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Elftes Kapitel.
Eine dunkle Geschichte

Kein besseres Heilmittel für beschädigte Herzen als Arbeit, und als Kinloch zwei Tage nach dem Ball zu seinem Regiment zurückkehrte, fand er Arbeit die Fülle. Von Goring bekam er hier weit weniger zu sehen, als in Barton, denn die Feldübungen führten sie nicht zusammen und im übrigen gehörte Goring zu den Offizieren, die den Dienst lediglich als lästige Unterbrechung andrer Thätigkeiten ansehen. Im Kasino speiste er selten und Kinloch hatte den Eindruck, daß er ihm bei zufälligen Begegnungen ausweiche; jedenfalls suchte er ihn nicht auf. Einmal hatte er ihn mit einer höchst eleganten Dame gehen sehen, auf die er eifrig einredete, und ein andres Mal hatte er die nämliche Dame im Erfrischungszelt beim Tennisplatz bemerkt, wo Goring sie eifrig bediente. Konnte er die Dorfidylle schon vergessen haben? Sollte sie am Ende zur Tragödie werden?

* * *

Hauptmann Kinloch war in seinem Londoner Klub, wohin er einen Vetter Namens Somerset eingeladen hatte. Dieser war ein aufgeweckter junger Mann von der indischen Sicherheitstruppe, frisch aus dem Dschungel angelangt, um einen dreimonatlichen Urlaub in der Heimat zu genießen. Er war äußerst mitteilsamer Natur und plauderte während der ganzen vorzüglichen Mahlzeit von Verwandten, jungen Mädchen, Schießübungen und – Avancement.

»Du willst dich in ein andres Bataillon versetzen lassen, Geoff – ich hätte gedacht, du wärst für eine Weile Indiens müde?«

»Gar nicht! Indien ist mir sehr sympathisch; man erweitert seinen Gesichtskreis und lebt gut, sogar als armer Schlucker.«

»Nun, der arme Schlucker wird eines Tags ein reicher Mann sein.«

»Darauf verlasse ich mich gar nicht. Meine Tante kann mit ihrem Geld anfangen, was sie will, und auf Erbschaften lauern, ist nicht mein Fall. Als Junggeselle komme ich ja gut durch.«

»Mich wundert's, daß du noch einer bist.«

»So? Mach' ich den Eindruck eines Heiratskandidaten?«

»Das will ich nicht behaupten, aber schließlich kommst du ins Alter dafür. Du bist über Dreißig ...«

»Du bist doch keine Mutter, der eine Tochter auf Lager geblieben ist! Ich denke nicht ans Heiraten – reden wir von etwas anderm!«

Sag 'mal, steht nicht in eurem Regiment ein gewisser Goring – ein hübscher Kerl, so die Sorte Allerweltsliebling?«

»Jawohl, er ist vor anderthalb Jahren von der Artillerie zu uns übergetreten.«

»Ein Freund von dir?«

»Hm – nicht gerade. Weshalb?«

»Weil der Kerl infam kassiert sein sollte!«

»Ho, ho! Also jedenfalls kein Freund von dir!« rief Kinloch lachend. »Es kann nichts gegen ihn vorgelegen haben im früheren Regiment, sonst hätte ihn unser Oberst nicht ankommen lassen.«

»Weil weder sein noch dein Alter von ihm wußten, was ich weiß! Sag mir, was du von ihm hältst.«

»Ich – ich halte ihn für einen auffallend hübschen Menschen, der vortrefflich Whist spielt und beim Polo seinen Mann stellt.«

»So, jetzt will ich dir sagen, was ich von ihm halte,« sagte Somerset, die Ellbogen auf den Tisch legend und den Vetter fest ansehend. »Er ist eine verfluchte Spielratte, die nicht mehr Ehrbegriffe hat als der nächste beste Taschendieb. Wenn's ihm paßt, so lügt er dir das Blaue vom Himmel herunter und von einem Gewissen weiß er überhaupt nichts.«

»Das ist so ziemlich das Aergste, was man von einem Menschen sagen kann ...«

»Gewiß, ich rede aber nicht ins Blaue hinein. Es ist eine lange Geschichte, aber da du doch einigermaßen auf der Hut sein solltest gegen die Schlange ...«

»Die ich nie am Busen genährt habe. Aber leg' nur los!«

»Du weißt, daß uns drüben die Dacoiten Eingeborene Räuber. Anm. d. Uebers. viel zu schaffen machen. In letzter Zeit hatten wir's mit einer Berühmtheit unter ihnen zu thun, einem gewissen Gassepah Jheel. Wir lauerten ihm unablässig auf, aber der Bursche war zu gewitzigt, einmal fingen wir ihn zwar, aber er brach aus, was seinen Ruhm noch erhöhte, denn er ist nämlich ein seltsamer theatralischer Kauz, der immer für die Galerie spielt! Dann und wann begeht er einen scheußlichen Mord, schneidet Weibern Nasen und Finger ab, dann wieder versteckt er sich in einen hohlen Baum und wirft ihnen seidene Tücher und Edelsteine zu, wenn sie vorübergehen. Vor vier Jahren hatte er's nun so bunt getrieben, daß man sich seiner um jeden Preis versichern wollte; es war eine hohe Belohnung auf seinen Kopf gesetzt, und wer ihn gefangen hätte, wäre ein gemachter Mann gewesen. So strengten wir uns denn rasend an, setzten ihm auf jede Kunde hin tagelang nach, doch in der Regel nur, um zu erfahren, daß er inzwischen fünfzig Meilen davon am andern Ende des Dschungels aufgetaucht war. Er betrieb dieses Versteckspiel offenbar als Sport und hoffte uns damit zu ermüden, aber wir ließen nicht nach. Ein eingeborener junger Offizier Namens Perry – er war in England mit mir in der Schule – der war ganz darauf versessen, ihn zu kriegen, und sein Unteroffizier nährte obendrein einen persönlichen Groll gegen den Schuft, der mit der Nase seiner ersten Frau zusammenhing. Perry war ein rühriger Geselle, hartnäckig und unermüdlich setzte er dem Dacoiten mit seinen Sewars Sewar – eingeborene berittene Truppe. Anm. d. Uebers. nach wie eine Meute Bluthunde. Durch gute Kundschafter, riesige Ausdauer, unglaubliche Schnelligkeit stöberten sie ihn endlich in einem seiner Schlupfwinkel auf, wo sich Gassepah so sicher glaubte, daß sie ihn unbewaffnet und schlafend trafen! Seine lumpige Bande suchte das Weite, Perry legte ihm Handschellen an und zwei handfeste zähe Sewars nahmen ihn in ihre Mitte. Perry war außer sich vor Glück! Seine Zukunft war gemacht! Allein Pferde und Mannschaft waren aufs äußerste erschöpft, – es war in der heißen Jahreszeit – und sie konnten den Marsch nicht unternehmen, ohne ausgeruht zu haben. So machte man in einem alten Dâk-Bungalow Indische Häuser. Dâk-Bungalows dienen in der Art unsrer Alpenvereinshütten zur Aufnahme von Reisenden. Anm. d. Uebers. der Jubbulporestraße Halt, um den Tag über zu rasten und nach Sonnenuntergang aufzubrechen. Gassepah wurde ins Hinterzimmer gebracht und eine Schildwache aufgestellt. Perry behielt das Vorderzimmer für sich, während seine Leute sich's auf der Veranda und den Staffeln bequem machten. Du kannst dir doch alles vorstellen?«

»Natürlich! Ich bin in größter Spannung!«

»Gut! Nachdem Perry sich gewaschen und gefrühstückt hatte, machte er seinem Gefangenen einen Besuch. Er fand ihn in sehr gedrückter Stimmung; Gassepah schien begriffen zu haben, daß es ihm dieses Mal an den Kragen gehen werde. Er bat um eine Unterredung unter vier Augen mit Perry, was ihm gewährt wurde; er redete dann viel, aber in einer Mundart, von der Perry nur ab und zu ein Wort verstand. Deshalb verlegte er sich auf die Zeichensprache, streckte die gefesselten Hände von sich und deutete auf eine wulstige Stelle unter seinem rechten Arm. Er war bis auf Dothi und Turban und schwere goldene Armreife splitternackt und Perry begriff nach einer Weile, daß er ihn bestechen wollte – das frische Kindergesicht Perrys mochte ihn dazu einladen. Immer wieder auf die wulstige Stelle deutend, wiederholte er auf hindostanisch: ›Fünfzigtausend Rupien!‹«

»Perry empfand die größte Lust, ihn mit Füßen zu treten, begnügte sich aber, ihm alle hindostanischen Schimpfwörter an den Kopf zu werfen, die ihm zur Verfügung standen, und ging.«

»Das macht ja deinem Schulkameraden alle Ehre, aber was hat denn Goring damit zu schaffen?«

»Nur Geduld – der tritt jetzt gleich auf! Goring befand sich nämlich zufällig mit Trägern und Büchsenspanner auf der Tigerjagd und seine Leute erschienen gegen neun Uhr, um den Bungalow für sich in Anspruch zu nehmen. Den fanden sie freilich besetzt, aber Perry nahm Goring freundlich auf, teilte sein Zimmer mit ihm und bewirtete ihn. Goring war auch die Liebenswürdigkeit selbst und beglückwünschte ihn zu seinem Fang, äußerte auch ein brennendes Verlangen, das Wundertier zu sehen, was Perry indessen nur durch einen Blick zum Fenster hinein gestattete.

»Es war Mai, und du wirst dich wohl erinnern, wie heiß es in der Jahreszeit über Mittag wird. Alles, was Leben hat, sucht Zuflucht, der heiße Wind streift wie ein Atemzug des Teufels über Gras und Kraut, alles verdorrend, was er berührt ...«

»Gewiß, kann mir's nur zu gut vorstellen!«

»Und welche Schlafsucht über einen kommt, besonders nach dem Tiffin! Den ganzen Vormittag mußte Perry wohl oder übel mit Goring ›Ecarté‹ spielen, denn ohne Karten geht der nicht einmal auf die Tigerjagd! Bis zum Tiffin hatte Perry hundert Rupien verloren. – Nach der Mahlzeit sah er nach dem Gefangenen, befahl Ablösung der Wachen und gab Befehl, daß um elf Uhr, wenn der Mond aufgeht, alles marschbereit sei. Um drei Uhr nachmittags aber warf er sich todmüde auf seinen ›Charpoy‹ Bettstelle. Anm. d. Uebers. und schlief trotz Hitze und Moskitos den Schlaf des Gerechten.

»Als Perry aufwachte, war es schon dunkel. Goring lag friedlich schnarchend auf seiner ›Charpoy‹, er stand darum ganz leise auf und sah nach seinem Gefangenen. Die Schildwache stand auf ihrem Posten – Perry klinkte die Thüre auf und sah hinein – das Zimmer war leer. Die geöffneten Handschellen und ein abgebrochenes Federmesser waren alles, was von Gassepah übrig geblieben war! Er mußte durchs Fenster geschlüpft sein, als die äußere Wache gerade den Rücken kehrte, hatte dann das Dach erklettert und war über die vordere Veranda entflohen – entflohen auf Hauptmann Gorings bestem Polopony!

»Du kannst dir den Tumult und Jammer vorstellen! Goring war voll Teilnahme, beteiligte sich an der Verfolgung – alles vergebens. Perry war niedergeschmettert, sein Unteroffizier schnaubte Wut. Das war eine nette Geschichte fürs Hauptquartier! Statt Auszeichnung Strafversetzung!

»So kam's denn auch thatsächlich. Perry wurde kurz nachher auf irgend einen äußersten Grenzposten versetzt, wo er mit keiner Menschenseele sprechen konnte und wo die Malaria bös hauste. Ich besuchte ihn einmal auf acht Tage und fand ihn zum Gerippe abgezehrt, mit eingesunkenen glühenden Fieberaugen. Er sagte mir, daß er von Anfang an Verdacht auf Goring gehabt, auch herausgebracht habe, daß dieser während seiner Siesta zu dem Gefangenen gegangen war und sich mit ihm unterhalten hatte – der Kerl hat ja riesiges Sprachtalent und verstand auch Gassepahs Mundart, das Marathi. Bald nach Gassepahs Flucht hatte Goring viel Geld; er kaufte verschiedene Rennponies und bezahlte für einen davon sogar sechstausend Rupien. Ein dem Händler bekannter, von Gassepah geraubter wertvoller Rubin, die ›untergehende Sonne‹ genannt, wurde dem Nizam von Hyderabad auf geheimnisvolle Weise angeboten und dieser kaufte ihn für fünfzigtausend Rupien. Ein weiterer merkwürdiger Umstand war, daß Goring seine damalige Flamme, natürlich eine verheiratete Frau, mit einem goldenen Armreif beschenkte, genau wie der Dacoit sie getragen hatte. Seine Leute hatten Perry von diesen Vorgängen unterrichtet und Perry erhob öffentliche Anklage gegen Goring.«

»Und was geschah?«

»Was geschah! Goring tobte, beschwor seine Unschuld mit heiligen Eiden – er ist ja nie verlegen um Ausreden und kann lügen, daß sich die Balken biegen. Er leugnete rundweg, daß sein Shikari der Schildwache Opium in den Thee gemischt und seinen Pony losgebunden habe, und erklärte, der arme Perry müsse durch das Fieber wahnsinnig geworden sein, um auch nur denken zu können, ein britischer Offizier lasse sich von einem Dacoiten bestechen. Goring ist ja so hübsch und so forsch – solang man ihn vor sich sieht, glaubt man ihm, erst nachher merkst du, was für ein ruchloser Lügner er ist.«

»Bitte, laß mich aus dem Spiel, Tom. Beweisen kannst du ja nichts. Daß er bald arm, bald reich ist, will gar nichts sagen, denn er ist ein Spieler. Goring kann den Armreif gekauft haben.«

»Er strengt sich sonst nicht an mit Geschenken. Du weißt nicht, was für ein schäbiger Geselle er ist.«

»Das mag sein, mag einer aber auch schäbig sein und verlogen, bis zum Verbrecher ist's immerhin noch eine gute Strecke und Urteile sind keine Beweise.«

»Ich habe aber Beweise,« rief Somerset aufgeregt.

»So? Dann heraus damit!«

»Ich sagte dir ja schon, was für ein Komödiant dieser Gassepah ist, der echte Bandit aus einem Kolportageroman! Und so schrieb dieser Kerl eines Tags aus bloßer Großthuerei und Eitelkeit folgendermaßen an Perry: ›Ihr liebenswürdiger Freund, der blauäugige Offizier, gab mir die Freiheit und sein Pferd im Austausch gegen den Rubin ›Untergehende Sonne‹, den ich unter der Haut trug.‹ Wörtlich, so hieß, es – was sagst du jetzt?«

»Wo ist der Brief?«

»Das weiß ich nicht. – Gesehen und gelesen habe ich ihn aber mit meinen eigenen Augen – könnte ihn auch wieder bekommen.«

»Schließlich ist's doch nur das Wort eines Dacoiten gegen das eines englischen Offiziers ...«

»In dem Fall glaube ich dem Dacoiten! Aber bilde dir doch selbst ein Urteil. Goring ist freilich durchtrieben und wischt einem aus der Hand wie ein Aal, aber wenn du ihn einmal in die Enge treiben möchtest, so bring doch die Rede auf den ›Chorbowli Dâk-Bungalow‹, den berühmten Rubin und Gassepah Jheel. Mich macht's ganz elend,« setzte Somerset hinzu, »wenn ich einen solchen Menschen sehe, hübsch, angenehm, begabt und dabei ein gewissenloser Lump! Mir thut nur das Mädchen leid, das er einmal heiratet. Er wird ihr mit seiner Verlogenheit das Herz brechen, sie an den Bettelstab und ins Irrenhaus bringen.«

»Nette Aussichten für das arme Ding!«

»Das ›arme Ding‹ ist natürlich Millionärin. Armen Mädchen macht er, wenn sie hübsch sind, zwar den Hof, heiraten wird er aber nur eine Reiche!«

»Du bist immer sehr stürmisch, als Freund wie als Feind, Tom; das war schon in der Schule so. Diesen Goring würdest du rädern und spießen und hängen, weil ihn dein Freund verdächtigt hat. Für einen Heiligen halte ich ihn ja auch nicht, er ist ganz und gar nicht mein Geschmack, aber solche Schlechtigkeit traue ich ihm denn doch nicht zu.«

»Jedenfalls hat er den armen Perry auf dem Gewissen, der verbittert und verlassen gestorben ist, und wenn ich ihm je ein Bein stellen kann, soll's an mir nicht fehlen! Ich würde viel lieber diesen Goring fangen als den Gassepah und dann sollst du's erleben, wie ihn die Armee und die Gesellschaft ausstoßen!«

»Schwerlich auf das Wort eines Dacoiten! Komm, komm,« sagte Kinloch beschwichtigend. »Man darf auch nicht zu weit gehen. Spielen wir eine Partie Billard und vergessen wir deine ›Vendetta‹.«


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