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Zweites Kapitel.
Ein Landkind

Ist das ein geschwätziges Weib! Die könnte dem Teufel ein Ohr wegreden,« bemerkte der undankbare Goring, als sie mit langen, stetigen Schritten die Höhe erstiegen.

»Nun, ich meine, du hast sie dazu herausgefordert.«

»Ich wollte sie nur aushorchen über die hübsche Peggy – ob sie wohl wirklich hübsch ist?«

»Ja, was geht's denn dich an?« fragte Kinloch.

»Falls der Fisch sich nicht zu zeigen geruht, muß man sich wohl nach einem andern Zeitvertreib umsehen. Ländliche Unschuld ist zwar nicht mein Fall – ich mag Mädels, die wissen, wo sie dran sind, und sich gut anziehen.«

»Und deren hast du genug,« bemerkte Kinloch. »Dieses Fräulein Summerhayes ist jedenfalls ein schlichtes Landkind, und du sollst hier fischen und keine Liebschaften anbändeln.«

»Nun ja, fischen – sehr begeistert bin ich gerade nicht dafür. Der selbstsüchtigste Sport auf Gottes Erde!«

»Flirten ist mitunter noch selbstsüchtiger ...«

»Nein, sag' ich dir! Sobald einer die Angel in die Hand nimmt, entpuppt sich sein Charakter! Ein Freund, der für uns in den Tod ginge, verrät uns doch nicht die beste Angelstelle oder seine Lieblingsfliege. Begegnet man einem mit einem ganzen Netz voll Forellen und fragt, ob er Glück gehabt habe, so heißt's: ›So so – jetzt sind sie aber alle weg.‹ Der eigene Bruder würde vor Sonnenaufgang aufstehen, um einem den Bach abzufischen!«

»Dein etwaiger Bruder müßte sich dabei nicht so übermäßig anstrengen, vor elf Uhr kommst du ja nicht aus den Federn.«

»Seh' auch nicht ein wozu! Da wir gerade vom Fischen reden – bist du eigentlich noch nie gefangen worden?«

»Nein, und wenn mich eine angelte, würde sie mich rasch wieder loslassen – als minderwertig.«

Goring sah den Kameraden von der Seite an. Er maß seine sechs Fuß und war äußerst ebenmäßig gewachsen.

»Ja, ja,« brummte er, »es ist etwas Heilloses um einen leeren Beutel!«

»Es gibt noch schlimmere Uebel!«

»Stimmt, aber dein Kopf wenigstens ist nicht leer. Du bringst es jedenfalls bis zum General – vielleicht suchst du mir dann ein nettes leichtes Pöstchen beim Stab aus!«

»Was willst du denn jetzt von mir, daß du so artig bist?«

»Für den Augenblick gar nichts,« erwiderte Goring lachend, »als bei dieser Peggy in der Vorhand sein!«

Sie hatten mittlerweile die Höhe erreicht und den Feldweg gefunden, von dem aus man Fruchtschober und einen Bauernhof erblickte.

»Von römischen Ruinen merke ich vorläufig nichts ...«

»Nein, aber da ist der Bach,« sagte Kinloch, auf das silberne Band deutend, das sich zu ihren Füßen hinschlängelte.

»Ja, aber wenn ich da hinuntergehe, muß ich zehn gegen eins wieder heraufklettern – ich überlasse dir die Untersuchung der Wasserbeschaffenheit mit unbedingtem Vertrauen.«

»Bist du ein Faulpelz! Noch kaum eine Weile gegangen! Was willst du denn anfangen?«

»Ins Wirtshaus zurückgehen – möglich, daß der alte Whiting Pikett spielt, möglich, daß sie Rheinwein im Keller haben.«

»Rheinwein in Nieder-Barton!« rief Kinloch lachend. »Verlangst du etwa auch Eis dazu? Sei froh, wenn du ein trinkbares Glas Bier kriegst.«

Und mit dem Stock grüßend eilte er den Hügel hinab.

Kinloch und Goring waren Regimentskameraden, was durchaus nicht gleichbedeutend mit Freunden ist, auch hatte kein Verlangen nach innigerem Verkehr sie gemeinsam in diesen Erdenwinkel gelockt. Kinloch war ein eifriger Sportsman, Goring hatte sich ihm mehr aufgedrängt als angeschlossen, vielleicht gerade weil er merkte, daß seine Begleitung nicht heftig gewünscht wurde, vielleicht auch, weil er ein paar Tage in ländlicher Stille mit Forellen, Sahne, Butter und Eiern für eine angenehme Abwechslung hielt. Goring war nämlich sehr abwechslungsbedürftig, »Alles zu seiner Zeit, aber nichts lang,« lautete sein Wahlspruch. Auch im Regiment stand er erst seit anderthalb Jahren, nachdem er schon zweimal die Waffe gewechselt hatte. Seine flotte Erscheinung, sein Witz und Humor, sein Selbstvertrauen hatten ihm rasch Freunde gewonnen, aber Geoffroy Kinloch war bisher nicht darunter gewesen.

Dieser war von guter Familie, aber wenig bemittelt, ein tüchtiger Soldat, der sich schon rühmlich ausgezeichnet hatte und dem man in militärischen Kreisen eine glänzende Laufbahn weissagte. Geoffroy hatte einen klaren Kopf, einen eisernen Willen und Körper, ein gescheites Gesicht, wenn auch zu sonnverbrannt und scharf geschnitten, um nach den landläufigen Begriffen für hübsch zu gelten, und unter der breiten Stirn hervor schauten ein Paar tiefliegender dunkler Augen verständnisvoll in die Welt. Unter Kameraden schätzte man ihn hoch, Damen gegenüber war er aber in der Regel schweigsam und zurückhaltend und das Weib hatte bisher keine Rolle in seinem Leben gespielt.

Das war bei Carl Goring gründlich anders! Seine Liebschaften waren zahllos, die Damen erklärten ihn für Unwiderstehlich, und er war als Herzbrecher berühmt und berüchtigt. Außer der Uniform hatten die beiden nichts miteinander gemein: der eine der lustige verhätschelte Liebling der Gesellschaft, der gar nichts ernsthaft nahm, der andre starrköpfig, hart arbeitend, sogar wenn sich's ums Fischen handelte!

Kinloch öffnete ein breites Gatter und ging über einen Weideplatz, wo sich zahlreiche Kühe und Arbeitspferde umhertrieben. Die Luft war mit dem Duft der Wiesenblumen und blühenden Hecken gesättigt, da und dort flog ein Regenpfeifer mit seltsamem Geschrei aus einem Büschel Wiesenkräuter auf. Den unteren Rand der Wiese begrenzte der Bach, den Kinloch bald erreicht hatte. Auf einen hölzernen Steg tretend, betrachtete er sich mit Kennermiene das Wasser, das klar und lautlos in raschem Fall dahinfloß. Dann und wann sprang eine Wasserratte hinein, daß es klatschte, oder eine zur Abendmahlzeit heraufgestiegene Forelle verursachte ein leises Glucksen. Hinter ein paar hohen Pappeln sah man den rotgoldenen Abendhimmel schimmern, blökende Lämmer und spielende Kinder waren in der Ferne hörbar. Die tiefe Ruhe, die weiche Abendluft thaten dem einsamen Wanderer nach dem gleißenden lärmenden Treiben von Aldershot doppelt wohl.

Endlich ging er weiter, dem Bache nach, dessen Ufer zum Besten geduldiger Angler in regelmäßigen Zwischenräumen mit kleinen Sitzbänken versehen waren. Da und dort führte ein hölzerner Steg über das Wasser, das sich hier in wunderlichen Windungen und Schleifen erging. Kinloch bemerkte wohl am andern Ufer eine weibliche Gestalt in Rosa und einen schwarzen Hund, achtete aber nicht sonderlich darauf. Mehr in seiner Nähe erblickte er zwei Kinder, die aus dem kleinen Bauernhaus unter den Pappeln stammen mochten. Jetzt wollten sie eine über den Bach gelegte Planke überschreiten; das ältere, ein Mädchen, ging voran, während der Knabe stehen blieb, um den Fremden offenen Munds anzustarren. Auf einen Zuruf der Schwester drehte er sich unvorsichtig um und stürzte kopfüber ins Wasser.

Kinloch eilte zur Stelle und hatte den unbestimmten Eindruck, daß die rosa Gestalt jenseits auch zu laufen anfing. Jedenfalls war er der erste auf dem Platz, sprang in das nur drei Fuß tiefe Wasser und zog den zappelnden

Knirps heraus. Trotzdem er ihn heil und ganz ans Ufer stellte, hielt es die Schwester für angezeigt, den Abendfrieden durch schrilles Geplärr zu stören, das mehrere Kälber, die immer wißbegierige Tiere sind, herbeilockte, sowie einen alten Karrengaul, der offenbar das Amt einer Kinderfrau bei ihnen versah.

»So sei doch still,« ermahnte Kinloch die Schreierin. »Geh lieber mit ihm nach Hause, daß er in trockene Kleider kommt.«

Aber nicht das häßliche kleine Ungeheuer mit der schmutzigen Schürze nahm ihm seine nasse Bürde ab, sondern ein überraschend hübsches junges Mädchen in Rosa mit einem weißen Schutzhut, von dem ihm sein ahnungsvolles Herz sagte, daß es diese Peggy Summerhayes fein müsse.

»Was bist du für ein unnützes Ding, Maggie!« schalt eine helle Stimme. »Kannst du nicht besser achtgeben auf den kleinen Bruder? Wenn er jetzt ertrunken wäre!«

Dabei wurden dem Jungen Gesicht und Hände mit einem zierlichen Taschentuch abgetrocknet.

»So, jetzt mach, daß du ihn nach Hause bringst, Maggie! Sonst bekommt er einen Schnupfen.«

»Kann nicht, Fräulein Peggy ...« (es war also wirklich Peggy!) »Muß Brot holen, ist keins da und dann schimpft der Vater,« stieß Maggie schluchzend heraus.

»Gib mir den Korb,« sagte Peggy nach einiger Ueberlegung, »dann hol' ich das Brot und du gehst heim.«

Peggy, die die ganze Zeit am Boden vor dem Jungen gekniet hatte, hob jetzt das wirklich holdselige Gesicht und wandte sich an Kinloch, den sie nun erst zu bemerken schien, mit den Worten: »Wir sind Ihnen großen Dank schuldig.«

»Eine Primel an Baches Rand,« dachte er, »und – wer wird sie pflücken?«

Sobald Peggy den ersten Schrecken überstanden hatte, sagte sie sich, daß der hochgewachsene Mann in Kniestrümpfen einer von den Fremden sein müsse die im »Weißen Hund« einkehrten, um das Angeln mit dem Ernste einer Lebensaufgabe zu betreiben. Sie war bisher nie in die Lage gekommen, mit diesen Herren zu verkehren, und sah sich jetzt diesen scheu von der Seite an. Er hatte ein scharf geschnittenes Gesicht, forschende, aber anziehende Augen, eine wohlklingende Stimme und eine soldatisch ritterliche Haltung – am Ende war's gar ein vornehmer Herr, vielleicht ein Graf! Ob Graf oder Bürgerlicher, jedenfalls triefte er wie ein Wassergott!

»Sie sind ja furchtbar naß,« bemerkte sie aufspringend. »Ich meine, Sie sollten's ebenso machen, wie der kleine Bengel – heimgehen und sich umkleiden.«

»Das wird wohl das Vernünftigste sein, obwohl ich ans Naßwerden gewöhnt bin. Können Sie mir den kürzesten Weg zum ›Weißen Hund‹ zeigen?«

»Den geh' ich jetzt selbst und wir können ein Stück abschneiden, indem wir durch unsern Hof gehen. Nun, Maggie, was stehst du denn immer noch da? Mach, daß du heimkommst! Lauf!«

Maggie schien aber nicht zum Laufen aufgelegt zu sein. Sie setzte sich zwar in Bewegung, blieb aber immer wieder stehen, um den beiden Gestalten nachzusehen, die jetzt rasch über die Wiese gingen. – Fräulein Peggy mit einem Herrn, das war ihr noch nicht vorgekommen! Doch sobald das Paar außer Sicht war, flog sie wie ein Pfeil dahin – sie mußte doch der Mutter die überraschende Thatsache verkündigen.


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