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Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Heimkehr

Frau Travenor wurde auf dem alten Friedhof begraben, wo die Gräber der Summerhayes so dicht bei einander liegen. Peggy erhielt die kleinen Familienschätze: alte Spitzen, verblaßte Miniaturen und ein paar Ringe. Auch den Rory würde ihr der Schwager gern gegeben haben, obwohl er ihm ein treuer persönlicher Freund war. Da Charlie aber die Hunde haßte, nahm sie dieses Opfer nicht an und begnügte sich mit einem hübschen grauen Kätzchen, das immer auf Hannas Bett gelegen hatte und ihr besonderer Liebling gewesen war. Als Peggy von ihrem Mädchenstübchen unterm Dach, Haus, Garten und Dorf abermals Abschied nahm, vergoß sie heiße Thränen, die nicht nur der toten Schwester galten, wie sie zwar fest glaubte.

Die See war bei ihrer Ueberfahrt glatt wie ein Ententeich. Insgeheim hoffte das thörichte Kind, Charlie werde sie in Kingstown erwarten. Er war aber nicht dort, war auch nicht am Bahnhof in Dublin, war nicht einmal zu Hause, wo ihr nur die »Unvergleichliche« einen allerdings überströmend herzlichen Willkomm bot.

»Da ist ein Kätzchen,« sagte Peggy, die in ihrem schlecht sitzenden Trauerkleid unglaublich betrübt und elend aussah. »Ein Tierchen müssen wir doch haben, und Hunde liebt der Herr nicht. Es ist ein liebes Ding und war meiner Schwester letzte Freude.«

»Ich werd's gleich mit in die Küche nehmen und ihm eine Milchsuppe kochen,« sagte Lizzie dienstbereit.

»Das kann auch die Susanne besorgen, Lizzie!«

»Die Susanne? Die ist fort, gnädige Frau.«

»Fort? Seit wann? Wer hat sie fortgeschickt?«

»Sie sich selbst, das heißt, sie wollte nicht bleiben. Der Lohn war ihr nicht hoch genug« – thatsächlich hatte sie gar keinen erhalten! – »und da sagte ich zum Herrn, wir könnten in dem kleinen Haus auch zu zweien fertig werden, wo doch Collins Messer und Stiefel putzt und die Hausthüre besorgt.«

»Ja, da haben Sie wohl recht,« sagte Peggy gleichmütig, denn das Herz that ihr viel zu weh, um sich viel um den Haushalt zu kümmern.

»Jetzt werde ich Ihnen Thee bringen, gnädige Frau!«

»Ihr Zaubertrank, Lizzie!« bemerkte sie mit müdem Lächeln, um dann mit gemachtem Gleichmut zu fragen: »Wann erwarten Sie den Herrn?«

»Das könnte ich wirklich nicht sagen, gnädige Frau! Er kommt oft, wenn wir ihn gar nicht erwarten, und erwarten wir ihn, so bleibt er manchmal acht Tage aus. Er schläft jetzt häufig in der Kaserne, weil's ihm eben gar zu einsam war ohne Sie.«

»Gott verzeih' mir, was ich da alles zusammenlüge über ihren Windhund von Hauptmann,« sagte Lizzie nachher in der Küche zu Collins, »aber die Frau erbarmt einen ja in der Seele. Natürlich hat sie gemeint, er werde sie abholen oder wenigstens daheim sein. – Das Gesicht, als sie die leeren Stuben sah!«

Peggy hatte volle Muße, sich einsam zu fühlen, denn der Gatte erschien nicht vor andern Tags um drei Uhr.

»Sieh da, Peg! Du hier!« rief Goring. »Freut mich sehr! Himmel, wie bleich du aussiehst und wie rabenschwarz! Deine Schwester ist also gestorben? Nun, sie hat's ja noch ziemlich lang getrieben. Erbschaft gemacht, hm?«

»Nur ihre Bücher, Ringe, etwas alte Spitzen und ein Kätzchen.«

»Ein Kätzchen? Du wirst doch das Vieh nicht mitgeschleppt haben? Ich hasse das Gezücht.«

»Doch, ich hab's mitgebracht. Es ist ein herzig liebes Ding! Ich glaubte, du hättest Katzen gern?« –

»Katzen? Gern haben? Ja, wenn sie mit einem bissigen Terrier in einen Sack gebunden werden!«

»Charlie! Ach, das sagst du ja nur, um mir Angst zu machen. Wie ist dir's denn ergangen?«

»Famos! Habe beim Chester Cup einen Haufen Geld gewonnen.«

»Das höre ich gern! Nun werden wir doch einige Rechnungen bezahlen können.«

»Hol' der Kuckuck die Rechnungen! Dein altes Lied! Kaum daheim, fängst du wieder von Rechnungen und Rechnungen an.«

»Weil du das immer vergißt, Lieber, und verschiedene Briefe gekommen sind, worin sogar mit Anzeige beim Regimentskommandeur gedroht wird.«

Eine Zornesröte huschte über Gorings Gesicht, als er ausrief: »Natürlich! Verheiratetsein ist teurer als des Teufels Hofstaat! Deine Katze kommt mich wahrscheinlich so hoch zu stehen wie zwei Rennpferde, aber ich will dir morgen einen Check ausstellen. Ich hab' riesig nette Bekanntschaften gemacht, sag' ich dir – Frau Kidd, eine flotte kleine Witwe, die unsre Jagden mitreitet. Sie bewohnt mit ihrer Schwester ein reizendes Haus am Merrionplatz und wir sind gute Kameraden.«

»Und deine früheren ›Kameraden‹?«

»Falls du die Catchpool meinst, mit der hab' ich gebrochen. Sie wird mir zu frech. Wir haben uns wegen einer Wette gezankt und grüßen uns nicht mehr.«

»Dann kann ich mit niemand mehr verkehren.«

»Ich führe dich morgen zu der kleinen Kidd.«

»Bitte, nicht morgen, Charlie; ich bin noch nicht im der Verfassung für fremde Menschen.«

»Blödsinn! Trauer und dergleichen ist ganz aus der Mode, sag' ich dir.«

»Und freust du dich nicht ein klein wenig, daß ich wieder da bin, Charlie?« fragte Peggy zaghaft.

»Freuen? Natürlich freu' ich mich! Du bist elend lang fort gewesen – drei Wochen, nicht?«

»Es waren beinahe sechs!« erwiderte sie wehmütig lächelnd.

»Was du nicht sagst! Das hätte ich nicht gedacht!«

Goring hielt Wort und stellte nach flüchtigem Blick in ihr Buch Peggy einen Check aus, den er ihr übergab mit der Miene eines Mannes, der großmütig für die Bedürfnisse seiner Frau sorgt, ohne selbst welche zu haben. Trotzdem machte sich Frau Goring frohgemut auf den Weg, um Rechnung auf Rechnung zu bezahlen, nachdem zu allererst Lizzie und die Köchin ihre längst verfallenen Löhne erhalten hatten. Für sich selbst verbrauchte sie gar nichts. Hanna hatte ihr eine alte Brieftasche zugesteckt mit drei Zehnpfundnoten darin, Ersparnisse vom Buttergeld, und dabei bemerkt: »Wenn du auch noch so reich bist, ein bißchen eigenes Nadelgeld ist für jede Frau angenehm.«

Zehn Pfund dieser durch Jahre angesammelten Summe hatte Gorings Rechnung im »Weißen Hund« verschlungen, einiges hatte Peggy für die Reise und ihre Trauerkleidung, so einfach diese auch war, ausgeben müssen, aber eine Zehnpfundnote steckte noch wohlgeborgen in der Brieftasche.

Das Kätzchen wurde nicht nur bald heimisch, sondern der verhätschelte Liebling des ganzen Haushalts bis auf den Hausherrn, der ein großes Vergnügen daran zu finden schien, es im Schlummer zu stören, in den Schwanz zu kneifen oder meuchlings mit dem Fuß zu stoßen, kurz die Rolle des bösen Schuljungen in seinem Leben zu übernehmen. Peggy liebte es zärtlich, lehrte es bitten, durch einen Reif springen und sich tot stellen und fand in dem anmutigen Tierchen mit feinen ernsthaften Augen den Trost ihrer einsamen Stunden. Lizzie, bei der es schlafen durfte, schmückte es mit seidenen Bändern und hatte ihm den Namen »Patsey« beigelegt.

Als Hauptmann Kinloch eines Tags mit seinem Vetter Hesketh im offenen Wagen durch die Bourkestraße fuhr, wurde den beiden Herren ein eigentümliches Schauspiel zu teil. Gerade vor ihnen wurde aus einem Fenster des zweiten Stocks ein kleiner Gegenstand heftig herausgeschleudert, der, nachdem er ein paarmal in der Luft herumgewirbelt war, aufs Straßenpflaster fiel – eine tote Katze. Im Vorüberfahren sahen sie gerade noch, wie an Nr. 70 die Hausthüre aufging und eine schlanke Gestalt in schwarzem Kleid herausstürzte, die die kleine Leiche aufhob, während sie vom Fenster her ein Hohngelächter vernahmen. Die kleine Tragödie hatte sich in ein paar Sekunden abgespielt und war doch so inhaltreich.

Patsey hatte friedlich auf einem Sofakissen geschlummert, als Goring in übler Laune heimgekommen war. Er hatte die ganze Nacht hindurch Unglück im Spiel gehabt, vom Oberst einen scharfen Verweis und von seinem Schneider eine große Rechnung erhalten. Diese Vorkommnisse im Verein hatten ihm die Laune verdorben und er sah nicht ein, weshalb es einer Katze in ihrer Haut wohler sein sollte als ihm in der seinigen. Peggy, die mit einer Handarbeit am Fenster saß, hatte ihm freundlich zugenickt, was aber nicht beachtet wurde. Unruhig im Zimmer auf und ab gehend, hatte er plötzlich Patsey am. Schwanz gepackt, ein Verfahren, das sich keine Katze von Selbstgefühl gefallen läßt. Patsey setzte sich denn auch zur Wehr, biß und kratzte. Darauf ließ er sie einen Augenblick fallen, um den roten Strich auf seiner Hand zu untersuchen, faßte sie dann am Genick und schleuderte sie mit aller Macht quer durchs Zimmer. Das Fenster stand zufällig offen, und ehe Peggy einen Laut von sich geben konnte, verkündete das Aufschlagen auf dem Pflaster ihres Lieblings Ende.

Als Peggy ihr Kätzchen von der Straße auflas, fühlte es sich noch so warm an, wie vor ein paar Augenblicken auf seinem Sofakissen, aber es war tot, stellte sich nicht nur so. Sie legte es schweigend auf den Tisch im Eßzimmer und sah ihren lachenden Mann an.

»Da, sieh her, wie der kleine Satan mich zugerichtet hat,« sagte Goring, ihr die Hand hinstreckend.

»O Charlie! Du hast das arme Tierchen getötet!«

»Scheint so! Die Geschichte mit den neun Leben, die Katzen haben sollen, ist demnach Humbug! Du brauchst mir kein Gesicht zu schneiden oder eine Komödie aufzuführen, weil ich die verfluchte Bestie los werden wollte,« schrie er jetzt zornig.

War das der Charlie, der an lauen Sommerabenden mit ihr unter den alten Bäumen im Schloßgarten gewandelt

War? Nein, nein!

»Kannst ja Collins sagen, daß er sie im Hof verscharrt; eine Familiengruft gehört nicht zur Wohnung! Willst du etwa einen Kopf machen? Bitte, sprich dich darüber aus – ich würde in dem Fall bis auf weiteres im Kasino essen.«

»O Charlie!«

»O Charlie!« äffte er sie nach. »Und Charlies Tante! Bleib' doch nicht deiner Lebtage eine kleine Gans!«

Damit ging er hinaus und verließ: »Die Katze war's ... die Katze ...« vor sich hinsummend, das Haus.

Er hatte recht – es war die Katze, die Peggys letzten Selbstbetrug zerstört hatte, und als Patsey in einer schönen Pappschachtel unter dem knorrigen alten Fliederbaum im Hof beigesetzt wurde, grub man auch ihrer Herrin Glückswahn mit ein.


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