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5. Kapitel.

Er blieb lange fort. Wie es sich herausstellte, war er mit den Westerfeldts nach Nauheim gegangen, woselbst der Bankier alljährlich eine Kur durchmachte.

Sie selber erfuhren ja nur geringe Details, eigentlich nur die Tatsachen in groben Umrissen. Es kamen nur Ansichtskarten mit freundlichen Grüßen von Theodor, von den Westerfeldts unterschrieben. Das war alles. Und Thiddi. der in Hamburg geblieben war, hüllte sich ganz in Schweigen.

»Was soll ich Euch berichten?« hatte er einmal auf einer Postkarte, auf eine besonders dringliche Mahnung, an seine Tanten geschrieben. »Mein Leben fließt gleichmäßig dahin. Zahlen, Zahlen und nochmals Zahlen; sie spuken mir nachts in den Träumen wie lauter kleine schwarze Teufel vor den Augen. Und im übrigen weiß ich ja auch nichts.«

Und so war es.

Thiddi fand absolut nichts Außergewöhnliches darin, daß der Onkel sich den Westerfeldts angeschlossen und konnte die Aufregung der Tanten nicht begreifen.

Man konnte es freilich den beiden Damen nicht verdenken, daß das Benehmen ihres sonst so treuen Hausgenossen sie im höchsten Grade erregte. Angenehm war es nicht, sich so einfach beiseite geschoben zu sehen. Sie hatten doch immer gemeinsam eine Sommerreise gemacht, diese würde nun jedenfalls dieses Jahr wegfallen. Und was sie vollends gar nicht begriffen, war der Umstand, daß es scheinbar dem Bruder und Vetter besser bei den Westerfeldts behagte, als bei ihnen, die so zärtlich und ängstlich stets um sein Wohlbehagen bemüht gewesen.

»Undank ist der Welt Lohn,« sagte Auguste mit einer leichten Verachtung in der Stimme.

* * *

Nach vier Wochen kehrten die Westerfeldts zurück.

Ganz plötzlich geschah es; der Bankier hatte ein wichtiges Telegramm erhalten, welches ihn an seinen Platz zurückrief.

Thiddi war wirklich froh, seinen Onkel wieder zu sehen. Immer, wenn er einige Zeit von seinen Lieben getrennt gewesen, merkte er erst so recht, wie lieb sie ihm waren, und wie sehr er mit ihnen verwachsen sei.

Onkel Theodor sah famos aus.

»Ordentlich jung bist du in Nauheim geworden,« konstatierte Thiddi.

»Na, das soll wohl sein,« lachte Theodor Lamprecht etwas verlegen.

Dabei flog sein Blick zu der schönen Hausfrau hinüber, der Thiddi deutlich zeigte, daß sein lieber Alter bis über beide Ohren verliebt war. Das konnte er begreifen. Auch ihn entzückte das liebenswürdige Wesen der Hausfrau immer von neuem. Im steten Umgang mit dieser wirklich entzückenden Frau, die so frisch und jung an Körper und Geist war, konnte auch ein Junger Feuer fangen.

Bei Herrn Westerfeldt schien die Kur in Nauheim nicht so gut angeschlagen zu haben, als bei dem Onkel. Es wollte Thiddi bedünken, als trete der strenge Zug seines Gesichtes stärker hervor als früher. Er imponierte mit dieser strengen, kalten, zugeknöpften Haltung gewaltig so daß Thiddi vor dem Manne einen großen Respekt hatte.

Nach dem Abendessen tippte der Chef Thiddi herablassend auf die Schulter.

»Theodor,« – Herr Westerfeldt verschmähte den läppischen Kosenamen Thiddi – »kommen Sie mal ein bißchen mit hinüber auf mein Zimmer. Ihr Onkel und ich haben mit Ihnen zu reden.«

Ueber Frau Mercedes' Gesicht huschte eine ganz feine Röte. Theodor Lamprecht zog seine Weste herunter, wie er bei großer Erregung zu tun pflegte, und dann schritten die Drei in das luxuriös ausgestattete Herrenzimmer hinüber.

Sie setzten sich.

Es lag etwas Schwüles in der Luft, trotz des verhältnismäßig kühlen Julitages.

»Theodor,« begann der Bankier, »wir wollten Ihnen die Mitteilung machen, daß Ihr Onkel sich mit meiner Schwägerin verlobt hat.«

Man konnte nicht sagen, daß Thiddi bei dieser Mitteilung besonders geistreich dreinschaute. Da eine kleine Pause entstand, die für Thiddi etwas sehr Peinliches hatte, so daß er glaubte, man erwarte von ihm eine Aeußerung, so machte er seinem Onkel eine etwas stupide Verbeugung.

»Ich gratuliere,« stieß er wie aus der Pistole geschossen heraus.

»Danke, danke, mein Junge,« sagte Theodor Lamprecht und reichte seinem Neffen die Hand, sie kräftig und anhaltend schüttelnd.

Der Bankier schien auf eine längere Aussprache zwischen Onkel und Neffen gefaßt zu sein, er hatte sich seinem Schreibtische zugewandt, sich mit einigen Gegenständen befassend. Aber sei es nun, daß seine Gegenwart die beiden genierte, sei es, daß sie sich nichts zu sagen hatten, sie schwiegen.

Und da sagte Herr Westerfeldt, sich wieder umwendend, etwas steif: »Sie erlauben, daß ich Sie, als ein künftiges Mitglied unserer Familie, du nenne. Und ich bitte Sie, in mir zu gleicher Zeit einen zweiten Onkel zu sehen.«

Wären diese Worte von Herzen gekommen, hätten sie vielleicht den Weg zum Herzen gefunden, doch sie wurden nur gesprochen, so, als handle es sich um einen rein geschäftlichen Hergang. Thiddis weiches Gemüt wurde geradezu abgestoßen von den Worten, die so gänzlich jeder Wärme entbehrten. Gerade bei diesem so tief in sein und seines Onkels Leben einschneidenden Ereignis wäre ein liebes Wort wohl am Platze gewesen.

Dem verhätschelten Liebling stieg es würgend in den Hals; er hatte das Gefühl, als müsse er sich trennend zwischen diesen gletscherhaft kalten Mann und seinen warmblütigen, geliebten Alten stellen und rufen: »Onkel, tu's nicht. Laß es sein, wie es vordem gewesen. Bleibe doch bei uns.«

Ja, das hätte er wohl rufen mögen, doch kam kein Laut über seine trockenen Lippen.

Er hatte seinen Onkel verloren! Das umfaßte sein Verstand mit präziser Klarheit. Die große Erbschaft, die ihm verlustig ging, streiften seine Gedanken mit keinem Flügelschlag. Und doch war er in dem Glauben groß gezogen, dereinst der Erbe fast einer Million zu sein. Dieser Glaube hatte ja auch sein ganzes bisheriges Leben beeinflußt.

In seine große Depression hinein hörte er das schneidende Organ des gewichtigen Chefs von neuem tönen.

»Wir kommen nun auf einen besonderen Umstand, Theodor. Du bist ein völlig erwachsener Mensch, geistig und körperlich gesund. Wie hast du dir nun dein künftiges Leben gedacht? Nach allem, was ich im Büro erfahre, hast du keine große Sympathie für den Bürodienst. Etwas muß der Mensch ja leisten. Möchtest du eine deiner Studien vollenden?«

»Nein,« sagte Thiddi schroff.

»In meinem Büro würdest du vorziehen, zu bleiben? Das heißt, als ein ernster Arbeiter?«

»Nein,« sagte Thiddi abermals kurz.

»Was also dann?«

In Thiddi bäumte sich ein Gefühl auf, wie er es bisher niemals empfunden. Das Gefühl einer tiefen Demütigung. So tief und nachhaltend war dieses Gefühl, daß es ihn zu Ungerechtigkeiten fortriß, ja, daß es einen unbändigen Stolz in ihm auswechselte. Stolz auf seine Jugend, auf seine Kraft.

»Bitte,« lehnte er kühl ab, »macht euch meinetwegen keine Gedanken. Ich kann diesen Augenblick natürlich über eine solche Lebensfrage mich nicht äußern, ich werde mir die Sache überlegen. Morgen werde ich Ihnen darüber Bescheid sagen, Herr Westerfeldt.«

Er hätte um alles in der Welt den Mann dort mit den kalten Augen und dem ironischen Zug um den Mund nicht mit dem vertraulichen du anreden können.

Sympathisch war Hans Westerfeldt ihm niemals gewesen, in diesem Augenblick aber haßte er ihn. Haßte ihn so tief und stark, daß es ihm eine große Ueberwindung kostete, ruhig und höflich weitere Auseinandersetzungen entgegenzunehmen.

»Ja, besinne dich, mein lieber Junge,« glaubte auch Theodor Lamprecht sagen zu müssen. »Es stehen dir immer einige Tausende zur Verfügung. Du kannst nur wählen.«

»Danke, Onkel.« Thiddi erhob sich. »Ich werde, wie gesagt, über den Fall nachdenken.«

»Dann auf Wiedersehen, morgen,« sagte der Bankier, um dem jungen Manne zu zeigen, daß er ihn für den Abend entlassen, ihm Zeit gäbe, sich zu sammeln.

Der Sammlung bedurfte Thiddi auch in der Tat. Sein ganzes Innere war in einem Aufruhr, der vorerst einen klaren Gedanken ausschloß. Er mußte hinaus, ins Freie, irgendwohin, gleichviel wo. Nur nicht diesen kalten Mann mit dem von Hohn triefenden Munde sehen, nicht den schillernden Falter, der seinem guten, alten Onkel den Sinn verwirrte. Nein, er konnte sie nicht sehen, wollte nicht.

Er warf seinen Mantel über die Schulter, riß seinen Hut an sich und stürmte fort. Ihm war es gleichgültig, wohin.

Ein feiner Regen sprühte hernieder, der Wind kühlte ihm angenehm die erhitzte Stirn. Den Hut in der Hand, raste er dahin, immer weiter.

Da befand er sich plötzlich dem Hauptbahnhof gegenüber. Er blieb stehen, sah Züge einlaufen, mit Pusten abfahren, Pfiffe ertönten.

Ach, da kam eine heiße Sehnsucht nach seinen Tanten daheim über ihn, daß ihm fast die Augen überliefen.

Ohne sich weiter zu besinnen, eilte er an den Schulter für Fernzüge nach dem Norden.

»Wann geht ein Zug nach Kiel?«

Es ging einer um neun Uhr. Jetzt war es längst acht vorüber.

Also gut.

Er löste sich eine Fahrkarte.

Er wollte zu seinen Tanten.

Allmählich löste sich in ihm, durch den Schmerz hindurch, ein Gefühl der Freiheit aus. Ja, und wenn er weiter nichts war, so war er frei. Losgelöst fühlte er sich von allem, was ihn bisher gehalten. Frei war er. Frei wollte er bleiben. Er lehnte jede Bevormundung von seiten dieser ihm völlig fremden Menschen ab. Er wollte sich seinen Weg allein bahnen, brauchte nicht die Hilfe, die jener hochmütige Mensch ihm von dem Gelde seines Onkels angedeihen lassen wollte.

Onkel Theodor ahnte sicher nicht den Aufruhr seines Innern. Dessen Gedanken wurden nach anderer Richtung so angenehm beschäftigt, daß jedes Erinnern an Vergangenes eingelullt wurde. Aber er wollte den Onkel vor seiner Reise zu den Tanten Kenntnis zukommen lassen, es sollte nicht wie Flucht aussehen. So setzte er sich telephonisch mit der Villa an der Alster in Verbindung.

»Hier Thiddi. Bist du da, Onkel?« – »Jawohl, mein Junge. Wo steckst du denn?« – »Ich rutsche mal eben zu den Tanten hinüber.« – »Nach Kiel?« –– »Ja, nach Kiel. Na, die werden Augen machen. Oder wissen Sie schon?« – »Nee, Thiddi. Ich wollte es ihnen persönlich mitteilen.« – »Also noch nicht. Soll ich grüßen?« – »Ja, grüße sie herzlich. Und du, mein Junge, ich wollte, ich hätte dich hier.« – »Ach, Onkelchen, mache dir doch keine Gedanken meinetwegen. Sei nur froh und vergnügt. Ich mache es dir hoffentlich auch mal nach.« – »Ich hätte dich noch gern mal gesprochen« – »Was? Hättest mich gern noch gesprochen? Ich bin ja morgen wieder da, Onkel. Also auf Wiedersehen. Schluß.«

Thiddi fuhr sich, nachdem er den Schalltrichter an seinen Platz gehängt, ganz heimlich und verstohlen mit der Rechten über die Augen. Es hatte sich da so ein verräterisches Naß gezeigt. Es wollte sich kaum zurückdrängen lassen.

Ach, Thiddi hatte seinen Onkel ja verloren, und er fühlte mit schmerzhaftem Bewußtsein, wie sehr er ihn geliebt hatte.

Aber er mußte einsteigen.

Unterwegs hatte er Zeit, seine Gedanken zu sammeln. Zur Ruhe würde er ja noch lange nicht kommen, aber der Wunsch wurde in ihm rege, eine möglichst weite Strecke zwischen sich und alle die zu legen, die seinem Herzen so nahe gestanden. Er wollte auf eigenen Füßen stehen. Selbst über sich bestimmen; nicht das mitleidsvolle Gespräch der über jeden Fehler erhabenen Sippe der Westerfeldts sein. Sie sollten nicht wissen, was er treibe, nicht wissen, ob er litt oder froh war, sollten keinen Anteil an seinem künftigen Leben haben.

Sein Entschluß war gefaßt.

Ein harter, verkniffener Zug verscheuchte die weichen Linien um den Mund, der so herzlich zu lachen verstanden.

Und eine tiefe Falte grub sich in die weiße Stirn, die blank und glatt gewesen.

* * *

Es läutete Sturm in der Lamprechtschen Wohnung, da die Haustür unten ja längst von dem Wirt geschlossen worden war.

»Guschi, hörst du?« kam es verschlafen aus Tante Malves Bett heraus.

Ihre Zimmer lagen nebeneinander, nachts blieb die Zwischentür offen.

Auguste hatte einen festen, gesunden Schlaf, aber solch ein Radau, der kann selbst Tote aufwecken.

»Theodor ist da,« rief Auguste und war mit einem Satze aus dem Bette. Sie meinte natürlich ihren Vetter.

Malve aber zeterte in heißer Angst: »O Gott, Guschi, am Ende ist etwas passiert? Was soll Theodor hier in der Nacht? Hätte ja bei Tage kommen können.«

Auguste versah sich nur mit den notdürftigsten Kleidungsstücken. Da schlurfte es aus der Mädchenkammer heran.

»Fräulein, es hat ja geklingelt.«

Auguste war schon im Wohnzimmer, öffnete das Fenster und schaute vorsichtshalber erst mal hinunter.

Dem Hause gerade gegenüber befand sich eine Laterne, die ihren hellen Schein herüber warf.

Himmel, kriegte Guste einen Schreck! Da stand ja Thiddi.

»Thiddi,« rief sie hinunter, »ist Onkel was passiert?«

»Wie man's nimmt,« lautete die orakelhafte Antwort. »Gesund und munter ist er ja und läßt vielmals grüßen.«

»Ich werfe den Hausschlüssel hinunter, Thiddi.«

Auguste eilte auf den Korridor zurück.

»Guschi,« klagte Malve zitternd vor Angst, »was ist denn da? Ein Telegramm?«

»Nein, nein, beruhige dich nur, alles ist wohl. Thiddi hat sich bloß den Spaß gemacht, uns zu erschrecken.«

Damit verschwand sie auch schon in dem Zimmer.

Also Thiddi war da! Passiert war da was, das war so sicher, als zwei mal zwei vier ist.

Malve sprang aus dem Bett heraus, schlüpfte schnell in den weiten Morgenrock und zog die weichen Pantoffel über die Füße. So, sie war fertig.

Sie kam gerade zurecht, als Thiddi die Treppe hinauf stürzte und von Auguste an der Korridortür empfangen wurde.

»Tag, Tante Guschi.«

Er war so froh bewegt, als er in der Beleuchtung des elektrischen Lichtes in das energische Gesicht seiner Tante blickte.

Malve sagte mit zitternder Stimme: »Mein alter Junge, sag' es nur gleich. Es ist mit Onkel was passiert?«

»Ja,« sagte Thiddi. nachdem er auch die zweite Tante umarmt und geküßt hatte, »passiert ist schon was. Aber es ist etwas Freudiges, ein sehr freudiges Ereignis.«

Wie hart die Stimme klang, so ohne jegliches Mitgefühl. Beide Tanten merkten sehr wohl, es war etwas da, das einer genauen Aussprache bedurfte. Aber beide kamen dem wahren Tatbestand nicht auf die Spur.

»Ach, wie bin ich froh, bei euch zu sein. Ich hätt' es keine Nacht in Hamburg mehr ausgehalten. Und damit ihr sofort unterrichtet seid: Onkel Theodor hat sich verlobt.«

»Wer – was, Thiddi?«

»Verlobt,« sagte der Neffe noch einmal.

»Kind, du redest irre,« klagte Malve. »Mit wem denn?«

»Mit der reizenden Frau Mercedes Westerfeldt.«

So, jetzt war es heraus. Es warf die beiden Frauen schier darnieder. Abtrünnig war er geworden. Der Eindruck, den diese Nachricht hervorrief, war so nachhaltig, daß sie ganz vergaßen, ihrem Liebling, der von dieser Begebenheit am meisten betroffen wurde, eine Erfrischung anzubieten.

»Habt ihr nicht etwas Trinkbares?« fragte Thiddi.

»Mir klebt die Zunge am Gaumen.«

Auguste wollte noch ein Abendbrot machen, doch Thiddi lehnte ab.

Trinken, trinken wollte er. Bier war da. Und er trank so hastig, als gelte es, jede Erinnerung der letzten Stunden hinabzuspülen. – –

 

Der Himmel rötete sich schon im Osten, als Auguste in die Küche wankte, um für eine Tasse Kaffee zu sorgen. Malve zerfloß in Tränen. An Schlaf dachten die beiden Frauen nicht. Thiddi hatte sich soeben in sein Zimmer zurückgezogen. Allein, wie konnten sie schlafen! Nicht nur, daß der Bruder und Vetter auf seine alten Tage einen so dummen Streich machte – ach, nicht das allein quälte sie – ihr Herzblatt, ihre Wonne wollte nach Amerika!

Allein wollte er dahin. Was wollte er da?

Thiddi wußte es vorläufig selber nicht. Nur fort wollte er, so bald wie möglich.

Nach ein paar Stunden erquickenden Schlaf erwachte er.

»Wann geht ein Zug?« fragte er beim Morgenkaffee.

»Du willst schon wieder fort?« riefen beide Damen wie aus einem Munde.

»Aber sicher, Tante. Muß den Kram in Hamburg ja noch feststellen. Onkel wird denn auch wohl wieder einrücken bis zu seiner Hochzeit. Die wird nicht lange auf sich warten lassen. Ich will sie nicht mehr erleben.«

»Aber bester Junge, das geht ja alles viel zu überstürzt,« wandte Auguste ein. »Du kannst doch nicht so einfach ohne jede Vorbereitung ein solches Unternehmen vollführen. Du rennst in dein Verderben.«

»Mag's drum sein, Tantchen. Ich ziehe ja niemanden in mein Verderben mit hinein.«

Was war nur in den Jungen gefahren? Malve war haltlos wie schwankes Rohr. Sie hatte gerade eine Summe von fünftausend Mark bei sich lagern, die von einer gekündigten Hypothek stammten. Diese fünf Scheine steckte sie ihrem Jungen zu. »Ein Notgroschen, Thiddi. Du kannst doch nicht als Bettelmann reisen. Und wenn du etwas brauchst, das sage ich dir, du hungerst nicht.«

Thiddi steckte gerührt die Scheine ein. Aber die praktische Auguste protestierte.

»Nee, Jungchen, so geht das nicht. Wir wollen das Geld einnähen.«

Thiddi lachte sein altes, sorgloses Lachen.

»Na, näh' nur.«

Das wurde alles auf das Sorgfältigste hergestellt. Jeder Schein für sich.

»Siehst du, Thiddi. du brauchst nur immer einen herauszuholen. Und das Beutelchen trägst du Tag und Nacht um den Hals.«

Thiddi versprach alles.

Diesesmal begleitete Auguste den Jungen allein auf den Bahnhof. Malve lag ganz zerknirscht und zermürbt auf dem Sofa und weinte, als könne sie mit dem Strome ihrer Tränen all das schwere Leid wegwaschen, das ein alter, verliebter Narr, wie sie sich ausdrückte, über sie alle gebracht.

»Hatte ich nicht recht mit meinen Ahnungen?« jammerte sie, die Hände ringend. »Sah ich doch die schwarzen Wolken unseren Thiddi begleiten, als er so lebensfroh von uns fortfuhr. Ich sah sie, Guschi. Und ich sehe sie noch. Sie weichen nicht. Was soll aus uns allen werden?«

»Unsinn,« schalt Auguste. »Deine Nerven sind überreizt.«

Dabei fand aber auch ihr Taschentuch unablässig den Weg nach den Augen.

Ja, bitter war das. Bitter. Da ging er dahin in kindischem Trotz und Eigensinn. Hinaus in eine liebeleere Ferne. Und sie konnten ihn nicht halten.

* * *

Die Tischzeit um sechs Uhr versammelte die Familie Westerfeldt wieder vollständig; auch Thiddi fehlte nicht.

Es ging heute nicht so steif bei Tische her, wie das sonst der Fall gewesen. Es schien Thiddi, als suche man absichtlich einen anregenden Ton festzuhalten, um den Schein eines glücklichen Beisammenseins zu markieren.

Nach Tisch erfuhr er, daß sein Onkel als stiller Teilhaber in die Firma Gebrüder Westerfeldt aufgenommen worden, und sein Geld, selbstredend zu seinem Vorteil, unter der kundigen Leitung des bisherigen Chefs arbeiten lassen sollte.

Da Theodor Lamprecht ein starkes Vertrauen zu dem kaufmännischen Genie Hans Westerfeldts hatte, so legte er die ganzen Geldangelegenheiten anstandslos in dessen Hände und sah mit verliebten Regungen der baldigen Verbindung mit der von Lebenslust prickelnden Frau entgegen.

Ohne große Förmlichkeit brachte Thiddi seinen Entschluß, ins Ausland zu gehen, vor. Onkel Theodor protestierte heftig.

»Was willst du da?«

»Onkel, das muß meine Sache bleiben,« lehnte Thiddi jede Bevormundung ab. »Von den Tanten habe ich bereits Abschied genommen. Herr Westerfeldt wird vielleicht so liebenswürdig sein, durch einen Angestellten seines Büros alles Erforderliche einzuleiten.«

»Gewiß,« sagte der Bankier. »Dem stünde nichts im Wege. Nur möchte ich fragen, wie du dir die Sache denkst: ich gehe nach Amerika?«

»Ein Verwandter von uns hat dort seinen Weg gemacht,« gab Thiddi zu bedenken.

»Das waren andere Zeiten, mein Lieber.«

»Jeder will doch mal seine Erfahrungen machen,« beharrte Thiddi eigensinnig auf seinem Stück.

»Na ja, und der Rückweg ist dir ja nicht abgeschnitten,« fiel Theodor Lamprecht ein.

»Pardon, Theodor, wenn ich da widerspreche.«

Hans Westerfeldt stäubte mit dem kleinen Finger seiner rechten Hand langsam und bedächtig die Asche von seiner Zigarre. Er sah so ruhig, so vornehm, so erhaben über menschliche Schwächen aus.

»Ich bin absolut nicht für irgendwelchen unbedachten Schritt, aber wenn ein Mensch einen Schritt getan, muß er auch für die Konsequenzen einstehen. Mit Weichlichkeit werden keine Erfolge in der Erziehung erzielt. Das ist Weiberregiment. Hier spricht der Mann zum Mann. Man soll es einem Menschen, dem nach den bisherigen Erfahrungen jeder Trieb zum Vorwärtsstreben fehlt, der im Grunde wenig Energie besitzt, nicht allzu leicht machen. Der Mensch muß wollen. Ein starker Wille ist wie eine feste Burg. Gleich die Flinte ins Korn werfen, nein, Theodor, das geht nicht. Leben heißt kämpfen. An Wiederkommen kann er nicht denken, wenn er mit eigenem Willen in den Kampf des Lebens zieht. Da heißt's, Zähne zusammenbeißen und ausharren.«

Diese Worte waren nur zu wohl geeignet, den Ehrgeiz des jungen Mannes aufzustacheln, zu zeigen, daß er konnte, wenn er wollte.

In ihm erwachte ein großer Tatendrang, ja, er fühlte eine fast übermenschliche Kraft in sich, jedes Hindernis zu nehmen. Und mit diesem Gefühle wuchs der Haß gegen den Mann, der durch seine überhebenden Worte dieses Gefühl in ihm erzeugt hatte.

Fort, daß er dieses von satter Befriedigung über die eigene Wichtigkeit triefende Gesicht nicht mehr sähe. Lieber elend untergehen, als von Hans Westerfeldts Gnade leben.


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