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I.

Europa-Müdigkeit ist aus der Mode;
Und doch zur Zeit, als in der ew'gen Stadt
Sich eben sammelte die Weltsynode,
Fühlt' ich mich unsres Erdtheils herzlich satt.
Beneidet ward von mir mein Antipode,
Der just vielleicht, im Palmenschatten platt
Am Boden liegend, keiner Garderobe
Bedürftig war auf andrer Hemiglobe.

Dies Klima, dacht' ich, das uns mit Katarrhen
Und Rheumatismen segnet jeder Sorte;
Der stete Dunstkreis qualmender Cigarren,
Die Ohrtortur durchs Spiel der Pianoforte,
Dazu noch das Maschinenräder-Knarren,
Der ew'ge Dampf von Kessel und Retorte:
Wo ziemte, wenn nicht unsres Welttheils Thoren,
Die Inschrift: Ihr, die eingeht, seid verloren!

Dann dieser Wissensdurst, der kolossale,
Der Rast nicht hat, bevor am Firmament
Er jede Sonne bis an die centrale
Und jeden Stern und Nebelflecken kennt!
Weiß Einer nach der Schnur nicht die Labiale
Und Gutturale im Sanskrit und Zend,
Die Floren nicht und Faunen aller Länder,
So heißt's: war je Unwissenheit stupender?

Dem Kinde schon beginnt beim ersten Schreie,
Den es in diese Welt thut, die Misere
Qualvollen Lernens und ich prophezeie,
Aufzählen wird uns bald nach Darwins Lehre
Ein Jeder seine ganze Vorfahr-Reihe
Von seiner Eltermutter, der Monere,
Herab zu den Schimpansen, Pavianen,
Die er verehrt als seine nächsten Ahnen.

Und weiter all der Wirwarr unsrer Tage,
Parteisucht, Eitelkeit und Arroganz,
Arbeiterdrangsal, die sociale Frage,
Des Communismus wüster Mummenschanz,
Der neue Syllabus aus dem Verlage
Des heil'gen Peter sammt der Ignoranz,
Mit der Loyola-Schüler, Pietisten
Europa zu beglücken neu sich rüsten!

Doch weg mit Scherzen! Unsrer Münster Hallen,
Wie ist ihr Blütenflor von Stein verdorrt!
Ob auch der Orgel Töne sie durchwallen,
Verwirrt nur lallt sie noch im Irrsinn fort;
Wohl, daß die Lippen noch Gebete lallen,
Doch, wie ertappt auf einem Lügenwort,
Plötzlich einhalten sie, und wie im Spott
Rückhallt der Säulengang den Namen Gott.

Nie aus dem Grab der Zeiten kehrt der Glaube
Zu seinem Weltverheerungswerke wieder;
Doch auch der Trost, die sanfte Himmelstaube,
Schwebt nie mehr zu dem Betenden hernieder,
Nie himmelan trägt aus dem Erdenstaube
Die Andacht auf dem leuchtenden Gefieder
Die Seelen mehr, die wie mit ehrner Klammer
An sich geschmiedet hält des Lebens Jammer.

O wer vermag in unsern dumpfen Städten
An eis'gen Wintertagen ohne Grauen
Die rußerfüllten Gassen zu betreten,
Wo unglücksel'ge Männer, Knaben, Frauen
In Elend siechen und nach Lazarethen
Mit Sehnsucht als nach Rettungsorten schauen,
Und blasse Mütter wie lebend'ge Leichen,
Hungernde Kinder auf den Armen, schleichen?

Wie erst wird dir zu Muth, wenn auf dem Quai
Du Nachts an Mauern, an Laternenpfählen
Zerlumpte Bettler kauern siehst im Schnee,
Und dann emporblickst, wo in hellen Sälen,
So froh, als gäb' es auf der Welt kein Weh,
Der Tanz sich schlingt beim Schimmer der Juwelen
Und der Champagner perlt und blinkend Gold
Am Kartentische auf und nieder rollt!

Wie bleich daneben aus der Bodenkammer
Das Licht herniederzittert! Spät noch wach
Sitzt bei der Arbeit dort in blassem Jammer
Ein krankes Weib, indessen durch's Gemach
Der Wind pfeift – o! in ihrem Nest die Ammer,
Die Dohle an des Kirchenthurmes Dach
Sind mehr geborgen vor des Winters Toben,
Als sie in ihrem luft'gen Stübchen droben!

Des Elends Tochter sie, in Noth verkümmert,
Längst hätte sie im Fluß gesucht den Tod;
Doch auf der harten Streu am Boden wimmert
Ein Kinderheer um eine Kruste Brod,
Und bei dem Licht, das halberlöschend flimmert,
Muß sie mit Augen, überwacht und roth,
Sich müh'n, der Kleinen Leben noch zu fristen,
Die sie nicht nähren kann an welken Brüsten.

Ein Abgrund das von Trübsal und von Thränen,
In den mit Schwindel sich der Geist verliert!
Und wo der Jammer mit gefletschten Zähnen
Von allen Seiten uns entgegenstiert,
Ist Hülfe möglich? Wenn wir Den und Jenen
Getröstet haben, vor die Seele führt
Uns der Gedanke alle die Millionen,
Die weiter in des Elends Hütten wohnen.

Wie anders nicht im sonn'gen Orient,
Am Libanon, im Land der Pyramiden,
Wo unter wolkenlosem Firmament,
Mit dem, was die Natur ihm beut, zufrieden,
Der Sterbliche nicht Noth noch Trübsal kennt
Und leicht, wie Schlaf zu müden Augenliden,
Zu ihm vom Himmel, welcher ewig blaut,
Jedwedes Tags Bedürfniß niederthaut!

Was denn, fern von des Ostens Sonnenlichte,
Hält mich in diesem düstern Welttheil fest,
Der auf des Sängers heiterste Gedichte
Den Schatten seiner Trübsal fallen läßt?
War es nicht seine dunkle Nebelschichte,
Stets neu erzeugt vom dunstbeladnen West,
Die lähmend sich auf meine Seele legte,
Als sie noch kaum die zarten Schwingen regte?

Ja, seit zuerst der wirre Lebensknoten
Geschürzt mir von verborgnen Mächten ward,
Was hast du mir, Europa, je geboten?
Umringt von Wesen, kalt wie du und hart,
Dem Zwang, der Sitte mußt' ich, den Despoten,
Mich früh schon beugen, daß mein Geist, erstarrt,
Nicht frei und frisch im weiten Horizonte,
Wie er gehofft, die Flügel heben konnte.

Vergebens aus des Tagwerks trüber Enge,
An die mich band das feindliche Geschick,
Hinaus mich stürzt' ich in das Weltgedränge
Und sucht' in ihm das unbekannte Glück;
Mir hallten hohle, seelenlose Klänge,
Ein spöttisch Echo, Antwort nur zurück,
Wenn meine Worte, warm wie sie vermochten,
Um Mitgefühl an andre Herzen pochten.

In Andrer Angesicht forscht' ich nach Zügen,
Davon das Bild vor meiner Seele stand;
Pulse, die im Akkord mit meinen schlügen,
Und Seelen, meinem innern Sein verwandt,
Und Geister, die mit mir in kühnen Flügen
Empor sich schwängen in ein Wunderland,
Das nicht auf Erden ist, zu finden dacht' ich,
Doch ach! enttäuscht bald aus dem Traum erwacht' ich.

Nur Eines blieb. Für all das herbe Müssen,
Das einer Kette gleich ich Jahre lang
Dahingeschleppt, sucht' ich Ersatz im Wissen,
Mit ihm zu stillen meiner Seele Drang.
Könnt' ich, von Welt und Menschen losgerissen
Und Allem dem, wonach ich ehmals rang,
In vollen, sel'gen Zügen Weisheit schlürfen,
So schien erfüllt mein Wünschen und Bedürfen.

Und nächtlich bei der Kerze mattem Lichte
Saß bei den Büchern ich, den langgereihten,
Und ließ durch's Morgengrauen der Geschichte
Aufwärts, aufwärts am großen Strom der Zeiten
Durch sie mich führen, bis wo nur Gedichte
Und fromme Sagen noch den Pilger leiten;
Zu dringen dacht' ich bis zu jenem Bronnen,
Aus dem zuerst der Lebensstrom geronnen.

Doch dämmernd schwand zuletzt und ungewiß
Der Pfad in Nacht; die Quellen, wie sie rannen,
Wohl hört' ich rauschen durch der Felsen Riß;
Doch Kunde gab nicht eine mir, von wannen
Sie ströme durch die weite Finsterniß;
Ach! unsres Schicksals schweigende Tyrannen,
Nach allen Seiten hin mit dunklem Flore
Verhängt uns haben sie des Daseins Thore.

Alt, wie die Menschheit selbst, ist diese Klage;
Doch vor wie vielen Göttern sie ihr Knie
Auch schon gebeugt, Antwort auf ihre Frage:
Woher? wohin? vergebens hoffte sie.
Verworrne Kunde stammelte die Sage,
Und nur die Prahlerin Philosophie
Verhieß pomphaft mit gleißnerischen Worten,
Sie werde aufthun der Erkenntniß Pforten.

Thor, der ich war, ihr je mein Ohr zu leih'n!
Sie führte mich zu dunkeln Irrgewinden;
Mich lockte fernher räthselhafter Schein;
Ich schritt ihm nach, doch sah ihn wieder schwinden;
Zuletzt verirrt, in tiefer Nacht allein,
Hülflos nur tappt' ich noch umher gleich Blinden,
Und höhnend um mich scholl, im Widerhall
Zurückgetönt, sinnloser Worte Schwall.

So vor mich traten die Erinnerungen
An Alles, was der Nebelhorizont
Des Nordens mir in seine Nacht verschlungen,
Die Hoffnung, drin ich mich umsonst gesonnt,
Die Ziele, drum vergebens ich gerungen.
Da – fort! rief ich; was ich schon längst gekonnt,
Wie säumt' ich, es zu thun? Nicht diesem argen
Welttheil gönn' ich's, mich länger einzusargen.

Entfliehen laßt mich, flieh'n aus den Gewirren
Des Occidents zum heitern Morgenland!
Dort wenn der Frühwind, schwer vom Duft der Myrrhen,
Von Kaschmir herweht und von Samarkand,
Soll ein Beduine mir den Renner schirren,
Und, bis die Himmelsfackel ausgebrannt,
Durchschweifen will ich, frei wie der Kabyle,
Das Wüstenland vom Euphrat bis zum Nile.

Nicht unter deinem klaren Himmel, Jemen,
Gedeihen der Scholastik Hirngespinnste!
Der Zweifel, der aus düsteren Problemen
Im Abendlande mir entgegengrins'te,
Der Wust von philosophischen Systemen,
Zerrinnen wird das all wie blasse Dünste,
Wenn mir mit Turban, Kaftan und Sandale
Entgegentritt der erste Orientale.

Laß ächzen hinter mir die Druckerpressen,
Laß hadern die politischen Partei'n,
Froh will ich sein, des Welttheils zu vergessen,
Und mag auch er mich dem Vergessen weihn!
Ein gutes Schwert aus Damascener Essen
Soll lieber mir als ganz Europa sein;
Aus seiner vielgepriesenen Culturwelt
Entweichen möcht' ich in die fernste Urwelt.

So, als novemberisch die Winde schnoben,
Und für den Flug zum Archipelagus
Die Kraniche den Reisefittig hoben,
Aufrafft' ich mich in schleunigem Entschluß.
Durch Schneegestöber und der Stürme Toben
Trug mich das Dampfroß an der Alpen Fuß
Und bis Triest, daß ich nach der Levante
Von dort aus meine Reisesegel spannte.

Das Meer aufwühlend mit dem Schaufelrade,
Bald glitt das Boot hin an Dalmatiens Strand;
Zu kurzem Rasten lud an sein Gestade
Mich der Phäaken schönes Inselland.
Dann, siehe! vor mir aus dem Wogenbade
Aufdämmerte der Wüste bleicher Sand,
Der nun mit seiner heißen Flut – o jäher
Glückswechsel! – deckt die Stadt der Ptolomäer.

Hin durch das Land der Mumien und Todten
Wählt' ich die neuerschloss'ne Wasserbahn,
Durch die vor der Phönizier Tarschisch-Booten
Sich einst das Goldland Ophir aufgethan;
So ging die Fahrt von Libyens Meer zum rothen;
Hinüber führte mich ein leichter Kahn,
Und mir entgegen von Arabiens Ufer
Klang bald der Isan der Gebetausrufer.

Gegrüßt, du meines Herzens Lieblingsstäte,
Du meiner Kindheit froher Aufenthalt,
Mein Orient! Wie ich dich neu betrete,
Wie mir dein Sandelduft entgegenwallt
Und der Muezzin-Ruf vom Minarete
In heil'ger Frühe mir zum Ohre schallt,
Wird mir zu Sinne, wie dem lang Verbannten
Beim Wiedersehn von Heimat und Verwandten.

Doch weiter, weiter treibt es mich von hinnen;
Zu nahe bin ich noch dem Abendmeer,
An diesen Ufern hausen böse Dschinnen
Und pflegen mit Europa noch Verkehr;
Um ganz und voll dem Fluche zu entrinnen,
Den jener Welttheil ausströmt ferneher,
Hin durch die Länder all der Sonnenwende
Will ich entfliehen bis ans Welten-Ende.

Der fernste Osten, wo die Fabelwesen,
Die Kinder aus der Traumwelt schönen Zonen,
Von denen ich als Knabe schon gelesen,
Der Greif, das Einhorn und der Phönix wohnen,
Läßt mich vielleicht von meiner Qual genesen,
Und von mir weichen werden die Dämonen,
Die finsteren, die schon, seit ich geboren,
Grausam zu ihrem Opfer mich erkoren.

Sofort mein Roß will ich zum Ritte rüsten.
Wenn hinter mir der Städte Lärm versank,
Wird die Natur an ihren großen Brüsten
Mich heilen von den Schmerzen, dran ich krank;
Und wenn ich erst an Saba's Weihrauchküsten
Den Balsamduft der Morgenfrühe trank,
Im Wüstensand, am Rande der Cisternen
Von Neuem werd' ich athmen, leben lernen.

Erwuchsen dort in heil'gen Einsamkeiten,
Auf Sinai's, auf Meru's Bergeshaupt,
Die Götterlehren nicht in alten Zeiten,
An die noch heute Der und Jener glaubt?
Und wo des Hedschas Oeden sich verbreiten,
Durch die der heiße Wüstenglutwind schnaubt,
Empfing nicht da, versunken in Gebet,
Aus Allahs Hand den Koran der Prophet?

Dort oder ferner, wo zuerst auf Erden
Die Opferglut ins dunkle Himmelsblau
Emporstieg von der Priester Flammenherden,
Auf Alburs' hehrem Gipfel, urweltgrau,
Wird unsrer Zeit die Offenbarung werden,
Nach der sie lechzt, so wie die Flur nach Thau;
Im Sterben sind die alten Religionen,
Nach Licht und Wahrheit dürsten die Nationen.

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