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15

Während der dunklen Wintertage im Januar und Februar auf den Fischfang ziehen. Spät in der Nacht nach Hause kommen, – häufig erst beim Morgengrauen – mit einer dicken Eiskruste am Bug. Hin und wieder noch weiter hinausrudern, bei Svartöja und Hölingen vorbei, in tieferes Fahrwasser, wo der Dregganker bis ins Unendliche versinkt und die Schnur kaum ausreicht. Dort liegen und Dorsche angeln, ab und zu einen Bergilt, bisweilen auch einen Kaulkopf oder Knurrhahn – oder vielleicht auch einen ganz merkwürdigen Fisch, gelb und grün, der möglicherweise vergiftet sein kann, und der darum vorsichtig vom Angelhaken gelöst und wieder ins Meer geworfen werden muß.

Eine halbe Stunde lang im Boot stehen, um den Dregganker aufzuziehen. Kalt, so daß es unter den Nägeln brennt; das Tau voller Schlamm, so daß die Hand gleitet. Wenn dann der Dregganker schließlich oben ist, die Arme zur Erwärmung kreuzweise übereinanderschlagen, so daß es in den Fäusten kracht, wenn sie die Werktagsjoppe treffen – und dann schließlich im funkelnden Sternenschein, bei mattem Himmel oder grauschwarzem Nebel, je nachdem das Wetter ist, nach Hause rudern.

Zeitig am Morgen zu einer engen Hafenspelunke gehen, um einer Frau, die man nicht kennt und die einen nicht kennt, die Fische zu verkaufen. Vor einer Tür mit dem Schild: ›Mad. Kristoffersens billige Bewirtung und Logis für Seeleute.‹ Halt machen. An die Tür klopfen, bis sie endlich geöffnet wird. Dann aus der Frische des Wintermorgens in einen Raum kommen, wo vier bis sechs Mannsleute längs der Wände in Betten liegen. Die Frau liegt der Tür am nächsten. Sie ist die einzige, die aufsteht; die andern wenden den Kopf und sehen einen mürrisch an, weil sie in ihrem Morgengebet gestört werden, wie der Schwarzbärtige dort hinten mal erklärt hat.

Es ist kalt und feucht da drinnen. Und dann eine eigene häßliche Luft mit einem strammen Trangeruch, der sich in der Nase festsetzt.

Von den Mannsleuten, die nach dem Klopfen wieder eingeschlafen sind, hört man hin und wieder tiefe Atemzüge und langes Schnarchen, das oft mit einem Knall abbricht. Die Frau steht mit bloßem Hals in der roten Wolljacke und befühlt die Fische. Ihre Haut ist braun, sie hat schwarzes Haar, eine breite Nase und einen großen, dicken Mund – es ist wohl Negerblut in ihr. Sie hat nie große Lust, die Fische zu kaufen, oder tut nur so: der und der Dorsch sei keinen Groschen wert, hätte ja nur Kopf und Flossen; was? Magen hätt' er? Den Magen könnt' er selbst fressen … Zieht dann endlich den Beutel hervor, einen schweren Beutel aus schmierigem Leder, bezahlt und sagt, daß sie mehr bezahlt, als sie muß … Jon sei ein Jude.

Dann gilt es, sich nach Hause zu packen und den Ofen zu heizen, denn man ist naß und friert elendiglich, nachdem man achtzehn Stunden hintereinander auf der See getrieben hat. Der Kaffee wird aufgesetzt, der Ofen ist zum Kochen eingerichtet. Brot und Butter wird aus dem Eckschrank geholt. Während der Kaffee überm Feuer steht, wird das Hemd gewechselt und eine andere Hose angezogen. Dann wird die kurze Tabakspfeife mit geschnittenem Kautabak gestopft, Tisch und Stuhl werden an den Ofen gerückt, und man reckt sich und empfindet den herrlichen Geruch von brennendem Kautabak und starkem Kaffee … jetzt ist's schön und behaglich … gerade vor sich sieht man das Bild mit dem Jäger und dem Hirsch: der Jäger schläft, oder vielleicht ist er tot … die Büchse liegt neben ihm. Ein feister Hirsch mit Hörnern so lang wie Birkenreis leckt dem Jäger das Gesicht … Der Mond steht hoch oben am Himmel und scheint hernieder. – Behaglich ist's, dies Bild zu betrachten, wenn man so geborgen am warmen Ofen sitzt …

Plötzlich summt es im Kaffeekessel. Der Dampf wird in solch langen Wolken herausgepufft, daß er einen fast berührt. Der Kaffee kocht. Dann wird er abgenommen und auf die Ofenplatte gesetzt, damit er ziehen und sich setzen kann. Inzwischen werden einige dicke Scheiben Brot abgeschnitten, sehr dick; wer tüchtig beißen kann, hungert nicht. Butter wird aufgeschmiert und die starken Zähne schneiden hinein, so daß es in der Rinde knackt. Dann wird die Schale voll starken Kaffees geschenkt, und man ißt und trinkt langsam, aber gut. Wohl eine halbe Stunde lang.

Der Schlaf nach achtzehnstündiger, ununterbrochener Arbeit ist sehr schwer. Manchmal versucht irgendein unbestimmter Traum sich in den schweren Schlaf zu drängen; eine feste Form aber nimmt er nicht an. Man hat den ganzen Tag Fische vor Augen gehabt – jetzt meint man auch Fische zu sehen, einen großen Fisch; aber er lebt nicht; liegt lang und tot da wie im grauen Nebel; legt sich vielleicht wie ein Alp auf die Brust, so daß man sich wälzt und sich hin und her wirft, die Augen einen Augenblick öffnet und entdeckt, daß es gar nichts war. Dann kommt der Schlaf wieder schwerer als vorher; unwiderstehlich zieht er einen mit sich in eine tiefe Schlucht, wo alles Gefühl und jede Erinnerung verlöscht.

Wenn man schließlich erwacht, hat man viel länger geschlafen, als man eigentlich wollte. Schwer im Kopf und matt in allen Gliedern sucht man das tiefe Dunkel zu durchdringen. Man kann nicht daraus klug werden, wie man liegt. Hat das Bett sich verrückt? Und das Graue dort drüben – was ist das? ach, das ist das Fenster, und da ist wohl die Schrägwand – ja, dann steht das Bett doch richtig.

Es ist kalt im Zimmer; man muß aufstehen, um sich etwas Abendbrot zu bereiten und zu sehen, wie das Wetter ist; aber man ist so schwer, so fürchterlich schwer – bleibt noch eine Weile liegen, aber zwingt sich dann mit einem kühnen Entschluß in die Höhe.

Hat man sich erst mal an dies Leben gewöhnt, fällt es einem leichter, und der Körper ist nicht mehr so schwer; die Tage aber gleiten trotzdem so seltsam unklar vorbei. Keinen, mit dem man umgeht, immer nur mit sich selbst beschäftigt sein, etwas essen, meistens Kaffee und Brot, die ärgste Müdigkeit ausschlafen – und dann wieder ins Boot und in die ewige See starren, bis eine matte Dummheit den Sinn gefangen nimmt.

So vergehen die Tage für Jon Gräff. Die einzige, die mit ihm spricht, ist Madam Holen. Sie hat ein Zimmer neben dem seinen. Sie weiß wohl nicht, wie verrufen Jon ist; denn sie ist viel zu taub – weiß nicht mal recht, wie er heißt; sie nennt ihn Grä. Darum fürchtet sie ihn auch nicht, sondern steckt häufig den Kopf zur Tür herein und sagt mit ihrer seltsamen, rasselnden Stimme – sie spricht, als säße ihr ein loser Zapfen im Halse: »Entschuldigen Sie, Grä, können Sie mir vielleicht sagen, wieviel die Uhr ist?« Jon geht hin und zeigt ihr die Uhr; er weiß aus Erfahrung, daß Schreien nichts nützt. Sie nickt und knixt und sagt vielen Dank – und weiter spricht keiner mit ihm.

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