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XVII.

Ob auch mit blutendem Herzen, erklärte sich Eva am nächsten Tage schon bereit, ein Band zu lösen, das ihrem Manne als ein Hindernis zu seinem Glück erschien.

Er war grade in der Stimmung, die Gräfin weder in ihrer Meinung noch in ihrer Absicht zu hindern. Es sei wirklich für beide das Beste, erklärte er wie nach reiflicher Überlegung; wozu sich gegenseitig genieren? Wenn man nicht länger zusammenpaßt – so etwas kommt heute ja öfter vor – geht man auseinander. Kein Mensch findet mehr etwas dabei; man muß nur die gehörige Form beobachten.

So lag denn durchaus kein Grund vor, Eva in ihrem herzzerreißenden Edelmute wankend zu machen. Am selben Tage noch verließ sie des Gatten Haus. Sie war leidend, was jedermann glaubte – bedurfte einer Kur, was alle Welt in der Ordnung fand.

Der Graf besaß an maßgebender Stelle Freunde – und wurde abermals versetzt – wodurch sich später alles übrige leichter machen würde. Man wollte den trefflichen Offizier, der wirklich keinen Feind hatte, wenn es irgend nur anginge, der Armee erhalten. Einstweilen ließ er sich bedauern, daß er ohne Hülfe seiner Frau den Haushalt auflösen mußte – wegen des Umzuges.

Eva beanspruchte nichts von ihrem Gatten; sie meinte, es würde sie entehren – in der Entsagung kam ihr Heldenkraft. Der Graf bestand nicht darauf. Von dem Erlös der Mobilien durfte er ihr nur die Hälfte schicken, selbst Kanstedt konnte daran nichts ändern. So blieb ihr eine Rente, wie sie dem Grafen kaum als Taschengeld gereicht hätte. Er aber sorgte nicht weiter darum, das Leben nahm ihn vollauf in Anspruch; auch meinte er, eine einzelne Frau könne schon auskommen auch mit ungefähr – nichts.

Eva dachte zuerst wieder nach Hause, zur Mutter zu gehen. Die aber lebte grade in den Flitterwochen mit ihrem Tenor und bezeigte durchaus keine Lust, eine Tochter aufzunehmen, die als lebendiger Taufschein mit ihr umherging; ebenso wenig Teilnahme für ein Geschöpf, das so thöricht alle Vorteile des Lebens aufgegeben hatte. Ebenso wollte der Vormund des Bruders nichts wissen von der geschiedenen Frau: auch er glaubte in allen Fällen an die Schuld, niemals an die Größe des schwachen Geschlechtes. Kurz, es kam alles, wie es Kanstedt vorhergesagt hatte; Zurückweisung und Kränkung zu dem vorhandenen Kummer und dem Leid. Einsam, verlassen, gemieden stand die junge Frau da, aus einer Gewöhnung voll Luxus und Glanz hinausgeschleudert in die Sorge und den Kampf um die Not des Lebens.

Doch alles dies erscheint ihr leicht, nachdem der erste entscheidende Schritt, das Fürchterliche geschehen!

Gleichwohl war es wie eine Fügung des Himmels, daß Kanstedt der im Leben so gänzlich unerfahrenen Frau ratend und helfend zur Seite stand.

Zuerst galt es einen Aufenthalt für Eva zu finden. Helwig kannte ein passendes Fleckchen Erde. Es war ein kleines Häuschen, sonnig und freundlich an Bergeshang gelegen. Ein Gärtchen zog sich zunächst darum; Vergißmeinnicht und Goldlackblüten zur Frühlingszeit; im Sommer entfalteten Centifolien und Moosrosen ihre duftige Pracht auf den mit Buchsbaum eingehegten Beeten, bis mit dem Herbst dunkelblaue und weiße Nachtviolen, bunte Levkojen an deren Stelle traten. Nur ein paar alte Bäume aus dem angrenzenden Walde schauten über die Weiß- und Rotdornhecke, dann und wann von einem Berberitzenstrauch unterbrochen. Sie umstanden gleichsam schützend die Schwelle, während der Blick nach der einen Seite freiblieb auf den Fluß weiter unten im Thal.

Helwig hatte einmal hier gewohnt, als er sich, um Karten aufzunehmen, in der Gegend aufhielt. Er meinte, es sei ein Heim, idyllisch einsam, genügend zum Ausruhen und Genesen von dem, was einem Menschenherzen die Welt da draußen an Leid gethan, und ebenso wieder durch eine nicht allzu fern liegende größere Stadt genug mit dem Leben verbunden, um es nicht darüber zu vergessen.

Es war an einem Dezembertag, als Eva, an Körper und Geist gebrochen, hier eintraf. Natürlich hatte Helwig sie hierher geleitet; nach kurzer Rast jedoch und nachdem er noch einmal den Hausleuten, den alten Willichs, auf die Seele gebunden, für die junge Frau in jeder Weise Sorge zu tragen, schied er am selben Tage wieder.

Zum ersten mal ganz allein stand Eva in Verhältnissen und einem Leben gegenüber, wie es das Töchterchen des Millionärs Christoph Schulze, die reiche, vornehme Gräfin, selbst im Traume für unmöglich gehalten haben würde. Wunderbar, solche Rückblicke kamen Eva nicht; ihre Seele war mit ganz anderm beschäftigt.

Am nächsten Morgen, da sie von einem Schlaf erwachte, wie ihn nur totenähnliche Erschöpfung, oder eine Stimmung, die keine Hoffnung und damit auch keine Sorge mehr kennt, mit sich bringen, schneite es zum ersten mal in diesem Jahr.

Langsam, leise, dicht und schwer fielen die großen Flocken hernieder, unaufhörlich. Gleich einem Schleier wallte es um das Haus, über den Garten, den Fluß und den Wald, ringsum bis hoch zum Himmel hinauf. Regungslos mit starrem Auge, stundenlang konnte Eva in dies Treiben hinein schauen. Zuletzt ward es der jungen Frau, als begännen die wallenden Schleier auch zwischen ihr und dem, was da draußen lag, zu weben. Dichter fielen die weißen Flocken; ihr ward, als stände sie selbst mitten in dem Wirbel, und die Flocken fielen alle auf ihr Herz, kühl, doch weich; es schmerzte nicht.

Tage und Wochen vergingen. Immer noch fielen die großen Flocken. Längst schon waren die letzten Reste des Gartens, der stattliche Buchsbaum an den Rabatten, die erfrorenen Kohlstengel, auch die roten Beeren der Berberitzen, die schwarzen Schlehen in der Hecke unter der weißen Hülle verschwunden; Wald, Berg und Fluß lagen begraben unter den weißen Massen. Immer noch starrte die junge Frau auf die Decke, welche die Natur für alles und für alle gleich, weiß und weich, rein und leuchtend bereitet. Und Eva weinte, klagte nicht mehr; sie sehnte auch nichts wieder zurück; sie meinte nur, es müsse wohlthun, ausruhen, schlafen zu können, gebettet unter jener Decke: kühl, daß die Stirn nicht mehr brennen: weich, daß das Herz nicht mehr schmerzen kann.

Vielleicht wäre Eva wirklich für immer eingeschlafen, den Blick auf die leuchtende Schneedecke geheftet, wenn es die zwei Alten im Hause und deren braver Wächter nur gelitten hätten.

Die Alten achteten darauf, daß das Feuer nicht erlosch in dem eisernen Ofen, der ein stets hungriger Gesell war und seine gehörige Zufuhr von Holz und Kohlen verlangte. Sie zwangen auch die junge Frau zu essen; Eva dachte nie daran, sie verlangte nichts; es schien ihr eine unliebsame Unterbrechung der tiefen Ruhe, die über sie gekommen war und als eine wonnige Wohltat von ihr empfunden ward.

Wächter aber – das war der treue Haushund –, der schon mit Kanstedt Freundschaft geschlossen und mit einem schwer nachzuweisenden, doch auffällig sich bewährenden Instinkt die gleiche Empfindung auf die junge Frau übertrug, wich nicht von ihrer Seite. Bald legte er seine zottige Pfote, bald seinen weichlockigen Kopf auf ihre Kniee; leise winselnd, wie bittend und zürnend in Ungeduld, klopfte er mit der langbefahnten Rute wedelnd den Boden, und, wenn das alles nichts half, sprang er empor, fuhr mit der Zunge über die Hände und Wangen der jungen Frau, als wolle er sie alles Ernstes erinnern, daß es doch noch etwas anderes, besseres gebe, als draußen den kalten Winter und seinen toten Schnee.

Dann konnte Eva nicht hart sein: ihre Finger strichen über das lockige, schwarze Fell. Gutes Tier, sprach sie leise und wunderte sich, was für treue Augen der Neufundländer habe.

Mehr aber als dies jedoch halfen Kanstedts Bemühungen, die junge Frau dem Leben zu erhalten und wieder zu gewinnen. Er schickte Bücher, verlangte ihr Urteil darüber – er wollte sie zerstreuen – sie durfte ihm die Freude nicht weigern, sie mußte antworten. Mehr noch: er schickte ihr Arbeit; galt es doch, Eva einen Lebensunterhalt für die Zukunft zu sichern; sie durfte den Hauptmann nicht im Stich lassen, wenn er einen Auftrag für sie angenommen hatte.

Dem stattlichen Offizier aus dem Generalstab, dessen Persönlichkeit und Leistungen, darunter vielbesprochene Abhandlungen, Anerkennung gefunden, begegneten sowohl die Verleger als auch die Kunst- oder Quincailleriehändler mit Höflichkeit und Vertrauen, als er sich mühte, Verwendung für die Arbeit einer Verwandten zu suchen. Erstere gaben kleine Aufsätze zum Übersetzen; letztere versprachen den Verkauf von kleinen Malereien, Schirmen, Rahmen, Spiegel, Glaskasten für »höchste Preise« zu übernehmen.

Und nach und nach nahm Eva das Leben wieder auf; freilich wurden damit alle Erinnerungen, Leid und Kummer von neuem wieder lebendig.

Doch Einsamkeit und Stille legen sich heilend auf die in Kampf und Schmerz zerrissenen Nerven; der Umgang mit der Natur wirkt auf die Seele gleich einem verjüngenden Bade. Pflichtgetreue Arbeit aber läßt quälenden Erinnerungen keinen Raum, noch nutzlosen Klagen. Den Geist stärkend, hilft sie Vergangenes, Unabänderliches überwinden; eine trost- und freudlose Gegenwart ertragen, indem sie an einer besseren Zukunft schafft.

Wie die sonnigen Lichter, diese eigentlichen Verklärer auch der schönsten Landschaft, allmählich vor den sinkenden Schatten des Abends verbleichen, verblich die einst so wonnig entzückende Liebe für ihren Gatten in Evas Herz. Sie wußte es kaum, daß nur er, immer wieder er, sein Wesen, sein Benehmen ihren Schatten warfen auf ein Bild, welches im Grunde nur die Sonnenkraft ihres eigenen noch so jungen Herzens imstande gewesen war, mit solchen leuchtenden Farben zu verklären, bis wiederum nur er allein dieses Herz so schwer geschädigt hatte, daß es zerbrochen war und nicht länger mehr vermochte, aus der eigenen Glut jenem dunkeln Bilde einen sonnigen Ton, eine warme Färbung zu leihen.

Eva wurde zu Sinn, wie einem Schiffer sein mag, der nach einer Fahrt voll Wonne und Entzücken, doch auch mit Not und Sturm, seine kostbare Last, um derentwillen er Mühen und Todesnot erduldet, endlich über Bord wirft, auf daß er, wenn auch ein Bettler, den friedlichen Hafen erreiche.

Als der Sommer ins Land kam, da konnte sie sich, ob auch mit stiller Wehmut, doch wieder daran freuen, daß alles wieder lebendig geworden ringsum. Wächter brauchte nicht länger schmeichelnd den Kopf auf ihre Kniee zu legen, mit der zottigen Rute den Boden zu klopfen oder mit einem sprechenden Blicke nach der Thür ungeduldig mit den Pfoten zu kratzen, die junge Frau knurrend an dem Kleide zu ziehen: ihre Stimme rief jetzt den treuen Gefährten von selbst zu einem Gange durch den Wald.

Eva war noch jung, die Gabe, sich selbst zu vergessen, war ihr in ungewöhnlichem Maße eigen. So konnte sie auch bald mit selbstvergessender Hingebung sich vertiefen, verlieren an die Umgebung.

Und der Himmel blaute hernieder; die weißen Wolken zogen dahin auf dem azurnen Grunde; – die Wellen des Flusses kamen und gingen glitzernd im Sonnenlichte, die Fische trieben munter ihr Spiel: es lebt sich gar wohlig in dem feuchten frischen Elemente, das allem Lebendigem Wiege ward. Die Sage aber geht im Volke: leichter vergißt der Mensch sein Leid, wenn er in fließendes Wasser schaut. – Gottes Odem weht über die Welt, vorüber an den alten Tannen, die kaum ein wenig die stolzen Wipfel neigen, schüttelt er die Kronen der Eichen und Buchen und ihre Blätter flüstern mit ihm. Er streicht über die Wiesen, die Gräser schaukeln leise, die Köpfchen der Blumen aber wirbeln durcheinander in fröhlichem Reigen von weiß und blau, von gelb und rot; – er fährt über das Feld, die Ähren neigen die vollen Häupter, als wollten sie ihn grüßen; Kornblumen, Klatschrosen lachen schämig hervor aus ihrem Verstecke. Welch ein Blühen und Duften, welch ein Reichtum von Formen und Farben!

Große glänzende Käfer, schwarz, braun und grün, kriechen über den Boden; kleinere ruhen schlafversunken, träumend auf den Zweigen; gefleckte Lacerten sonnen sich auf dem felsigen Gesteine – die Natter ringelt flüchtig den gefleckten Leib durch Gras und dürres Laub. Unter alten Bäumen laufen zierlich gegliederte braune Ameisen geschäftig durcheinander. Mit schillernden Flügeln wiegt sich die Libelle nahe den Wellen über Blumen und Schilf; zahllose Insekten tanzen im sonnigen Lichte; auf goldigem Strahle gaukeln bunte Schmetterlinge dahin. Die feinen braunen Köpfchen wiegend auf schlankem Halse äugt hier ein Sprung Wild aus dem Unterholze. Dort in der Ferne läuft ein Hase über den Weg. Ein Eichhorn klettert flink den Baumstamm hinauf; ein dürres Ästchen raschelt herab. Hier ruft der Kuckuck, dort hämmert der Specht; dumpf vom Wasser herüber klingt der Rohrdommel Ruf; mit scharfem Schrei fliegt die Krähe auf Nahrung aus; gurrend in der Tanne Wipfel lachen die Tauben. Es huscht, es raschelt am Boden, über das Moos, das Gras und das welke Laub; es hascht, es drängt sich im Gebüsche; es flattert, es schwirrt in den Zweigen: überall Leben; stilles, frohes Leben, immer anders, doch immer verwandt. Jeder Tag bringt etwas neues: ein Gras, ein Blatt, eine Blüte oder Frucht oder irgend ein anderes Geschöpf aus dem Reiche, das wir uns gewöhnt haben allein, außer uns, noch das Reich des Lebendigen zu nennen: ein jedes die Erde bereichernd mit neuem Schmucke, indem es sich selbst seiner Art und seines Daseins freut.

Mit großen, ernst erstaunten Augen schaut Eva von neuem immer wieder in diese wunderbare Fülle, die Mannigfaltigkeit in dem nimmer zu erschöpfenden Wirken der Natur, wo das Kleinste wie das Größte an seiner Stelle ein gleich großes Wunder, nichts ein Vergehen, alles nur ein Wandeln und Werden für stets höhere Stufen der Entwickelung bedeutet: jede so gefundene geringere oder unvollkommene Form des Seins als ein Versuch, eine verlassene Etappe innerhalb jener erscheint.

Oft, wenn Eva heimgeht, scheinen ihre Mienen unbeweglich, die Wangen totenbleich; ihre Augen blicken groß und dunkel, als habe sich das Blau darin zum Schwarz gewandelt; sie selbst sieht aus, als habe sie einen Geist gesehen, einen guten und – ein Geheimnis gefunden, – Wächter aber trottet stumm und still neben der Herrin, als fühle er, daß er sie nicht stören dürfe in ihrem Denken, ihre Seele nicht zurückrufen von dem Fluge, den sie genommen.

Hat dann Eva die Thür zu dem Gärtchen erreicht, dann wendet sie sich um; noch einmal umfängt ihr Blick den Fluß, die Berge, den Wald, die Wolken, die ihn säumen. Und in reiner Bläue strahlen die Augen wieder so köstlich und klar, als habe der Himmel sich selbst herniedergesenkt, durch sie seinen Einzug in ihre Seele zu halten; sie leuchten auf in einem Glanze so wunderbar licht, wie ihn die Sonne allein nicht erzeugt; ihre Wangen schimmern in warmem Ton, doch reiner und lichter, als ihn die Pupurglut der Wolken über die Erde fluten macht. Um den Mund der einsamen Frau aber schwebt ein Lächeln, das seinen Frieden etwas Höherm dankt als der Ruhe, welche mit dem Schleier der Nacht über alle Müden kommt. –

Helwig Kanstedt hat nicht umsonst auf die Ruhe und balsamische Luft, auf den wohlthuenden Einfluß der friedvollen Schönheit dieser Landschaft, den Umgang mit der Allmutter Natur für Evas körperliche und geistige Genesung gebaut. –

Und Wächter besinnt sich dann auf sich selbst; er stellt sich hoch auf die Hinterfüße und legt seine Pfoten auf Evas zarte Schultern. Nun lächelt sie. Bravo, mein Alter! Und während sie des Tieres Pfoten nimmt, um dieselben von sich herabgleiten zu lassen, neigt sie den blonden Kopf über den lockig schwarzen des Tieres, blickt freundlich froh in das treue Hundegesicht, als wolle sie sagen: wir beide, wir halten schon aus!

Wächter wenigstens versteht es so. Im Bewußtsein der Situation stößt er ein Freudengeheul aus, springt in großen Sätzen ein paar Mal um Eva herum und rennt wie besessen vor Freude ins Haus, die Ankunft der jungen Frau zu verkünden, auf daß man das Abendbrot richte für sie. –

Als dann wieder die weißen Flocken fielen, da legte es sich freilich doch wieder in schmerzvollem Erinnern, in wehem Todessehnen beängstigend, beklemmend auf Evas Herz; aber die Verbündeten für ihr Wohl hatten noch eine neue Unterstützung bekommen.

Die Kinder des Pastors aus dem nächsten Dorfe waren der fremden Dame bei den Brombeeren im Walde begegnet. Sie hatten zuerst nicht übel Miene gemacht, sie für eine Fee aus dem Märchen zu nehmen, mit denen sie die Mutter am Abend in Ruhe hielt, wenn der Vater seine Predigt präparierte. Dann aber, da diese Fee sich nur als ein Menschenkind, und zwar als ein liebes, freundliches, entpuppte, waren sie zutraulich geworden; zuletzt hatten beide Teile eine stille Freundschaft miteinander geschlossen. Nun lag der Wald mit seinen Gängen verschneit; die kleinen Pastors, unternehmungslustig wie alle modernen Kinder, kamen ihre Freundin bei den alten Willichs in dem Waldhäuschen besuchen. Auch Eva scheute sich nicht länger, einmal einen Abend bei Pastor Webers zu verbringen oder mit ihren Hausleuten zu verplaudern. Die Einsamkeit war keine Notwendigkeit, die Nähe der Menschen keine Qual mehr für sie. Nach und nach hallte doch etwas in ihrem Innern wider gegen diese Empfindungen. Was sich schon einmal als Ahnung in ihrer Seele geregt, es ringt sich zu immer klarerem Bewußtsein hindurch: sie meint, das Leben verlange noch etwas anderes von dem Menschen als Trauer und Thränen um ein verlorenes Glück – ein Glück, das doch am Ende nur ein Schein gewesen ist. – Und sie will sich Mühe geben, für – ja, für was? – Einstweilen denkt sie nicht viel an sich, sonst würde sie vielleicht bemerkt haben, daß langsam etwas in ihrem Herzen gestorben ist, eine neue Empfindung dafür zu werden beginnt.

Als der Himmel wieder hereinblaut durch das weinumrankte Fenster, die Eichen und Buchen herunterrauschen von der waldigen Höhe, die Amsel singt und baut in der Hecke unter dem Hollunderbusch, die Bienen summen um die blühende Linde: da kann Eva wirklich nicht mehr traurig sein!

Ihre Gesundheit hat sich gekräftigt; sie besorgt jetzt ihre kleine Wirtschaft selbst; nach und nach wird ein Stück von dem ausgepackt, was Helwig geschickt: er hatte darauf bestanden, daß Eva einen kleinen Teil, den einfachsten von ihrer früheren Einrichtung, behalten möchte.

Um vieles hübscher und behaglicher schaut es jetzt aus in den Räumen, die Eva bewohnt. Weiße, duftige Vorhänge fallen an den Fenstern herab, lang bis auf den Boden und lassen diese größer, die Decke höher erscheinen. Ein farbiger Teppich deckt weich, und angenehm für das Auge, die blank gescheuerten Dielen zu, der Sand knirscht nicht länger bei jedem Tritt; bequeme Möbel, mit dunkelm Tuch gepolstert, sind an die Stelle der hölzernen Stühle getreten. Hier und da schmücken ein paar Bilder, ein paar Statuetten die Wände; Gräser und Blumen, wie sie eine sinnige Frauenhand auf einsamen Spaziergängen sammelt, drängen sich dazwischen, zieren die Kommode, den Tisch, wo immer sich ein Fleckchen findet für dergleichen duftig luftigen Überfluß; Geranien aber und Heliotrop blühen wechselnd auf dem Fenstersims. Von allem das Beste: Eva ist fleißig mit der Palette, mit der Feder, je nachdem, – denn Kanstedt sagt, daß sie arbeiten, daß manches besser dabei werden muß! – Sie nimmt das nicht übel, er meint es gut! – Wie viel Güte sich aber doch in diese Strenge kleidet, ja, diese eigentlich ihm erst möglich macht, das weiß sie einstweilen nicht. Denn zum Glück hat die arme junge Frau keine Ahnung, daß die kleinen Malereien, wie sie ihrer Hand entstammen, durchaus nicht immer schon verwendbar sind: daß die Summe, welche sie aus deren Verkauf erhält, oft nur aus Kanstedts Kasse fließt, die, dank seinem Gehalt, seinen eigenen schriftstellerischen Arbeiten und seiner einfachen Lebensweise, stets für andere einen Überschuß ergiebt. Ebenso wenig weiß Eva, daß ihre Übersetzungen hin und wieder noch einer kleinen Verbesserung bedürfen, denen sich der Offizier des Großen Generalstabs sorgsam mit nie verdrossener Laune unterzieht. Er will der verlassenen Frau den Mut nicht nehmen.

Und es war ein Glück, daß Eva seinen Worten glaubte, ihre Arbeit liebte, zuerst vielleicht nur, weil er sie ihr gegeben hatte, jetzt, weil sie sich wohl dabei fühlt. Ja, sie fühlt sich wirklich wohl in diesem einfach schlichten, sorglich ausgefüllten Leben, das, so ganz anders als das vergangene, keine Erinnerung weckt und kein Vergleichen zuläßt; – wohl wie lange nicht, vielleicht wie nie. –

Und so freut sich Eva an dem Sonnenschein, wie er warm und glänzend auf Berg und Thal, Wald und Fluß ruht. Sie freut sich an ihrer Wirtschaft; sie hat nie gewußt, wie das hübsch ist, wenn ein Gericht gelingt, ein altes Kleid wieder neu wird unter fleißigen Fingern. Sie nimmt teil an den Freuden und Sorgen ihrer Hausleute; sie wandert mit Mutter Willich in den Garten, zu untersuchen, ob die Erbsen endlich reif werden wollen, die Rüben und die Zwiebeln gedeihen, die Raupen keinen Schaden an dem jungen Kohl gethan haben. Sie geht mit ihr nach den Ställen, zu sehen, wie die kleinen Küken wachsen, die jungen Ferkel sich tummeln, dreizehn an der Zahl, ein kleines Wunder, aber ein angenehmes für die Wirtschaft. Dann tritt auch der alte Willich hinzu, und Eva erfährt, daß die neue Kuh gut einschlägt und er einen Handel unter Brüdern mit dem Rind gemacht hat.

Die Leute freuen sich, wie die blasse, elende Frau, die wie ein Mädchen aussieht und die sie im Grunde nur dem prächtigen Hauptmann zuliebe ins Haus genommen haben, kräftig, gesund und lieb geworden, und vergessen darüber, daß ihnen ihr »einziges«, ein Mädchen von achtzehn Jahren, gestorben ist.


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