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Zweite Abteilung.
Die Spezialgebiete der Philosophie.


Achter Abschnitt.
Die Logik oder Philosophie des Denkens und Erkennens.

Die schlichte Erlebniswirklichkeit, von der die »Logik« als philosophische Wissenschaft, welche Wege sie auch im einzelnen gegangen sein mag, immerdar anheben mußte, ist die, daß der zu jeder Zeit feststellbare Anspruch bestanden, daß in einer Wahrnehmungsform, in einer unserer Seele überall lebendig gegenwärtigen Vorstellungsverbindung allgemeine und gültige, d. h. von allen Denkenden gleichartig geformte Denkinhalte und Denkverbindungen gestaltet werden. Nicht also das nackte Erlebnis, daß überhaupt Vorstellungen von Dingen, von Zuständen in unserem subjektiven Bewußtsein auftauchen und mit wer weiß was für Kräften in uns geltend werden, ist der Ausgangspunkt der logischen Spekulation, sondern die unentfliehbare und viel kompliziertere Tatsache, daß innerhalb der wirren und unübersehbaren Fülle von Erlebnissen einige in einer Verbindung und in einer Gestalt auftreten, die in sich den Anspruch birgt, nicht bloß subjektive Intensität, sondern allgemeine, die subjektive Sphäre überschreitende Geltung zu besitzen.

Dieser Anspruch aber dokumentiert sich in den primitivsten Formen und einfachsten Mitteln, vermöge deren der Vorstellungbesitzende, der Wahrnehmende, Rezipierende oder Produzierende den Versuch macht, seine Vorstellungen, den innerhalb der Sphäre seiner Subjektivität auftauchenden Besitzstand, auf andere zu übertragen, ihn auszudrücken, ihn verständlich zu machen. Allein mit dem Ansinnen, daß ein anderer, d. h. ein anderes »Ich«, den Inhalt meines Bewußtseins begreife, besteht die Voraussetzung oder das Postulat, daß auch anderswo, d. h. nicht innerhalb der als die meinige erlebten Sphäre ein Vorstellungsbewußtsein vorhanden ist, welches in gleicher Weise wie ich Vorstellungen bekommt, aus sich gebirt, empfängt, verbindet, formt und sich als seine Vorstellungen zum Bewußtsein bringt. Also: die Tatsache der Verständigungsversuche ist das allgemeine Zeichen eines Anspruches auf das Vorhandensein eines allgemeinen Bewußtseins, eines Bewußtseins überhaupt, eines Gemeinsinnes, unter den sich gegenseitig Verständigenden, in dem die Vorstellungsverbindungen der Idee nach identisch sind. Sehen wir uns in der unserem Erleben zugänglichen Wirklichkeit nach solchen Verständigungsversuchen um, so bemerken wir mannigfache Arten:

Ein gewisser Bewußtseinsinhalt, eine gewisse Bewußtseins-, Empfindungs-, Erlebnisgegebenheit soll ausgedrückt, soll verständlich gemacht werden. Schon im Nachahmen der in der Natur erlauschten Geräusche und Töne, schon im Hindeuten, im Greifen nach etwas jenseits unserer subjektiven Machtsphäre Liegenden dokumentiert sich der Versuch der Verdeutlichung und Begreiflichmachung von etwas, daß innerhalb unserer persönlichen Erlebnissphäre vor sich geht; schon das schreiende Kind gibt in den allerersten Entwicklungsstadien nicht nur intensive Reflexzustände zu erkennen, die Schmerz, Unbehagen, Lust und Freude vermuten lassen, sondern es weist eindeutig auf Vorstellungsinhalte hin, die es verstanden wissen will, vor allem, wenn sie sein Begehrungsvermögen betreffen. In Gesten, Lauten, Bewegungen vollzieht sich dieses Hindeuten auf einen erlebten und auszudrückenden Zustand des Bewußtseins.

Es ist dabei nicht unwichtig, zu beachten, daß in den Anfangsstadien sprachlicher Verständigungsversuche die möglichst vollkommene Nachahmung des erlebten Zustandes im Worte mit allen Artikulationen des Erlebens gleichsam einen Abschluß fand. Ein nicht unerheblicher Urbestand dieser ursprünglichen sprachlichen Bildnisse der ungeheuer mannigfaltig empfundenen Natur, die im Worte auf einen einheitlich, harmonischen und doch trotz aller Vereinfachung lebendigen Ausdruck gebracht wurde, lebt noch heute in allen Sprachen fort. Solche sprachlichen Naturbildnisse sind als klangmalende oder onomatopoetische genügend bekannt: wir reden vom »Surren« des schwingenden Rades, vom »Murmeln« des Baches, vom »Säuseln« der Bäume, vom »Grollen« des Donners usw., und wir können feststellen, daß je näher eine Sprache dem ganzen psychischen Leben steht, sie um so reicher an diesen bilderreichen Ausdrücken ist. Schon diese Versuche aber, im Wort gleichsam die Natur abzubilden, wie es der Bildhauer mit besonderen Mitteln der Technik im Stein tut, sind Verständigungsversuche, die das Erleben eines Zustandes in eine Form zu fassen unternehmen, in der Erwartung, daß eben diese Fassung das gleiche Erleben jenseits der subjektiven Erlebnissphäre bewirkt oder veranlaßt, daß eben diese Form eine allgemeingültige Form für gleichartige, wenn auch verschieden lokalisierte Erlebnisse ist.

Wenn die Sprache auch keineswegs das einzige Verständigungsmittel ist, das in seiner idealsten Vollendung und Ausbildung den Anspruch auf Allgemeingültigkeit des Ausdruckes dokumentiert, so ist sie doch dasjenige, das den Anspruch auf eine allgemeine Formung des Erlebens und damit den Appell an ein überall gleiches Bewußtsein im höchsten Maße erfüllt. Während noch in den primitiven Anfängen sprachlichen Ausdruckes und den onomatopoetischen Bestandteilen der Sprache ein der Seele gegenwärtiger, den Sinnen erfaßbarer Zustand wiederzugeben versucht wird, dieser Zustand des Erlebens im sprachlichen Ausdruck für das fremde Ich wiedergeboren wird, zeitigt die vollentwickelte Sprache Ausdrucksformen, Vorstellungsverbindungen, die nur in einem von den Bedingungen des individuellen Erlebens freien, vom subjektiven Erleben abgelösten Bewußtsein überhaupt Vorhandensein können. Alle unsere Ausdrucksformen, wie sie bei höchster Entfaltung der Sprache zur Geltung kommen, sind Kombinationen von Vorstellungsabstraktionen, die dem primitiven Zustande des Bewußtseins völlig fremd sind und deshalb weder bei Kindern, noch bei unkultivierten, auf einer niedrigen Stufe der Kräfteentfaltung stehenden Völkern sichtbar werden. Alle sprachliche Vollkommenheit, alle eigentliche sprachliche Begriffsbildung besteht eben darin, den subjektiven Lebensinhalt, die individuelle Lebensintensität zu entfernen, um ein objektives, für alles Erleben gültiges Substrat, ein für alles Auszudrückende und daher allgemein zu Erlebende gleiches Sprachschema zu bekommen und geläufig zu machen. Es ist deshalb sachgemäß und selbstverständlich, daß die Logik sich an die Sprache hielt, um von ihr aus die Formen, Formungsprinzipien und Mittel zu verstehen, die als Grundbedingungen einer Verständigung zu gelten haben und über sich hinaus auch zu den Grundbedingungen allgemeingültigen Erlebens, Begreifens, Wahrnehmens führen mögen.

Eben der Versuch der Verständigung selbst, der in der Sprache zum sichtbaren Ausdruck gelangt, ist schon eine Art bewußter oder unbewußter Abstraktion vom unmittelbaren Erleben; denn im sprachlichen Ausdruck wird vom Erlebnis nur das erfaßt und aufgegriffen, was es für andere verständlich, auf andere übertragbar macht. Die Verständigung, in der sich der Appell an ein vorhandenes Allgemeinbewußtsein dokumentiert, ist ein Abstraktionsprozeß, der nach den am Erleben haftenden Momenten tastet, die sich übertragen lassen, sie zu einem selbständigen, festhaltbaren Gebilde gleichsam für ein Allgemeinbewußtsein formt, das in die subjektiven Vereinzelungen dieses Allgemeinbewußtseins hinüberwandern soll, wenn auch die ganze Fülle des Erlebens in der subjektiven Sphäre des Erlebenden zurückbleibt. Dieser Abstraktionsprozeß, der zur Verselbständigung des Ausdrückbaren gegenüber dem unmittelbar Erlebten führt und sich in der Sprache durch erlebnisarme oder abstrakte Begriffe kundtut, ist das Produkt der geistigen Funktion, die wir »Denken« nennen. Dieses Denkvermögen, in dem abstrakten Wesen der Sprache auf besondere Weise bekundet, stellt sich innerhalb der Gesamtheit menschlicher Leistungen in unendlich vielen Graden dar und erreicht in den geschlossenen Systemen der »Wissenschaften« eine Stufe der Vollendung, die weit das Vermögen der Sprache überschreitet.

Es ist kein Zufall, sondern eine im Wesen der Sache beruhende Angelegenheit, daß das griechische »λόγος«, das in dem Begriffe »Logik« weiterlebt, zugleich das »Wort«, wie der »Gedanke«, der »Geist«, der »Sinn« bedeutet. Eben im Worte formt sich, vielleicht unbewußt, das zu besonderer Gestalt, was als das Wesentliche, Sinngemäße, Übersubjektive, Mitteilbare empfunden und aus der unübersehbaren Fülle der Erlebnismomente abstrahiert wird; das Wort bedeutet die Vollendung des Abstraktionsprozesses, in dem das Bewußtsein sich Herr zu werden bemühte über die Erlebnisintensität; im Worte liegt die Erfüllung des – bewußt oder unbewußt – ein allgemeines Bewußtsein voraussetzenden Verständigungsanspruches. Auch in dem deutschen Ausdruck »Verstand« ist eine ähnliche doppelte Bedeutung gegeben: »Verstehen« heißt, einer Wahrnehmung, Vorstellung, eines Eindruckes gewiß werden; »Verstand« wird dem allgemeinen Sprachgebrauch nach als das Vermögen gedacht, über alle subjektive Erlebnisfähigkeit hinaus sich über etwas verständlich zu machen, d. h. die objektiven Verständigungsmittel zu gebrauchen.

Die Logik also als die philosophische Wissenschaft vom Denken setzt konsequent bei der Sprache ein, als dem aufweisbaren und unentfliehbaren Zeichen eines auf Verständigung gehenden, die unübersehbare Erlebnisgegensätzlichkeit zugunsten übertragbarer Schemata überwindenden Vermögens der menschlichen Seele. Dieser Ausgangspunkt ist der gesamten Logik aller Zeiten gemeinsam, sie habe Wege bei der Lösung der logischen Probleme eingeschlagen, welche sie auch immer wolle. Diese Grundvoraussetzung, die in der Sprache den Ausdruck allgemeiner Verständigung erblickt, ist selbst den Richtungen innerhalb der weitverzweigten logischen Wissenschaft gemein, die zu dem Resultate kommen, daß nichts allgemeingültig ausgedrückt werden kann und daß die Sprache nur scheinbar diesen Dienst leiste. Sonderbar aber ist die logische Verwirrung, wenn man das in der Sprache sucht, was nicht in ihr liegen kann, was gerade ihrem Wesen nach von ihr überwunden wird, nämlich Leben und Lebendigkeit, und dann in dem Mangel an Lebendigkeit die Gebrechlichkeit der Sprache feststellt! Gerade die bis zur völligen Abstraktheit gesteigerte, sich selbst schon nicht mehr genügende Sprache ist ja eigentlich der glücklichste Wegweiser für eine Wissenschaft, die das Wesen der allgemeingültigen Formung und Verständigung zu ergründen sucht. –

Von diesem gemeinsamen Ausgangspunkte aus scheiden sich die vielfachen Wege der Logik als Philosophie des Denkens, die die Frage stets von neuem zu erörtern hat, welche Gründe der Einheit im Denken liegen. Diese Mannigfaltigkeit eingeschlagener logischer Wege ist nicht nur eine Gegensätzlichkeit der durch die Fülle von Einzeluntersuchungen gebotenen Richtungen, sondern eine Mannigfaltigkeit, die diese Verständigungstatsache, diesen immerdar durch die Sprache dokumentierten Appell an ein Allgemeinbewußtsein, diese Voraussetzung einen allen Denkenden gemeinsamen Vermögens aus ganz verschiedenen Prinzipien aufbaut und aus ganz gegensätzlichen Gründen zu legitimieren sucht.

Es kann nicht Sache dieser nur bis an die Tore der Philosophie führenden Darlegungen sein, die verschiedenartigen Wege der Logik von diesem gemeinsamen Ausgangspunkte aus zu beleuchten. Das ist Aufgabe einer »Geschichte der Logik«. Auch ihr dürfte es kaum glücken, die sich kreuzenden Wege bis ins einzelne zu verfolgen, aber sie wird immerhin die zeitweilige Vorherrschaft gewisser Deutungsversuche feststellen und das Auftauchen neuer logischer Ansichten aufweisen können. Hier soll uns zur Verdeutlichung der logischen Aufgabe nur daran liegen, eine Hauptunterscheidung ins Auge zu fassen, die das allgemeine Bild der Logik zu überschauen ermöglicht.

Hervorragend nämlich sind unter den Wegen der Logik zwei, die dem logischen Ganzen vor aller eigentlichen Entscheidung ein doppeltes Antlitz geben. Sie trennen sich bei der Zerlegung der sprachlich zum Ausdruck gelangenden Vorstellung in zwei ihrem Werte oder Ursprung nach verschiedene Hälften: in Form und Inhalt. An diese Zerteilung der zum allgemeingültigen Ausdruck gelangenden Wahrnehmung knüpft sich die Frage: Wie begründet sich die inhaltliche und wie die formale Wahrheit der Vorstellung? Machen wir uns diese Unterscheidung von Form und Inhalt der Vorstellung, des Konzipierten, des Ausgedrückten deutlich, damit wir auf allen historischen Überblick verzichtend die logischen Probleme aus sich selbst begreifen.

Schon in den primitivsten Versuchen, eine im naiven Bewußtsein vorhandene Vorstellung zum Ausdruck zu bringen, liegt, wie wir sahen, eine Dokumentation des Abstraktionsprozesses vor, das Ausdrückbare am Erlebten vom Erleben selbst, von der ganzen ungebrochenen Mannigfaltigkeit aller Erlebniselemente, zu scheiden und so das Erleben nur von einer Seite zu erfassen, zu ergreifen. Dieser Abstraktionsprozeß, dessen reicher Niederschlag die komplizierte Sprache bildet, die in jeder Einzelheit sich an das Verständnis aller wendet, rechnet mit einem allen Sprechenden gemeinsamen Vermögen, das jenseits aller Erlebnisintensität steht, gleichsam Formen in sich bereit hält, in welche die Erlebnismannigfaltigkeit einmündet, vermöge deren die Erlebnisintensität abstrahiert und schematisiert werden kann. So verschwindet beispielsweise in dem Worte »tot« die ganze Fülle unendlicher Erlebniskraft, die überall verschieden empfunden wird; es bleibt ein Schema, ein abstrahiertes Gebilde, eine Form, in die die unübersehbare Mannigfaltigkeit dessen, was durch das Erlebnis »tot« gestaltet wird, schematisch hineinpaßt. Die ganze Gegensätzlichkeit von Gefühlszuständen, die in dem Erlebnis »tot« erlebt werden, schematisiert sich in einer Form, die ausgedrückt werden kann. Dieses Formvermögen, das ein Gerüst des Geistes darstellt, Erlebnisse allgemeingültig und ausdrückbar zu machen, die Erlebnisintensität zu überwinden und nur das Allgemeine am Erlebnis zu formen, heißt das formale Vermögen oder das Vermögen formaler Prinzipien. In dem formalen Vermögen, das als Grund der Verständigung gedacht werden muß, liegen also die Gründe der eindeutigen Formung des Erlebten zum Zwecke der Übertragung auf ein nach denselben Gründen Erlebnisse formendes Ich.

Auf dieses Vermögen als Grund allgemeiner Verständigung gerichtet, wendet sich die Logik an die Sprache als das menschliche Mittel des eindeutigen Ausdruckes und fragt nach den Beziehungsformen innerhalb der Sprache, vermöge deren ein beliebiger Inhalt in allgemeine Formen gebracht wird. Der Grundsatz also, den diese Richtung der Logik an die Spitze aller ihrer Spekulationen stellen muß, lautet, daß die allgemeinen Formen und Beziehungen zwischen Vorstellungen, Erlebnissen, Eindrücken usw., soweit sie in der Sprache als dem allgemeinen Mittel der Verständigung zum Ausdruck und zur Anwendung gelangen, das von der Sprache aus zu erfassende Gerüst des Geistes ausmachen, durch das dieser zur Verallgemeinerung des Erlebens kommt. Oder anders ausgedrückt: Eine Logik, die von der Tatsache der allgemeinen Verständigung zu den Gründen dieser Allgemeinheit gelangen will, behauptet als Grundsatz aller ihrer Spekulation, daß alle Verallgemeinerung, alle Allgemeingültigkeit behaupteter Vorstellungen in einer von der Sprache aus zu erfassenden Allgemeinheit ihren Grund habe. Von diesem Grundsatze aus ist das Thema der » formalen Logik« die Fülle fester sprachlicher Beziehungsformen, wie sie in allen Sprachen auftreten. Die formale Logik sucht, sich mit vollem Rechte darauf beschränkend, das Wesen der Begriffsbildung und Begriffsform, das Wesen der Urteilsbildung im Bau des Satzes und das Wesen der Urteilsbeziehungen unabhängig von einem bestimmten Inhalte zu erfassen, darin die Prinzipien der Verständigung über einen noch so verschieden erlebten Inhalt festzustellen. Die formale Logik, sich hängend an ein mögliches, in der aufweisbaren Sprache zur Darstellung gelangendes Abstraktions- und Formvermögen, faßt die Sprache, um die eindeutige Formbeziehung des abstrahierenden Geistes in ihr als dem einzigen adäquaten Ausdrucksmittel darzutun.

Spricht man von formaler Logik, so versteht man darunter eine seit Aristoteles sich in Jahrhunderte langen Spekulationen ausbildende Theorie der Verständigung, die ausgeht und sich ausdrücklich bezieht auf die sprachliche Verständigung als der Art des sich ausdrückenden Geistes, die auf Allgemeinheit und Eindeutigkeit den unabweisbaren Anspruch erhebt. Die formale Logik, heute etwas stark aus der Mode, hat vor allen Dingen in der Zeit der Scholastik die Untersuchungen über die möglichen Beziehungs- und Kombinationsformen bis zu einer vollendeten Geistestechnik getrieben, in der ganz abstrahierend von jeglichem Inhalte die Beziehungsmöglichkeiten zu einem unendlich verzweigten Gewebe ausgesponnen wurden. So tot und unfruchtbar oft dort derartige Bemühungen erscheinen, wo auch für die Philosophie die »Befruchtung« durch die Erfahrung verlangt wird, so scharfsinnig und erstaunlich, jedes persönliche Stellungnehmen von vornherein ausschließend, sind sie an sich betrachtet. In diesen Spekulationen sind unleugbar mit aller Sicherheit und Vorsicht die Grundpfeiler einer möglichen allgemeinen Verständigung festgebaut worden, und es ist keine Theorie der Logik denkbar – sie mag die Wege der formalen Logik respektieren oder nicht –, die an der Lehre von den Grundprinzipien der eindeutigen Verständigung achtlos vorübergehen könnte.

Die formale Logik also handelt über die Prinzipien der sprachlichen Formbildung eines beliebigen Erlebnisinhaltes. Sie abstrahiert dabei von der Frage, woher der durch die Formen der Verständigung geformte Inhalt kommt, welche Bedeutung, welchen Sinn dieser Inhalt dem Formganzen gibt. Sie behandelt die Verständigungsformen ganz in abstracto und es ist konsequent, daß sie ähnlich wie die Arithmetik zu rein, abstrakten Zeichen und Formeln gelangte, um eben die Intensität des Erlebnisinhaltes als völlig gleichgültig verschwinden zu lassen. Natürlich ist die formale Logik wie alles unter der Sonne sich Entwickelnde auch erst allmählich zu der klaren Form einer Verständigungstheorie herausgewachsen. Die in der Geschichte der Philosophie aufweisbaren mannigfachen Versuche, eben die Lehre von den Verständigungs- und Ausdrucksmitteln teils von der Spekulation über den Sinn des Inhaltes, teils von psychologisch-genetischer Betrachtung zu sondern, sind dafür von äußerstem Interesse und werfen auf die sich von den Bedingungen der formalen Logik befreiende neuere Logik ein belehrendes Licht. Die formale Logik hat vielfach mit ihren Mitteln den Übergang zu einer Theorie der inhaltlichen Wahrheit unternommen. Aus der Theorie der allgemeingültigen Verständigung über einen erlebten Inhalt ist eine Dialektik der inhaltlichen Wahrheit geworden. Das Mittelalter ist innerhalb dieser Entwicklung der Schauplatz einer auf formallogischen Prinzipien aufgebauten eristischen Kunst im großen Rahmen der durch die katholische Kirche gezogenen Grenzen geltender Wahrheit.

Bevor wir uns zur Erläuterung und Erweiterung des Begriffes und der eigentlichen Bedeutung der formalen Logik einige allgemeine formallogische Probleme ansehen, wollen wir ebenso abgesondert den anderen Weg der Logik betrachten, der bei der Unterscheidung von Form und Inhalt des Vorgestellten und Behaupteten beginnt und sich nach der inhaltlichen Seite wendet:

Die Frage nach der Möglichkeit, ein Erlebnis wahr, d. h. über allen Zweifel erhaben zu behaupten, ist uralt: alle Philosophie beginnt im letzten Grunde mit dem Probleme, was trotz der subjektiven Verankerung des Erlebens, des Wahrnehmens, des Behauptens wahr, d. h. allgemein anzuerkennen sei. Was wahr ist, ist nicht nur für den Umkreis des erlebenden Subjekts, etwa für die Dauer seiner Existenz oder innerhalb des Umfanges einer gewissen Erlebenssphäre wahr, sondern es gilt über alle subjektiven Bedingungen hinaus. Der Grund der Wahrheit, falls es einen gibt, kann also nicht in dem subjektiven Erleben, in der subjektiven Erlebnisintensität liegen, sondern muß in einem allgemeineren, dem subjektiven Erleben selbst als Bedingung übergeordneten objektiven Grunde gesucht werden. Das Thema einer logischen Wissenschaft, die nach diesem Grunde geltender Wahrheit strebt, ist also nicht die Feststellung von Verständigungs- und Formungsmitteln eines beliebigen Inhaltes, sondern die Suche nach einem über aller Subjektivität des erlebenden Ich liegenden, für jedes Ich geltenden Grunde des Erlebens, des Vorstellens, Verbindens und Beziehens von Eindrücken, Erlebnissen, Wahrnehmungen zum Zwecke allgemeingültiger Wahrheiten. Der Ausgangspunkt aber dieser Frage nach dem objektiven Grunde der Geltung ist ebenso wie bei der Problemstellung der formalen Logik die unmittelbar greifbare Tatsache, daß Erlebtes durch den Versuch, es auszudrücken, als wahr gesetzt und behauptet wird. Nach dem Grunde objektiver Wahrheit wird in dieser anderen Richtung der Logik gefragt. Schon allein in diesem Ausdrucke liegt die ganze Gewalt der an der Spitze aller Wahrheitslogik stehenden Grundsätze und Postulate. Das Objektive ist eben das dem Ich Entgegengesetzte, ihm Entgegenstehende, das dem Subjektiven in der ganzen Sphäre des Ich Fremde, es Begrenzende, Bedingende, Einengende. Der Grund allgemeingültiger, d. h. über die Sphäre der Subjektivität hinaus geltender Wahrheit wird eben nicht im Subjektiven, sondern in etwas über den Bedingungen der Subjektivität Liegendem gedacht und festzustellen durch die Spekulationen der Wahrheitslogik erstrebt. Es erübrigt, auch nur im geringsten auf die krausen Wege hinzusehen, die die Wahrheitslogik im Laufe der Geschichte des menschlichen Denkens, teils gesondert, teils verquickt mit der formalen Logik, gegangen ist; schon die Fragestellung an sich eröffnet weite Ausschau über die Fülle der Probleme. Diese Wahrheitslogik nennen wir heute, vor allem seit der Begründung der sogenannten kritischen Philosophie, im Gegensatze zur formalen Logik als einer Theorie der Verständigung, » Erkenntnistheorie«.

Drei breite, unverkennbar voneinander zu scheidende Wege gehen unmittelbar von der Fragestellung aus. Sie liegen in den ausführlich begründeten und mannigfach variierten Antworten auf diese eigentliche Grundfrage. Diese Antworten lauten folgendermaßen: 1. Der Grund objektiver, überindividueller Wahrheit liegt in dem, was unabhängig vom vorstellenden, wissenden, denkenden, wahrnehmenden Bewußtsein als seiend gedacht werden muß; dieses Etwas, diese Dinge-an-sich sind der Grund dafür, daß das Erleben zu inhaltlich eindeutigen, d. h. zu wahren Vorstellungen gelangt. Die mit dieser Voraussetzung oder diesem postulierten Resultate beginnende und nach den Begründungen und Rechtfertigungen suchende Spekulation nimmt ihren Anfang innerhalb der abendländischen Philosophie bereits bei den Vorsokratikern und erreicht einen Höhepunkt ihrer Entwicklung schon bei Heraklit und Platon. Ein gewaltiger Keil wurde in die Entwicklung dieser aus immer neuen Gründen verteidigten Ansicht getrieben durch die logischen und metaphysischen Lehren des Aristoteles. – 2. Der Grund objektiver Wahrheit liegt in einer gemeinsamen, überindividuellen Geistesanlage aller mit dem Bewußtsein »Ich« ausgestatteten Wesen. Sie ist der Grund dafür, daß vermöge der in der Sprache zur Geltung kommenden Verständigungsmittel etwas allgemeingültig Gestaltetes zum Ausdruck gelangen kann. Diese erkenntnistheoretische Ansicht, natürlich nicht immer so klar gesondert, hat in Aristoteles einen Höhepunkt ihrer wissenschaftlichen Begründung gefunden und ist innerhalb der Geschichte der Logik des Abendlandes in engster Beziehung zu der formalen Logik geblieben. Sie bleibt als der gemeinsame Lösungsweg erkennbar in den erkenntnistheoretischen Anschauungen, die je nach der besonderen Art der Deutungsprinzipien als Intellektualismus, Rationalismus, Sensualismus, Kritizismus, Idealismus aufgetreten und die Fundamente großer geistiger und kultureller Strömungen gewesen sind. – 3. Der Grund objektiver Wahrheit liegt in einem gemeinsamen Grunde der als unabhängig vom Ichbewußtsein als daseiend zu denkenden Mannigfaltigkeit und der Erlebnis- oder Selbstbewußtseinstätigkeit. Dieser Weg erkenntnistheoretischer Deutung, schon angelegt im Pantheismus der griechischen und römischen Weltanschauung, in der Verselbständigung einer jenseits der erlebten Welt existierenden und auf die Erlebniswelt ständig einfließenden, sie bestimmenden Eigenwelt, hat vielleicht die vielfachsten Biegungen und Krümmungen erfahren. Vor allen Dingen in der Scholastik, der philosophischen Verteidigerin eines von Anfang an bestehenden überall sichtbar werdenden göttlichen Grundes, ist er zur Lebendigkeit gelangt. In der Mystik hat er zu weite Überschau gewährenden Stufen philosophischer Einsicht geführt. Auch die moderne Philosophie, in gewissem Sinne sogar die Lehre Kants, weist mannigfache Fortsetzungen dieses dritten Weges auf.

Drei große, mächtige Ströme des logisch-erkenntnistheoretischen Denkens sind hier nur an ihren Quellen erfaßt. Sie endigen in den Einsichten, aus denen immer wieder neue Spekulationen ihren Grund herleiten: Der Grund der objektiven Wahrheit liegt in den Dingen ( res), die gleichsam fest und beständig, unabhängig von einem erkennenden Geiste da sind, hinüberwandern in das Bewußtsein, sich dort gleichsam abdrücken, abspiegeln (Realismus). Der Grund objektiver Wahrheit liegt allein in dem erkennenden Bewußtsein, das alles aus sich gestaltet, in seiner Tätigkeit selbst die ganze wahre Welt repräsentiert, in der Beziehung seiner Bilder und Ideen objektiven Gesetzen des Geistes folgt und die wahre Welt erschafft (absoluter Idealismus). Der Grund der Wahrheit liegt in der Daseinsform von Dingen und der Beziehungsform des erkennenden Geistes, weil beide in einem letzten Grunde bedingt sind (kritischer Idealismus).

Auf diesen Fundamenten baut sich mit unendlich vielen Zwischengliedern und gegenseitigen Beziehungen sachlicher und historischer Art eine Fülle von logischen Systemen auf. Oft erscheint dabei die formale Logik als notwendiges Ingrediens der erkenntnistheoretischen Spekulation, oft werden die Resultate psychologischer Forschung herangezogen, oft wenden sich die logischen Waffen ausdrücklich mit aller Hartnäckigkeit gegen den Bestand und die Möglichkeit einer jeden Wahrheit und führen zum logischen Skeptizismus, wodurch sie den eigenen Grund, auf dem alle Logik steht, wegräumen. – Die Absicht der erkenntnistheoretischen Logik aber bleibt immer auf die Gründe geltender Wahrheit gerichtet, während die formale Logik im Unterschiede dazu nur nach den letzten Gründen der Verständigung eines vielleicht letzthin nur subjektiven Erlebnisinhaltes zu suchen hat.

Es leuchtet daraus ohne weiteres ein, wie prinzipiell, ihrer Idee nach, formale und erkenntnistheoretische Logik voneinander geschieden sind; zwei völlig andere Erkenntnisziele sollen erreicht werden. Diese Scheidung wird zum Vorteile der philosophisch-logischen Forschung in der Gegenwart schärfer betont durch die Wiederbelebung der alten formalen Logik ihrer eigentlichen Natur nach, in der sogenannten »Logistik«. Die Logistik hat gerade in den letzten Jahren vor allen Dingen in Amerika und Italien, dann aber auch in Frankreich und in Deutschland weiterverbreitete Schulen hervorgerufen; sie strebt immer intensiver nach einer Theorie, die völlig von dem Sinne des im Bewußtsein Gestalteten, des Gedachten und Erlebten, sich entfernend ganz und gar nur auf die Verständigungsmittel über das Erlebte gerichtet ist. Sie geht soweit, sich ein eigenes Schema von Verständigungsformen zu erschaffen und dieses Schema als lebendig und individuell umkleidet in den verschiedenen Sprachen der Welt repräsentiert zu finden. Aus dieser logistischen Spekulation, die, wie wir sehen, auf alten längst betretenen Wegen wandelt, wird mit Konsequenz der Gedanke geboren und von ihr gefördert, eine über alle individuelle Sprachbildung hinaus geltende, verständliche, wissenschaftliche Resultate, d. h. schlechthin geltende Wahrheit ausdrückende Sprache zu erfinden, ein allgemeines menschliches Verständigungsschema aus der unübersehbaren Fülle lebendiger Sprachen abzulösen. – Daneben entwickelt sich die erkenntnistheoretische Logik, die für die Spekulationen der Logistik nicht das geringste Interesse und Verständnis hat und pflegt und ausschließlich der Aufgabe hingegeben ist, den Sinn der Wahrheit im Denken, im bewußt geformten Erlebnis zum Wissen zu bringen. Ebenfalls ausgehend von der Tatsache der Sprache als dem lebendigen Zeichen eines immer wieder von neuem erhobenen Anspruches, allgemein Geltendes allgemeingültig auszudrücken, ist für die eigentlich erkenntnistheoretisch gerichtete Logik die Sprache als solche gleich zu Anfang in den Hintergrund getreten.

Wenn aber auch formale und erkenntnistheoretische Logik in abstracto ganz vermöge der Verschiedenartigkeit ihrer Erkenntnisziele zu trennen sind, zeigt doch ein Blick auf die Geschichte der Philosophie, daß sie im Laufe der tatsächlichen Entwicklung des philosophischen Denkens in unendlich reicher Beziehung standen und sich oftmals, ihre Erkenntnisgebiete teils willkürlich erweiternd, teils miteinander verwechselnd, um Rang und Sonne befehdeten. Es ist deshalb wohl notwendig, um formale und erkenntnistheoretische Logik beide in ihren Rechtsansprüchen zu verstehen, neben ihrer Verschiedenheit auch die Art ihrer dauernden Beziehung ins Auge zu fassen.

Die formale Logik, die wissenschaftliche Analyse der in der Sprache zur Geltung kommenden allgemeinen Verständigungsprinzipien, der Ordnungsformen des Auszudrückenden hat oft den Anspruch erhoben, auch den Sinn, den Gehalt der Erkenntnis zu begründen. Die unabweisbare Voraussetzung aber der Annahme, daß sich durch die Analyse der sprachlichen Ausdrucksformen nach ihrer formalen Struktur auch der Sinn begründen lasse, oder daß in der formkorrekten, dem allgemeinen Verständigungsanspruch genügenden Verbindung von Inhalt und Form eben der Inhalt allgemeingültig gefaßt werde, ist doch die, daß etwas sinngemäß erlebt und in Formen gebunden werden könne. Die formale Struktur des Gedachten, Erlebten, Vorgestellten, Wahrgenommenen und Ausgesprochenen bezieht sich nun aber gerade, soweit es sich darum handelt, ihr allgemeines Ausgesprochenwerden zu ermöglichen, auch auf das inhaltlich Individuelle, Sinnlose, Beliebige, zufällig Konzipierte. Es bedürfte eines besonderen Nachweises, um die Behauptung aufrecht zu erhalten, daß durch die Analyse der allgemeinen Verständigungsprinzipien auch die Gründe der sinngemäßen Verbindung gegeben seien, darüber, daß eben die allgemeinen, überindividuellen Verständigungsformen niemals das Rein-Individuelle, ja das Sinnlose zu umgreifen vermögen. – Die formale Logik wird also, wenn sie den Anspruch erhebt, über die wissenschaftliche Begründung der allgemeinen Verständigungsformen hinaus auch den Grund sinngemäßen Wahrheitsgehaltes des Geistes zu finden, zu einer Betrachtung schreiten müssen, die über ihre eigentlichen Ziele weit hinaus- oder hinter sie zurückführt. Das Gebiet aber eben, das den Grund des Sinnes und des allgemeingültigen Gehaltes erstrebt, ist das besondere der erkenntnistheoretischen, im Gegensatz zur formalen Logik. Die formale Logik ist also, wenn sie sich nicht ganz in ihren durch das besondere Erkenntnisziel gesteckten Grenzen hält, an die Erkenntnistheorie gebunden: bevor etwas nach seiner sinngemäßen Konstruktion analysiert werden kann, muß es synthetisiert sein; bevor der wissenschaftliche Prozeß der Analyse beginnen kann, um aus einem Begriff die Elemente abzulösen, die ihn sinngemäß konstituieren – und damit überschreitet die Logik die Betrachtung der rein formalen Struktur des Begriffes als Ausdruck von etwas – müssen die Gründe allgemeingültiger Synthese gegeben sein. Es lassen sich wohl aus allen möglichen Begriffen beliebige Merkmale ablösen, die diesen Begriff zu einem allgemeinen Ausdruck machen, aber wenn diesem Begriff auch ein allgemeiner Sinn, ein überindividueller Wahrheitsgehalt zukommen soll, dann liegen die Garantien dafür in den Gründen, die die erkenntnistheoretische Logik zu suchen hat. Jeder Schritt des formalen Logikers über die Spekulation auf die formalen Verständigungs- und Ausdrucksformen hinaus macht ihn abhängig vom Erkenntnistheoretiker, der nach den Gründen des Sinnes, des Gehaltes und nicht nach den Gründen formal korrekter Struktur sucht. Das Gebiet des formalen Logikers geht nur soweit, als die Spekulation über die Ordnungsformen, als den Bedingungen allgemeiner Verständigung, reicht. –

Auf der anderen Seite zeigt die Geschichte der Logik, daß auch die erkenntnistheoretische Logik stets die allerstärksten Anleihen bei der formalen Logik genommen hat. In allen Systemen der Logik, namentlich vor dem Kantischen Kritizismus, herrscht neben der Tendenz, den Grund der Wahrheit festzustellen, die offenkundige Absicht, sich dabei neben anderen methodischen Mitteln vor allen Dingen der formalen Logik zu bedienen. Die scharfe Trennung von formaler und erkenntnistheoretischer Logik ist im eigentlichsten Sinne überhaupt erst eine Anregung der Kantischen Erkenntnistheorie. Trotzdem herrscht nach der wissenschaftlichen Unterscheidung von formaler und erkenntnistheoretischer oder transzendentaler Logik als zweier völlig voneinander gesonderter Forschungsweisen auch gerade innerhalb des Kantischen Systems die enge Verbindung von formaler und erkenntnistheoretischer Logik in eigenartiger Weise vor. Gerade das Beispiel Kants gibt den Gesichtspunkt an die Hand, von dem aus diese Verbindung wesentlich, von fundamentaler Bedeutung und durchaus sachlich geboten erscheint.

Die formale Logik mit ihren strengen an der Sprache orientierten Schematisierungen der Begriffselemente, der Urteils- und Schlußformen, der Verhältnisse von Subordination und Koordination der Prädikationen hat in jahrhundertelanger Arbeit ein System von Formen geschaffen, in die das Denken notwendig münden soll, um allgemeinen Ausdruck zu bekommen, das wohl nahezu alle denkbaren und ausdrückbaren Beziehungen umspannt. Im letzten Grunde aber ist doch dasselbe Denken, Erleben und Erkennen, das diese allgemeinen Ausdrucksformen erlangen soll, auch Gegenstand der erkenntnistheoretischen Spekulation. Zwar achtet der Erkenntnistheoretiker nicht auf die Ausdrückbarkeit des Gedachten als den Zweck seiner Spekulation, sondern auf die Tendenzen des Geistes selber, zur Allgemeinheit des Erlebens zu kommen, aber allgemeine Ausdrückbarkeit und allgemeine Gestaltung des Erlebnisinhaltes stehen doch in engster Beziehung zueinander. In der zum allgemeinen Ausdruck gelangten Erlebniswirklichkeit liegt doch eine Art der allgemeinen Gestaltung der unübersehbaren Erlebnismannigfaltigkeit vor, wenn auch nur eine allgemeine Gestaltung zum Zwecke der verständlichen Übertragung. In der zum Ausdruck gestalteten Erlebniswirklichkeit ist aber zugleich die einzige eindeutige, erkennbare und diskutierbare Gestaltungsform gegeben. So kommt es, daß die Gestaltungsprinzipien des Ausdruckes und die Gestaltungsprinzipien des Erlebens selbst in engste Verbindung rücken und daß die letzten Postulate des Gestaltens überhaupt identisch zu sein scheinen. Es wird verständlich und erscheint gerechtfertigt, daß zur Feststellung der bei der Wirklichkeitsgestaltung zur Geltung kommenden Prinzipien die für die Verständigung geltenden Formen zu Hilfe gerufen werden. So hat beispielsweise Kant zur Auffindung der für den synthetischen Verstandesgebrauch geltenden Formen und Grundsätze die formale Logik als heuristisches Prinzip gebraucht und, indem er im Verstande ein »Vermögen zu urteilen« erkannte, die ganze Urteilslehre der formalen Logik übernommen und umgedeutet. Der gleiche Gebrauch der in Jahrhunderten gewachsenen formalen Logik taucht trotz aller Scheidung von Erkenntnistheorie und formaler Logik in den größten Systemen der nachkantischen Philosophie auf, und es ist nicht schwer zu zeigen, wie immer wieder der fruchtbare Versuch gemacht wird, die abstrakten formalen Schemata der formalen Logik mit der Lebendigkeit des Denkinhaltes zusammenzubringen und an ihnen die lebendige »Formung« des Denkens zu demonstrieren. Formale und erkenntnistheoretische Logik stimmen auch darin überein, daß beide nur bei den allgemeinsten Prinzipien des Denkens und des Ausdruckes verharren, nicht aber die besonderen Gründe besonderen Denkens, Erkennens oder Ausdrückens in Erwägung ziehen.

Dies letztere ist Aufgabe der angewandten Logik, der Logik des besonderen Verstandesgebrauches. In ihr Gebiet gehört die Analyse der Denkvorgänge und Erkenntnisresultate, soweit sie durch besondere außerhalb des Denkens selbst gelegene Bestimmungen begründet sind. Zu solchen Bestimmungsgründen ist vor allen Dingen der Wille zu rechnen als Begehrungsvermögen und als Wollen eines bestimmten Erkenntniszieles. Ferner sind zur angewandten Logik die Untersuchungen über das pathologisch bestimmte Denk- und Erkenntnisvermögen zu zählen, die in engster Anlehnung an die Resultate der allgemeinen sowohl wie der experimentellen Psychologie zu geschehen pflegen. Ein Hauptgebiet der angewandten Logik, das wir schon bei der Festlegung des Begriffes und der Methode der Philosophie (im ersten Teile dieser Einführung) streifen mußten, ist die Logik der Wissenschaften oder die Methodologie. Ihre Aufgabe ist es, die besonderen Erkenntnisgründe der einzelnen Wissensgebiete und die Gründe ihrer Abteilung aus dem Gesamtgebiet des Wissens festzustellen, das Verhältnis der aus diesen besonderen Wissensgründen erwachsenden Wissensergebnisse zum Wissen und zur Wahrheit überhaupt deutlich zu machen. Diese Methodologie der Wissenschaften, ein in der gegenwärtigen Logik so außerordentlich weit verbreitetes Gebiet der Spekulation, orientiert an den Ergebnissen der formalen und erkenntnistheoretischen Logik, zieht die Grenzen zwischen den einzelnen Wissensgebieten und erwägt die methodischen Mittel, mit denen die Einzelwissenschaften von ganz bestimmten Erkenntnisgründen aus zu besonderen Resultaten und Wahrheitsarten gelangen. Zur Methodologie gehört unter anderem die Schematisierung des Gesamtwissens in »Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften«, »Geschichtswissenschaften und Naturwissenschaften«, in »Kulturwissenschaften und Naturwissenschaften«. In all diesen methodologischen Versuchen ist die Tendenz erkennbar, die lebendigen Ausgangspunkte zum Wissen einerseits festzustellen, andrerseits die Beziehungen des Denkens und Erkennens auf besondere Objekte zu untersuchen und den aus dieser Beziehung entspringenden Wahrheitswert festzulegen. Die Methodologie der Wissenschaften hat in ihren Forschungen die allgemeinen Kathegorien des Denkens, die allgemeinen Funktionen des Erkennens in ihrer spezifischen Anwendung auf bestimmte Erkenntnisziele festzustellen.

Natürlich steht die angewandte Logik, sie sei im eigentlichen Sinne Logik des besonderen, individuellen Verstandesgebrauches oder Methodologie der Wissenschaften, keineswegs für sich getrennt und abgesondert da und wäre denkbar ohne formale oder erkenntnistheoretische Logik, sondern ihr eigentlicher unwandelbarer Grund sind eben die rein logischen Resultate. Eben von dem besonderen Verstandesgebrauche aus wird der Anspruch auf Allgemeingültigkeit der Erkenntnis deutlich, eben an dem besonderen Gebrauch allgemeiner Denk- und Erkenntnisprinzipien erkennt der Logiker das Verhältnis zu schlechthin geltenden Formen. So ist beispielsweise in Kants kritischem Hauptwerke, der »Kritik der reinen Vernunft«, der erste Teil, die transzendentale Ästhetik, die über die Prinzipien der sinnlichen Erkenntnis handelt, zugleich eine Methodologie der Mathematik und der zweite Teil, die transzendentale Logik, zugleich eine Methodologie der eigentlich naturwissenschaftlichen Erkenntnis, während formale und erkenntnistheoretische Logik in beiden Teilen die hervorragendste Stelle einnehmen.

Formale und erkenntnistheoretische Logik sind, wie wir sahen, der Idee nach zu trennende Wissensgebiete, während die angewandte Logik auf beiden als ihrem eigentlichen Grunde beruht. Die scharfe Scheidung von formaler und erkenntnistheoretischer Logik als zweier verschiedener logischer Gebiete beruhte darauf, daß die formale Logik eine Theorie der Verständigung der den Inhalt ausdrückenden Ordnungsformen ist, die erkenntnistheoretische Logik dagegen die Gründe des Sinnes, des Wahrheitsgehaltes abgesondert zu untersuchen hat. Die angewandte Logik bleibt immerdar ein Spezialgebiet beider Formen der logischen Spekulation oder des einen von beiden, das eben die Prinzipien und Funktionen des Denkens und Erkennens oder der Verständigung unter den besonderen Bedingungen des Subjektes, des allgemeinen Wissenstriebes oder eines besonderen Wahrheitsanspruches aufzufinden hat. Denn wie wir sahen, handelt es sich in der Logik – sie sei formal oder erkenntnistheoretisch interessiert – niemals darum, einen Erkenntnisvorgang aus den kausalen Beziehungen des erkennenden Subjektes zu den Objekten zu verstehen – das ist die Aufgabe einer Denkpsychologie – sondern den Rechtsanspruch, den Wahrheitswert zu prüfen. Es kann sich also bei der angewandten Logik nur darum handeln, den Wahrheitsanspruch unter besonderen Bedingungen zu sehen und diese Bedingungen als Gründe besonderer Wahrheitsarten oder als Gründe der Wahrheitsbeeinträchtigung aufzudecken.

Die Mannigfaltigkeit der im Umkreise der erlebbaren Welt auftauchenden bewußt oder unbewußt gesetzten Erkenntnisziele, aus denen eben auch die verschiedenen Wege zur Erkenntnis ihren Anfang nehmen, läßt sich aus Prinzipien der Logik ebensowenig begreiflich machen und verstehen, wie die Mannigfaltigkeit der Lebensziele und Weltanschauungstendenzen durch die Philosophie ableitbar ist. Sie ist das für die Logik Gegebene und der Anfangspunkt, zu den Einheitsformen und Einheitsgründen des Wissens aufzusteigen. Die Tatsache der Sprache als das lebendige Mittel, Vorstellungen, Eindrücke, Erlebnisse, allgemeinverständlich auszudrücken, bleibt der Ausgang und das spezielle Forschungsgebiet der formalen Logik, der Theorie der Verständigung; die Tatsache des aufweisbaren Anspruches, Erlebnisse für wahr gehalten zu wissen, ist der Beginn der Erkenntnistheorie; die Mannigfaltigkeit bestimmter Erkenntnisziele und Erkenntnisprinzipien ist die Erlebnistatsache, von der aus die angewandte Logik und vor allen Dingen die Methodologie der Wissenschaft anzuheben hat. Die Wege, die von diesen besonderen Erlebnistatsachen ausgehen, sind außerordentlich gegensätzlich, wie dies die Geschichte der Logik zeigt; diese Mannigfaltigkeit möglicher Wege steigert sich mit der Unbestimmtheit der zum Ausgangspunkte genommenen Tatsachen.

Am ehesten läßt sich danach eine Entwicklung zu allgemeiner Übereinstimmung der Lösungsversuche für die formale Logik feststellen, die zu ihrer Entfaltung Jahrtausende gebraucht hat. – Bei weitem schwieriger gestalten sich die Versuche, eine Entwicklung auf bestimmte Resultate hin bei der angewandten Logik, vor allen Dingen auf dem Gebiete der Methodologie, zu erkennen. Die wachsende Anzahl der Einzelwissenschaften und die Fülle subjektiver Bestimmungsgründe des Denkens geben unendlichen ernsthaft unternommenen Deutungsmöglichkeiten Raum; zudem ist die eigentliche Wissenschaft der angewandten Logik erst verhältnismäßig jung in einem Zeitalter entstanden, wo sich die Einzelwissenschaften aus dem Gesamtgebiete der Philosophie ablösten und unter ihnen die Psychologie zu einer verhältnismäßig sicheren Methode gelangt ist. – Am erheblichsten aber sind die Schwierigkeiten bei den Unternehmungen, für die Erkenntnistheorie einen festen historischen Gang zu eindeutigen Zielen aufzuweisen. Da scheiden sich zu jeder Zeit, zum Teil durch Weltanschauungsmomente bestimmt, die Gruppen und Richtungen und leiten aus besonderen Prinzipien zahllose Deutungsmöglichkeiten für den lebendigen Fortschritt des Denkens ab. Jeder Versuch erkenntnistheoretischer Art hat bis zur Gegenwart jedes Mal den Nachweis wachgerufen, daß bestimmte, erst deutlich zu machende Voraussetzungen vorherrschen und daß aus den gesetzten Prinzipien eine Fülle dem Erkenntnistheoretiker selbst entgangener Folgen abfließen. –

Es leuchtet aus dieser Verschiedenheit ein, daß es fast unmöglich ist, über die allgemeine Unterscheidung der drei Hauptgebiete der Logik hinaus, wie wir sie uns hier vor Augen geführt haben, noch auf besondere Lösungsversuche ihrer Probleme hinzuweisen, und zwar in einer Art, vermöge deren der Rahmen einer Einführung in die Logik überhaupt nicht überschritten wird. Denn wir haben uns für keins der Resultate der Logik zu entscheiden, sondern uns nur den Begriff und das Wesen der Logik als einer bestimmten, aus dem Begriffe der Philosophie hervortretenden Disziplin deutlich zu machen. Eine solche Belebung der allgemeinen Einteilung der logischen Problemgruppen, durch den Hinweis auf gewisse Tendenzen zu besonderen Resultaten der Forschung zu gelangen, müßte der Verschiedenheit innerhalb der feststellbaren Entwicklung der einzelnen Problemgruppen angepaßt sein. Danach könnten für die formale Logik noch am ehesten bestimmte Unterscheidungen und immer wiederkehrende Feststellungen aus dem Ganzen herausgegriffen werden, um an ihnen die Besonderheit formallogischer Spekulation zu verdeutlichen. – Für die Erkenntnistheorie dürften nur gewisse Entscheidungen als Beispiele hervorgehoben und die Klarstellung erkenntnistheoretischer Hilfsbegriffe dazu benutzt werden, um im allgemeinen auf die Wege der Erkenntnistheorie hinzuweisen. – Für die angewandte Logik, insbesondere die Methodologie, kämen bestimmte Ansichten als mögliche Ergebnisse der Forschung in Betracht.

Wir werden also, ohne irgendwelchen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, lediglich um das allgemeine Schema der Logik, wie wir es entworfen, zu beleben, noch von einigen Unterscheidungen der formalen Logik, von einigen Grundrichtungen der Erkenntnistheorie und einigen Versuchen der angewandten Logik kurz im einzelnen zu handeln haben.

Bevor wir aber dazu übergehen, ist es am Platze, einige Werke zu nennen, die wohl geeignet sind, den Weg in die Logik zu weisen. Diese Bemerkungen gehören in den Rahmen einer »Einführung in die Philosophie«, weil sie mit dem Handmaterial der Wissenschaft vertraut machen. Natürlich kommen in den Grundrissen der Logik bei dem großen Widerstreit der Ausfassungen immer verschiedene Standpunkte zur Geltung. Je schärfer und einseitiger diese ausgeprägt sind, um so weniger taugen sie zur Einleitung in die Logik überhaupt.

In allen großen Systemen der Philosophie hat eine fundamentale Behandlung der logischen Fragen Platz gefunden, meist durch die Einsicht hervorgerufen, daß die Logik als die Lehre von den letzten Gründen der Einheit des Denkens im Zentrum aller Philosophie zu stehen habe. Diese Behandlung der logischen Fragen innerhalb des Ganzen, eines geschlossenen Systemes ist aber nur in den seltensten Fällen, vielleicht niemals, eine Darstellung aller Behandlungsmöglichkeiten logischer Fragen gewesen, sondern der einseitige aber konsequent und nach allen Seiten gerichtete Ausbau einer eigenen logischen Auffassung. – Unter dem Handmaterial der Logik ist in erster Linie auf die große »Geschichte der Logik des Abendlandes« von Karl Prantl (1855 bis 1870) zu verweisen, die in vier Bänden erschien und bis zur Renaissance fortgeführt ist, ein großes Werk, das den Versuch macht, die logischen Begriffe, Methoden und Resultate in historische Beziehung zueinander zu setzen. Diese umfangreiche »Geschichte der Logik« gewährt natürlich nur einen allgemeinen Überblick und weist mehr auf die Mannigfaltigkeit, als auf die letzte Einheit aller logischen Tendenzen hin. – In früheren Zeiten war es allgemein Sitte, nach festeingeführten »Grundrissen« und »Lehrbüchern« der Logik die logischen Lehren vorzutragen, ganz abweichende Standpunkte an älteren knappgefaßten Kompendien zu erörtern. So hat beispielsweise Kant in seinen logischen Vorlesungen anfänglich einen Leitfaden von Baumeister und später den von Meier zu Grunde gelegt und an der Hand von diesen seine Zuhörer von gegebenen und erlernbaren zu seinen neuen Auffassungen geführt. Von solch knappen »Grundrissen« neuester Zeit, die geeignet sind, den ersten Kontakt mit den Problemen der Logik zu schaffen, seien genannt: Hermann Lotze: »Grundriß der Logik und Enzyklopädie der Philosophie«, Diktate aus seinen Vorlesungen (5. Auflage 1912), Paul Natorp: »Logik« (Grundlegung und logischer Aufbau der Mathematik und mathematischen Naturwissenschaft) in Leitsätzen zu akademischen Vorlesungen (2. umgearbeitete Auflage 1910), Wilhelm Windelband: »Logik«, als Beitrag zu der Festschrift für Kuno Fischer: »Die Philosophie im Beginne des zwanzigsten Jahrhunderts« bearbeitet (1. Auflage 1904). Dieser Beitrag zu der bekannten Festschrift gewährt gegenüber den übrigen Grundrissen den Vorteil, daß er, wenn auch nur ganz kurz und knapp, auf die Haupterscheinungen der modernen Logik hinweist. Innerhalb der Sammlung von »Katechismen der Philosophie« hat Friedrich Kirchner die Probleme der Logik in einem »Katechismus der Logik« ausführlich behandelt.

Einen Begriff zu geben von der Mannigfaltigkeit und Gegensätzlichkeit der gegenwärtig herrschenden logischen Ansichten versucht der erste Band der vor kurzem unternommenen »Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften«. Dort wird von sechs verschiedenen Standpunkten her der Grundriß einer Logik entworfen. Die »Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften« in Verbindung mit Wilhelm Windelband herausgegeben von Arnold Ruge, als ein Fundamentalwerk der gegenwärtigen Philosophie gedacht, entspringt der Idee, gerade in der Mannigfaltigkeit der Lösungsversuche die Einheit der Philosophie geltend zu sehen.

a) Die formale Logik.

Welches »Lehrbuch der Logik« man zur Hand nehmen mag, in jedem wird man die Stellung der formalen Logik im Systeme der Logik überhaupt verschieden gefaßt sehen, in jedem dürfte die Frage nach der Bedeutung formallogischer Probleme für die Theorie der Erkenntnis anders formuliert und eingeschätzt sein. Selbst die kritische Erinnerung Kants, daß die formale Logik, wenn sie das bleiben will, was sie ist, eine besondere Abteilung der Logik bildet und jenseits der Grenzen einer Theorie des Erkennens steht, ist keineswegs in die Auffassungen vom Wesen der formalen Logik als fester Bestandteil eingegangen. Zu eng hängen die Verständigungs- und sprachlichen Ausdrucksmittel mit dem Ausgedrückten zusammen und zu undeutlich erscheint die Grenzlinie einer Theorie der Verständigung und einer Theorie des Denkens und Erkennens. Jegliche Entscheidung für die Art des Zusammenhanges und die gegenseitige Beziehung wäre eine speziell philosophische, die einer eingehenden theoretischen Begründung bedürfte, durch die der Rahmen einer »Einführung« weit überschritten würde. Wir halten uns deshalb, um das Wesen der formalen Logik zu illustrieren, ganz an der Oberfläche und der Zufälligkeit formallogischer Probleme, soweit sie nach allgemeiner Ansicht der formalen Logik wesentlich angehören. –

Konsequent ist es, daß die formale Logik mit den einfachsten sprachlichen Gebilden beginnt, um ihnen ihre formale Struktur abzulauschen. Diese ersten, einfachsten Gebilde, die über die Grenze rein nachahmender Laute, rein hindeutender Klänge oder Gesten hinausragen, sind die Worte oder die »Begriffe«, d. h. sprachliche Ausdrücke, in denen eine Mannigfaltigkeit von Erlebnissen, von Eindrücken, von Erfahrungen, von Wahrnehmungen zusammengefaßt, auf einen Ausdruck gebracht, begriffen wird. Die Bedingungen nun, unter denen ein Begriff allgemeiner Ausdruck werden kann, untersucht die formale Logik ohne Rücksicht darauf, welchen Wahrheitsgehalt der Begriff oder das Begriffene hat, ganz und gar gerichtet auf die formalen Prinzipien, die ihn zu einem allgemeinen Ausdrucksmittel konstituieren. Die » Lehre vom Begriff« handelt in diesem Sinne vom »Inhalt« und »Umfang« der Begriffe. Die Lehre vom »Inhalt der Begriffe« untersucht das Verhältnis der Merkmale, die einen Begriff bestimmen und als eindeutigen Ausdruck einer Erlebnismannigfaltigkeit charakterisieren. Die »Lehre vom Umfang der Begriffe« handelt vom Verhältnis der Begriffe untereinander als Art-, Gattungs- und Singularbegriffe. Diese Regeln der Subordination und Koordination von Begriffsmerkmalen und Begriffen, weit ausgedehnt in der formalen Logik, sind der notwendige Unterbau zur » Lehre von den Urteilen«, der Lehre von den Begriffsverbindungen in Sätzen. Dabei kümmert es die formale Logik nicht, ob der Begriff als solcher, als Ausdruck, Urteilsakte voraussetzt, sondern in der formalen Lehre vom Begriff, den Verhältnissen seiner Merkmale und seinem Verhältnis zu anderen Begriffen kommt es nur darauf an, die Bedingungen aufzufinden, unter denen der Begriff etwas allgemein in einem Worte ausdrückt. Wie weitverzweigt und wie wichtig die »Lehre vom Begriff« für die formale Logik war und für die Logik überhaupt geblieben ist, können wir daran sehen, daß die neueren Richtungen der Logik seit Kant diese Lehre, oder doch wenigstens das Wesentliche aus ihr übernahmen und der »Lehre vom Begriff« neuen Sinn zu geben versuchen.

Ihrer Methode nach nennt man, gerade von der Begriffslehre aus gesehen, die formale Logik analytische Wissenschaft, weil es ihr darauf ankommt, aus den fertig vorliegenden Begriffsgebilden die Elemente abzulösen, die Begriffe in ihre formbildenden Elemente zu zerlegen, während man eine Wissenschaft, die die Bedingungen eines sinnvollen allgemeingültigen Aufbaues aufzusuchen sich bemüht, synthetische Wissenschaft nennen würde. –

Von der Begriffslehre aus lassen sich auch am leichtesten die mannigfachen Irrwege der formalen Logik begreifen, die das Denken zur Begründung einer Theorie des Seins und des Geltens mit den Mitteln der formalen Logik verlockten. So ist der »ontologische Beweis« vom Dasein Gottes ein vielfach erörtertes Beispiel von den Versuchen der formalen Logik, über die an und für sich scharfsinnigen Analysen eines vorhandenen Gottesbegriffes hinaus zum Beweise vom Dasein, von der Realität Gottes zu gehen, d. h. die rein formale Struktur des Begriffes Gott aus Merkmalen, die alle zusammen die Einheit eines Begriffes ergeben, und die reine Denkhaftigkeit Gottes zu einer Realität zu erheben, sie mit Mitteln der formalen Logik begreiflich zu machen. –

In der » Lehre vom Urteile« lenkt der Logiker die Aufmerksamkeit auf die möglichen Arten von Begriffsbeziehungen im Satz als dem sprachlichen Ausdrucke dieser Beziehungen. Der Satz an sich besteht aus Subjekt, Prädikat und Beziehungszeichen zwischen Subjekt und Prädikat, der Kopula. Das Schema eines Urteiles an sich ist: A=B. Da lassen sich nun mannigfache Betrachtungen anstellen über das, was durch die allgemeine Formel und durch ihre Variationen ausgedrückt werden soll. Für den formalen Logiker rückt dann bald das A, bald das B bald die Kopula, bald das A+Kopula, bald das B+Kopula in den Mittelpunkt der Betrachtung und die Lehre vom Urteil ist erst dort abgeschlossen, wo all die möglichen Beziehungen, je nachdem was Subjekt, Prädikat oder Kopula ausdrücken sollen, klargestellt sind. Aus diesen Spekulationen entspringt dann die immer wieder revidierte Tafel der formalen Urteilsfunktionen, die beispielsweise Kant in seiner erkenntnistheoretischen Logik dazu diente, die Formen nicht möglicher sprachlicher, sondern geltender Beziehungen aufzufinden. Nach der Quantität gemessen zerfallen die Urteile rein formal betrachtet, nämlich nach dem Umfange des Subjektbegriffes ( A) in allgemeine und besondere Urteile. A=B bedeutet im ersteren Falle: A schlechthin, d. h. alle A gleichen B, im zweiten Falle dieses bestimmte A=B. Bei der formalen Unterscheidung der Urteile ihrer Quantität nach ist dagegen die Bedeutung der Prädikation der Einteilungsgrund. Das Prädikat kann dem Subjekt zu- oder abgesprochen werden. Im ersteren Falle ist das Urteil bejahend ( A=B), im letzteren verneinend ( A= non B). – Wir können im einzelnen nicht diese Urteilstafel der formalen Logik verfolgen, die seit Aristoteles eine immerwährende Umbildung, durch die erkenntnistheoretische Logik in mannigfacher Weise eine Revision und Erweiterung erfahren hat, zum Teil aber auch als völlig überflüssig beiseite geschoben ist. Nach allen Richtungen hin wird das Urteil als zweckmäßige Verbindung von Begriffen gedreht und gewendet, um alle möglichen ausdrückbaren Beziehungen festzustellen. Im wahren Sinne des Wortes gehört die eigentliche formale Urteilslehre in den Teil der Logik, von dem Mephistopheles zum Schüler sagt:

Da wird der Geist euch wohl dressiert,
in spanschen Stiefeln eingeschnürt,
daß er bedächtiger fortan
hinschleiche die Gedankenbahn
und nicht etwa, die Kreuz und Quer,
irrlichteliere hin und her.

Immerhin, wenn auch die alten Logiker, die ganz an der formalen Struktur der Begriffe und Urteile sich hätten begnügen müssen, vergeblich versuchten, aus diesen Formen Sinn und Wahrheit herauszupressen, die Formalistik war und blieb eine Disziplin, die den Geist in Zucht hielt und im wahren Sinne disziplinierte. Wenn wir uns heute vom Standpunkte der erkenntnistheoretischen Logik aus und oftmals geleitet von weltanschaulichen Bestrebungen verächtlich von der Formalistik abwenden, so ist dies wohl in der Einsicht gegründet, daß eine logische Wissenschaft mit völlig neuen Prinzipien neben der formalen Logik zur Ausbildung gelangt ist, zum Teil aber auch in einer gewissen Abneigung, sich an strenge Gesetze des Denkens zu binden, sich mit ihnen in langwierigem Studium vertraut zu machen, sie zu erlernen und zu prüfen, bevor den erkenntnistheoretischen Spitzfindigkeiten Tor und Türe geöffnet werden. Die genauen Unterschiede, die die formale Logik zwischen den Urteilen machte, sei es bei der Abschätzung ihrer besonderen Eigenschaften nach Qualität und Quantität oder durch die Schematisierung in kategorische, hypothetische, disjunktive bieten die mannigfachste Einsicht in den Verständigungsprozeß, der sich in allgemeinen Formen vollziehen und auf allgemeinen Gründen aufbauen soll.

Allgemein üblich ist in der formalen Logik die Einteilung der Erkenntnisse und ihrer Ausdrucksformen nach dem Schema: Begriff, Urteil, Schluß. Diese Einteilung ist keine im eigentlichen Sinne logische, die von einem bestimmten Prinzip aus geschehen müßte. Sie ist auch keine im eigentlichen Sinne psychologische, nach der Beteiligung der psychologischen Funktionen an den Denkresultaten, sondern es ist eine Einteilung, die aus dem Erleben genommen ist. Die Tendenz des Geistes, zu immer höheren Formen der Einheit aufzusteigen, die unübersehbare Mannigfaltigkeit des Erlebens unter immer höhere Einheitsformen zu schematisieren, wird zum Grunde der Einteilung genommen und in ihrer Aktivität an der Sprache beobachtet. In diesem Sinne bildet die formale Schlußlehre, die eigentliche Syllogistik, den Höhepunkt und abschließenden Teil der alten formalen Logik. Sie ist die Lehre von der Beziehung von Urteilen, die Lehre von der Aufhebung mannigfacher aufeinander bezogener Urteile durch ein End- oder Schlußurteil. Auf der Syllogistik, einer in allen einzelnen Teilen ausgebauten Lehre der formalen Logik beruht alles Beweisen, das sich als Schluß aus vorangehenden Urteilen (Prämissen) darstellt. Gerade als » ars demonstrandi« hat die formale Logik auf den Ausbau der Schlußlehre den entscheidenden Wert legen müssen und ist dabei zur Ausführung eines Turmbaues rein formaler Schemata gekommen, dessen Konstruktion im einzelnen erlernt werden muß. Achtet man darauf, daß es in der formalen Schlußlehre dort, wo sie ihre selbst gesetzten Prinzipien nicht aufgibt, nur auf die rein formale gegen jeden Gehalt gleichgültige Beziehungsmöglichkeit von Urteilen und Begriffen aufeinander ankommt, so wird man die strenge Wissenschaftlichkeit dieser Bemühungen, die jenseits alles praktischen Wertes steht, kaum verkennen können. Ein Spott über die formalen Spitzfindigkeiten ist nur dort am Platze, wo mit ihnen der Anspruch befriedigt werden soll, den lebendigen Zusammenhang der Erkenntnis zu finden und in den formalen Prinzipien der sprachlichen Verständigung den Gang der Erkenntnis, die konstitutiven Formen der Inhaltsbeziehung zu erkennen.

b) Die Erkenntnistheorie.

Überall dort, wo die Logik den Rahmen rein formaler Begründungen verläßt, um nach dem Grunde der Geltung, des sinnvollen Gehaltes, zu fragen, wird sie zu einer Theorie der Erkenntnis, die nach den Gründen sucht, die allem Erkennen beiwohnen. In diesem Sinne ist jede Erkenntnistheorie zugleich Metaphysik der Erkenntnis, indem sie entweder diese überall gleichen Gründe der Geltung jenseits der physischen Bestimmtheit des Erkennenden setzt oder die physische Bestimmtheit des erkennenden Subjekts als das Allgemeine, das überall Identische, das Überindividuelle postuliert und behauptet.

Die Lebendigkeit erkenntnistheoretisch-metaphysischer Fragen war zu keiner Epoche des Denkens versiegt. Es hat wohl Zeiten gegeben, wie die der mittelalterlichen Scholastik, wo der Fluß dieser Fragen nur unmerkbar floß und alles logische Reflektieren von formalen Spekulationen beherrscht erscheint oder an ein Dogma über die Erkenntnis gebunden ist. Ja es ist richtig, zu behaupten, daß in der Geschichte der Philosophie die Spekulationen über die Gründe lebendiger Erkenntnis weit früher und mit größerer Intensität auftauchten, als die Beschränkung auf die formalen Verständigungsprinzipien. – In diesem Sinne ist das ganze voraristotelische Denken über die Gründe der Wahrheit im eigentlichen Sinne des Wortes Erkenntnistheorie und weit entfernt von aller formalen Spekulation. Platons Versuch, die Geltung der Allgemeinbegriffe, um deren formalen Aufbau man schon damals sich zu bemühen anfing, auf daseiende Abbilder der Dinge zurückzuführen, die Allgemeinbegriffe der Dinge als das metaphysisch feststehende Gerüst aller Wirklichkeit zu erkennen, sie vom Erkenntnisprozeß loszulösen, sie nur durch den Erkenntnistrieb erreichbar erscheinen zu lassen, ist eine metaphysisch erkenntnistheoretische Deutung der Erkenntniswelt. Im letzten Grunde wird es für alle spezifisch erkenntnistheoretische Kritik darauf ankommen, von welchen letzten wissenschaftlich zu begründenden Prinzipien die Deutung der Erkenntnis ausgeht. Von diesen Prinzipien und ihrer theoretischen Fundamentierung aus erscheinen die erkenntnistheoretischen Versuche der Vergangenheit und der Gegenwart graduell in ihrer Bedeutung verschieden. Mit dem Maße der theoretischen Begründbarkeit und der Vollständigkeit der aus dem Prinzip gezogenen Konsequenzen gemessen steht aber auch eine Reihe erkenntnistheoretischer Systeme gleichwertig nebeneinander. In diesem Sinne wird man Realismus und Idealismus, Materialismus und Spiritualismus, Sensualismus und Rationalismus als einander feindlich den Platz behauptend betrachten müssen.

Der » Realismus« setzt das Dasein der Dinge in eine physische, vom erkennenden Bewußtsein unabhängige Welt. Er deutet die wahre Erkenntnis als die getreue Wiedergabe, die unverfälschte Aufnahme daseiender Dinge in das erkennende Bewußtsein. Alle erkenntnistheoretischen Spekulationen des Realismus werden sich daher um die Frage drehen, wie die daseienden Dinge ihre Daseinsform dem erkennenden Bewußtsein mitteilen. In der Beantwortung dieser Frage gehen die Realisten, ohne den allgemeinen Boden des Realismus zu verlassen, weit auseinander.

Dem gegenüber behauptet der » Idealismus«, daß der Grund der Dinge, so weit sie erkennbar sind, in einer nichtphysischen Welt gelegen sei. Platons Lehre ist im eigentlichen Sinne des Wortes Idealismus. Sie setzt die Realität der Dinge in eine Welt der Formen, die der physischen Welt entgegengesetzt ist, mit der die unkörperliche Seele des Menschen, dort beheimatet, in beständiger Wechselwirkung steht. Ebenso ist Kants Lehre Idealismus, obwohl in ganz anderer Bedeutung: Sie setzt den Grund der Geltung der Erkenntnisse in das erkennende Bewußtsein, in ein Bewußtsein überhaupt, als dem Grunde der Einheit aller erkennenden Wesen und damit auch dem Grunde der sich in der Erkenntnis zeigenden Eigenheit durch besondere Bestimmungen differenzierter erkennender Menschen. Auch vom Idealismus sind viele mögliche Wege im Verlaufe der Geschichte der Philosophie gegangen worden; von Platon bis zu Kant sind wenige Versuche in ganz gleicher Richtung unternommen worden. So nennt Kant von seinem idealistischen Standpunkte aus die Lehre des Cartesius und die des Berkeley »träumenden« und »schwärmenden« Idealismus, dem gegenüber er der besonderen Prinzipien wegen seine eigene Lehre als »kritischen« Idealismus bezeichnet wissen wollte.

Realismus und Idealismus sind gleichsam die obersten metaphysischen Entscheidungen, zu denen bereits Stellung genommen sein muß, bevor die Deutungsprinzipien sich spalten in materialistische und spiritualistische, sensualistische und rationalistische. Für den Materialisten kehrt sich alles zu der Frage um, wie die Gründe der Erkenntnis in der mit Trägheit und Massenhaftigkeit gedachten Materie zu finden seien. Dem Spiritualisten schwinden alle materiellen Gründe als gleichgültig oder gelten ihm als bestimmte Funktionen eines oder seines Geistes, dem Sensualisten liegt die Wahrheit im Eindruck der Sinne, einem bestimmten physischen Organ, dem Rationalisten und Intellektualisten im Vermögen zu denken und zu abstrahieren.

Nennt man die Funktionen des Denkens und Erkennens, in denen sich das allgemeingültige Erkenntnisresultat formt, Kategorien, so werden diese bei allen verschiedenen Standpunkten an Zahl und an Bedeutung für die Erkenntnis unterschieden sein. Verfolgt man diese Gegensätzlichkeit nur einmal an einem einzigen der Gesetze, aus denen wir die Welt der Erkenntnisse in den verschiedenen erkenntnistheoretischen Systemen sich aufbauen sehen, so spiegelt sich in diesem die ganze Geschichte der logischen und erkenntnistheoretischen Grundansichten. Nur das einige Probleme immer wieder in der Geschichte der Philosophie auftauchen, kennzeichnet eine Gemeinsamkeit in der allgemeinen Denkrichtung. Zu diesen gemeinsamen Problemen erkenntnistheoretischer Forschung, wie mannigfache und gegensätzliche Wege sie auch gegangen sein mag, gehören unter anderem beispielsweise das »Problem der Kausalität« und das »Problem der Substanzialität«. Das Problem der Kausalität behandelt die Frage nach dem Rechtsgrunde der ständig erlebten und behaupteten Beziehung von Ursache und Wirkung aufeinander. Das Problem der Substanzialität fragt nach dem Grunde der Einheit der als wechselnd wahrgenommenen Erscheinungen eines für konstant gehaltenen Dinges. Mit der Frage nach dem Rechtsgrunde kausaler Beziehungen hängt die andere nach dem ganzen Zusammenhange der von uns erkannten Welt zusammen; es ist dies die Frage nach der Wechselwirkung aller Erscheinungen und nach dem letzten Grunde ursächlicher Bedingtheit überhaupt, die als der Frage nach der letzten Ursache zur Frage nach der möglichen »Freiheit« wird.

Überall wird es sich in der Erkenntnistheorie darum handeln, die Gründe allgemeingültiger Erkenntnis zu prüfen und damit Sicherheiten für den Fortschritt des Erkennens zu schaffen. Diese Feststellung von Geltungsgründen kann in der Weise geschehen, daß gleichsam das Erkennen als ein Faktum und als ein letzter, nicht mehr zu prüfender Maßstab allen Forschungen zugrunde gelegt wird; sie kann aber auch so geschehen, daß die Prüfung mit dem Zweifel an der Möglichkeit des Erkennens selbst beginnt. Die erstere Art der Prüfung behauptet ohne weiteres, daß das als gültig eingesehen ist, was zur unmittelbaren Gewißheit gebracht worden ist. Die zweite Art dagegen rückt in den Mittelpunkt der Betrachtung zunächst die Erwägung über die möglichen Gründe der Gewißheit. Die letztere Art, die notgedrungen zu der Festlegung der durch das Erkennen selbst gezogenen Grenzen gelangt, nennt man seit Kant die »kritische« Betrachtung der Erkenntnis, und alle Versuche, die nach dieser Richtung hinstreben und sich bewußt sind, daß es auch Gründe der Gewißheit gibt, die nicht Gründe der Erkenntnisgewißheit sind, gehören unter den Begriff des erkenntnistheoretischen Kritizismus.

Der Kritizismus, seit Kant in mancherlei Phasen der Entwicklung eingetreten, scheint sich zu einem System konstitutiver Formen ausbauen zu wollen, wie die formale Logik ein System regulativer Formungsprinzipien abzugeben Jahrhunderte hindurch mit Erfolg bemüht gewesen ist. Der Kritizismus, gleichweit entfernt von einer psychologischen Beschreibung des Erkenntnisvorganges und einer mit metaphysischen Ansichten beginnenden Theorie, schwebt gegenwärtig bei seinem Verständnis für alle zu einer Art allgemeiner Geltung strebenden Erkenntnisse zwischen einem metaphysischen Skeptizismus und einem positiven Relativismus.

Von all diesen verschiedenen Standpunkten erkenntnistheoretischer Deutung und Forschung aus gehen zahllose Fäden herüber und hinüber und wickeln sich viele Gemeinsamkeiten heraus, die alle wiederkehren auf dem Gebiete der angewandten Logik, als dessen rein von logisch-erkenntnistheoretischen Interessen bestimmtes Hauptgebiet die Methodologie der Wissenschaften bereits hervorgehoben wurde.

c) Die angewandte Logik.

Die angewandte Logik oder die Logik des besonderen, des bestimmten Verstandesgebrauches ist der Teil der Logik, der sich am meisten der historisch gegebenen Mannigfaltigkeit nähert. Die Logik betrachtet hier das Denken unter gewissen nicht im Denken selbst liegenden Bestimmungsgründen. Sie greift die Tatsache auf und verwertet sie, daß an unendlich vielen Stellen der Prozeß der Verallgemeinerung und Vereinheitlichung beginnt. Wie wir schon sahen, hat jedes Spezialgebiet der Philosophie seinen logischen Teil, der im eigentlichsten Sinne zur angewandten Logik gehört. Die Logik untersucht dort die Postulate und die Geltungsgründe besonderer Art. So ist die »Logik des ethischen Urteils« angewandte Logik, weil sie das auf allgemeine Notwendigkeit abzielende Moralurteil unter den besonderen Bedingungen eines nach geltenden moralischen Normen strebenden Bewußtseins untersucht. Während die Logik als Erkenntnistheorie die Kategorien, die Urteilsfunktionen an sich aufzusuchen hat, unternimmt sie es als angewandte Logik, die Bedingungen hinzuzufügen, die das Urteil als solches beispielsweise zu einem moralischen Urteile umbilden. In genau derselben Beziehung tritt die angewandte Logik hervor in der Ästhetik, der Geschichtsphilosophie, der Naturphilosophie usw. und bei der Analyse der durch bestimmte psychologische Voraussetzungen bedingten Urteilsarten. Die Logik steigt abwärts in das üppige Gefilde lebendig sich geltend machender Postulate, um die Bedingungen absoluter und relativer Gültigkeit voneinander zu scheiden. Genau ebenso verhält sich die angewandte Logik zu den Bestrebungen der Einzelwissenschaften, nur mit dem Unterschiede, daß sie gleichsam noch eine Stufe tiefer in die unübersehbare Mannigfaltigkeit der Gründe steigt, über die hinaus der Aufstieg zur Einheit gefordert wird.

Die Einzelwissenschaften setzen, wie wir sahen, ohne besondere kritische Besinnung Geltungsgründe an ihre Spitze und nehmen von dort aus ihren lebendigen Fortschritt. Die Geltungsgründe bekommen erst durch die methodologische Besinnung ihre Stelle im System konstituierender Erkenntniselemente. So wird vom Standpunkte der Logik der allgemeine Erkenntnisgrund und der methodische Weg verständlich, auf dem die Mathematik fortschreitet, der logische Ort begreiflich, von dem Naturwissenschaft, Geschichtswissenschaft und alle anderen Einzelwissenschaften wie von einem unerschütterlichen Grunde ausgehen.

Jedes differenzierte, mit dem Anspruch auf Geltung auftretende Urteil, hat den Forscher auf dem Gebiete der angewandten Logik zu interessieren. Er wird, wie er zu den besonderen Gründen der Einzelwissenschaften verständnisvoll hinsehen muß und sie sich begreiflich zu machen hat, auch auf die von der Psychologie festgesetzten Tatsachen Rücksicht nehmen, um allenfalls von dort Bestimmungsgründe des zur Allgemeinheit hinstrebenden, von der Allgemeinheit durch eben diese Bestimmungsgründe getrennten Urteiles zu erlangen. Die Methode der angewandten Logik aber wird stets logisch bleiben und niemals psychologisch oder historisch beschreibend werden können, denn nicht mit der Darstellung von vorhandenen Urteilsmöglichkeiten, sondern mit der Auffindung geltender Regeln der Verallgemeinerung und Vereinheitlichung hat es die Logik, sie sei formale Logik, Erkenntnistheorie oder angewandte Logik, zu tun.


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