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15

Gegen Frühjahr machte Jon die Bekanntschaft von Andrésen, dem ersten Arbeiter bei dem Bootsbauer Svendsen, und jetzt faßte er Hoffnung, daß seine Lage sich verbessern werde. Vielleicht würde er doch feste Arbeit bekommen können und nicht länger von der Hand in den Mund zu leben brauchen.

Dann aber mußte er selbst das Seinige dazu tun. Er mußte ein freundliches Gesicht aufsetzen und versuchen, gut Freund mit den Leuten zu werden. Das Leben, das er jetzt führte, war auch gar zu trübselig.

Vor allen Dingen, fort mit dem Wetterhut! Wie konnte er auch mit solchem Räuberdach umhergehen? Man mußte ja mürrisch aussehen, selbst wenn man so sanft wie eine Taube war.

Nein, einen hübschen, steifen Hut wollte er sich kaufen, so daß er nicht wie ein Grobian aussah. Er war ja nicht gerade bestrickend schön, aber auf die Schönheit kam es hier in der Welt auch gar nicht so sehr an, und wenn man sich das Haar bürstete und freundlich dreinblickte, war man wohl auch nicht so schlimm.

Jon Gräff wurde fröhlichen Sinnes in dieser Zeit!

Andrésen war solch freundlicher Mann. Er würde ihm gewiß helfen! Wenn Jon auf der Werft mit ihm plauderte, widersprach er ihm nie, und wenn Jon ihm erklärte, wie sie dies oder jenes bei Mr. Haverton in Boston gemacht hätten, antwortete Andrésen: »Ja, ja, das ist wohl nicht so übel!« oder: »Ja, das lohnte sich wohl nachzumachen.«

Jon ging häufig zu ihm. Die Werft lag neben der Brücke, und sein Weg führte ihn dort täglich vorbei. Er wollte Andrésen gern begreiflich machen, daß er in der Bootsbauerei geübt war, und er zweifelte nicht, daß Andrésen dies anerkannte, denn ergab ihm beständig recht und sagte »Ja!« zu allem, was Jon ihm erklärte.

Lange Zeit aber war nicht vergangen, da wollte es Jon scheinen, als sei Andrésen etwas geistesabwesend. Oft geschah es, daß, wenn Jon ein Wort an ihn gerichtet hatte – vielleicht eine Frage – dann wurde Andrésen plötzlich lebhaft und sagte: »Ja freilich, freilich, das lohnte sich wohl nachzumachen,« oder irgend etwas anderes Freundliches, das so viel sagte wie, daß Jon ebensogut gegen die Wand angeredet haben könnte.

Ja, gewiß, Andrésen war ein freundlicher Mann; wenn die Freundlichkeit nur nicht so gewohnt und aalglatt gewesen wär'. Denn wenn man etwas Bestimmtes von Andrésen wissen und sich seiner versichern wollte, dann hüllte er sich in eine weiche, geschmeidige Zuvorkommenheit, und man glitt beständig an diesem ewigen: »Ja, das mag wohl sein! Ja, das ist schon recht!« ab.

Eines Tages in der Ruhepause sagte Jon zu ihm:

»Andrésen, wollen Sie mir eine Weile recht aufmerksam zuhören?«

Andrésen war gerade dabei, seine Pfeife zu reinigen, und stocherte mit einem Stab darin herum. Er stocherte weiter und antwortete, daß er es sehr gern wolle.

»Die Sache ist nämlich die, daß ich schlecht dran bin. Die Leute haben so viel über mich zu sagen.«

»Man muß nie etwas auf das Gerede der Leute geben, Gräff.«

»Nein, das ist wohl wahr; aber es ist kein leichtes Vorwärtskommen, wenn man mal so was auf sich sitzen hat. Es ist leichter, einen schlechten Ruf zu bekommen, als ihn los zu werden. Und das ist schlimm für mich, denn ich steh' so allein in der Welt. Ja, und ich kann wohl sagen, daß ich mein Bestes getan hab', und mehr kann doch niemand verlangen. Ich hab' den ganzen eiskalten Winter mit der Fischerei geschuftet – und ich hab' häufig bei mir gedacht, daß ich gern was Festes haben möchte; aber bis jetzt hab' ich noch nichts gekriegt.«

»Nein, nein, das ist wohl nicht so leicht.«

»Nein, das ist nicht so leicht,« sagte Jon traurig … »Aber in der letzten Zeit hab' ich' angefangen ein wenig zu hoffen, daß es doch vielleicht einen Ausweg gäbe … Ja, und deswegen wollt' ich gern mit Ihnen sprechen, Andrésen. Glauben Sie nicht, daß Svendsen noch einen Mann gebrauchen kann?«

»Jawohl, das ist gar nicht unmöglich! Wir haben gerade neue Bestellungen bekommen, so daß …«

»Das hab' ich mir auch gedacht. Sehen Sie, darum hab' ich mir vorgenommen, in den nächsten Tagen zu Svendsen zu gehen. Aber könnten Sie nicht vorher ein gutes Wort für mich einlegen? Es ist sozusagen ein sicheres Gefühl für mich, zum Meister zu gehen, wenn der erste Arbeiter ein gutes Wort für mich eingelegt hat.«

»Ja, ja, das würde sich schon machen lassen.«

»Und wollen Sie ihm nicht sagen, daß er Nutzen von mir haben würde, denn ich bin bei Mr. Haverton in Boston gewesen und verstehe mich aufs Handwerk.«

»Jawohl, jawohl, an mir soll's nicht fehlen.«

Jon ergriff seine Hand: »Vielen, vielen Dank! Wenn etwas daraus wird, werde ich Ihnen zeitlebens dankbar sein.«

»Bitte, bitte, nichts zu danken. Will ich schon machen.«

Als Jon aber das nächste Mal auf die Werft kam, hatte Andrésen es rein verschwitzt; es hätte aber wohl nicht solche Eile – er würde es in den nächsten Tagen nachholen. Zwei Tage später hatte er »keine Gelegenheit gehabt«, denn es hatte so viel anderes vorgelegen; aber morgigen Tages wolle er sich Svendsen vornehmen, darauf könne Jon sich verlassen.

Jon wollte nicht zu sehr drängen, und er wartete volle drei Tage, die ihm so lang wurden wie nie zuvor.

Als er aber am Abend des dritten Tages zu Andrésen ging und ihn ausfragte, mußte Andrésen sich erst besinnen, und dann – ja, dann mußte er wirklich lachen – nein, so etwas, wie konnte man nur so vergeßlich sein? Fast schien es, als würde er altersschwach; hatte er es doch ganz und gar vergessen; heute abend aber wolle er wahr und wahrhaftig zum Meister gehen, und dann würde schon Rat geschaffen werden … ja, das würde es sicherlich.

Traurigkeit war an diesem Tage über Jon gekommen und er wurde hierdurch nicht froher gestimmt. Er war gerade im Begriff, ohne eine Antwort davonzugehen, als er sah, wie Andrésen, der bis jetzt gemächlich gearbeitet hatte, sich plötzlich ins Zeug legte, so daß er schnaufte und dampfte. Er blickte sich um und fand die Ursache: Svendsen selbst kam angegangen.

Jon blieb stehen! Jetzt konnte die Sache gleich erledigt werden. Andrésen hatte ihm ja versprochen, daß er ihm nach besten Kräften helfen wolle, und der erste Arbeiter durfte sich seinem Meister gegenüber wohl schon ein Wort erlauben.

Inzwischen ging Svendsen umher und besah dies und jenes, dann aber kam er plötzlich dorthin, wo Andrésen und Gräff standen. Jon nahm den neuen Hut ab, der Meister aber sah ihn gar nicht an und behielt beide Fäuste in der Tasche.

»Na, Andrésen,« sagte er scharf, »ist ja gar kein Vorwärtskommen mit Ihnen. Sind Sie noch immer nicht mit Ihrer Arbeit fertig?«

»In einem Augenblick.«

»Es stört Sie doch niemand bei der Arbeit, was, Andrésen? Hm, wer steht denn da? Das ist ja Gräff, soviel ich sehen kann. Wünschen Sie etwas?«

»Wie man's nimmt. Ich bin mehrere Jahre Bootsbauer bei Mr. Haverton in Boston gewesen und hab' Andrésen hin und wieder einen guten Rat gegeben.«

»Sie – haben – Andrésen – einen – guten – Rat – gegeben?« fragte Svendsen. Er stellte sich mit gespreizten Beinen hin und maß Jon mit zusammengekniffenen Augen und den Fäusten in den Hosentaschen. »Das ist ja noch besser!« Er lachte höhnisch. »Sie sind der Rechte, mit Ratschlägen hierherzukommen. Zum Teufel, was haben Sie hier herumzuschnüffeln? Ich hab' wohl gehört, daß Sie sich hier herumtreiben. Aber das paßt mir nicht, verstehen Sie! Ich kenn' Sie nur zu gut. Wollen hier wohl Händel anfangen, was?«

Jon merkte, wie es ihm vor den Ohren zu sausen begann. Er blieb stehen, ohne sich zu rühren. Andrésen war der einzige, der ihm helfen konnte. Er kannte ihn ja und würde wohl erklären, wie die Sache sich verhielt. Aber Andrésen arbeitete und dampfte, was er konnte.

»Und Sie, Andrésen,« ergriff Svendsen wieder das Wort, »wie können Sie sich erdreisten, die Zeit mit diesem Kerl zu verschwatzen. Sie müssen doch wissen, was er für eine Art Person ist.«

»Ja, ja, das ist wohl wahr, er hat keinen guten Ruf. Nein, Sie sind nicht angesehen bei den Leuten, Gräff,« wandte er sich kopfschüttelnd an Jon. »Aber ich konnte ihn doch auch nicht fortjagen, Herr Svendsen, denn er ließ sich nichts zuschulden kommen, alles was recht ist. Jetzt sollten Sie aber gehen, Gräff. Sie sehen ja, daß Herr Svendsen es nicht gern sieht, daß Sie hier stehen, und wenn Sie noch länger bleiben, könnte es Ihnen übel bekommen.«

Jon blieb noch immer stehen. Zorn wollte in ihm aufsteigen, aber er konnte vor purem Erstaunen keine Luft kriegen.

»Na, sind Sie noch immer da?« rief Svendsen, »wird's bald! Nein, da hört doch Verschiedenes auf! Wollen Sie jetzt gefälligst machen, daß Sie sich fortpacken! Marsch! Heraus!«

Dabei faßte er Jon bei der Schulter und wollte ihn hinauswerfen; als Jon aber den Griff fühlte, richtete er sich auf und schlug Svendsen mitten ins Gesicht, so daß dieser zurücktaumelte und einen Schrei ausstieß.

Andrésen lief mutig herzu, aber seine erhobene Faust sank wieder herab, denn Jon war so seltsam anzusehen. Andrésen begriff nicht recht, was es war, aber so viel war ihm klar, daß Gräff kreideweiß im Gesicht war. Der sagte nichts, blieb aber noch einem Augenblick stehen. Darauf machte er Kehrt und ging langsam davon. Der breite Rücken unter dem weißen Halstuch war noch eine Weile zu sehen. Aber dann waren die beiden, andern allein.

»Das war doch zu arg,« wagte Andrésen sich vor, »sollte man das für möglich halten! Ja, ja, der Mann ist wohl nicht umsonst so verrufen.«

»Halt's Maul!« brüllte Svendsen, und hielt Andrésen die Faust unter die Nase, so daß dieser sich eiligst zurückzog. »Was hast du hier mitzureden? Warst du es nicht, der sich von vornherein mit ihm eingelassen hat? … Warte, warte! jetzt geh' ich hin und verklage ihn, und mit dir werde ich später noch ein Wörtchen reden, darauf kannst du dich verlassen!«

Svendsen spuckte aus und ging. Seine Oberlippe war geschwollen und dick und die rechte Backe war rot; hin und wieder mußte er Blut ausspucken. Er befühlte mit dem Finger den Oberkiefer: Gräff schien auch seine Zähne beschädigt zu haben.

Andrésen war allein zurückgeblieben und sann nach.

Wie war nur das alles zugegangen? Er mußte sich ordentlich sammeln. Gräff hatte Svendsen geschlagen, einen wahren Donnerschlag, und Svendsen war in die Knie gesunken, ohne sich zu wehren. Und dann hatte er, Andrésen, es entgelten müssen. Der Meister hatte in der Wut sogar »du« zu ihm gesagt, etwas, was er noch nie getan hatte. Ja, ja, es war nicht gut zu wissen, wie das endigen würde. Kam es aber zu einem Verhör, dann würde er seine Aussagen schon so machen, daß der Meister mit ihm zufrieden sein konnte, und dann würde sich hoffentlich noch alles zum Guten wenden …

Man soll nie etwas verschwören in dieser Welt! Als Svendsen ging, hätte man ja meinen sollen, er ginge geradeswegs zur Ratsstube, um Jon zu verklagen; aber er hat ihn bis heut noch nicht verklagt! Merkwürdigerweise war er gar nicht so wütend auf Jon, wie man annehmen konnte. Nein, er war eigentlich ganz ruhig. Fühlte er etwas, so war es ein großes, dumpfes Erstaunen und dann einen Schreck in seinem tiefsten Innern. Von jeher war er gewohnt gewesen, daß die Leute ihn mit Ehrerbietung betrachteten, groß und stark, wie er war, mit dem scharfen, dunklen Blick und dem dicken Mund; er konnte sich nicht vorstellen, daß einer sich auch nur erdreisten könne, ihm zu widersprechen und gegen ihn aufzutreten, wenn er ihn mit zusammengekniffenen Augen musterte – und jetzt hatte sogar einer ihn, Svendsen, mitten ins Gesicht geschlagen, so daß er blutete.

Was fiel dem Mann ein? War er verrückt?

Jetzt war er bei der Polizeistation angelangt. Er blieb eine Weile davor stehen; dann sah er nach der Uhr und erzählte sich selbst, daß es für heute wohl zu spät sei, und machte Kehrt.

Den nächsten Tag aber ging er auch nicht hin …

… Wie begreiflich, ward es bald in der Stadt bekannt, daß Gräff dem Bootsbauer Svendsen ins Gesicht geschlagen hatte.

»So 'n brutaler Kerl, dieser Gräff – Svendsen mitten ins Gesicht zu schlagen!«

»Dem Bootsbauer Svendsen! Dem starken Klotz!«

»Ja, freilich, he, he, he! Ich weiß es von Maurermeister Halvorsen seinem Sohn. Der hat hinter der Planke gestanden und es mit eigenen Augen gesehen. Tut sich natürlich wunder was darauf zu gute, daß er so stark ist.«

»Wahrscheinlich – wenn er uns man nicht allesamt an den Kragen geht.«

Jon Gräff hatte sich mit diesem Schlag das Herz erleichtert. Als er die Werft verließ, war er ganz sicher und ruhig. Mochte jetzt kommen, was da wollte. Ihm war alles einerlei. Er fühlte sich so überlegen und zielbewußt; er war bereit, gegen alles und jeden anzugehen.

Jetzt wollte er erst recht hierbleiben. Den steifen Hut ablegen und den Wetterhut wieder aufsetzen. Aus Trotz hierbleiben. Wenn Svendsen käme, wollte er ihm die Fäuste zeigen, denn er wußte wohl, daß er ihn fürchtete. Ja, gab es einen Menschen, mit dem er Lust hatte, anzubinden, so war es mit diesem starken Bootsbauer. Es zuckte ihm in den Fäusten vor Lust, seine dicke, rote Kehle zu umspannen und seine Finger tief, tief hineinzugraben.

Und wie er so dahinschritt, ballte er die Fäuste und spannte die Arme, so daß er fühlte, wie die Muskeln sich zu einem steinharten Knoten sammelten.

Einige Tage später aber, als er eines Morgens erwachte, fand er es zwecklos, so weiterzuleben, wie er es tat. Arbeit in der Stadt würde er nach dem Geschehenen nicht bekommen. Hatten die Leute wenig Zutrauen vorher zu ihm gehabt, so war es jetzt sicher nicht größer geworden.

Am nächsten Tag ruderte er fort, um einen Bauplatz auf einer Insel zu suchen. Gegen Abend kam er zurück. Er hatte sich für die Schwarze Insel entschieden. Dort wollte er ein Haus zimmern und Bootsbauerei betreiben, wie er es bei Mr. Haverton in Boston gelernt hatte.

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