr wie ein auf frischer Tat ertappter Sünder herum. Höchst verlegen. Und empfand heute zum erstenmal die Stimme seiner Schwester scharf und unmelodisch, ihr Lachen gewöhnlich. Noch klang in seinen Ohren das girrende Trillern der reizendsten aller Frauen.

Er hauchte seine Schwester zum ersten Male recht deutlich an. Dann tat es ihm doch wieder leid und er sagte gleichsam wie zur Entschuldigung: »Na, endlich hat man mal seine Ruhe wieder.«

Er ging erhobenen Hauptes nach seinem Zimmer, wo er ungestört seinen Gedanken nachhängen konnte.

Das tat er denn, aber zur Ruhe konnte er das rebellische Herz ja gar nicht wieder kriegen.

Er seufzte ein paarmal, schalt sich einen Toren, einen verliebten Narren, und seufzte wieder, denn das gehört nun einmal zu einem regelrechten Verliebtsein.

»Und warum eigentlich nicht?« rief er plötzlich ganz laut in die Stille seines Zimmers hinein. Ganz unmotiviert, wie's den Anschein hatte, und doch war es die Folge einer langen Gedankenreihe.

Eigentlich war das Leben ihm viel, recht viel schuldig geblieben. Keiner würde auch in einer Verbindung mit Mercedes Westerfeldt etwas sehen. An Alter paßten sie, sie war wohlhabend, er hatte auch einen ganz ansehnlichen Batzen mit in die Ehe zu bringen, solche Partie wie er, sollte immer gesucht werden.

Als sie damals vor vielen Jahren erbten, die Geschichte kam ja ganz unverhofft, erhielt er zwei Drittel und seine Schwester eins. Sein Part betrug auf den Kopf fünfhunderttausend Mark. Da war es also kein Wunder, daß er den Beamtenrock auszog und sich mit seiner Pension und seinem Vermögen zur Ruhe setzte. Im Laufe der Jahre und bei der soliden Lebensweise hatte sich das Vermögen dann vergrößert – also kurz und gut, man mochte sagen, was man wollte, er verlangte sein Recht. Konnte es verlangen.

Als nach ein paar Tagen ein ungemein schmeichelhafter Brief an ihn von Frau Mercedes kam, war es bei ihm beschlossen: Er wollte reisen. Vorläufig nur bis Hamburg. Und wenn er dort hocken blieb, wen ging's was an?

»Guschi, Guschi, was ist nur in unseren Theodor gefahren?« klagte Malve. »Er ist ja geradezu unausstehlich. Mäkelt, wo er früher so zufrieden war, meidet unsere Gesellschaft; war doch sonst nicht für die Einsamkeit.«

»Ja,« entgegnete Auguste, »sieh, das ist mir auch aufgefallen. Seit dem Besuch ist er so verändert. Der war auch ein bißchen lärmend und anstrengend, so etwas ist nichts mehr für ihn. Er muß eben sein gemütliches Leben weiter leben. Nun ist er so etwas aus dem Gleichgewicht gekommen. Wird sich schon geben.«

Das hoffte auch Malve. Dennoch blieb ihr das zerrüttete Wesen des Bruders ein Grund zur Besorgnis.

* * *

Frau Mercedes konnte natürlich nicht ahnen, welch einen Sturm sie in dem Herzen Theodor Lamprechts entfacht hatte. Sie war sich bewußt, ihre Huld über alle gleichmäßig verteilt zu haben, so daß sie annehmen durfte, ihr Besuch sei bei den Lamprechts nicht als Störung, vielmehr als ein heiteres Zwischenspiel in der Monotonie ihres Lebens empfunden worden. Sie war von den Damen aufs herzlichste zum Wiederkommen aufgefordert worden, und auch sie hatte ihrerseits die Hoffnung ausgesprochen, die lieben Lamprechts, sowie Fräulein Auguste bald bei sich zu sehen.

Als sie nun wieder in ihrem eleganten Heim, alle die kleinen und großen Bequemlichkeiten genießend, die ihr in dem fremden Hause gefehlt hatten, über ihre Reise und deren Zweck nachdachte, war ihr Theodor Lamprecht in seiner Pedanterie, steifen Junggesellenhaftigkeit und unschönen Figur die unliebsamste Rückerinnerung. Sie liebte das Schneidige, Weltgewandte, auch ein wenig Blasiertheit und Uebersättigung an einem Manne. Wenn ihr Schwager ihr seine Hand angeboten, sie hätte nicht nein gesagt.

Wahre, selbstlose Liebe hatte sie bisher nicht gekannt, ein so tiefes Gefühl lag nicht in ihrer spielerischen, leichten Natur. Sie nahm das Leben heiter, liebte Zerstreuungen und vor allem konnte sie nicht ohne Bewunderung existieren. Die ward ihr in reichlichem Maße zuteil. Auch ihr Schwager bewunderte sie. Er liebte ihre leichte, tändelnde Art, ihren lachenden Frohsinn, ihr elegantes, sicheres Auftreten. Er war ein großer Frauenkenner und -verehrer.

Und trotzdem sie wußte, daß er vielen Frauen huldigte, und Ihr vielleicht nicht ganz die eheliche Treue gehalten hätte, würde eine Ehe zwischen ihnen dennoch harmonisch genannt zu werden verdient haben. Aber Lamprecht!

Ein gelindes Gruseln überlief den Körper der schönen Frau. Da steckte Hans Westerfeldt seinen Kopf in ihr lauschiges Boudoir.

»Darf ich, Mercedes?«

»Aber gewiß, Hans.«

Er trat hastig näher, nahm einen der kleinen Stühle und setzte sich zu der lieblichen Bewohnerin dieses kostbaren Schmollwinkels, welche graziös auf einer Ottomane liegend, zierlich die Zigarette handhabte.

»Nun, wie war's?« fragte er ungeduldig.

Mercedes stieß ein kleines, girrendes Lachen aus.

»Sehr nette Leutchen, Hans.«

»Ist damit alles gesagt?«

»So ziemlich.«

»Und Theodor Lamprecht?«

»Shocking.«

Hans Westerfeldts kundiges Auge überflog die süße Gestalt auf dem Ruhebett, der die Jahre nichts hatten anhaben können. So war sie gewesen, als sein Bruder sie vor einundzwanzig Jahren heimführte.

Glühend tauchte sein Blick in ihre lachenden Augen. Wenn er könnte, wie er möchte …

Dann sagte er streng: »Was heißt shocking? Er ist ein Ehrenmann und vor allem, Mercedes, er ist ein reicher Mann. Wir brauchen Geld.«

Sie richtete sich auf, legte die Zigarette fort und fragte dringlich: »Hans, muß es wirklich sein?«

»Ja, Mercedes.«

»So sei es, wenn er will.«

Ja, wenn er wollte. Alles lag noch so unendlich unklar vor Hans Westerfeldt. Den Jungen wenigstens hätte man so ziemlich in der Gewalt gehabt. Und er zweifelte keinen Augenblick an einen Erfolg nach dieser Seite hin, wenn Editha gewollt hätte. Sie konnte bei all ihrem Ernste und der Schwerfälligkeit ihres Charakters dennoch sehr anziehend wirken, obgleich sie natürlich niemals mit ihrer Mutter zu vergleichen war. Die gewann alle Herzen im Fluge, und wenn sie es ernstlich darauf anlegte, war sie wohl imstande, ein Männerherz rebellisch zu machen.

Immerhin, zwischen Verliebtheit und ernstlichen Absichten besteht ein großer Unterschied. Kein Wunder, wenn Hans Westerfeldts Sorgenfalte wieder recht deutlich auf seiner Stirn hervortrat.

»Fallissement«, das ist ein schweres Wort. Und wo er ging und stand hörte er dieses ominöse Wort in seinen Ohren. Er war nervös bis in die Fingerspitzen und mußte doch äußerliche Ruhe bewahren. Denn nur eine große Ruhe konnte die Täuschung über das Unsichere seiner Lage vollständig machen.

Hans Westerfeldt und seine Schwägerin überlegten die ferneren Schritte, die zu tun ihnen blieben, um eine Sache, die so ganz und gar noch in der Schwebe lag, wohl eigentlich, wie man annehmen durfte, nur in ihren Köpfen spukte, zum weiteren Gedeihen zu bringen. Der erfahrene Geschäftsmann war dafür, das Eisen zu schmieden, solange es warm war.

»Du darfst bei den Lamprechts nicht in Vergessenheit geraten,« sprach er dringlich. »Das ist vorläufig alles, was wir tun können. Und daher schlage ich vor, die Leutchen zu uns einzuladen, man muß sich schließlich doch revanchieren.«

»Heut' oder morgen geht das nicht,« gab Mercedes zu bedenken. »Es würde aufdringlich aussehen«

»Ich finde das nicht,« widersprach der Bankier, den es brannte, sich Gewißheit zu verschaffen, wie die Dinge nach dieser Seite hin stünden. »Aber laß uns ruhig acht bis vierzehn Tage warten. Ueberstürzung tut niemals gut.«

Trotz dieses Ausspruches lebte doch eine starke Ungeduld in Hans Westerfeldt. Und aus dieser Ungeduld heraus veranlaßte er seine Schwägerin schon nach acht Tagen, die Einladung an Lamprechts abgehen zu lassen. Er selber fügte eine dringliche Bitte um Gewährung hinzu.

Diese Einladung kam Theodor Lamprecht nicht ganz gelegen. Wohl freute er sich über dieselbe, doch nur, was seine Person anbelangte. Seine Damen würden ihn genieren, da er es wohl fühlte, daß er von ihnen mit Argusaugen überwacht wurde. Nein, sie durften nicht mit nach Hamburg, das stand bei ihm fest, und so ersann er allerlei Ausflüchte, sie daheim zu halten.

»Seht mal, Kinder, diese Last können wir den Leuten nicht so einfach aufladen. Drei Mann hoch. Sie tun's doch bloß Thiddis wegen; an uns kann den Leuten ja nicht 'n Pfifferling gelegen sein. Ganz vor den Kopf stoßen kann man sie aber nicht durch eine Absage, so ist's schon besser, ich fahre allein. Möchte doch auch sehen, wie der Thiddi dort installiert ist, und mit eigenen Augen mich überzeugen, wie er sich einlebt.«

Malve merkte wohl die Absicht des Bruders und es stimmte sie traurig. Sie waren doch mal alle in dem liebenswürdigen Briefe eingeladen worden, und weshalb sollte die Last in dem herrschaftlichen Hause größer werden, wo Bedienung in Hülle und Fülle vorhanden, mehr als bei ihnen, die sich ja doch nur mit einem Mädchen behalfen und auch nicht über so viel Räumlichkeiten verfügten.

»Er will uns nicht mithaben, Guschi,« klagte Malve in vorwurfsvollem Ton. »Wie ist er doch verändert.«

»Soll er allein reisen,« entschied Auguste. »Der besinnt sich schon wieder auf sich selbst. Hat es ja nirgends so gut wie daheim.«

So reiste Theodor Lamprecht mit vollen Segeln ab.


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