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XIX.

So schonend wie möglich hatte Kanstedt Eva die schicksalsvolle Anwesenheit ihres Gatten mitgeteilt. Er hatte dabei ihre Hand in der seinen gehalten, sein Arm hatte sie gestützt, als sie zu wanken drohte – und dann hatte er sie zu dem Lager des Grafen geführt.

Kein Wort, kein Blick war zwischen ihnen gewechselt – jedes persönliche Empfinden – jeder Gedanke an das eigene Geschick schien vor dem Leid, das den einstigen Freund und den Gatten so furchtbar, schrecklich, gleich einem Arm des Gerichts, betroffen, zurückgedrängt. –

Der Graf wußte weder, wer bei ihm war, noch was um ihn her vorging; kaum daß er nach und nach zu einer Art Bewußtsein kam von sich selbst, was sich einstweilen jedoch fast nur auf ein rein elementares Gefühl von Erleichterung in Muskeln und Nerven beschränkte, wenn die Eisstücke auf der Binde über der Stirn und den Augen erneuert wurden, oder die kleinen Pillen der kühlen Masse den ihnen bestimmten Weg nahmen, um das Blut in der verwundeten Lunge zu stillen.

Er hatte sich löwenmäßig gewehrt gegenüber seinen Angreifern. Er würde sich auch gewiß trotz deren Überzahl behauptet haben, wäre nicht sein Fuß auf den glatten Nadeln des Waldbodens ausgeglitten, er selbst damit zu Falle gekommen und sein Säbel, indem er unter dem Gewicht des sich darauf stützenden Mannes auf die Wurzeln aufstieß, in zwei Stücke gebrochen.

So war es ein leichtes gewesen, der aufschlagenden Hand den Rest ihrer Waffe zu entreißen: das Unerhörte, Gräßliche, nie Auszulöschende war geschehen: der Offizier war einer Schar von Betrunkenen erlegen, seine militärische Ehre vernichtet!

Man hatte den Grafen in Evas Wohnung gebracht, weil sie doch geeigneter für ein Krankenlager schien als die große Kammer unten auf dem Flur.

Noch an demselben Abend stellten die Ärzte fest, daß trotz der schweren Verwundungen bei der Konstitution des Grafen keine augenblickliche Lebensgefahr zu befürchten sei; daß aber das linke Auge verloren und die Lunge lädiert bleiben würde.

Eva und Kanstedt hatten wechselnd bei dem Verwundeten gewacht; jedoch so, daß sie selbst die ihnen zugemessene Ruhepause in dem Nebenzimmer einhielten, auf daß einer dem andern zur Hand bleiben möchte für den Notfall. Immer noch hatte das furchtbare Schicksal des Grafen ihr Sinnen und Denken einzig und allein beschäftigt; man konnte sagen: dieses hatte sich darauf ausschließlich konzentriert. Erst mit dem heraufziehenden Morgen schien ihnen die eigene Lage zum Bewußtsein zu kommen, und nun in fast angstvoller Scheu begannen sich ihre Blicke zu meiden; – und sie selbst mieden jedes Wort, welches daran erinnern konnte. Das liebe blasse Gesicht der jungen Frau nahm einen undurchdringlichen Ausdruck an – es lag wie ein schwerer, dichter Schleier über ihren Zügen. Quälende Sorge um Eva aber schnürte Helwig die Kehle zu. Dann und wann nur wurde die Stille unterbrochen, wie es die Pflege des Kranken als notwendig mit sich brachte.

Der zweite Tag neigte sich seinem Ende entgegen. Eva war, um ein paar Augenblicke zu ruhen, von dem Kranken fort in das Zimmer nebenan gegangen. Die frisch kühlende Luft des sommerlichen Abends würde ihr besser thun als ein Warten auf den Schlaf, der doch nicht kommen konnte. Sie hob den Kopf von den Kissen des Sessels, stand auf – trat an das offene Fenster und blickte hinaus in die Natur, die immer gleich schön und friedvoll bleibt, weil es für sie kein Leid, kein Trennen giebt – alles nur ein Wandeln ihrer immer gleich großen, schaffenden, unzerstörbaren Liebeskraft bedeutet; eins wie das andere nur ihren großen Zwecken dient, damit erst seine eigentliche Bedeutung empfängt.

Die Schatten des Abends zogen herauf, mit bläulich grauem Duft hüllten sie die Erde ein; noch hielt sich der Mond hinter den Tannen verborgen.

Leis legte sich ein Arm um die junge Frau, unbemerkt war Helwig neben sie getreten.

»Was nun, Eva?« fragte er.

Und leuchtend schaute die silberne Scheibe über die dunkeln Tannen herüber; ein heller Strahl fiel auf seine männlich ernste Stirn, die junge Frau sah ihn an und weinte bitterlich.

»Was nun Eva?« frug er noch einmal.

»Dort wird meine Stelle jetzt sein,« kommt es dann fast unhörbar, doch fest von ihren Lippen.

Ihr Blick zeigt dabei nach dem Zimmer nebenan, wo ein an der getünchten Wand sich herabbauschender Vorhang von leichtem Gewebe verkündet, daß man hier ein Krankenlager aufgeschlagen.

»Um Gott, Geliebte!« bricht Helwig leidenschaftlich aus, »das kannst du nicht wollen! Das wäre übermenschlich! Nein, nein, das kann nicht sein! Dieser Unselige ...«

»War mein Gatte. Als ich ihn verließ, als ich ihn frei gab, galt es, daß er glücklich werde. Jetzt würde er allein sein, elend ohne mich.«

»Du liebst ihn, Eva, immer noch!« fast vorwurfsvoll klang es.

»Ich habe ihn geliebt,« – sinnend blickt die junge Frau in die Nacht – ein trübend Gewölk hatte das Licht verhüllt, das kaum am Himmel erschienen war. Zwei große Thränen rollen über die blassen Wangen. –

Wildes, bitteres Weh zuckt durch seine Seele. »Und ich, Eva, was wird aus mir?« ruft er bittend, zornig fast.

»Du!« – Eva zitiert, in schmerzlichem Krampf schlingen sich ihre Hände ineinander. Sie lehnt den Kopf an seine Schulter, nur einen Augenblick muß sie hier ruhen; sie blickt über die dunkelen Tannen zu dem dunkeln Himmel empor.

Und golden färben sich hier die Ränder der Wolken, siegend bricht das Licht sich seinen Weg durch den zusammengeballten Dunst.

»Dich Helwig,« beginnt sie dann leise, »halte und hege ich in meiner Seele bis in Ewigkeit. Wenn ich an dich denke, ist mir als stünde ich auf einem hohen Berg und sähe in die Sonne. – Ihr Licht dringt in alle Lande, immer mächtiger mit seinem Glanz, immer weiter mit seinem Schein, hinaus über alle Welt. Jedes Ding, auch das geringste, beginnt zu leuchten; ich selbst scheine mir lichter in diesem Licht. Nur du überstrahlest alles, denn du bist die Sonne, von der all das Licht seinen Ausgang nimmt – das Licht, ohne das ich nicht mehr leben könnte!

»So stehst du vor meinem Geist, auch dann, wenn diese meine Augen dich nicht sehen; ich halte dich umfangen und fest mit meiner Seele, auch wenn meine Arme dich nicht erreichen. Was ich je an Freuden, an Glück gekannt, für was sich mein Herz an Großem und Herrlichem begeistert! in dir habe ich es wiedergefunden, losgelöst von jedem Irrtum, jedem Kummer, jedem Leid. Doch mich dünkt – kommt sie schnell einer Entgegnung zuvor – ich habe darüber gedacht in den einsamen Stunden dieser Nacht und dieses Tages, wenn du meintest, daß ich ruhen sollte – jenes Licht müßte dunkel werden; ich selbst einen Schatten werfen auf dich; die ganze wundervolle Herrlichkeit, die ich so in dir mein eigen nenne, müßte zergehn, wenn ich ihn verließe jetzt – und ginge mit dir!«

Höher ist der Mond gestiegen; verklärend webt sein Schein um Evas Gestalt.

Und wie in scheuer Ehrfurcht beugt Helwig sein Haupt: »Wer hat dich so denken gelehrt?«

»Ich bin dein Werk,« sagt sie einfach mit einer Stimme, der jedes Persönliche, soweit es die Schranke heißt, welche die Größe einer Empfindung einengt, abgestorben scheint – »wie diese Liebe. Und sie bleibt über uns, auch wenn wir einander nicht gehören. Du wirst dein Werk nicht zerstören wollen.«

Nur ein tiefer Seufzer klingt als seine Antwort zurück.

»Du wirst dein Werk nicht zerstören wollen, Helwig,« klingt es noch einmal vertrauend und doch beschwörend aus der Tiefe ihrer Seele.

Und der Wind hat eben die letzten Wolken an dem Himmel vertrieben; groß und glänzend stehlen sich die Sterne aus dem blauen Grunde hervor. Es beginnt wie eine Glorie zu weben, um die beiden Gestalten – doch intensiver noch in dem magischen Licht, beredter noch sieht er es leuchten in ihren Augen, die wunderbare Kraft, mit der die Frau dem Manne über ist – die Kraft, welche das Weib »die Mutter der Menschen« zu der Hüterin ihrer heiligsten Güter werden ließ.

Nein, noch hört man es dem Worte an, wie es sich schwer über die Lippen hindurch gerungen hat. Nein – immer mehr und mehr nimmt seiner Stimme Ton die Färbung an, wie sie in die ringsum leuchtende Glorie stimmt. Diese Liebe denn bleibe unser eigen. Zu ihr wollen wir emporschauen, als zu dem Höchsten, was die Menschen kennen, an ihr wollen wir festhalten, wenn alles um uns wankt. »Lebe wohl, Eva!« Seine Lippen berühren ihre Stirn mit einem Kuß, der gleich dem des Parzivals von der Magdalene die Schuld, jeden Stachel aus der Seele löst. »Kein Wunsch von mir soll deinen Frieden, deine Ruhe stören.«


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