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VI.

Hauptmann von Kanstedt machte seinen Besuch bei Graf Bergs. Man erwartete einen Gast zu Tisch, den Baron Welten, einen bekannten Sportsman und Freund des Grafen. Man bat Helwig zu bleiben; er blieb.

Die jungen Eheleute wohnten sehr angenehm. Das Haus stand ein wenig zurück; ein paar Bäume guckten zu den Fenstern hinein. Eben waren sie zwar kahl; auch der kleine Vorgarten lag verschneit; im Sommer aber mußte es reizend sein! Auch jetzt blieb es amüsant: der Blick unter den Zweigen fort auf die große Straße, welche sich zu jeder Jahreszeit als eine Verkehrsader und Promenade für die elegante Welt behauptete.

Die Einrichtung machte in ihrer soliden schönen Pracht dem Geschmack des Rittmeisters Grafen Berg alle Ehre. Er hatte sie besorgt, natürlich; auch die Wohnung gemietet. Selbstgefällig strich er die goldbraunen Spitzen seines Schnurrbartes, wenn er das sagte; ohne daß er dachte, zuckte er ein wenig selbstbewußt und geringschätzig die Schultern. Er hatte sich das angewöhnt in der letzten Zeit.

Das Essen war gut: man hatte eine vortreffliche Köchin; die Weine standen im Einklang damit. Der Graf hielt die teuersten Pferde; er hatte immer dem Sport gehuldigt, er war jetzt an allen großen Rennen beteiligt. Das alles erfuhr Helwig bei Tisch: der Graf machte überhaupt den Eindruck eines Menschen, der sich gebettet hat und nun entschlossen ist, das Leben zu genießen, wo es immer geht. Es schien ihm gut zu bekommen. Er war etwas stärker geworden, was seine hohe Gestalt noch imponierender scheinen, die blitzenden Augen noch feuriger schimmern ließ; seine Laune war stets ausgezeichnet, er war immer voll Witz und Übermut.

Nach dem Kaffee empfahl sich der Baron, er mußte abreisen; der Graf wollte ihn begleiten; sie hatten noch eine kleine Verabredung wegen des Reitens zu treffen.

»Entschuldige,« bat er Helwig freundlich, »ich bin gleich zurück. Du bleibst so lang bei meiner Frau.«

Kanstedt, welcher an die verlängerten Nachmittagbesuche bei den Familien seiner Freunde in Berlin gewöhnt war, wo man zum Kaffee kam und nach dem Abendbrot ging – der überdies gern in häuslichem Kreise verkehrte –, ließ sich halten.

Eben betrat er die Schwelle des Boudoirs, in das sich Eva, als die Herren mit Rauchen begannen, zurückgezogen hatte. Die junge Frau saß auf einem kleinen Sessel nahe dem Kamin; müde lehnte das Köpfchen in den Kissen von blauem Plüsch. Sie schien geweint zu haben; die Wimpern schimmerten feucht, ein klarer Tropfen löste sich langsam von dem Kinn herab, auf die Brust. Die Hände lagen fest über dem Herzen, ein kleines Spitzentuch war zwischen den Fingern zusammengedrückt.

Lautlos war Helwigs Schritt auf dem dicken Teppich verhallt; er wollte sich zurückziehen.

Hatte diese Bewegung eine Falte an dem grotesken Zickzack der Portiere berührt? Eva sah auf. Ach, sie war wieder einmal ungeschickt gewesen. Was mußte Herr von Kanstedt denken? Wahrscheinlich wie alle andern, daß sie niemals eine Dame werden, immer ihren Mann blamieren würde!

»Pardon, gnädigste Gräfin«, kam Herwig höflich und gewandt zuvor. »Sie sind müde: kein Wunder, wenn man jeden Abend tanzt. Die letzte Woche war etwas toll. Ich wollte auch soeben um die Erlaubnis bitten, mich verabschieden zu dürfen.«

»Nein, o nein, bitte!« Eva sprang auf. »Heino hat sich so auf Ihren Besuch gefreut! Und nicht wahr, Herr von Kanstedt« – sie trat an ihn heran, legte die Hand auf seinen Arm und sah kindlich bittend zu ihm in die Höhe – »Sie kommen recht oft! Heino liebt es, Gesellschaft zu haben. Er ist so gern heiter – und ich – ich ...«

Unwillkürlich waren der jungen Frau wieder die Thränen gekommen; sie neigte den Kopf; sie schlang die Hände ineinander; sie schien gegen etwas anzukämpfen, das stärker blieb als ihr Wille. Gewiß, die ungewohnten Vergnügungen hatten sie angegriffen, sie konnte gar nichts, nicht einmal anständig eine Saison aushalten.

Kanstedt sah herab auf das junge Wesen; er meinte in ihrem Innern lesen zu können: sie that ihm leid, bitter leid.

Auch hier war eine Fülle von Liebe und Treue, die unbeachtet blieb, von der niemand etwas wissen wollte, deren niemand bedurfte in dem glänzenden Lauf der Welt.

»Bitte« – Eva hatte sich gefaßt – »Sie bleiben heute Abend, dann bleibt auch Heino – wir plaudern.«

»Gewiß, Frau Gräfin«, gab er jetzt herzlich zurück und zog einen kleinen Sessel neben die Flammen des Kamins.

»Charmant!« applaudierte der Graf, als er zurückkam, und strich zufrieden über Evas Haar. »Das ist ein gescheiter Einfall! Nun brauch ich bei dem Hundewetter nicht noch einmal das Pflaster zu treten.«

Kanstedt meinte noch einmal klar auf den Grund von Evas Bitte zu sehen.

»Ach nein«, parierte dann Heino lachend des Freundes Einwand von reizender Häuslichkeit, »wir sind über die tête-à-tête hinweg. Wurde doch selbst das Paradies mit einer einzigen Eva unserm Stammvater Adam etwas öde, darum wanderten die Leute aus – das ist die richtige Lesart.«

Das leise Rot, welches das schmale Gesichtchen der jungen Frau bei der flüchtigen Liebkosung des Gatten überzogen hatte, vertiefte sich bei diesem Scherz. Doch lächelte sie sogleich wie verklärt, als er fortfuhr: »Wir werden bei dir bleiben, Evy«, sich einen Sessel neben den Kamin schob und mit dem Freunde zu plaudern begann.

Erst gegen Mitternacht ging man auseinander.

Helwig durfte sich das Zeugnis geben, daß er das seine gethan, um liebenswürdig zu sein, was immer eine gewisse Befriedigung erzeugt. In der That hatte er lange kein so wohlthuendes Gefühl von einem Besuch mitgenommen, als es ihn bei dem dankbaren Blick und dem warmen Dankeswort Evas zum Abschied überkam.

Arme kleine Frau! – Der Gedanke ging mit ihm, und das Bild der kleinen Frau auch. Ja, sie that ihm leid. Und er meinte, daß sie im Grunde durchaus nicht so häßlich mehr sei. In der That, Eva war größer geworden; der blonde Kopf reichte ihm fast bis an die Schulter, keine üble Größe für eine Frau, denn er maß nicht viel weniger als sechs Fuß. Das Haar – wie die Flammen des Kamins darüber hinschielten, hatte es geschimmert wie reifes Korn in der Sonne, die Farbe der heutigen Maler. Die Linien ihrer Figur waren freilich noch recht herbe. Aber ihre Züge hatten sich doch besser entwickelt; waren sie gleich nicht regelmäßig schön, wie – unwillkürlich atmete Helwig tief, es klang wie ein Seufzer. – Ob er auch gewiß Adele nicht mehr liebte; ganz unbewußt war sie doch für ihn immer noch das Ideal, an dem er jede Frauenschönheit maß. Aber die Nase der kleinen Eva hatte sich entschieden recht niedlich heraus gemacht, und der Mund – er schien wohl nur so groß, weil das Gesichtchen immer noch so schmal war. Auf jeden Fall hatte Eva weich und fein geformte Lippen und die Augen waren in Wahrheit schön; groß und klar, wie bei einem Kinde, tief und sprechend, wie bei einem Weibe, das liebt.

Der Moment ihrer Verlobung stand vor seiner Seele; wieder empfand er mit dem gleichen eigentümlichen Weh, daß er der kleinen Frau etwas abzubitten habe, er meinte, wenn sie nur etwas mehr Selbstbewußtsein, etwas mehr Frische und Heiterkeit haben wolle, daß sie dann noch zu einem reizenden Geschöpf werden könne; ja, daß es kein Wunder wäre, wenn der Graf sich noch einmal in sie verlieben sollte.

Und die Gedanken, die ihm in Evas Verlobungsstunde fast wie zur Linderung einer Schuld gekommen; sie fielen ihm unwillkürlich wieder ein. Die Zeit war da; er wollte der kleinen Frau die Freundeshand bieten, ihr helfen, so viel in seinen Kräften stand, zu ihrem Glück!

Darum gedachte er der alten Freundschaft mit Heino lebhafter, als er es sonst gethan haben würde; hoffte er doch auch von seinem Einfluß auf den einstigen Freund.

Heino war sehr entgegenkommend, liebenswürdig, wie nur er es sein konnte. Er hatte die tollen Hörner abgelaufen – so beteuerte er – und fühlte sich á son aise im Freundeskreise, namentlich unter so alten Kameraden, wie sie waren. Zum andern aber hielt der Graf die Kameradschaft wirklich hoch. Sie und der bunte Rock sind das einzige auf der Welt, mit dem er es ernst nimmt. Er würde weder diesen noch einen Kameraden im Stiche lassen. An Helwig hängt er aber auch noch persönlich, aus reiner Jugendfreundschaft, wie er meint, vielleicht aber doch noch aus einem andern Grunde, weil nämlich jener Helwig Kanstedt, trotzdem er in manchen Dingen dem Rittmeister unbegreiflich, komisch, thöricht erscheint, ihm gleichwohl imponiert.

Helwig wußte sehr bald, daß Eva ein ausgesprochenes Talent für das Zeichnen und Malen besaß. Er schlug ihr vor, Unterricht zu nehmen. Der Graf hatte nichts dagegen, im Gegenteil – ist das doch eine Art Sport unter den heutigen Damen geworden; er hatte nur für seine Frau nicht daran gedacht, weil er überhaupt nicht an diese zu denken gewöhnt war.

Helwig brachte auch Bücher mit; es fand sich, daß Eva gern las. Das hätte sie ja längst haben können, meinte Heino wieder; er ließ ihr ja immer plein pouvoir – nur, daß er sich nicht darum zu kümmern brauchte.

Eva aber gehörte zu jenen echt weiblich selbstvergessenen Naturen, denen sogar angeborene Neigungen und Anlagen nur insoweit von Wert sind, als sie von ihrer Umgebung geteilt oder mit ausgeübt werden. Sie war fast ein Kind noch, da die Liebe von ihrem Herzen Besitz genommen; nur was den Grafen anging, war von Interesse für die junge Frau geblieben; seine Gleichgiltigkeit hatte ihren Lebensmut geknickt, die gedeihliche Entwickelung des jungen Geschöpfes angekränkelt.

Das vor allem mußte anders werden! Und darum nur interessierte sich Kanstedt für Evas Fortschritte bei dem Professor Bender von der Akademie. Zuweilen auch legte er selbst eine verbessernde Hand auf dem Papier oder der Leinwand an. Wie konnte die junge Frau dann heiter lachen, wenn er ihr bewies, daß ihre Bäume zusammengeweht schienen ohne jeglichen Sturm; sich freuen, wenn er mit dem Aufsetzen einer Farbe den rechten Ton in die blauen und weißen Flecken eines Sommerhimmels brachte!

Sie redeten über die Bücher, welche Helwig für Evas Lektüre gewählt; Eva verstand nicht alles darin, aber sie begriff schnell, und Helwig freute sich, wie er ihr alles so leicht begreiflich machen konnte. Nun sich jemand fand, der sich für das Denken der jungen Frau interessierte, dachte diese auch selbst; Helwig freute sich abermals, wie leicht ihre Interessen zu wecken waren. Nicht weniger wohlthuend berührte ihn Evas lebendiges Gefühl für alles Schöne und Edle, welches in richtiger Weise zu lenken er sich nunmehr eine ernst genommene Aufgabe sein ließ.

Von Jugend auf, durch ein inniges Familienleben, den trauten Verkehr mit Mutter und Schwester an den gemütvollen Austausch mit weiblichem Umgang gewöhnt, brachte bei Helwig jetzt der Verkehr mit Eva eine bis dahin unbemerkt gebliebene Lücke im eigenen Gemütsleben zum Bewußtsein, indem er sie zugleich befriedigend füllte. Kanstedt verbrachte manchen Abend bei Bergs. Natürlich blieb dann auch Heino zu Haus. Eva wurde heiter und glücklich; sie entwickelte sich zusehends, ihre Linien rundeten sich, die gelblich kranke Farbe ihres Gesichtchens bekam einen frischen Schein.

Helwig konnte nicht umhin, jene eigentümliche Befriedigung bei diesem Wandel zu empfinden, wie sie wohl ein Künstler empfinden mag gegenüber seinem Werk, oder auch ein mythischer Gott, wenn er freundlich an dem Schicksal seiner Pflegebefohlenen webt.

Es dauerte nicht lange und Frau von Rodenheim lebte sich als beste Freundin bei Eva ein. Rittmeister Graf Berg war der Vorgesetzte ihres »lieben Thilo« geworden. Vielleicht war die junge Frau sich selbst nicht ganz klar, warum sie plötzlich solch strenger Auffassung von der regimentlichen Anciennetät huldigte. Sie war von ihrem Benehmen Eva gegenüber auf dem Balle beim Kommandierenden nachträglich durchaus nicht befriedigt und fühlte instinktiv, daß sie auf dem besten Wege gewesen war, sich in eine schiefe Stellung treiben zu lassen. Sofort änderte sich nun ihr Verhalten. Es hatte überhaupt, seitdem sie Kanstedt wieder gesehen, eine Wandlung in ihr begonnen, bei der zum ersten Mal und immer mehr das Herz in rebellischen Konflikt mit dem wohlgeschulten klugen Köpfchen geriet.

Zuerst fand Adele es einfach abscheulich, wie jemand so gleichgiltig sein konnte gegen eine Frau, die er einst geliebt und so sehr geliebt hatte; wie Helwig unversöhnlich schien gegen alle Gunst, welche sie nur aus Mitleid mit dem Schmerz, den sie ihm einst bereiten mußte, jetzt ihm gewähren durfte, ja, sich für verpflichtet hielt; abscheulich, wie er ungerührt zu bleiben vermochte bei ihrer Anmut und Schönheit, die sich ja nur noch reicher entfaltet hatten – letzteres sagte doch alle Welt! Gut denn, sie wollte sich nicht um ihn kümmern; es sollte ihr nichts an ihm liegen, war doch alles ihr eigen geworden, was sie als das Glück erträumt und erstrebt hatte. Ach, wenn nur nicht all ihr Denken, Wünschen und Sehnen immer wieder seinen Weg zu diesem einen Menschen genommen, um diesen einen sich bewegt hätte, vor dem alles, alles, das sie sonst erfüllte, in Vergessenheit gesunken war!

Unbemerkt hatte sich Adele an das glänzende Leben gewöhnt, sein alleinseligmachender Zauber, den oft nur die Entbehrung wirkt, schien gebrochen. All die Empfindungen, welche bislang keinen Raum in ihrem Herzen gefunden, das einzig von jenem Zauber gefangen war, regten sich um so mehr, als er jene Macht verlor, das Herz aber freier und intensiver zugleich in seinem Empfinden wurde durch die in dem sorglos üppigen Leben sich üppiger entfaltende Reife der jungen Frau.

Wie die Körner, ob sie auch noch so lang für tot in den Gräbern der ägyptischen Leichen gelegen, keimfähig geblieben sind und zu grünen beginnen, sobald sie ein geeigneter Boden umfängt, so lebte auch die unter dem glänzenden Leben begrabene Neigung jetzt in Adele wieder auf, stärker denn je. Und wenn die Verhältnisse einst dem jungen Mädchen den Sieg über das Herz möglich gemacht hatten, wirkten nunmehr grade die äußeren Verhältnisse auf das ungestüme Wiedererwachen ihrer Leidenschaft günstig ein.

Kanstedt hatte längst wie ohne Zorn und ohne Groll, auch ohne Schmerz und ohne Sehnsucht an Adele denken gelernt. Noch mehr: Arbeit, Kameraden, wissenschaftliche und andere Interessen schienen die leer gewordene Stelle in seinem Herzen ausgefüllt zu haben. Die Vergangenheit, soweit sie seine Liebe betraf, schien für ihn begraben. Dennoch durchbebte es ihn vom Scheitel bis zur Sohle, als ihm Adele in der vollen Reife ihrer Schönheit entgegentrat. Groll und Zorn wurden wieder lebendig, daß er keinen Teil hieran hatte. Plötzlich kam es ihm mit der verschärften Intensität eines gereiften Empfindens zum Bewußtsein, wie ihn die Täuschung seiner ehrlichen Liebe, deren treuem Mut nichts zu viel, nichts zu schwer geworden wäre, doch für immer um sein schönstes Mannesglück, auch das Vertrauen zu den Menschen betrogen habe.

Wohl bemerkte er, wie ihn Adele zu gewinnen strebte; er verachtete sie darum. Die zunehmende Freundschaft zwischen den beiden jungen Frauen berührte ihn peinlich. Doch was konnte er dagegen thun? Adele herabsetzen in Evas Augen – dafür war er zu edel und auch zu stolz. Ein Haus meiden, in dem er sich so wohl fühlte – das konnte niemand verlangen; die arme kleine Eva sich wieder allein überlassen, das durfte er gar nicht. Und am Ende hätte das ausgesehen wie Flucht und Furcht – und wahrlich, er brauchte eine Frau nicht zu fürchten, die er im Innersten seiner Seele so gründlich verschmähte. Außerdem aber war ein Begegnen mit Frau von Rodenheim gänzlich gar nicht zu umgehen. Mochte sie also sehen, wie sie mit ihm fertig würde.

Aber Helwig Kanstedt wäre kein Mann gewesen, wenn nicht all die kleinen Liebenswürdigkeiten der jungen Frau durch den Wall von Verachtung, mit dem er sein Herz fest gemacht hatte, doch zuletzt einen Weg gefunden hätten, schmeichelnd, spielend, wie Wasserwellen wirken auf felsiges Gestein. Ob auch sein Benehmen eiskalt blieb und streng, er konnte es nicht ändern, daß er zuweilen mit Entzücken auf das Antlitz sah, welches die Züge seiner ersten Liebe trug: daß dieser der Zauber eigen geblieben, wie er immer der schönen, sorglos frohen, allbeseligenden Jugend eigen bleibt, die dazu gehört.

Nicht als ob er Adele im mindesten noch geliebt hätte; er würde sich das gar nicht erlaubt, er würde das gar nicht für möglich gehalten haben – wenn die Kameraden nach einer größeren Gesellschaft oder einem Ball die Anmut und Schönheit der jungen Frau priesen, so stimmte er bei, und wurde dann meist stiller als sonst; meinte einer, der Rodenheim habe doch verzweifeltes Glück, so reckte er sich unwillkürlich auf, als wolle er diesem Gedanken wehren. Das Bild einer edeln Weiblichkeit und ihrer beglückenden Liebe rang in seinem Geist nach anderer Gestaltung. Gewöhnlich fiel es ihm dann ein, daß er sich in den letzten Tagen nicht soviel um die arme kleine Eva gekümmert hatte, als es doch sein guter Wille gewesen war, und der nächste Tag fand ihn sicher bei ihr.

Wenn sie dann in dem blauen Zimmer saßen vor dem Kamin, wo die Kohlen leise knisternd sich in ihre Elemente zerlegten, die Flammen in wechselndem Spiel über die Teppiche und Möbel huschten, daß hier und da ein blinkender Rahmen oder Spiegel aus dem dämmernden Raume auftauchte, und es glänzend zurückstrahlte von dem blonden Haar der jungen Frau, dann konnte Helwig in eine recht weiche Stimmung geraten. Den Kopf an den marmornen Sims gelehnt, die Hand über den Augen, saß er da, stiller und stiller –

Bald sprach Eva nur noch allein, harmlos ungezwungen, und nur von ihrem Gatten –

Und die wunderbare Liebeskraft, welche dieser Frau eigen, wirkte ihren Zauber: er lauschte ihrem Wort, sehnsüchtig, staunend, doch fromm und rein wie ein Kind, dem man Märchen erzählt. Der leis klagende Ton von Evas Stimme klang wie die Melodie, mit der man solche Träume begleitet.

Schneidend hell wie ein Blitz fuhr dann oft der Strahl aus den Gaskronen in diese dämmernde Traumwelt hinein. Der Diener hatte die Lichter angezündet; Frau von Rodenheim erschien auf der Schwelle; der Graf folgte bald – und die Märchenherrlichkeit, nach der Helwigs Verlangen wuchs, so oft er nur davon hörte, zerstob vor der heitern Geselligkeit, die sich nun im Freundeskreise laut und lebhaft machte.

Es ist immer so nett bei Bergs, sagte Adele, wenn sie nach solchen Abenden heim kam.

Man fühlt sich wohl in dem Haus, erklärte Helwig, wenn er immer öfter seinen Weg zu Eva nahm. Daran dachte er nicht, daß diesem Wohlgefühl auch diese Begegnungen mit Adelen zugrunde lagen. So ging der Winter hin. –

Wieder einmal hatten Bergs Gäste zum Abend; einige junge Ehepaare, ein drittel Dutzend unverheiratete Kameraden vom Regiment, die entsprechende Weiblichkeit in jungen Damen: keine Spitzen, keine Vorgesetzten, mit einem Wort, eine reizende kleine Gesellschaft, wie es der Graf liebte. Man durfte munter sein, sich gehen lassen in Laune und Scherz; ebenso andere Speisen geben, als den obligaten Fisch, Puter oder Reh; – durfte verschiedene Weine reichen und sogar echten Champagner. Das wurde heute gut aufgenommen, während sonst die ältern Herrschaften, die noch zu einer Zeit geheiratet hatten, wo die reichen Mädchen seltener oder die Neigung entscheidender gewesen als heute, leicht die Köpfe schüttelten und mißliebige Bemerkungen machten über den Luxus der jetzigen Welt.

Man war also sehr heiter und lebhaft geworden; Scherze, Neckereien flogen hin und her. Der lange Hausen von den Husaren hatte seinen gewohnten Jux in Scene gesetzt und ein Pferd und ein Hündchen aus Brot modelliert. Diese Plastik ging um; man bewunderte, versuchte nachzuahmen, blieb zuletzt auf einfachen Brotkügelchen hängen, mit denen eines der jungen Mädchen die beliebte Kanonade eröffnete. Ein, zweimal schlugen die kleinen Kugeln zwischen Kanstedt und Eva ein, Adele hatte natürlich mit dem feindlichen Freund unter der Maske dieses Sports zu plänkeln begonnen; jetzt trafen sie seine Stirn, die Nase, den Bart. Es war ihm ärgerlich, er schüttelte den Kopf.

»Sie müssen sich revanchieren!« rief man ringsum – seine Nachbarin knetete schnell ein paar Krumen zusammen –

Ein Ablehnen wäre aufgefallen –, er nahm die gebotene Kugel, er wollte damit nicht treffen; er zielte ins Blaue; – dennoch, die kleine Kugel prallte gegen den schönen weißen Hals, fiel zurück, um sich in der Spitzenkrause des offenen Kleides bis hinunter in den Busen zu verlieren.

Kanstedts Blicke waren dem Lauf der weichen Kugel gefolgt – er ärgerte sich tief über seine Ungeschicklichkeit. Er schien überhaupt nervös heute, sensibler denn sonst. Er war früh genug gekommen, um einem Platz neben Adelen vorzubeugen – doch wie lebhaft er auch mit Eva geplaudert, sein Gegenüber anzusehen vermieden hatte: durch die gesenkten Lider meinte er den Blick der jungen Frau zu fühlen, in ihr Antlitz zu sehen. Seine schon heiße Stirn färbte sich einen Moment dunkler.

»Sie werfen nicht,« wandte er sich jetzt, diese Verwirrung zu meistern, an Eva.

Die sah mit einem etwas ernsten Lächeln auf die sich noch lebendiger entwickelnde Kanonade, dann, als wolle sie um Entschuldigung bitten, zu ihm empor.

»Ich las einmal als Kind von einem armen Mädchen, das an Hunger gestorben ist. Es hat mir einen so wehen Eindruck gemacht, daß ich seit jenem Tag für jeden Bissen Brot dankbar gewesen bin und kein Brot verderben konnte.«

Wie Rührung kam es über Kanstedts erregte Züge.

»Wenn Herr von Kanstedt so freundlich sein will« – schlug Adelens Stimme jetzt zu ihm herüber.

»Famos, entzückend!« jubelte man im Kreis. Frau von Rodenheim hatte soeben erzählt, daß sie einst auf dem Polterabend einer Freundin mit Herrn von Kanstedt in einer Menuett figuriert habe. Niemand kannte diesen Tanz unserer Ururgroßmütter; man fand es jedoch charmant, ihn kennen zu lernen, zumal die junge Frau geneigt schien, denselben zu zeigen, wenn sich der Partner fände.

Er habe alles vergessen, behauptete Helwig dagegen.

Das ließ, wie immer bei dergleichen Gelegenheiten, keiner gelten.

»Männereitelkeit,« neckte Adele liebenswürdig – dem allgemeinen Vergnügen zu Gefallen, konnte ja die kluge Frau gar nicht liebenswürdig genug sein. »Sind Sie bange um einen faux pas? Man wird Nachsicht üben!«

»Kanstedt, keine Ziererei,« drängen die anderen, die natürlich nur an den Tanz dachten, auf den jungen Mann ein.

»Ich helfe Ihrem Gedächtnis nach.« – Von neuem bestürmt, neigte sich die junge Frau anmutig gegen ihn. »Vertrauen Sie sich meiner Führung, Herr Hauptmann.«

Wie bestrickend das klang! Kanstedt meinte noch nie den so eigentümlich girrenden Ton in Adelens Stimme gehört zu haben wie heute. »Oder fürchten Sie sich?«

Das war im Scherz für die Umgebung gesagt; Helwig verstand die tiefere Deutung der Worte. »Nein, gnädigste Frau,« gab er zurück; »es ist kein Wagnis, das Schicksal mit Ihnen herauszufordern!« Fest richtete er sich dabei in die Höhe und fast feindlich blitzten die grauen Augen die junge Frau an, die sich sofort zum Tanze erhob.

Nie meinte man Frau von Rodenheim so schön gesehen zu haben! Einer lichten Blüte gleich hoben sich aus schlankem, dunkler gefärbtem Kelch Brust und Schultern, eng von hell erdbeerfarbenem Atlas umsponnen, aus dem tiefen viereckigen Ausschnitt einer Taille von dunkelrotem Plüsch empor; weiche Bauschen vom gleichen Stoffe liehen ihr ein noch zierlicheres Aussehen, während die darunter herausdringenden, lang herabfließenden Falten von hellem Atlas die ganze Figur schlanker und höher, als sie war, erscheinen ließen. Eine kaum merkliche, schmale Blonde fiel, die Achselhöhle schließend, auf den oberen Arm, als wolle sie ihn noch einmal schmeichelnd umfangen, ehe sie ihn freigab in seiner ganzen blendenden Schönheit. Adele hatte die Handschuhe nicht wieder angelegt für den Tanz. Eine matte und eine dunkelrote Rose, mit einem großen Brillantstern befestigt, zierten das hoch auf dem Köpfchen zu einer Krone verknotete Haar, von dem sich leichtes Gelock losstahl und teils über die Stirn vorwitzte, teils in schwerern Ringeln den blendenden Nacken beschattete.

Die Menuett, dieses zierliche, in Kunst gekleidete Kompliment, wie es die Franzosen genannt haben, war wie geschaffen auch zu einer Huldigung vor der Schönheit dieser selten schönen Frau.

Ob sie sich hoch in den Spitzen der Füße hob, ob sie sich tief bis zum Boden neigte, neben ihrem Tänzer ausschritt in zierlich bemessenem Takt –, jede Bewegung brachte die stolze, vornehme Haltung, mit der sich die Leidenschaft des Blickes so gut verträgt, die reizende Anmut, die man so verschwenderisch zeigen durfte, das wundervolle Ebenmaß des so schlanken wie üppigen Körpers, jeden Zug des reizenden Gesichtchens zur Geltung.

Man war entzückt! Auch Helwig fühlte, wie ihm das Blut zu Kopfe stieg, der Abend hatte ihn ohnehin schon warm gemacht, denn man trank starke Weine bei Bergs; und hier war sie ihm so lebendig nahe, wie nie, seit er sie an jenem unseligen, seligen Frühlingstage umfangen. Er fühlte den Duft ihres Haares neben seiner Wange, seine Glieder streiften die Falten ihres Kleides, ihre Hand ruhte in der seinen, zitternd mit fieberhaftem Druck.

So war sie sein eigen gewesen! Das einst und das jetzt flossen ineinander. Gleichwie aus einem verschütteten Schacht die betäubenden, schädigenden Dämpfe, strebte die Erinnerung an die überwundene Leidenschaft in die Höhe: für heute blieb Helwig Kanstedt an Adelens Seite.

Lieutenant von Rodenheim hatte seine Frau lange nicht in so brillanter Laune gesehen als am nächsten Morgen.

Kanstedt erwachte des andern Tages wie aus einem Rausche. Er hatte die Empfindung, als habe er ein Unrecht an sich selbst begangen.


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