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AchtunddreißigstesKapitel.
»Vielleicht«

Es war die zweite Woche des April und die Riviera entfaltete ihren höchsten Glanz. Das Wetter war tadellos, der Himmel schimmerte in sanftem Türkisenblau, die Blumen blühten in mehr als gewohnter Ueppigkeit, gekrönte Häupter und berühmte Namen waren fast so häufig wie die Primeln und jeder Gasthof war bis unters Dach mit Menschen gefüllt. Fräulein Serle und ihre Begleiterin hatten die nähere Umgebung Mentones nun so ziemlich erschöpft und man machte sich eines Nachmittags in großer Gesellschaft, allerdings auch schon zum zweitenmal, nach der Annunciata auf, Fußgänger und Reiter gemischt. Fräulein Serle auf ihrem längst vertraut gewordenen Esel hatte dieses Mal einen englischen Geistlichen zum Geleitsmann, an Peggy, die zu Fuß ging, schloß sich ein flotter russischer Offizier der kaiserlichen Garde an, und Hauptmann Kinloch fiel einer lebhaften, gescheiten jungen Amerikanerin zu, die sich lebhaft für Indien interessierte und zwar besonders für das Kriegs- und Liebesglück der dortigen Offiziere. Der Aufstieg führte anfangs einen schmalen Fußweg zwischen hohen Mauern entlang, über die Orangen und Citronenbäume einander zunickten, dann ging es einen steilen gepflasterten Stationenweg hinan. Endlich wurde der Gipfel erreicht und man genoß von der Terrasse der Annunciatakapelle aus den hübschen Blick in zwei tief eingeschnittene Thäler. Die Gesellschaft ließ sich teils in stiller Betrachtung auf den Stufen nieder, teils zerstreute sie sich, um wilde Blumen zu pflücken, wobei der Zufall Peggy und Kinloch zusammenführte.

Nach langem Umherklettern stiegen sie in der angeregten Stimmung gesunder körperlicher Anstrengung wieder thalabwärts, und Kinloch bemerkte plötzlich: »Also Fräulein Nancy Belt hat sich verheiratet?«

»Ja, letzte Woche mit Herrn Potts. Sie haben in Bridgefort ein eigenes Geschäft gekauft.«

»Da müssen sie sich viel erspart haben in Barminster.«

»So sehr teuer war es nicht, und Freunde haben ihnen geholfen« – Peggys eigene Ersparnisse steckten in »Madame Potts' Probiersalon« – »und ich bin überzeugt, daß Nan gute Geschäfte machen wird. Sie wird die ganze Kundschaft aus Barton bekommen und den Geschmack der Frauen schon heranbilden. Ihre Tante und ich sind natürlich auch ihre Kunden!«

»Sie wollen sich Kleider und Hüte in einem Nest wie Bridgefort anschaffen?«

»Jawohl, wenn auch vielleicht nicht gerade die erste Garnitur,« erwiderte Peggy lächelnd.

»Da möchte ich auch meine Scherflein dazu beitragen, aber zu fertigen Anzügen aus Bridgefort kann ich mich nicht entschließen!«

»Schicken Sie ein schönes Hochzeitsgeschenk; ich gebe Ihnen gern die Adresse!« schlug Peggy vor. »Herr Whiting könnte auch etwas beisteuern, er war immer Nans besonderer Verehrer.«

»Wird er gewiß mit Vergnügen thun, er soll aber nur ein selbständiges Geschenk schicken. Uebrigens habe ich ihn heute noch gar nicht zu Gesicht bekommen. Diese Kletterpartie wäre ihm heilsam gewesen; er wird nachgerade fett und träge!«

»Wahrscheinlich hat er sich nicht von Monte Carlo losreißen können.«

»Ich sehe nichts von unsrer Gesellschaft,« bemerkte Kinloch rückwärts blickend. »Wollen wir uns nicht ein wenig setzen und auf sie warten? Es ist ja Sünd' und Schade, an diesem herrlichen Abend im Wettrenntempo heimzulaufen.«

Peggy war ganz damit einverstanden und ließ sich auf einem breiten Steinmäuerchen nieder, das einerseits den Ueberblick über einen gewundenen staffelartigen Pflasterweg bot, den schwer beladene Maultiere langsam emporstiegen. Gerade ihr gegenüber stand, an eine Bergnase angeklebt, ein Häuschen mit rotem Ziegeldach. Der Melonengarten war mit Drahtnetz eingezäunt, die Eingangsthüre bildete ein alter Fensterrahmen, der Giebel war aus Kistenholz gezimmert, aber das armselige Gebäude sah doch blank und lustig aus, und seine Besitzerin, ein dunkeläugiges junges Weib mit blitzenden Zähnen, scheuerte ihre Töpfe und Pfannen unter fröhlichem Singen. Unmittelbar unter Peggys luftigem Sitz lag ein Orangenwald, über den hinweg man Mentone, die Zackenlinie der Küste und fern am Horizont wie eine kleine Wolke Corsica sehen konnte. Das Meer schimmerte wie ein Edelstein, von Smaragdgrün sich zu Saphirblau abtönend.

»Wunderbar!« sagte Peggy mit einem tiefen Atemzug.

»Wunderbar!« wiederholte ihr Begleiter, der hochaufgerichtet vor ihr stand. »Und übermorgen werde ich mich Von all dieser Herrlichkeit losreißen müssen!«

»Sie müssen wohl nach London?«

»Ja, dienstlich.«

»Und wann werden wir Sie wiedersehen?«

»Das,« erwiderte er, sich neben sie setzend, »hängt von Ihnen ab.«

Sie wandte ihr Gesicht ab, so daß ihr reines schönes Profil sich wie eine Kamee von der blauen Luft abhob.

Mit zuckenden Mundwinkeln rief sie: »Sind Sie denn noch immer derselben Meinung?«

»Gewiß – immer. Und Sie? Fürchten Sie sich immer noch vor der Liebe?«

»Nein,« versetzte sie ganz leise, »aber Sie müssen nicht eine Frau wie mich heiraten.«

»Wenn sie Ihnen nicht auf ein Haar gleicht, so werde ich als Hagestolz sterben.«

Peggy errötete heiß.

»Was würden Ihre Verwandten dazu sagen?«

»Sie wissen ja selbst, wie lieb Sie der Tante sind!

»Aber sie hat so wenig Weltklugheit, ist so ganz verschieden von andern Menschen, daß sie keinen Maßstab abgibt!«

»Und Kathleen Hesketh – die, nebenbei bemerkt, heute von Bombay absegelt – ist die auch nicht maßgebend? Ueberhaupt, weshalb wollen Sie nur an andre Leute denken und nicht an mich?«

»Ich denke ja an Sie, die Rücksicht auf Sie ... und wäre es nicht zu bald, zu plötzlich?«

»Wenn ich warten soll, will ich warten.«

»Und wenn Sie zwanzig Jahre warten, so bleibt das Eine gleich – ich passe nicht für Sie!«

»Meinen Sie nicht, daß ich das am besten beurteilen kann?«

Sie gab keine Antwort, sondern schaute unverwandt auf die See hinaus, während sein Blick an ihrem verlorenen Profil hing.

»Mit der Zeit kommt alles, sagt man. Wird nicht auch die Erfüllung meines Sehnens kommen, Peggy?«

Keine Antwort.

»Peggy!« flüsterte er eindringlich.

Ganz langsam wandte sie ihm das erblaßte Gesichtchen zu und stammelte leise: »Vielleicht!«

»Geben Sie mir die Hand darauf,« bat er.

Sie that es zaghaft, unschlüssig. Er ergriff ihre Hand, stand auf, nahm den Hut ab und führte sie an die Lippen.

Ein breitschulteriger Kapuzinermönch mit weißer Kordel und derben Sandalen kam gerade schwerfällig die Stufen herunter, und als er des Paars ansichtig wurde, ging er noch langsamer als zuvor. Es war auch wirklich ein hübsches Bild, das sich vom tiefblauen Himmel abhob, der große militärisch aussehende Mann, der sich über die Hand des schlanken Mädchens in weißem Kleid beugte. Es lag eine

solche Ritterlichkeit, fast Anbetung in der Bewegung – so konnte man einer Fürstin, ja selbst einer Heiligen die Hand küssen.

Seine schwarzen Aeuglein zwinkerten lustig, als er jetzt näher kam. Kinloch sah ihn gelassen an und setzte ruhig den Hut wieder auf, während Peggy ihn gar nicht bemerkte. Im Vorübergehen hob der heilige Vater unwillkürlich die Hand gegen sie. War es nur ein Gruß, oder war es ein Segen?

* * *

Seltsam, daß Hauptmann Kinloch eine volle Stunde lang nicht auf den Gedanken kam, daß ihre Gesellschaft längst auf einem andern Weg nach Hause zurückgekehrt war.


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