Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzigstes Kapitel.
Whiting als Schutzengel

Noch einmal im Leben sollte der friedliebende Whiting in Fräulein Summerhayes' Angelegenheiten verwickelt werden.

Nachdem Geoffroy Kinloch die Damen nach Mentone gebracht, fuhr er mit dem nächsten Zug nach Monte Carlo zurück, um Whiting aufzusuchen und ihm über die erstaunlichen Vorgänge dieses Nachmittags zu berichten, um dann seine Ansicht zu hören, was in der Sache zu thun sei. Whiting, der vortrefflich gespeist hatte und mit Gott und der Welt zufrieden war, vertiefte sich mit eulenhafter Feierlichkeit in fremdes Unglück, das ihn ja Gott sei Dank nichts anging.

»Ja, ich weiß,« begann er. »Habe Goring am Spieltisch gesehen, gerade nachdem ich von euch fortgegangen war. Hatte ihn kaum erkannt, so sehr ist der Mensch auf den Hund gekommen. Ging gleich wieder hinaus, um euch vorzubereiten, fand aber niemand mehr.«

»Und ich muß morgen unweigerlich nach London. Dann wird dieser Kerl, der seine Lügen von damals rundweg abschwört, über meine Tante herfallen – sie hat ihn sogar eingeladen! – und seine Rechte auf die Frau geltend machen.«

»Ja, ja, es ist eine bekannte Thatsache, daß der meiste Streit im Leben sich um Frauen dreht – solang sie nämlich jung sind. Der langen Rede kurzer Sinn ist, daß ich für Sie in die Bresche treten soll, Kinloch?«

»Ja, darum bitte ich Sie.«

Whiting legte seine Fingerspitzen höchst sorgfältig aufeinander und bemerkte lächelnd: »Wenn ich dieser jungen Dame gesetzlicher Vormund wäre, ich könnte nicht mehr mit ihren Angelegenheiten zu schaffen haben, als so. Von dem Tag an, wo Goring um sie warb, bis zur Zeit, wo wir alle Angst hatten, er werde sie sitzen lassen, war ich darein verwickelt, und jetzt soll ich sogar dafür sorgen, daß er sie nicht seine Frau nennt.«

»Sie versichert mit heiligen Eiden, daß sie nie zu ihm zurückkehren werde.«

»Und das Gesetz?«

»Lassen wir das vorderhand auf sich beruhen,« warf Kinloch ungeduldig hin. »Die Frage ist nur, wollen Sie meiner Tante und Fräulein Hayes zur Seite stehen, solange ich fort bin? In acht Tagen kann ich wieder hier sein.«

»Ja, das will ich und ich werde mein Möglichstes für sie thun. Was Sie betrifft, Kinloch, so habe ich Ihre tadellose Zurückhaltung und Selbstbeherrschung immer bewundert, aber glauben Sie mir, je weniger Sie jetzt auf dem Schauplatz erscheinen, desto besser wird es sein. Mir altem Knaben wird kein Mensch selbstische Beweggründe zutrauen – an mein reines Wohlwollen glaubt die böse Welt.«

»Freut mich für Sie, ist mir aber ganz einerlei! Für mich handelt sich's nur um Fräulein Summerhayes' Sicherheit.«

»Summerhayes – Hayes – Goring – viele Namen für eine junge Dame! Glauben Sie mir – falls sie auch wirklich Frau Goring heißt, kann sie doch sicher eine Scheidung durchsetzen, wenn man die Sache richtig angreift. Gorings Privatleben als Ehemann verträgt gewiß keine gründliche Beleuchtung; doch davon später. Ich fahre morgen nach Mentone, steige im Hotel zu den ›Vier Winden‹ ab – der Koch soll nicht übel sein! – und spiele den Familienvater, den Drachen, der die Schöne bewacht, oder wie Sie's sonst nennen wollen!«

»Das ist wirklich gut von Ihnen.«

»Und für alle Fälle gebe ich Ihnen die Adresse meiner Anwälte in London mit« – er kritzelte emsig auf seine Visitenkarte – »Sie werden sehen, es sind junge, unternehmende Leute, keine vertrockneten Rechtskrüppel. Und damit Gott befohlen, Kinloch!«

Den ganzen endlos scheinenden Tag nach dem Blumenfest in Monte Carlo brachte Peggy in ihrem Schlafzimmer zu. Es war ja keine Unwahrheit, daß sie nicht geschlafen und furchtbare Kopfschmerzen habe, im Bett aber lag sie nicht, sondern wartete in Todesangst von Minute zu Minute auf die Meldung, daß »ein Herr das gnädige Fräulein sprechen wolle«.

Aber Stunde um Stunde verging, und niemand stellte sich ein. Nach Tisch kam Fräulein Serle, die den ganzen Tag über bei ihr aus und ein gegangen war, und sagte: »Peggy, Geoffroy muß jetzt fort und möchte dich noch sprechen. Er ist im Garten – da nimm mein Tuch und geh' schnell hinunter.«

Das Tuch fand Peggy an dem schwülen Frühlingsabend überflüssig, aber sie ging, geisterhaft aussehend, in den Garten hinaus, wo ein Mann barhäuptig im Sternenlicht stand und auf sie wartete. Sie konnten anfangs beide keine Worte finden und sahen einander schweigend in die Augen. Wie zwei steinerne Gestalten standen sie sich gegenüber, kein Laut um sie her, als das leise Plätschern des Springbrunnens unter den blühenden Orangen. Vom Haus herüber aber klang Musik, ein wildes, leidenschaftliches russisches Liebeslied, das ein junger Fürst sang und das alles aussprach, was sie sich zu sagen hatten.

»Ich wollte Ihnen nur noch die Versicherung geben,« begann Kinloch endlich, »daß Sie sich ganz auf mich verlassen dürfen. Ich werde alles aufbieten und glaube, daß Sie eine Trennung erlangen könnten.«

Eine Trennung, die auch sie auf immer trennen würde.

»Ja,« sagte Peggy leise.

»Whiting siedelt morgen hierher über und wird mit Goring verhandeln. Es wird gut sein, wenn Sie bald nach England gehen.«

»Ja,« erklang es wieder wie ein Hauch.

»Und nun – leben Sie wohl! Sie wissen, was dieses Lebewohl bedeutet,« sagte er mit gepreßter Stimme, ihre Hand ergreifend.

»Leben Sie wohl,« wiederholte sie wie eine Nachtwandlerin.

Er fühlte aber, wie ihre Finger sich fester um die seinigen schlossen, wie sie wankte, und jetzt brach sie gar in Schluchzen aus.

»Um Gottes Barmherzigkeit willen, machen Sie es uns beiden nicht noch schwerer, Peggy!« bat er mit heiserer Stimme. »Wenn ich Sie weniger liebte, würde ich nicht – so von Ihnen gehen!«

Da huschte eine kleine Gestalt in weißem Kopftuch herbei und – wenn Darling das hätte sehen müssen! – in leichten Atlasschühchen.

»Geoffroy, mein lieber Junge, der Omnibus ist schon weggefahren, und wenn du zu Fuß gehen willst, ist's allerhöchste Zeit!«

Peggy stand regungslos, fast den Atem anhaltend da. Mit seinem rasch verhallenden Schritt schien jede Hoffnung ihres Herzens zu verklingen.

Whiting kam wirklich nach Mentone und bezog seinen Wachposten in der Halle des Hotels. Frau Peregrine fühlte sich dadurch in ihrer Thätigkeit gestört und zerbrach sich den Kopf über das Benehmen des alten Herrn. Er machte nämlich ein wütendes Gesicht, drehte herausfordernd an seinem weißen Schnurrbart und häufig sah man seine Lippen sich bewegen. – War er am Ende geisteskrank? Und ohne Wärter? Nein, Whiting wiederholte sich nur im stillen die Entrüstungsreden, die er Goring halten wollte.

Aber dieser Goring kam nicht – es vergingen zwei, drei, vier Tage. Endlich am Nachmittag des fünften erschien ein Bediensteter mit der Aufschrift: ›Hotel de Paris, Monte Carlo‹ an der Mütze. Mit einem Brief in der Hand trat er in die Halle und sah sich nach dem Pförtner um, wobei Frau Peregrine die Gelegenheit ergriff, sich den Brief zeigen zu lassen.

»Frau Goring bei Fräulein Serle,« las sie laut. »Nein, eine Dame dieses Namens ist nicht hier,« beschied sie ihn.

Nichtsdestoweniger gelangte der Brief in Peggys Hände, und zehn Minuten darauf mußte Frau Peregrine Fräulein Serle, ihre Gesellschafterin und Whiting eiligst den Gasthof verlassen sehen, ohne daß jemand sich veranlaßt gefühlt hätte, sie über diese Vorgänge aufzuklären. Der Brief war aber vom Besitzer des Hotel de Paris gekommen und hatte die Mitteilung enthalten, daß Hauptmann Goring schwer krank sei und um den Besuch seiner Frau bitte.

»Habe wohl die Ehre, Frau Hauptmann Goring zu begrüßen?« empfing der Wirt die kleine Gesellschaft. »Der Herr Hauptmann kam schon krank hierher – Blutvergiftung durch einen Affenbiß. Soviel ich weiß, ist er gegen den Willen der Aerzte gereist und jetzt – ich muß die gnädige Frau darauf vorbereiten – ist der Fall sehr ernst. Drei Tage war er überhaupt besinnungslos. – Wollen gnädige Frau nicht im Lift hinauffahren?«

Peggy fand den Kranken in einem banalen Hotelzimmer. Der hochgeschwollene Arm lag auf einem Kissen; sein Gesicht war fieberig gerötet, eine barmherzige Schwester bei ihm.

»So, da bist du ja,« sagte er. »Schick' die Schwester fort, nimm deinen Hut ab und setze dich.«

Als Peggy seinem Geheiß nachgekommen war, fuhr er fort: »Ich bin fürchterlich elend geworden seit unsrer Begegnung. Es wäre gescheiter gewesen, ich hätte dem Doktor gefolgt und wäre in London geblieben. Der Arm war damals schon sehr schlimm – Blutvergiftung von einem Affenbiß. Ich habe die Bestie umgebracht und sie mich, somit wären wir quitt. Da hab' ich mir eingebildet, ich würde hier gesund, und bin den Aerzten durchgegangen. Die hier haben mich ganz aufgegeben – Marschbefehl! Herrgott, du machst ja ein ganz entsetztes Gesicht. Jedenfalls gibst du eine hübsche Witwe ab; nur schade, daß ich dicht nicht sehen kann.«

»O Charlie!« rief Peggy mit erstickter Stimme.

»O Charlie! Ganz wie in alten Zeiten. Thut mir selbst leid. Dachte mir's schon ganz nett aus: eine nette kleine Wohnung in London, im Winter hier, ganz von neuem unter Segel gehen. – Nun kommt's eben anders. Jedenfalls war ich ein Scheusal gegen dich und du brauchst nicht zu thun, als ob du um mich betrübt wärst.«

»Ich bin's aber,« sagte sie leise.

»Natürlich, dir thut ja jeder kranke Hund leid. Immerhin kannst du hier bleiben, bis es aus ist mit mir. Setze dich mit dem Gesicht gegens Licht, daß ich dich besser sehe.«

»Du solltest gewiß nicht so viel sprechen.«

»Warum denn nicht? Laß mich reden, solang ich kann. Du warst so besonders, so anders als andre Mädchen – ich hätte dich geheiratet auch ohne deiner Schwester Zuthun. Machte mir nur Spaß, euch ein wenig zappeln zu lassen. Dir wäre besser gewesen, du hättest mich weniger geliebt, mir weniger deine Karten gezeigt – nichts als Herz! Begehe den Mißgriff kein zweites Mal! Hättest du mich kühl behandelt, ablehnend, wärst du anspruchsvoller gewesen, ich wäre vielleicht immer in dich vernarrt geblieben. Du warst so süß, so einfältig – wie frische Milch, und die widersteht einem auf die Länge. Trockener Sekt, der wird einem nicht über! Wo ist Kinloch? Auch hier?«

»Nein, er ist in London.«

»Einer, der nicht lügen könnte, selbst wenn er wollte. – Mich mochte er nie. Schottisches Blut – vorsichtig, und doch wieder nicht, denn in Dublin gab er mir zweihundert Pfund, die ich ihm heute noch schuldig bin.«

»Du solltest nicht so viel sprechen und dich nicht um Geld sorgen.«

»Thu' ich auch nicht, denn ich hab's ja. Habe dir alles vermacht.«

»O nein, nein, das könnte ich nicht annehmen!«

»Deine Einrede kommt zu spät. Heute früh hab' ich mein Testament gemacht. Du kannst ja damit anfangen, was du willst, meine Schulden zahlen und ein Katzenasyl oder etwas Derartiges gründen.« –

Goring lebte noch fünf Tage, wenn man den Halbschlummer, worin er meist lag, Leben nennen konnte, und Peggy wich nicht von seiner Seite. Wenn er ihr der beste Gatte gewesen wäre, sie hätte ihn nicht zärtlicher pflegen können. Nach dem Begräbnis zog sich Fräulein Serle mit ihrer Gesellschafterin in die Stille von Serlewood zurück.


 << zurück weiter >>