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15

Svartö = die Schwarze Insel oder richtiger Svarteberge = der Schwarze Berg lag eine halbe Meile vor Skarven. Auf der Nordseite fiel das Ufer steil ins Meer; an den anderen Seiten glitt es sanft in langen, runden Absätzen hinab.

Diese Insel hatte eine ganz seltsame, dunkle Färbung. Fast konnte man glauben, sie sei einmal vorzeiten mit flüssigem Pech oder Teer überstrichen worden und Sonne und Wind hätten sie mit den Jahren abgeputzt, so daß sie jetzt ganz schwarzblank dalag und das Meer im nahen Umkreis, selbst bei klarem Wetter, dunkel färbte.

Hier und da fanden sich kleine Flecken von braunem Heidekraut oder von dünnem Gras, das in dem mageren Erdboden stand und bebte.

Es wehte hier immer. Möglich übrigens, daß es in ganz stillen Sommernächten auf dem Schwarzen Berge auch Ruhe gab. Man hörte dann nur ein leises, summendes Geräusch von den kleinen Wellen, die die Steine berührten, und es klang sanft und friedlich wie ein Murmeln. War das Meer aber nur im geringsten in Bewegung, hui! dann sauste es über die ganze Insel und der Wind half nach und pfiff und heulte durch die zahlreichen Risse und Spalten. Mancherlei Töne gab es da zu hören.

Vor etwa zehn Jahren sollte ein Mann auf der Insel gelebt haben. Ein Schwede sei er gewesen, hieß es, und der hatte einmal ein Schiff besessen, das untergegangen war. Er hatte sich damit ernährt, Leute von Zahnschmerzen zu kurieren und darauf verstand er sich so gut, daß er dem Zahnarzt in der Stadt viel Kundschaft wegnahm. Das ganze Jahr hindurch hatte er in einem Fährschiff gewohnt, das auf der Südseite des Schwarzen Berges lag.

Wenn Leute zu jener Zeit gemütlich in der Dämmerung beisammen saßen und über ihre lieben Nächsten herzogen, dann kam der schwedische Schiffer auch immer an die Reihe, und es gruselte den meisten und niemand konnte begreifen, wie er so ganz allein dort wohnen mochte. Hatte sich wohl irgend was zuschulden kommen lassen, weil er sich so versteckte.

Das aber waren nur Vermutungen, denn kein einziger hatte jemals etwas Schlechtes über den Mann gehört.

Etwa zehn bis zwölf Meter von der Meeresküste entfernt, stand noch der Schuppen, in dem der Schiffer die Segel und Ruder und sonstigen Dinge, die er gebraucht, und die das Fährschiff nicht faßte, untergebracht hatte. Der Schuppen war jetzt in einer traurigen Verfassung, ganz grün von Feuchtigkeit im Innern. Viele Jahre würde er nicht mehr standhalten können. Vielleicht rafften die ersten Herbststürme ihn schon hinweg.

Von dem Ende des schwedischen Schiffers wurde folgendes erzählt: An einem kalten Tage im Januar – es schneite und stürmte – wurde Johannes Skau in Skarven eines Mannes ansichtig, der langsam auf sein Haus zukam. Er ging unsicher, als sei er betrunken. Und plötzlich schlug er lang hin, gerade in dem Augenblick, als er die erste Stufe der Treppe hinaufgehen wollte. Johannes Skau eilte hinaus und half ihm sorgsam in die Stube. Aber er fiel wieder um und verlor das Bewußtsein. Johannes meinte, daß der Mann halberfroren sei und versuchte ihn mit Branntwein aufzutauen. Gegen Abend belebte er sich etwas und kam soweit zu sich, daß er erklären konnte, er sei der Schwede von der Schwarzen Insel; er hätte seit vielen Tagen, ohne Licht und ohne Wärme und Nahrung im Fährboot gelegen, weil er vor Schneegestöber nirgends hätte hingelangen können. Dann wäre er in der äußersten Not auf den Gedanken gekommen, das Eis bis nach Skarven zu probieren, und er sei froh, daß es gehalten hätte. Zum Schluß dankte er Johannes für seine Mühe und bat ihn um Obdach, bis das Unwetter überstanden wäre. Er solle ihm nicht umsonst diese Freundlichkeit erwiesen haben.

Ein Unglück wär' es nun freilich nicht gewesen, wenn er gleich den ersten Tag durchs Eis gebrochen wäre. Am nächsten Morgen war er ernstlich krank und in der Nacht des dritten Tages ging er im Fieberwahn im bloßen Hemd weit aufs Eis hinaus, fiel in eine Spalte und ertrank. Johannes Skau fand seine Spuren in der dünnen Schneeschicht, die das Eis bedeckte. Denn es soll nicht verschwiegen werden, daß Johannes Skau ein guter Mensch war, der sich gleich am andern Morgen aufgemacht hatte, um ihn zu suchen.

Seit jener Zeit hatte niemand auf der Schwarzen Insel gewohnt. Hin und wieder ging wohl mal ein Makrelfänger oder ein Lotschiff dort vor Anker, um den Ballast zu verstärken; aber nur für eine kurze Weile. Sonst lag die Schwarze Insel groß und dunkel und öde da.

Wenn die Nacht mit ihrer Dunkelheit hereinbricht, steht die Finsternis wie eine Mauer wenige Schritte von einem entfernt. Auf dem Schwarzen Berge kann man sich ihrer nicht erwehren, nein, sie drängt sich dicht heran, legt sich einem auf die Brust, so daß man unwillkürlich die Hände abwehrend ausstreckt.

In der Nähe des Meeres ist es nicht ganz so dunkel, und wenn man dort des Abends steht und einen Leuchtturm in der Ferne auftauchen sieht, und zu den Sternen hinaufschaut, die so still am Himmel stehen und blinken, wenn man den Wellen zusieht, die gegen das Felsenufer anplätschern und tausend Meerleuchten-Funken entzünden – dann findet man, daß die ganze Szenerie etwas Großartiges hat.

Rudert man aber an einem Sommermorgen vorbei und sieht die Sonne hinter dem Berg aufsteigen, der still und dunkel daliegt, während das Meer und der Himmel glitzern und leuchten, dann fühlt man sich in dem herrlichen, lichten Sommermorgen vielleicht unwillkürlich von der Dunkelheit angezogen – besonders wenn man einsam und verlassen ist.


Es war mit einem eigenen Gefühl, daß Jon eines Morgens auf der Schwarzen Insel landete. Er ging mit schweren, sicheren Schritten, so wie ein Hausherr durch seine Stube schreitet. Es behagte ihm, das ganze Reich für sich zu haben. Hin und wieder blieb er stehen und maß die Entfernung von hier bis dort mit den Augen, ohne etwas Bestimmtes damit zu bezwecken, aber es war ein gebietender Blick. Dann blieb er wieder stehen und spuckte im weiten, weiten Bogen aus. O ja, hier würde sich's schon leben lassen! Er war sein eigener Herr, hatte über zwanzig Taler in der Tasche, im Boot lagen Lebensmittel für viele Tage, und er war Gebieter über den ganzen Berg.

Jetzt aber wollte er ihn etwas näher untersuchen. Es war wohl das beste, sich an der Küste zu halten und zu versuchen, ganz um ihn herumzugehen. Zeit hatte er ja … Er wandte sich westwärts. Anfangs konnte er ruhig und behaglich, wie auf einem Fußsteig, vorwärtsschreiten; als er aber die eigentliche Westküste erreichte, mußte er über eine Menge Steingeröll hinwegklettern. Nach einer Weile hörten die Steine auf und der Berg wurde höher und schließlich stand Jon auf der steilen Nordseite. Er hatte einen weiten Blick über Inseln und weit ins Land hinein … Die Stadt lag da wie ein heller Punkt mit dunklen Umgebungen. An ihrer rechten Seite schob sich die Landzunge vor, zu Anfang breit, dann aber schnell schmäler werdend – – – links schimmerten die weißen Hügel und dahinter die dunklen Kieferwaldungen. – –

Über dem Ganzen lag eine leichte, dunstige Luft.

Von hier aus sah die Stadt, dieser Punkt, so hübsch und friedlich aus, daß Jon Gräff es einen Augenblick wie Sehnsucht in sich aufsteigen fühlte, zu dem Ort zurückzukehren, nach dem er sich stets gesehnt. Als er aber den Gedanken näher erwog, wurde er kühler. Er fühlte die Augen der Leute schwer auf sich geheftet. Er fühlte, daß es dort für ihn kein Vorwärtskommen gab. Vielleicht hätte ein anderer es verstanden, die Leute zu gewinnen und gut Freund mit ihnen zu werden, mochte er auch noch so oft seinem Onkel god dam geschrieben haben. Aber er müßte einen leichteren Sinn haben, müßte ein recht leichtlebiger Kerl sein, der sich über die Leute lustig machen konnte, so daß sie seine Zunge fürchteten. Und Spaß müßte er mit ihnen treiben und sie zum Lachen bringen, daß sie auf solche Weise Gefallen an ihm fänden. Denn mit Spaßvögeln üben die Menschen Nachsicht; sie fürchten, daß sie sich über sie lustig machen, und sie freuen sich, wenn sie ihnen was zu lachen geben …

Als Jon weiter schritt, fühlte er, daß er hier freier ging, als in den Straßen der Stadt, wo er die bösen Blicke hinter sich herschleppte …

– Die Ostseite war flach und niedrig. Das Meer spülte an mehreren Stellen über ebenen Sandboden. Er blieb einen Augenblick stehen und erwog, ob er sich hier ein Haus zimmern solle; als er aber wieder auf die Südseite kam, fand er es doch da am besten. Hier konnte sein Boot im Schutze der Landzunge liegen, die eine scharfe Biegung nach Westen machte, und außerdem konnte er sich den alten Schuppen zunutze machen, wenn er diesen ausbesserte und stützte.

Im Innern war der Schuppen besser, als er gedacht hatte. Er war in zwei Räume eingeteilt, in einen größeren und einen ganz kleinen. Der große erhielt Licht durch eine Öffnung in der Wand, der kleine war ganz dunkel, außer wenn die Tür zum Nebenraum offen war. Drinnen stand ein großer Topf, auf dessen Boden sich etwas fand, das sich bei näherer Prüfung als Harz erwies; gleich neben der Tür hing ein kleines Stück Spiegel in einem Messingrahmen; auf der Rückseite stand auf einem Stück Pappe, soweit man es entziffern konnte: Alh Gynv. 1839.

Um die Mittagszeit kam Bauholz und anderes Material. Es wurde von einigen Leuten an Land geschafft, und Jon stand dabei und sah nach dem Rechten. Er hatte ein überlegenes Wesen und sagte nicht viel; als sie aber fertig waren, bekam jeder sechzehn Schilling Trinkgeld. Das war mehr, als sie erwartet hatten, und sie grüßten alle, als sie ins Boot stiegen.

Jon hatte mancherlei gelernt, während er sich in der Welt herumschlug. Darum wußte er sich auch zu helfen, als es jetzt galt, ein Haus zu zimmern. Er war mal beim Booming einer amerikanischen Stadt dabei gewesen und wollte die Zimmerarbeit hier auf dieselbe einfache Weise ausführen. Als es Abend wurde, war er schon ein gut Stück vorwärtsgekommen. Das neue Haus sollte klein aber fest gebaut sein und zwei Räume enthalten. Jetzt aber merkte er, daß er müde war. Er hatte auch den ganzen Nachmittag angestrengt gearbeitet. Er stieg ins Boot und aß dort sein Nachtmahl. Ein gutes halbes Schwarzbrot führte er sich zu Gemüte und trank eine ganze Flasche Bier dazu. Dann stieg er an Land und vertäute das Boot. Darauf nahm er das Segel und trug es in den inneren Raum des Schuppens. Das Großsegel breitete er unter sich und mit dem Wintermantel deckte er sich zu. Das Focksegel diente zusammengerollt als Kopfkissen, und so schlief er die erste Nacht auf der Schwarzen Insel.

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