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Das Krokodil,
eine ungewöhnliche Begebenheit
oder

eine Passage in der Passage, wahrheitsgetreue Erzählung, wie ein Herr in achtbarem Alter und von achtbarem Äußern in der Passage von einem Krokodil lebendig ganz und gar verschlungen wurde, und was dies für Folgen hatte.

 

Ohé Lambert! Où est Lambert?
As-tu vu Lambert?
Vgl. Boileaus dritte Satire. – Anmerkung des Übersetzers.

1865.


Erstes Kapitel

Am 13. Januar des laufenden Jahres 1865 um halb ein Uhr mittags sprach Jelena Iwanowna, die Gemahlin meines hochgebildeten Freundes, Kollegen und sogar entfernten Verwandten Iwan Matwejewitsch, den Wunsch aus, das Krokodil zu sehen, das in der Passage gegen Eintrittsgeld gezeigt wurde. Iwan Matwejewitsch hatte bereits die Fahrkarte für eine Reise ins Ausland, die er nicht sowohl wegen Krankheit als aus Neugier unternehmen wollte, in der Tasche und konnte sich daher in amtlicher Hinsicht schon als beurlaubt betrachten; da er somit an jenem Tage vollkommen frei war, so bereitete er dem unwiderstehlichen Wunsche seiner Gemahlin nicht nur keine Hindernisse, sondern entbrannte vielmehr selbst in lebhafter Neugier. »Eine gute Idee!« sagte er sehr zufrieden; »besehen wir uns das Krokodil! Wenn man sich anschickt, nach Westeuropa zu reisen, so ist es zweckmäßig, vorher noch mit den Bewohnern des eigenen Landes Bekanntschaft zu machen.« Mit diesen Worten gab er seiner Gemahlin den Arm und machte sich sogleich mit ihr auf den Weg nach der Passage. Ich für meine Person schloß mich ihnen wie gewöhnlich in meiner Eigenschaft als Hausfreund an. Noch nie hatte ich Iwan Matwejewitsch in vergnügterer Stimmung gesehen als an diesem mir ewig denkwürdigen Mittage, – wahrlich, wir wissen unser Schicksal nicht vorher! Beim Eintritt in die Passage geriet er sofort in Entzücken über das prächtige Gebäude, und als wir uns dem Lokale näherten, wo das kürzlich in der Hauptstadt eingetroffene Untier gezeigt wurde, äußerte er aus eigenem Antriebe den Wunsch, für mich das Eintrittsgeld im Betrage von fünfundzwanzig Kopeken an den Besitzer des Krokodils zu entrichten, was früher bei ihm noch nie vorgekommen war. In ein kleines Zimmer tretend, bemerkten wir, daß sich in ihm außer dem Krokodil noch einige Papageien, einige fremdartige Kakadus und in einer Art von Wandschrank eine Gesellschaft von Affen befand. Unmittelbar am Eingang, an der linken Wand, stand ein großer, wannenartiger Blechkasten, oben mit einem starken Drahtnetz überspannt; der Boden war etwa zwei Zoll hoch mit Wasser bedeckt. In dieser seichten Lache lag wie ein Balken ein riesiges Krokodil, völlig regungslos; es schien infolge unseres feuchten, für Ausländer ungastlichen Klimas all seine natürlichen Eigenschaften eingebüßt zu haben. Dieses Untier erweckte zunächst bei keinem von uns besonderes Interesse.

»Also das ist das Krokodil!« sagte Jelena Iwanowna in mitleidigem, halb singendem Tone. »Und ich hatte gedacht, daß es … daß es ganz anders wäre.«

Wahrscheinlich hatte sie gedacht, es würde von Brillanten sein. Der Eigentümer des Krokodils, ein Deutscher, trat ins Zimmer und blickte uns mit außerordentlich stolzer Miene an.

»Er ist mit Recht stolz,« flüsterte mir Iwan Matwejewitsch zu; »denn er ist sich bewußt, daß er jetzt in ganz Rußland der einzige Mensch ist, der ein Krokodil zeigt.«

Diese ganz törichte Bemerkung führe ich ebenfalls auf die außerordentlich gute Laune zurück, in der sich Iwan Matwejewitsch befand, da er sich bei anderen Gelegenheiten sehr neidisch zeigte.

»Mir scheint, Ihr Krokodil ist gar nicht lebendig,« fuhr Jelena Iwanowna fort; sie war über die arrogante Haltung des Besitzers pikiert und wandte sich nun an ihn mit einem anmutigen Lächeln, um diesen Grobian zu besiegen, – ein bei Frauen sehr häufiges Manöver.

»O doch, Madame!« antwortete dieser in gebrochenem Russisch, hob sogleich das Drahtnetz in halber Länge vom Kasten in die Höhe und fing an, das Krokodil mit einem Stöckchen an den Kopf zu stoßen.

Da begann das heimtückische Ungeheuer, zum Zeichen, daß es lebe, ganz sachte die Pfoten und den Schwanz zu bewegen, hob die Schnauze ein wenig in die Höhe und stieß eine Art von langgezogenem Schnauben aus.

»Nun, nun! Ärgere dich nicht, Karlchen!« sagte der Deutsche freundlich, dessen Ehrgefühl nun befriedigt war.

»Wie widerwärtig dieses Krokodil aussieht! Ich habe ordentlich einen Schreck bekommen!« lispelte Jelena Iwanowna in noch koketterer Manier. »Jetzt werde ich am Ende noch von ihm träumen!«

»Aber es wird Sie im Traume nicht beißen, Madame,« bemerkte der Deutsche galant und lachte als erster über seinen Witz, auf den aber keiner von uns reagierte.

»Kommen Sie, Semjon Semjonowitsch,« fuhr Jelena Iwanowna, sich ausschließlich an mich wendend, fort; »wir wollen uns lieber die Affen ansehen. Ich habe Affen schrecklich gern; manche von ihnen sind allerliebst … aber das Krokodil ist entsetzlich!«

»Oh, fürchte dich nicht, liebe Frau!« rief Iwan Matwejewitsch uns nach, der gern vor seiner Gattin den Tapferen spielte. »Dieser schläfrige Bewohner des Reiches der alten Pharaonen wird uns nichts zuleide tun!« Und er blieb bei dem Kasten stehen. Ja noch mehr: er zog einen seiner Handschuhe aus und begann das Krokodil damit an der Nase zu kitzeln, in der Absicht, wie er nachher gestand, es zu einem nochmaligen Schnauben zu veranlassen. Der Eigentümer ging hinter Jelena Iwanowna her zu dem Affenkäfige, wie das die Höflichkeit gegen eine Dame erforderte.

Auf diese Weise nahm alles seinen guten Verlauf, und niemand konnte etwas Übles vorhersehen. Jelena Iwanowna geriet bei den Affen sogar in die ausgelassenste Laune und schien von ihnen ganz entzückt zu sein. Sie schrie vor Vergnügen auf, wandte sich, als wenn sie den Besitzer gar nicht beachten wollte, unaufhörlich an mich und lachte über die von ihr herausgefundene Ähnlichkeit dieser Meerkatzen mit ihren nächsten Bekannten und Freunden. Auch ich wurde sehr vergnügt; denn die Ähnlichkeit war mitunter wirklich frappant. Der deutsche Besitzer wußte nicht recht, ob er mitlachen sollte oder nicht, und machte daher schließlich ein sehr verdrießliches Gesicht. Und da, gerade in diesem Augenblicke, durchgellte plötzlich ein furchtbarer, ja, ich kann sagen, ein unnatürlicher Schrei das Zimmer. Da ich nicht wußte, was ich davon denken sollte, blieb ich zunächst wie angenagelt auf meinem Flecke stehen; aber als ich sah und hörte, daß auch Jelena Iwanowna aufschrie, wandte ich mich schnell um, und – was erblickte ich! Ich sah, o Gott! – ich sah den unglücklichen Iwan Matwejewitsch in den schrecklichen Kiefern des Krokodils, das ihn mit diesen quer über den Leib gepackt hatte; schon war er horizontal in die Luft gehoben und strampelte dort verzweifelt mit den Beinen. Dann noch ein Augenblick – und er war verschwunden. Aber ich will es ausführlicher schildern; denn ich stand die ganze Zeit über, ohne mich zu regen, da und beobachtete den ganzen Vorgang, der sich da vor mir abspielte, mit einer solchen Aufmerksamkeit und Neugier, wie ich sie sonst meiner Erinnerung nach in meinem ganzen Leben nicht empfunden habe. »Denn,« dachte ich in diesem verhängnisvollen Augenblicke, »wie nun, wenn das alles nicht meinem Freunde Iwan Matwejewitsch, sondern mir selbst passierte? Wie schlimm würde mir dann zumute sein!« Aber zur Sache! Das Krokodil begann damit, den armen Iwan Matwejewitsch in seinen furchtbaren Kinnladen so zu drehen, daß die Beine nach dem Innern des Rachens zu liegen kamen, und schluckte dann zuerst die Beine hinein; darauf schob es zwar durch ein rülpsendes Aufstoßen Iwan Matwejewitsch wieder ein wenig heraus, der sich nun bemühte herauszuspringen und sich mit den Händen an den Kasten klammerte, zog ihn aber gleich wieder von neuem in sich hinein, und zwar bis über die Taille. Nach einem nochmaligen Aufstoßen schluckte es noch einmal und noch einmal. Auf diese Weise verschwand Iwan Matwejewitsch allmählich vor unseren sehenden Augen. Endlich schlang das Krokodil, zum letzten Male zuschluckend, meinen hochgebildeten Freund ganz in sich hinein, und diesmal restlos. An der Oberfläche des Krokodils konnte man wahrnehmen, wie in seinem Innern Iwan Matwejewitsch mit allen seinen Gliedmaßen hinabglitt. Ich öffnete schon den Mund, um von neuem aufzuschreien, als plötzlich das Schicksal sich boshafterweise noch einmal mit uns einen Scherz machen wollte: das Krokodil, das wahrscheinlich infolge der Größe des verschlungenen Gegenstandes unter großer Anstrengung würgen mußte, öffnete von neuem seinen ganzen furchtbaren Schlund, und aus ihm kam anläßlich eines letzten Aufstoßens auf einmal für eine Sekunde Iwan Matwejewitschs Kopf zum Vorschein, mit dem Ausdrucke der Verzweiflung im Gesichte, bei welcher Gelegenheit ihm die Brille von der Nase glitt und auf den Boden des Kastens fiel. Es schien, als habe dieser verzweifelte Kopf sich nur deswegen herausgestreckt, um noch einmal einen letzten Blick auf alle Dinge zu werfen und in Gedanken von allen irdischen Vergnügungen Abschied zu nehmen. Aber er hatte keine Zeit, diese Absicht auszuführen: das Krokodil nahm von neuem all seine Kraft zusammen, schluckte zu, und im nächsten Augenblick verschwand der Kopf wieder, und diesmal für immer. Dieses Erscheinen und Verschwinden eines noch lebenden Menschenkopfes war so schrecklich, gleichzeitig aber (sei es deswegen, weil der Vorgang so schnell und unerwartet stattfand, sei es, weil dem Kopfe die Brille von der Nase fiel) lag darin eine solche Komik, daß ich plötzlich ganz unwillkürlich losprustete; aber da ich mir sofort bewußt wurde, daß es sich für mich als Hausfreund nicht schicke, in einem solchen Augenblicke zu lachen, wandte ich mich an Jelena Iwanowna und sagte zu ihr mit teilnahmsvoller Miene:

»Jetzt ist es mit unserm Iwan Matwejewitsch zu Ende!«

Ich unternehme es nicht, zu schildern, wie groß Jelena Iwanownas Aufregung während dieses ganzen Vorganges war. Anfangs, nach dem ersten Aufschrei, blieb sie wie versteinert auf demselben Fleck stehen und betrachtete die seltsame Szene, die sich ihr darbot, anscheinend gleichmütig, aber mit stark hervortretenden Augen; dann aber brach sie auf einmal in ein herzzerreißendes Klagegeschrei aus. Ich faßte sie bei den Händen. In diesem Augenblicke schlug auch der Besitzer, der anfangs ebenfalls vom Schreck betäubt gewesen war, plötzlich die Hände zusammen und rief, gen Himmel blickend:

»O mein Krokodil, o mein allerliebstes Karlchen! Mutter, Mutter, Mutter!«

Auf diesen Ruf öffnete sich die Hintertür, und es erschien seine schon bejahrte, jedoch rotbackige Frau, mit einer Haube auf dem Kopfe, aber mit strubbligem Haar, und stürzte aufkreischend zu ihrem Manne hin.

Nun begann ein toller Wirrwarr: Jelena Iwanowna schrie wie eine Wahnsinnige immer nur ein und dasselbe Wort: »Aufschneiden, aufschneiden!« und stürzte mit dieser flehenden Bitte zu dem Eigentümer und seiner Frau hin. Diese beiden beachteten aber keinen von uns; sie standen neben dem Kasten und brüllten wie Kälber.

»Es ist verloren; es wird gleich platzen, weil es einen ganzen Menschen verschluckt hat!« schrie der Eigentümer.

»Unser Karlchen, unser allerliebstes Karlchen wird sterben!« heulte seine Frau.

»Unser Ernährer wird uns verlassen; wir sind brotlos!« fiel der Mann wieder ein.

»Aufschneiden, aufschneiden, aufschneiden!« rief Jelena Iwanowna, sich an den Rock des Deutschen klammernd.

»Er hat das Krokodil geneckt! Warum hat Ihr Mann das Krokodil geneckt?« schrie der Deutsche, sich losreißend. »Sie müssen mir mein Karlchen bezahlen, wenn es platzt. Das war mein Sohn! das war mein einziger Sohn!«

Ich muß gestehen, ich war empört über diesen Egoismus des zugereisten Deutschen und seiner strubbligen Frau und über die Gefühllosigkeit beider gegenüber dem dringenden Verlangen Jelena Iwanownas.

»Wie?« rief der Deutsche. »Sie wollen, daß mein Krokodil umkommt? Nein, mag zuerst Ihr Mann umkommen, und dann das Krokodil! … Mein Vater hat das Krokodil gezeigt; mein Großvater hat das Krokodil gezeigt; mein Sohn wird das Krokodil zeigen, und ich werde das Krokodil zeigen! Alle werden wir das Krokodil zeigen. Ich bin in ganz Europa bekannt; aber Sie sind nicht in ganz Europa bekannt und müssen mir Schadenersatz leisten.«

»Ja, ja!« fiel seine Frau grimmig ein. »Wir lassen Sie nicht los; Sie müssen uns den Schaden ersetzen, wenn Karlchen platzt!«

»Und es dürfte auch zwecklos sein, das Krokodil aufzuschneiden,« fügte ich ruhig hinzu, in der Absicht, Jelena Iwanowna zu baldiger Heimkehr zu veranlassen; »denn unser lieber Iwan Matwejewitsch schwebt wahrscheinlich in diesem Augenblicke bereits irgendwo in den Gefilden der Seligen.«

»Mein Freund,« erscholl da plötzlich ganz unerwartet die Stimme Iwan Matwejewitschs, die uns in das äußerste Erstaunen versetzte, »mein Freund, ich meine, du solltest ohne weiteres die Hilfe des Polizeibureaus in Anspruch nehmen; denn ohne Eingreifen der Polizei wird dieser Deutsche nicht zur Vernunft zu bringen zu sein.«

Diese fest und nachdrücklich gesprochenen Worte, die eine ungewöhnliche Geistesgegenwart bekundeten, versetzten uns zuerst in ein solches Erstaunen, daß wir alle unseren Ohren nicht trauen mochten. Aber selbstverständlich liefen wir sogleich zu dem Krokodilkasten hin und hörten mit ebensoviel Ehrerbietung wie Mißtrauen an, was der unglückliche Gefangene sagte. Seine Stimme klang erstickt, dünn und dabei sogar schreiend, als ob sie aus sehr weiter Entfernung zu uns dränge. Es war ähnlich, wie wenn ein Spaßvogel in ein anderes Zimmer geht, den Mund in ein Bettkissen drückt und zu schreien anfängt, um dem im andern Zimmer zurückgebliebenen Publikum vorzuspielen, wie zwei Bauern von weitem auf freiem Felde oder durch eine tiefe Schlucht voneinander getrennt sich wechselseitig zurufen, was ich das Vergnügen hatte einmal im Hause einer mir bekannten Familie bei einer Scherzaufführung in der Christwoche anzuhören.

»Iwan Matwejewitsch, lieber Mann, also lebst du noch?« stammelte Jelena Iwanowna.

»Ich lebe und bin gesund,« antwortete Iwan Matwejewitsch; »dank dem Allerhöchsten bin ich ohne jede Beschädigung verschluckt worden. Ich beunruhige mich einzig und allein darüber, wie meine vorgesetzte Behörde diesen Zwischenfall ansehen wird; denn wenn man sich ein Billett zu einer Reise ins Ausland nimmt und dann in ein Krokodil hineingerät, so zeugt das nicht von großem Verstande.«

»Aber, lieber Mann, mach dir doch keine Sorge um großen Verstand! Vor allen Dingen müssen wir dich doch irgendwie von dort herausholen,« unterbrach ihn Jelena Iwanowna.

»Herausholen!« rief der Eigentümer des Krokodils. »Ich gestatte nicht, daß er aus dem Krokodil herausgeholt wird. Jetzt wird das Publikum sehr viel zahlreicher herkommen, und ich werde fünfzig Kopeken nehmen, und Karlchen wird nicht platzen.«

»Gott sei Dank!« fügte seine Frau hinzu.

»Die beiden Leute haben recht,« bemerkte Iwan Matwejewitsch ruhig. »Die nationalökonomischen Maximen gehen über alles.«

»Lieber Freund,« rief ich, »ich will sofort zu deiner vorgesetzten Behörde eilen und Klage führen; denn ich sehe vorher, daß wir allein den Kasus nicht werden erledigen können.«

»Das ist auch meine Ansicht,« erwiderte Iwan Matwejewitsch. »Aber ohne pekuniäre Entschädigung einem Krokodil den Bauch aufzuschlitzen, das wird in unserer jetzigen Zeit der Handelskrisis schwer halten, und dabei entsteht nun die unvermeidliche Frage: wieviel wird der Besitzer für sein Krokodil nehmen? Und mit dieser Frage zugleich die andere: wer wird es bezahlen? Denn du weißt, daß ich nicht bemittelt bin …«

»Vielleicht geht es durch Abzüge vom Gehalte,« bemerkte ich schüchtern; aber der Besitzer des Tieres unterbrach mich sofort:

»Ich verkaufe das Krokodil nicht; ich kann dreitausend Rubel für mein Krokodil fordern; ich kann viertausend Rubel für mein Krokodil fordern! Jetzt wird das Publikum sich in Menge einfinden. Ich kann fünftausend Rubel für mein Krokodil fordern!«

Kurz, er brüstete sich in einer unerträglichen Manier; Profitsucht und widerwärtige Habgier leuchteten vergnügt aus seinen Augen.

»Ich fahre hin!« rief ich empört.

»Ich auch! Ich ebenfalls! Ich will zu Andrei Osipowitsch selbst fahren und ihn durch meine Tränen erweichen,« rief Jelena Iwanowna in kläglichem Tone.

»Tu das nicht, liebe Frau!« unterbrach Iwan Matwejewitsch sie eilig; denn er war schon lange auf Andrei Osipowitsch wegen seiner Frau eifersüchtig und wußte, daß sie sich darauf freute, zu diesem hochgebildeten Manne hinzufahren und vor ihm zu weinen, weil die Tränen ihr gut standen. »Und auch dir, lieber Freund,« fuhr er, zu mir gewendet, fort, »rate ich nicht, so Hals über Kopf dahin zu fahren; wer weiß, was das für Folgen hat. Weißt du, fahre heute lieber einfach in Form eines Privatbesuches zu Timofei Semjonowitsch; das ist ein Mann nach der alten Mode und von beschränktem Verstande, aber dabei solide und, was die Hauptsache ist, aufrichtig. Bestelle ihm eine Empfehlung von mir und schildere ihm die Lage der Dinge. Da ich ihm von unserer letzten Whistpartie her noch sieben Rubel schuldig bin, so kannst du ihm bei dieser passenden Gelegenheit diese Summe einhändigen; das wird den mürrischen alten Mann freundlicher stimmen. Jedenfalls kann uns sein Rat als Richtschnur dienen. Jetzt aber bringe zunächst Jelena Iwanowna nach Hause … Beruhige dich, liebe Frau,« fuhr er, sich wieder an sie wendend, fort; »ich bin von all diesem Gerede und Geschrei müde geworden und möchte ein bißchen schlafen. Hier ist es warm und weich, wiewohl ich noch nicht Zeit gehabt habe, mich in dieser mir so unerwarteten Heimstätte umzusehen …«

»Umzusehen! Hast du es denn dort hell?« rief Jelena Iwanowna erfreut.

»Es umgibt mich undurchdringliche Nacht,« antwortete der arme Gefangene; »aber ich kann umhertasten und sozusagen mich mit den Händen umsehen … Also leb wohl, sei beruhigt und verzichte nicht auf die gewohnten kleinen Zerstreuungen! Auf morgen! Du aber, Semjon Semjonowitsch, komm doch heute abend wieder zu mir her, und da du ein zerstreuter Mensch bist und es vergessen könntest, so binde dir einen Knoten ins Taschentuch! …«

Ich muß gestehen: ich war ganz froh wegzukommen; da ich vom Stehen schon recht müde geworden war, zum Teil auch, weil die Sache anfing mich zu langweilen. Schnell bot ich der betrübten, aber durch die Aufregung noch schöner gewordenen Jelena Iwanowna meinen Arm und verließ eilig mit ihr das Krokodilzimmer.

»Am Abend müssen Sie wieder fünfundzwanzig Kopeken Entree bezahlen!« rief uns der Besitzer nach.

»Mein Gott, wie habsüchtig der Mensch ist!« sagte Jelena Iwanowna, die in jeden Wandspiegel in der Passage blickte und sich offenbar dessen bewußt war, daß sie noch schöner geworden war.

»Das sind eben die nationalökonomischen Maximen,« erwiderte ich in leiser Erregung; ich war den Passanten gegenüber stolz auf meine Dame.

»Die nationalökonomischen Maximen …« sagte sie gedehnt mit ihrem angenehm klingenden Stimmchen; »ich habe nichts von dem verstanden, was Iwan Matwejewitsch vorhin über diese gräßlichen nationalökonomischen Maximen gesagt hat.«

»Ich werde es Ihnen erklären,« versetzte ich und begann unverzüglich ihr auseinanderzusetzen, welche wohltätige Wirkung die Heranziehung ausländischen Kapitals nach unserm Vaterlande haben werde, worüber ich erst diesen Morgen etwas in den Petersburger Nachrichten und im Golos » Golos Moskwy«: Stimme Moskaus. – Anm.d.Hrsg. gelesen hatte.

»Wie sonderbar das alles ist!« unterbrach sie mich, nachdem sie ein Weilchen zugehört hatte. »Aber hören Sie nur damit auf, Sie langweiliger Mensch; was reden Sie da für törichtes Zeug … Sagen Sie, ich bin wohl sehr rot?«

»Sie sind nicht sowohl sehr rot, sondern sehr schön!« erwiderte ich, indem ich die Gelegenheit benutzte, ihr ein Kompliment zu machen.

»Sie Schäker!« lispelte sie sehr zufrieden. »Der arme Iwan Matwejewitsch!« fügte sie nach einer kleinen Pause hinzu und legte dabei ihr Köpfchen kokett auf die Schulter; »er tut mir wahrhaftig leid. Ach, mein Gott!« rief sie plötzlich, »sagen Sie nur: wie wird er denn heute dort zu Mittag speisen, und … und … was wird er denn tun, wenn ihn ein Bedürfnis ankommt?«

»Das ist eine unvorhergesehene Schwierigkeit,« antwortete ich, ebenfalls ganz verblüfft. »Das war mir wirklich noch nicht eingefallen; da sieht man wieder einmal, daß die Frauen in Fragen des praktischen Lebens klüger sind als wir Männer!«

»Der Arme, wie er nur da hineingeraten ist … und da hat er nun keinerlei Zerstreuungen, und es ist dunkel … wie ärgerlich, daß ich keine Photographie von ihm habe … Und also bin ich jetzt gewissermaßen Witwe,« fügte sie mit einem bezaubernden Lächeln hinzu; ihr neuer Stand war ihr augenscheinlich sehr interessant. »Hm! … aber er tut mir dennoch leid! …«

Kurz, es kam die sehr begreifliche, natürliche Sehnsucht einer jungen, interessanten Frau nach ihrem umgekommenen Manne zum Ausdruck. Ich brachte sie endlich nach ihrer Wohnung, beruhigte sie, speiste mit ihr zu Mittag, trank noch mit ihr ein Täßchen aromatisch duftenden Kaffee und begab mich dann um sechs Uhr zu Timosei Semjonowitsch, da ich mir sagte, daß um diese Zeit alle Ehemänner, die eine bestimmte Beschäftigung haben, sicher bei sich zu Hause sitzen oder liegen.

Nachdem ich dieses erste Kapitel in einem dem erzählten Ereignisse angemessenen Stile geschrieben habe, beabsichtige ich, mich im folgenden eines zwar nicht so hohen, aber dafür natürlicheren Stiles zu bedienen, wovon ich den Leser im voraus benachrichtige.

Zweites Kapitel

Der hochverehrte Timofei Semjonowitsch empfing mich anscheinend in Eile und gewissermaßen ein wenig verlegen. Er führte mich in sein enges Arbeitszimmer und machte die Tür dicht zu; »damit uns die Kinder nicht stören,« sagte er mit sichtlicher Unruhe. Dann ließ er mich auf einem Stuhle bei seinem Schreibtische Platz nehmen, setzte sich selbst auf einen Lehnsessel, schlug die Schöße seines alten wattierten Schlafrocks übereinander und nahm für jeden Fall eine Art amtlicher, beinahe strenger Miene an, obgleich er gar nicht mein oder Iwan Matwejewitschs Vorgesetzter war, sondern bisher als ein gewöhnlicher Kollege, ja als ein guter Bekannter gegolten hatte.

»Vor allen Dingen«, begann er, »wollen Sie im Auge behalten, daß ich kein Vorgesetzter bin, sondern genau ebenso ein Untergebener wie Sie und wie Iwan Matwejewitsch … Ich bin unbeteiligt und beabsichtige nicht, mich in irgend etwas hineinzumischen.«

Ich wunderte mich darüber, daß er anscheinend schon alles wußte. Trotzdem erzählte ich ihm von neuem die ganze Geschichte mit allen Einzelheiten. Ich sprach sogar mit einer gewissen Erregung; erfüllte ich doch in diesem Augenblicke die Pflicht eines wahren Freundes. Er hörte mich ohne besondere Verwunderung, aber mit deutlichen Zeichen des Mißtrauens an.

»Denken Sie sich,« sagte er, nachdem ich geendet hatte, »ich hatte immer vermutet, daß ihm gerade dies einmal passieren werde.«

»Warum denn, Timofei Semjonowitsch? Der Fall ist doch an und für sich ein sehr ungewöhnlicher …«

»Das gebe ich zu. Aber Iwan Matwejewitsch neigte während seiner ganzen dienstlichen Laufbahn gerade zu einem solchen Endresultat. Er ist zu rasch, geradezu hitzig. Immer redete er von Fortschritt, und dann hatte er so allerlei Ideen; da sieht man's nun, wohin einen der Fortschritt führt!«

»Aber dieser Fall ist doch ein höchst ungewöhnlicher, und man kann ihn doch nicht als eine allgemeine Regel für alle Fortschrittsmänner hinstellen …«

»Es ist doch, wie ich sage. Sehen Sie, das kommt von der übermäßigen Bildung, glauben Sie mir! Denn die übermäßig gebildeten Leute stecken ihre Nase überall hinein und besonders dahin, wo sie kein Mensch darum ersucht hat. Übrigens verstehen Sie das vielleicht besser als ich,« fügte er hinzu, wie wenn er sich gekränkt fühlte. »Ich bin ein alter Mann und nicht sehr gebildet; ich bin der Sohn eines gemeinen Soldaten und kann in diesem Jahre mein fünfzigjähriges Dienstjubiläum feiern.«

»Nicht doch, nicht doch, Timofei Semjonowitsch, ich bitte Sie! Im Gegenteil, Iwan Matwejewitsch bittet Sie inständig um Ihren Rat, bittet Sie inständig, ihn zu leiten und zu führen. Er bittet Sie darum sozusagen mit Tränen.«

»›Sozusagen mit Tränen!‹ Hm! Nun, diese Tränen werden wohl Krokodilstränen sein, und man kann ihnen nicht so ganz trauen. Aber sagen Sie mir nur: warum zog es ihn denn so ins Ausland? Und wie wollte er denn die Reise bezahlen? Er besitzt ja doch keine Mittel.«

»Er hatte sich von den letzten Gratifikationen ein Sümmchen zusammengespart, Timofei Semjonowitsch,« antwortete ich in mitleidigem Tone. »Er wollte ja auch nur auf drei Monate wegreisen, – nach der Schweiz, in die Heimat Wilhelm Tells.«

»Wilhelm Tells? Hm!«

»In Neapel wollte er den Frühling begrüßen. Er wollte sich die Museen, die Sitten, die Tiere ansehen …«

»Hm! Die Tiere? Meiner Ansicht nach wollte er einfach aus Stolz hin. Was denn für Tiere? Tiere! Als ob wir hier nicht Tiere genug hätten! Wir haben hier Menagerien, Museen, Kamele. Bären kommen dicht bei Petersburg vor. Und da hat er sich nun selbst in ein Krokodil hineingesetzt …«

»Timofei Semjonowitsch, erbarmen Sie sich! Da ist ein Mensch im Unglück; er nimmt seine Zuflucht zu Ihnen als zu einem Freunde, einem älteren Verwandten; er bittet Sie um Rat, und Sie machen ihm Vorwürfe! … Haben Sie doch wenigstens mit der unglücklichen Jelena Iwanowna Mitleid!«

»Sie meinen seine Frau? Ein interessantes Dämchen!« sagte Timofei Semjonowitsch, der augenscheinlich in eine sanftere Stimmung hineinkam und mit Genuß eine Prise nahm. »Ein elegantes Persönchen! Und sie hat so eine hübsche Fülle, und das Köpfchen hält sie immer so auf die Seite, auf die Seite … Sehr nett. Andrei Osipowitsch sprach noch vorgestern von ihr.«

»Er sprach von ihr?«

»Allerdings, und in sehr schmeichelhaften Ausdrücken. ›Welch eine Büste,‹ sagte er, ›welch ein Blick, was für eine schöne Frisur! Ein Dämchen wie von Marzipan!‹ und dabei sing er an zu lachen. Er ist eben noch ein junger Mann.« Timofei Semjonowitsch schnob sich geräuschvoll die Nase. »Nun, und da ist dieser andere junge Mann, und was schafft sich der für eine Karriere …«

»Aber das ist doch etwas ganz anderes, Timofei Semjonowitsch!«

»Gewiß, gewiß!«

»Also was meinen Sie denn nun, Timofei Semjonowitsch?«

»Ja, was kann ich denn dabei tun?«

»Geben Sie ihm einen Rat, führen und leiten Sie ihn als erfahrener Mann und als sein Verwandter! Was sollen wir unternehmen? Sollen wir uns an die vorgesetzte Behörde wenden oder …«

»An die vorgesetzte Behörde? Auf keinen Fall!« erwiderte Timofei Semjonowitsch eilig. »Wenn Sie einen Rat wollen, so würde ich sagen: vor allen Dingen muß man die Sache vertuschen und sozusagen nur als Privatperson handeln. Es ist ein verdächtiger Fall, ein noch nie dagewesener Fall. Das ist die Hauptsache, daß es ein noch nie dagewesener Fall ist, daß es keinen Präzedensfall gibt, und das ist eine schlechte Empfehlung … Darum vor allen Dingen Vorsicht! … Mag er da still für sich liegen bleiben! Man muß abwarten, abwarten …«

»Aber wie sollen wir denn abwarten, Timofei Semjonowitsch? Wenn er nun da erstickt?«

»Wie wird er denn? Ich meine, Sie sagten, daß er sich da ganz komfortabel eingerichtet habe?«

Ich erzählte ihm alles noch einmal. Timofei Semjonowitsch dachte ein Weilchen nach.

»Hm!« sagte er dann, seine Tabaksdose in der Hand herumdrehend. »Meiner Ansicht nach ist es sogar ganz gut, daß er dort eine Zeitlang liegt, statt im Auslande herumzureisen. Mag er dort in Muße nachdenken; selbstverständlich soll er nicht ersticken; daher muß er angemessene Maßregeln zur Erhaltung seiner Gesundheit treffen, also z. B. sich vor Husten in acht nehmen usw. … Was aber den Deutschen anlangt, so befindet sich der nach meiner persönlichen Ansicht in seinem vollen Rechte, mehr als die Gegenpartei; denn in sein Krokodil ist jemand ohne seine Erlaubnis hineingekrochen, und nicht er ohne Erlaubnis in das Krokodil Iwan Matwejewitschs, der übrigens, soviel ich mich erinnern kann, überhaupt kein Krokodil besessen hat. Nun aber bildet ein Krokodil einen Besitz; also kann man es nicht ohne Entschädigung aufschneiden.«

»Aber wo es sich um die Rettung eines Menschen handelt, Timofei Semjonowitsch!«

»Nun, das ist dann Sache der Polizei. An die müssen Sie sich wenden.«

»Aber möglicherweise wird Iwan Matwejewitsch im Amte benötigt; vielleicht wird nach ihm geschickt …«

»Iwan Matwejewitsch im Amte benötigt? Ha-ha! Überdies gilt er ja als beurlaubt; also können wir ihn vollständig ignorieren, und er kann sich da die Länder Westeuropas ansehen. Etwas anderes wäre es, wenn er nach Ablauf seines Urlaubs nicht wieder erschiene; dann allerdings würden wir uns nach ihm erkundigen, Nachforschungen anstellen …«

»Drei Monate! Ich bitte Sie, Timofei Semjonowitsch!«

»Das ist seine eigene Schuld. Na, wer hat ihn geheißen, da hineinzusteigen? Da müßte ihm der Staat womöglich eine Kinderfrau halten; das ist aber im Etat nicht vorgesehen. Die Hauptsache aber ist: ein Krokodil ist ein Besitzgegenstand; also treten hier die sogenannten nationalökonomischen Maximen in Aktion. Und die nationalökonomischen Maximen gehen über alles. Noch vorgestern sprach Ignati Prokofjewitsch auf der Abendgesellschaft bei Luka Andrejewitsch darüber. Kennen Sie Ignati Prokofjewitsch? Er ist Kapitalist, Geschäftsmann und spricht sehr vernünftig, wissen Sie. ›Wir brauchen gewerbliche Tätigkeit,‹ sagt er; ›gewerbliche Tätigkeit gibt es bei uns zu wenig. Wir müssen sie erzeugen. Wir müssen Kapitalien erzeugen; d. h. wir müssen einen Mittelstand, eine sogenannte Bourgeoisie, erzeugen. Da wir aber keine Kapitalien haben, so müssen wir sie aus dem Auslande heranziehen. Wir müssen erstens den ausländischen Gesellschaften freie Bahn machen, die unser Land in großen Portionen aufkaufen wollen, wie jetzt überall im Auslande versichert wird. Der Gemeindebesitz, das ist für uns Gift,‹ sagt er; ›das ist unser Verderben!‹ Und, wissen Sie, er redet mit solcher Wärme; na, ihm steht das gut; er ist eben Kapitalist … und ist kein Beamter. ›Beim Gemeindebesitz‹, sagt er, ›kann man weder die gewerbliche Tätigkeit noch die Landwirtschaft in die Höhe bringen. Die ausländischen Gesellschaften‹, sagt er, ›müssen nach Möglichkeit unser ganzes Land in großen Stücken kaufen, und dann müssen sie es parzellieren, parzellieren, parzellieren in möglichst kleine Teile.‹ Und, wissen Sie, das sagt er mit solcher Energie: ›Par–zel–lie–ren‹, sagt er, ›und dann als persönliches Eigentum verkaufen. Oder auch nicht verkaufen, sondern einfach verpachten. Wenn das ganze Land‹, sagt er, ›in den Händen der herbeigerufenen ausländischen Gesellschaften sein wird, dann kann man jeden beliebigen Pachtpreis ansetzen. Folglich wird der Bauer dreimal soviel arbeiten, um nur sein tägliches Brot zu haben, und sobald man es für zweckmäßig hält, kann man ihn fortjagen. Das wird er schon merken und wird gehorsam und fleißig sein und für dasselbe Geld dreimal soviel arbeiten. Aber jetzt bei der Gemeindewirtschaft, um was braucht er sich da zu kümmern? Hungers wird er nicht sterben; na, da faulenzt er denn und säuft. Aber bei jenem anderen System wird Geld zu uns hergelockt und Kapitalien zu uns herangezogen, und es bildet sich eine Bourgeoisie. Da hat die englische politische und literarische Zeitung Times in einem Artikel über unsere Finanzen neulich auseinandergesetzt, daß unsere Finanzen sich darum nicht bessern, weil bei uns kein Mittelstand und keine großen Portemonnaies und keine arbeitswilligen Proletarier vorhanden sind …‹ Ignati Prokofjewitsch spricht sehr gut. Er ist geradezu ein Redner. Er will selbst ein Promemoria bei der Behörde einreichen und dann in den Petersburger Nachrichten drucken lassen. Das ist ein anderes Ding als die Verschen, die Iwan Matwejewitsch schreibt …«

»Also wie soll sich denn nun Iwan Matwejewitsch verhalten?« schob ich ein, nachdem ich den alten Mann so lange hatte schwatzen lassen.

Timofei Semjonowitsch erging sich gern manchmal in längeren Reden, um dadurch zu zeigen, daß er nicht rückständig sei und in all diesen Dingen Bescheid wisse.

»Wie sich Iwan Matwejewitsch verhalten soll? Darauf ziele ich ja eben ab. Wir selbst sind eifrig bemüht, ausländische Kapitalien in unser Vaterland zu ziehen, und nun urteilen Sie selbst: kaum hat sich das Kapital eines herbeigelockten Krokodilbesitzers durch Iwan Matwejewitsch verdoppelt, da möchten wir, statt den ausländischen Besitzer zu protegieren, ganz im Gegenteile seinem Anlagekapitale den Bauch aufschlitzen! Nun, liegt darin Vernunft? Meiner Ansicht nach sollte Iwan Matwejewitsch als wahrer Sohn des Vaterlandes sich sogar darüber freuen und darauf stolz sein, daß er durch seine Person den Wert des ausländischen Krokodils verdoppelt, ja vielleicht verdreifacht hat. Das ist zur Heranziehung von Kapitalien notwendig. Gelingt es einem, dann wird flugs auch ein zweiter mit einem Krokodil herkommen; ein dritter wird gar zwei oder drei zugleich herbringen, und um diese werden sich dann die Kapitalien weiter gruppieren. So entsteht eine Bourgeoisie. Diese Entwickelung muß man befördern.«

»Ich bitte Sie, Timofei Semjonowitsch!« rief ich. »Sie verlangen ja von dem armen Iwan Matwejewitsch eine beinahe unnatürliche Selbstaufopferung!«

»Ich verlange gar nichts und bitte Sie vor allen Dingen, wie ich es schon vorhin getan habe, im Auge zu behalten, daß ich keine vorgesetzte Behörde bin und daher von niemandem etwas zu verlangen habe. Ich rede einfach als Sohn des Vaterlandes. Noch einmal frage ich: wer hat ihn geheißen in das Krokodil hineinzukriechen? Er ist ein Mann in soliden Verhältnissen, ein Beamter von achtbarem Range, er lebt in gesetzlicher Ehe, und da begeht er auf einmal einen solchen Schritt! Liegt darin Vernunft?«

»Aber dieser Schritt vollzog sich doch wider seinen Willen.«

»Wer weiß das? Und dann: aus welchem Fonds sollte dem Krokodilbesitzer die Entschädigung bezahlt werden? Das sagen Sie mal!«

»Ginge es nicht durch einen Abzug vom Gehalte, Timofei Semjonowitsch?«

»Wird das reichen?«

»Nein, es wird nicht reichen, Timofei Semjonowitsch,« erwiderte ich traurig. »Der Krokodilbesitzer bekam zuerst einen Schreck, weil er fürchtete, das Tier werde platzen; aber als er sich dann überzeugte, daß alles glücklich abging, setzte er sich aufs hohe Pferd und freute sich, daß er den Eintrittspreis verdoppeln könne.«

»Vielleicht verdreifachen, vervierfachen! Jetzt wird das Publikum scharenweise herbeiströmen, und die Krokodilbesitzer sind ein geriebenes Völkchen. Außerdem ist jetzt gerade die Jahreszeit, wo man sich alle möglichen Amüsements gönnt. Und darum wiederhole ich: vor allen Dingen mag Iwan Matwejewitsch inkognito beobachten und nichts übereilen! Mögen meinetwegen alle es wissen, daß er in dem Krokodil steckt; aber sie brauchen es nicht amtlich zu wissen. In dieser Hinsicht befindet sich Iwan Matwejewitsch sogar in besonders günstiger Lage, weil er als ins Ausland beurlaubt betrachtet wird. Wenn man uns sagt, daß er sich in dem Krokodil befindet, so werden wir es nicht glauben. Das läßt sich so arrangieren. Die Hauptsache ist, daß er wartet; und was hätte er auch für Grund zur Eile?«

»Aber wenn er nun …«

»Beunruhigen Sie sich nicht; er hat eine kräftige Konstitution …«

»Nun, und dann, wenn er wartet?«

»Ja, ich will Ihnen nicht verhehlen, daß es ein äußerst verzwickter Fall ist. Man kann darüber durch alles Nachdenken nicht ins klare kommen, und besonders nachteilig ist der Umstand, daß es bisher noch keinen ähnlichen Präzedensfall gegeben hat. Hätten wir einen Präzedensfall, dann könnte man sich durch den noch einigermaßen leiten lassen. Aber so, – wie soll man hier zu einer Entscheidung gelangen? Wenn man erst anfängt zu überlegen, dann zieht sich die Sache sehr in die Länge.«

Ein glücklicher Gedanke blitzte in meinem Kopfe auf.

»Könnte man es nicht so einrichten,« sagte ich, »daß, wenn es ihm nun einmal beschieden ist, in den Eingeweiden des Untiers zu verbleiben, und nach dem Willen der Vorsehung sein Leben erhalten bleibt, daß er dann ein Gesuch einreicht mit der Bitte, ihn als Beamten weiter zu führen?«

»Hm! … vielleicht in Form einer Beurlaubung und ohne Gehalt?«

»Nein, ginge es nicht mit Gehalt?«

»Wie ließe sich das begründen?«

»Man könnte ja sagen, er sei abkommandiert …«

»Wohin und wozu?«

»In die Eingeweide, in die Eingeweide des Krokodils … Sozusagen zum Zwecke von Untersuchungen, zur Feststellung von Tatsachen an Ort und Stelle. Das wäre allerdings etwas Neues; aber es wäre doch fortschrittlich und würde gleichzeitig dokumentieren, wie sehr die Behörde für die Aufklärung sorgt …«

Timofei Semjonowitsch dachte nach. Schließlich sagte er:

»Einen besonderen Beamten in die Eingeweide eines Krokodils abzukommandieren, mit besonderen Aufträgen, das ist meiner persönlichen Ansicht nach abgeschmackt. Im Etat ist so etwas nicht vorgesehen. Und was könnten dort auch für Aufträge auszurichten sein?«

»Nun, sozusagen zum Naturstudium an Ort und Stelle, am lebenden Wesen. Heutzutage sind ja die Naturwissenschaften obenauf, die Botanik usw. … Er könnte dort wohnen und Berichte erstatten … sagen wir über die Verdauung oder einfach über die dort herrschenden Sitten. Sein Auftrag könnte lauten: zur Sammlung tatsächlichen Materials.«

»Das fällt in das Gebiet der Statistik. Nun, darin bin ich nicht stark; und ein Philosoph bin ich auch nicht. Sie sagen: tatsächliches Material; aber wir sind ohnehin schon mit tatsächlichem Material überhäuft und wissen nicht, was wir mit ihm anfangen sollen. Zudem ist diese Statistik gefährlich …«

»Wieso denn?«

»Ja, sie ist gefährlich. Und dazu kommt noch, daß er dieses tatsächliche Material liefern wird, während er bequem auf der Seite liegt, das müssen Sie selbst zugeben. Aber kann man denn seinen Dienst als Beamter tun, wenn man sich bequem auf die Seite legt? Das wäre wieder eine Neuerung, und zudem eine gefährliche Neuerung; und dafür mangelt es wieder an einem Präzedensfalle. Ja, wenn Sie uns wenigstens irgendeinen kleinen Präzedensfall beibringen könnten, dann wäre es meiner Ansicht nach vielleicht möglich, ihn abzukommandieren.«

»Aber es sind ja bisher auch noch keine lebenden Krokodile hergebracht worden, Timosei Semjonowitsch.«

»Hm! Ja …« Er dachte wieder nach. »Dieser Ihr Einwand hat allerdings eine gewisse Berechtigung und könnte sogar als Grundlage zur weiteren Behandlung der Sache dienen. Aber ziehen Sie wiederum auch dies in Betracht: wenn mit dem Erscheinen lebender Krokodile die Beamten zu verschwinden anfangen und dann, weil es da warm und weich ist, dorthin abkommandiert zu werden verlangen und sich dann da bequem auf die Seite legen, dann würde das ein schlechtes Beispiel sein, das müssen Sie selbst sagen. Dann wird am Ende jeder da hineinkriechen, um sein Gehalt ohne Arbeit zu bekommen.«

»Bitte, seien Sie uns behilflich, Timofei Semjonowitsch! Apropos: Iwan Matwejewitsch bat mich, Ihnen seine kleine Spielschuld einzuhändigen, sieben Rubel, die er im Whist an Sie verloren hat.«

»Ach ja, das war neulich bei Nikifor Nikiforowitsch! Ich erinnere mich. Und wie lustig er damals war; er brachte uns alle zum Lachen. Und jetzt …«

Der Alte war aufrichtig gerührt.

»Seien Sie uns behilflich, Timofei Semjonowitsch!«

»Ich will mir alle Mühe geben. Ich will mit den maßgebenden Personen darüber reden, wie wenn ich es rein persönlich täte, so ganz privatim, nur um mich zu erkundigen. Übrigens, bringen Sie doch einmal so ganz inoffiziell, im stillen, in Erfahrung, auf welchen Preis für sein Krokodil der Besitzer eigentlich eingehen würde.«

Timofei Semjonowitsch war augenscheinlich freundlicher geworden.

»Das werde ich unbedingt tun«, antwortete ich »und dann sogleich mit der Rechnung zu Ihnen kommen.«

»Seine Frau ist wohl jetzt allein? Langweilt sie sich?«

»Sie sollten ihr einen Besuch machen, Timofei Semjonowitsch.«

»Das will ich tun; ich habe schon vorhin daran gedacht, und es ist ja auch ein passender Anlaß … Wie er nur auf den verdrehten Gedanken gekommen ist, sich das Krokodil anzusehen! Übrigens möchte ich es mir auch selbst ansehen.«

»Besuchen Sie den Armen doch, Timofei Semjonowitsch!«

»Ja, das werde ich. Allerdings möchte ich durch diesen meinen Schritt bei ihm keine Hoffnungen erwecken. Ich werde nur als Privatperson hingehen … Nun also, auf Wiedersehen! Ich bin heute wieder bei Nikifor Nikiforowitsch; sind Sie auch das?«

»Nein, ich muß zu dem Gefangenen.«

»Ja, ja, da heißt es jetzt Gefangenenbesuche machen! … Ach, so ein Leichtsinn!«

Ich empfahl mich dem alten Herrn. Mancherlei Gedanken gingen mir durch den Kopf. Timofei Semjonowitsch war ja ein guter, sehr ehrenhafter Mensch; aber als ich von ihm herauskam, freute ich mich doch, daß er schon bald sein fünfzigjähriges Jubiläum feierte und Männer seines Schlages bei uns jetzt eine Seltenheit geworden sind. Selbstverständlich eilte ich sofort nach der Passage, um dem armen Iwan Matwejewitsch alles mitzuteilen.

Auch plagte mich die Neugier, wie er sich da in dem Krokodil eingerichtet haben mochte, und wie es überhaupt möglich sei, in einem Krokodil zu leben. Manchmal schien es mir wahrhaftig, als ob das nur ein ungeheuerlicher Traum sei, um so mehr, da es sich dabei um ein Ungeheuer handelte …

Drittes Kapitel

Und doch war es kein Traum, sondern tatsächliche, unzweifelhafte Wirklichkeit. Wie würde ich es denn auch sonst erzählen! Aber ich fahre fort …

Als ich in die Passage kam, war es schon spät, gegen neun Uhr, und ich mußte in das Krokodillokal durch eine Hintertür gehen, da der Deutsche seine Schaustellung diesmal früher als sonst geschlossen hatte. Er ging in einem alten, schmierigen Hausrock auf und ab, war aber noch weit zufriedener als am Vormittage. Man konnte ihm ansehen, daß er keine Besorgnisse mehr hegte, und daß das Publikum sich zahlreich eingestellt hatte. Seine Frau kam erst später zu uns herein, offenbar um auf mich aufzupassen. Der Deutsche flüsterte häufig mit ihr. Trotzdem die Schaustellung schon geschlossen war, nahm er mir doch fünfundzwanzig Kopeken Eintrittsgeld ab. Was für eine unnötige Ordnungsliebe!

»Sie müssen jedesmal bezahlen; das Publikum bezahlt einen Rubel, Sie aber nur fünfundzwanzig Kopeken, weil Sie ein guter Freund Ihres guten Freundes sind und ich vor einem Freunde Respekt habe …«

»Lebt er, lebt mein hochgebildeter Freund noch?« rief ich laut, indem ich an das Krokodil herantrat; ich hoffte, meine Worte würden von weitem zu Iwan Matwejewitschs Ohr gelangen und seiner Eitelkeit schmeicheln.

»Ich lebe und bin gesund,« antwortete er. Es klang, als spräche er aus weiter Ferne oder hinter einem Bettkissen hervor, obwohl ich dicht neben ihm stand. »Ich lebe und bin gesund; aber davon nachher; wie steht die Sache?«

Ich begann absichtlich, wie wenn ich die Frage überhört hätte, ihn meinerseits teilnahmsvoll und eilig zu befragen: wie es ihm gehe, was er mache, wie ihm in dem Krokodil zumute sei, und wie es überhaupt im Innern des Krokodils aussehe. Das verlangte sowohl die Freundschaft als auch die gewöhnliche Höflichkeit. Aber er unterbrach mich eigensinnig und ärgerlich.

»Wie steht die Sache?« schrie er kreischend in dem Tone, in dem er mich gewöhnlich anherrschte, und der mir diesmal besonders widerwärtig war.

Ich erzählte ihm das ganze Gespräch, das ich mit Timofei Semjonowitsch geführt hatte, mit allen Einzelheiten.

Während ich erzählte, bemühte ich mich, meiner Stimme einen etwas gekränkten Ton zu geben.

»Der Alte hat ganz recht,« antwortete Iwan Matwejewitsch mit derselben Bestimmtheit und Schroffheit, deren er sich in seinen Gesprächen mit mir stets bediente. »Bin sehr für praktische Leute und kann schlappe, süßliche Kerle nicht ausstehen. Will indes zugeben, daß auch deine Idee mit der Abkommandierung nicht so uneben ist. Bin in der Tat in der Lage, mancherlei zu berichten, sowohl in wissenschaftlicher als auch in moralischer Hinsicht. Aber das nimmt jetzt alles eine neue, unerwartete Gestalt an, und es lohnt sich nicht, bloß um des Gehaltes willen sich viel Mühe zu machen. Höre aufmerksam zu! Sitzt du?«

»Nein, ich stehe.«

»Setz dich auf irgend etwas, nötigenfalls auf den Fußboden, und höre aufmerksam zu!«

Ärgerlich ergriff ich einen Stuhl und stieß mit ihm, als ich ihn zurechtstellte, zornig gegen den Boden.

»Höre,« begann er in befehlshaberischem Tone, »das Publikum ist heute scharenweise hergekommen. Am Abend reichte der Raum nicht aus, und die Polizei erschien, um auf Ordnung zu halten. Um acht Uhr, d. h. früher als gewöhnlich, fand der Besitzer sogar für nötig, das Etablissement zu schließen und die Vorstellung abzubrechen, um das eingenommene Geld zu zählen und sich mit größerer Bequemlichkeit auf morgen vorzubereiten. Kann mir denken, daß morgen hier ein ordentlicher Jahrmarktstrubel sein wird. So ist denn die Annahme berechtigt, daß alle gebildeten Leute der Residenz, die Damen der höchsten Gesellschaftskreise, die ausländischen Gesandten, die Juristen usw., sich hier einfinden werden. Und noch mehr: aus den entlegensten Provinzen unseres weitausgedehnten Reiches werden Neugierige angereist kommen. Und das Resultat wird sein, daß ich der Gegenstand der allgemeinen Beachtung sein und, wenn auch verborgen, doch die erste Rolle spielen werde. Werde die müßige Menge belehren. Durch die Erfahrung belehrt, werde ich mich als Beispiel der Geistesgröße und der Demut dem Schicksal gegenüber hinstellen! Werde sozusagen ein Katheder sein, von dem herab ich die Menschheit belehren werde. Schon allein die naturwissenschaftlichen Mitteilungen, die ich über das von mir bewohnte Ungeheuer geben kann, sind überaus wertvoll. Und deshalb murre ich nicht über das, was mir heute widerfahren ist, sondern ich hoffe vielmehr mit Bestimmtheit auf eine glänzende Karriere.«

»Wird es dir auch nicht langweilig werden?« fragte ich boshaft.

Am meisten ärgerte ich mich darüber, daß er fast ganz aufgehört hatte, das Fürwort »ich« zu gebrauchen; so wichtig kam er sich vor. Nichtsdestoweniger konnte ich mir auf die ganze Sache keinen Vers machen. »Wie kann dieser leichtfertige Patron nur so dicke tun!« flüsterte ich zähneknirschend vor mich hin. »Zum Dicketun ist hier doch wahrlich kein Anlaß, eher zum Weinen.«

»Nein,« antwortete er in scharfem Tone auf meine Frage. »Bin nämlich ganz von hohen Ideen erfüllt; kann erst jetzt in Muße über die Verbesserung des Schicksals der ganzen Menschheit nachdenken. Von einem Krokodil wird jetzt die Wahrheit und das Licht ausgehen. Unzweifelhaft werde ich eine neue eigene Theorie der neuen nationalökonomischen Beziehungen aufstellen und werde darauf stolz sein; das habe ich bisher nicht gekonnt, weil mir die Amtstätigkeit und die vulgären gesellschaftlichen Zerstreuungen keine Zeit dazu ließen. Werde alle Einwände widerlegen und ein neuer Fourier François Marie Charles Fourier, 1772-1837, Sozialist. – Anmerkung des Übersetzers. sein. Apropos, hast du Timofei Semjonowitsch die sieben Rubel gegeben?«

»Ja, von meinem Gelde,« erwiderte ich und bemühte mich dabei, durch den Ton meiner Stimme zum Ausdruck zu bringen, daß ich es von meinem eigenen Gelde bezahlt hatte.

»Ich werde es dir zurückgeben,« versetzte er hochmütig. »Ich erwarte unbedingt eine Gehaltserhöhung; denn wer sollte sonst eine erhalten, wenn ich keine bekäme? Ich bringe jetzt einen unermeßlichen Nutzen. Aber zur Sache! Meine Frau?«

»Du fragst wohl nach Jelena Iwanownas Befinden?«

»Meine Frau?!« schrie er noch einmal, diesmal geradezu kreischend.

Es war nichts zu machen! Fügsam, aber wieder mit Zähneknirschen, erzählte ich ihm, wie ich Jelena Iwanowna verlassen hatte. Er mochte mich nicht einmal bis zu Ende hören.

»Habt mit ihr besondere Absichten,« begann er ungeduldig. »Wenn ich hier berühmt sein werde, so will ich, daß sie dort berühmt sei. Gelehrte, Dichter, Philosophen, reisende Mineralogen, Staatsmänner werden, nachdem sie sich am Morgen mit mir unterredet haben, abends ihren Salon frequentieren. Von der nächsten Woche an muß bei ihr jeden Abend Empfang sein. Mein verdoppeltes Gehalt wird ihr die Mittel dazu gewähren, und da dabei nur Tee gereicht zu werden braucht, der von Lohndienern präsentiert werden kann, so wird es ganz gut gehen. Sowohl hier als auch dort wird man von mir reden. Ich habe längst einen Anlaß herbeigewünscht, der alle Leute dahin bringen könnte, von mir zu sprechen; aber ich konnte das nicht erreichen, da ich durch meine unbedeutende Stellung und meinen niedrigen Rang in Fesseln geschlagen war. Jetzt aber ist das alles dadurch erreicht, daß ein Krokodil in ganz gewöhnlicher Manier zugeschluckt hat. Jedes Wort von mir wird Beachtung finden, jeder meiner Aussprüche überdacht, weitergegeben, gedruckt werden. Jetzt werde ich zeigen, was ich bin! Nun werden die Menschen endlich einsehen, welch ein Genie sie in den Eingeweiden dieses Ungeheuers haben verschwinden lassen. ›Dieser Mann hätte ein ausländischer Minister sein und ein Königreich regieren können,‹ werden die einen sagen. ›Und dieser Mann hat kein ausländisches Königreich regiert; wie schade,wie schade!‹ werden die andern versetzen. Worin, worin bin ich denn schlechter als ein Garnier-Pagès 1801-1841, demokratischer Staatsmann. – Anmerkung des Übersetzers. und ähnliche Leute? … Meine Frau soll ein Pendant zu mir bilden: ich zeichne mich durch Verstand aus und sie sich durch Schönheit und Liebenswürdigkeit. ›Sie ist bezaubernd; daher ist sie seine Frau,‹ werden die einen sagen. ›Sie ist bezaubernd, weil sie seine Frau ist,‹ werden die anderen jenen Satz korrigieren. Jedenfalls soll sich Jelena Iwanowna gleich morgen das Konversationslexikon kaufen, das unter Andrei Krajewskis Redaktion erschienen ist, damit sie über alle Themata reden kann. Vor allen Dingen soll sie täglich den Leitartikel der Petersburger Nachrichten lesen und ihn mit dem im Golos vergleichen. Ich nehme an, daß der Eigentümer des Krokodils sich wird bereit finden lassen, auch mich mitsamt dem Tiere manchmal in den glänzenden Salon meiner Frau zu bringen. Ich werde dann mit dem Kasten mitten in der prächtigen Assemblee dastehen und mit geistreichen Bemerkungen um mich werfen, die ich mir schon am Vormittag aussinnen kann. Den Staatsmännern werde ich meine Projekte mitteilen, mit den Dichtern in Versen reden; im Verkehr mit den Damen werde ich amüsant und liebenswürdig sein, aber natürlich durchaus moralisch, da ich ja für ihre Männer völlig ungefährlich bin. Allen andern werde ich als ein Beispiel gehorsamer Ergebung in das Schicksal und in den Willen der Vorsehung dienen. Meine Frau werde ich zu einem glänzenden Gestirn am literarischen Himmel machen; ich werde sie in den Vordergrund rücken und dem Publikum ihr Wesen erklären; als meine Frau muß sie notwendig die höchsten Vorzüge besitzen, und wenn man mit Recht Andrei Alexandrowitsch unsern russischen Alfred de Musset nennt, so wird man mit noch größerem Rechte sie unsere russische Eugénie Tour nennen.«

Ich muß gestehen, dieser Unsinn hatte zwar eine gewisse Ähnlichkeit mit dem, was Iwan Matwejewitsch auch sonst zu reden pflegte; aber es kam mir doch der Gedanke, daß er jetzt vielleicht Fieber habe und phantasiere. Es war dies Iwan Matwejewitsch, wie er gewöhnlich und alle Tage war, aber durch ein zwanzigfaches Vergrößerungsglas gesehen.

»Mein Freund,« fragte ich ihn, »hoffst du denn auf ein langes Leben? Und überhaupt, sage mal: bist du gesund? Wie ißt du, wie schläfst du, wie atmest du? Ich bin dein Freund, und du mußt selbst sagen, dein Fall ist in hohem Grade unnatürlich und infolgedessen meine Wißbegierde nur zu natürlich.«

»Es ist müßige Neugier, weiter nichts,« antwortete er schroff; »aber du sollst zufriedengestellt werden. Du fragst, wie ich mich in den Eingeweiden des Untiers eingerichtet habe. Erstens hat sich zu meiner Verwunderung herausgestellt, daß das Krokodil vollständig leer ist. Sein Inneres besteht sozusagen aus einem großen, leeren Sacke, der aus Gummi verfertigt ist, in der Art wie die Gummiwaren, die in der Gorochowaja-Straße, in der Morskaja-Straße und, wenn ich nicht irre, auf dem Wosnesenski-Prospekt in den Schaufenstern ausgelegt sind. Du mußt dir doch selbst sagen: könnte ich wohl sonst in ihm Platz finden?«

»Ist es möglich?« rief ich in begreiflicher Verwunderung. »Ist das Krokodil wirklich vollkommen leer?«

»Vollkommen,« versetzte Iwan Matwejewitsch nachdrücklich und in strengem Tone. »Und aller Wahrscheinlichkeit nach beruht diese seine Einrichtung auf den Naturgesetzen selbst. Das Krokodil besitzt nur einen Rachen, der mit spitzen Zähnen besetzt ist, und zu dem Rachen noch einen sehr langen Schwanz; das ist alles, tatsächlich alles. In der Mitte zwischen diesen seinen beiden Endstücken befindet sich ein leerer Raum, der mit einer Art von Kautschuk umspannt ist; wahrscheinlich ist es tatsächlich Kautschuk.«

»Aber die Rippen, der Magen, die Därme, die Leber, das Herz?« unterbrach ich ihn ordentlich ingrimmig.

»Nichts, schlechterdings nichts von alledem ist hier vorhanden und wahrscheinlich nie vorhanden gewesen. All das ist nur müßige Phantasie leichtfertiger Reisender. In derselben Weise wie ein Hämorrhoidarius sein Gummi-Sitzkissen aufbläst, kann auch ich jetzt das Krokodil aufblasen. Es ist unglaublich dehnbar. Sogar du könntest als Hausfreund neben mir Platz finden, wenn du eine so hochherzige Gesinnung besäßest, und auch dann würde Raum übrig sein. Ich denke sogar daran, nötigenfalls Jelena Iwanowna hier hereinkommen zu lassen. Übrigens steht eine solche leere Beschaffenheit des Krokodils durchaus im Einklang mit den Lehren der Naturwissenschaft. Denn setzen wir z. B. den Fall, es würde dir die Aufgabe gestellt, ein neues Krokodil zu konstruieren, so würde natürlich die Frage vor dich hintreten: welches ist die Haupteigenschaft des Krokodils? Die Antwort ist klar: daß es Menschen verschlingt. Wie kann man es nun durch die Konstruktion erreichen, daß es imstande sei, Menschen zu verschlingen? Die Antwort ist noch klarer: dadurch, daß man in ihm einen leeren Raum konstruiert. Es ist schon längst durch die Physik festgestellt, daß die Natur keine Leere duldet. In Übereinstimmung damit muß das Innere des Krokodils leer sein, damit das Tier die Leere nicht duldet und folglich alles, was ihm vorkommt, verschlingt und sich damit anfüllt. Und das ist die einzige vernünftige Ursache, warum alle Krokodile uns Menschen verschlingen. Anders verhält es sich mit der Konstruktion des menschlichen Organismus: je leerer z. B. der Kopf eines Menschen ist, um so weniger empfindet er das Verlangen sich anzufüllen; das ist eben nur eine Ausnahme von der allgemeinen Regel. All das ist mir jetzt klar wie der Tag; zu dieser ganzen Einsicht bin ich durch meinen eigenen Verstand und durch meine eigene Erfahrung gelangt, indem ich mich sozusagen in den Eingeweiden der Natur, in ihrer Retorte befinde und auf ihren Pulsschlag achte. Sogar die Etymologie stimmt zu meiner Ansicht; denn selbst der Name Krokodil bedeutet Gefräßigkeit. Krokodil, crocodillo, ist offenbar ein italienisches Wort, das vielleicht aus der Zeit der alten ägyptischen Pharaonen stammt und offenbar von dem französischen Verbum croquer herkommt, welches ›essen‹ und überhaupt ›als Nahrung gebrauchen‹ bedeutet. All dies beabsichtige ich dem in Jelena Iwanownas Salon versammelten Publikum in einer ersten Vorlesung vorzutragen, sobald man mich in diesem Kasten dorthin transportiert haben wird.«

»Lieber Freund, möchtest du nicht jetzt wenigstens ein Abführmittel nehmen?« rief ich unwillkürlich.

»Er fiebert, er fiebert, er redet im Fieber!« sagte ich mir erschrocken im stillen.

»Unsinn!« antwortete er verächtlich, »und überdies wäre das in meiner jetzigen Situation ganz unangebracht. Übrigens wußte ich es halb und halb im voraus, daß du von einem Abführmittel zu reden anfangen würdest.«

»Aber, lieber Freund, wie … wie nimmst du denn jetzt Nahrung zu dir? Hast du heute zu Mittag gegessen?«

»Nein, aber ich bin satt und werde höchstwahrscheinlich jetzt nie mehr Nahrung zu mir nehmen. Und dies ist ebenfalls völlig begreiflich: indem ich mit meiner Person das ganze Innere des Krokodils ausfülle, mache ich das Tier für immer satt. Jetzt braucht es mehrere Jahre nicht gefüttert zu werden. Andrerseits teilt es, da es selbst von meiner Person satt ist, natürlicherweise auch mir alle Lebenssäfte aus seinem Körper mit, ein Vorgang von derselben Art, wie wenn manche raffinierten Koketten ihren ganzen Körper zur Nacht mit rohen Koteletts bedecken und dann, nachdem sie am Morgen ein Bad genommen haben, frisch, elastisch, vollsaftig und bezaubernd sind. Auf diese Weise empfange ich, während ich mit meiner Person das Krokodil ernähre, umgekehrt auch von ihm Nahrung; mithin ernähren wir einander wechselseitig. Aber da es sogar für ein Krokodil schwer ist, einen solchen Menschen, wie ich, zu verdauen, so muß es selbstverständlich dabei ein gewisses Magendrücken (obwohl es gar keinen Magen hat) empfinden, und dies ist der Grund, weshalb ich, um dem Ungeheuer nicht unnötig Schmerz zu bereiten, mich nur selten von einer Seite auf die andere drehe; obwohl ich mich umdrehen könnte, unterlasse ich es dennoch aus Humanität. Das ist der einzige Übelstand in meiner jetzigen Lage, und in gewissem Sinne hat Timofei Semjonowitsch recht, wenn er von mir sagt, ich läge bequem auf der Seite. Aber ich werde zeigen, daß man, auch wenn man bequem auf der Seite liegt, ja noch mehr, daß man nur, wenn man bequem auf der Seite liegt, dem Schicksal der Menschheit eine andere Wendung geben kann. Alle großen Ideen und Richtungen unserer Zeitungen und Journale sind offenbar von Leuten geschaffen, die sich in dieser Haltung befanden. Ich erfinde jetzt ein vollständiges, besonderes System, und du glaubst gar nicht, wie leicht das ist! Man braucht sich nur allein in irgendeinen Winkel zurückzuziehen oder auch nur in ein Krokodil hineinzusteigen und die Augen zuzumachen, und sogleich erfindet man ein vollständiges Paradies für die ganze Menschheit. Vorhin, als ihr weggegangen wart, machte ich mich sofort ans Erfinden und habe schon drei Systeme erfunden; jetzt mache ich das vierte fertig. Allerdings muß man zuerst alles umstürzen; aber vom Innern eines Krokodils aus ist ein solcher Umsturz so leicht zu bewerkstelligen! Ja, noch mehr: vom Innern eines Krokodils aus wird alles gewissermaßen deutlicher sichtbar. Übrigens gibt es in meiner Situation doch noch einzelne, wenn auch nur unbedeutende Mängel: im Innern des Krokodils ist es etwas feucht, und alles ist von Schleim überzogen; auch riecht es etwas nach Gummi, ganz wie meine vorjährigen Überschuhe. Aber das ist auch alles; weiter sind keine Übelstände vorhanden.«

»Iwan Matwejewitsch,« unterbrach ich ihn, »all das klingt so wunderbar, daß ich es kaum glauben kann. Beabsichtigst du denn wirklich, dein ganzes Leben lang nicht mehr zu Mittag zu essen?«

»Ach, um was für Torheiten machst du dir Sorge, du niedrigdenkender Hohlkopf! Ich rede mit dir von großen Ideen, und du … So wisse denn, daß ich schon allein durch die großen Ideen gesättigt werde, die die mich umgebende Nacht erhellen. Übrigens hat der sehr gutherzige Besitzer des Untiers nach Beratung mit seiner sehr gutherzigen Frau schon vorhin beschlossen, jeden Morgen in den Rachen des Krokodils ein pfeifenartig gebogenes Metallröhrchen hineinzuschieben, durch das ich dann Kaffee oder Bouillon mit aufgeweichter Semmel einsaugen kann. Das Röhrchen ist bereits in der Nachbarschaft bestellt; aber meiner Ansicht nach ist das ein überflüssiger Luxus. Ich hoffe, mindestens tausend Jahre zu leben, wenn es richtig ist, daß das Leben der Krokodile so lange dauert; gut, daß ich daran denke: sieh doch gleich morgen in einer Naturgeschichte nach, und teile mir mit, was über diesen Punkt darin steht; denn ich könnte mich irren und das Krokodil mit irgendeinem anderen Mineral verwechseln. Nur ein Gedanke macht mir einigermaßen Sorge: da ich einen Tuchanzug am Leibe und Stiefel an den Füßen habe, so kann mich das Krokodil offenbar nicht verdauen. Überdies bin ich am Leben und widersetze mich daher dem Verdautwerden mit meiner ganzen Willenskraft; denn es ist begreiflich, daß ich nicht in das verwandelt werden möchte, worin jede Nahrung verwandelt wird, da dies doch für mich gar zu erniedrigend sein würde. Aber ich fürchte eines: in dem Zeitraum von tausend Jahren wird das Tuch meines Rockes, leider russisches Fabrikat, vielleicht vermodern, und wenn ich dann unbekleidet bin, werde ich möglicherweise trotz all meiner Entrüstung anfangen verdaut zu werden, und obgleich ich dies bei Tage um keinen Preis erlauben und zulassen werde, so wird mich doch bei Nacht, im Schlafe, wo der Wille den Menschen verläßt, das erniedrigende Schicksal einer Kartoffel, eines Pfannkuchens oder eines Kalbskoteletts treffen können. Diese Vorstellung versetzt mich in Raserei. Schon aus diesem einen Grunde müßte man den Zolltarif ändern und den Import englischer Tuche begünstigen, die stärker sind und daher der Natur länger widerstehen werden, falls jemand in ein Krokodil hineingerät. Bei der ersten Gelegenheit werde ich meinen Gedanken irgendeinem Staatsmann und gleichzeitig auch den Redakteuren unserer politischen Petersburger Zeitungen mitteilen. Sie sollen davon ein tüchtiges Geschrei machen! Ich hoffe, daß das nicht der einzige Gedanke sein wird, den sie nun von mir entlehnen werden. Ich sehe vorher, daß jeden Morgen ein ganzer Haufe dieser Leute, mit großen Notizbüchern ausgerüstet, sich um mich drängen wird, um meine Gedanken über die gestrigen Telegramme zu erhaschen. Kurz, ich sehe die Zukunft im rosigsten Lichte.«

»Hitziges Fieber, hitziges Fieber!« flüsterte ich vor mich hin.

»Und die Freiheit, lieber Freund?« sagte ich mit dem Wunsche, seine Ansicht vollständig kennen zu lernen. »Du befindest dich ja sozusagen in einem Gefängnisse, während doch der Mensch sich der Freiheit erfreuen soll.«

»Du bist dumm,« antwortete er. »Die Wilden lieben die Unabhängigkeit; die Weisen lieben die Ordnung; es gibt aber keine Ordnung ohne …«

»Iwan Matwejewitsch, bitte, mäßige dich!«

»Schweig und höre!« kreischte er, ärgerlich darüber, daß ich ihn unterbrochen hatte. »Noch niemals hat sich mein Geist so hoch hinaufgeschwungen wie jetzt. In meiner engen Behausung fürchte ich nur eines: die literarische Kritik der dicken Monatsschriften und den Spott unserer Witzblätter. Ich fürchte, daß leichtsinnige Besucher, Dummköpfe und Neider und überhaupt die Nihilisten suchen werden, mich lächerlich zu machen. Aber ich werde dagegen meine Maßregeln treffen. Mit Ungeduld erwarte ich die morgigen Äußerungen des Publikums und besonders die Meinungen der Tagespresse. Mach mir gleich morgen Mitteilung von dem, was die Zeitungen sagen!«

»Gut; ich werde gleich morgen einen ganzen Pack Zeitungen herbringen.«

»Morgen ist es doch wohl noch zu früh, als daß man Äußerungen in den Zeitungen erwarten könnte; dergleichen wird immer erst nach vier Tagen gedruckt. Aber komm von nun an jeden Abend durch die Hintertür vom Hofe aus her! Ich beabsichtige, dich als meinen Sekretär zu gebrauchen. Du sollst mir die Zeitungen und Journale vorlesen, und ich werde dir meine Gedanken diktieren und dir meine Aufträge geben. Besonders vergiß nicht die Telegramme! Sorge dafür, daß täglich alle europäischen Telegramme hier sind! Aber nun genug; wahrscheinlich möchtest du dich jetzt schlafen legen. Geh nach Hause und mach dir keine Gedanken über das, was ich soeben von der Kritik gesagt habe: ich fürchte sie nicht; denn sie befindet sich selbst in einer kritischen Lage. Man braucht nur weise und tugendhaft zu sein, dann steht man auch mit Sicherheit alsbald weithin sichtbar da, wie auf einem hohen Piedestal. Wenn kein Sokrates, so doch ein Diogenes, oder auch beides zugleich: das wird meine zukünftige Rolle in der Entwickelungsgeschichte der Menschheit sein.«

Mit solcher Leichtfertigkeit und Aufdringlichkeit (allerdings fieberte er ja!) beeilte sich Iwan Matwejewitsch mir seine Ansichten darzulegen, nach Art jener charakterschwachen alten Weiber, von denen man zu sagen pflegt, daß sie absolut nicht dicht halten können. Und auch alles, was er mir über das Krokodil mitgeteilt hatte, schien mir sehr verdächtig. Wie sollte es denn möglich sein, daß das Krokodil ganz leer war? Ich möchte darauf wetten, daß er damit nur aus Eitelkeit prahlte und zum Teil auch, um mich zu ärgern. Allerdings war er krank, und einen Kranken soll man respektieren; aber ich gestehe offen, daß ich Iwan Matwejewitsch nie habe leiden können. Mein ganzes Leben lang, schon von meiner Kindheit an, wünschte ich mich von seiner Bevormundung frei zu machen, ohne daß ich doch diesen Wunsch hätte ausführen können. Tausendmal stand ich auf dem Sprunge, mich ganz von ihm loszusagen, und jedesmal zog es mich doch wieder zu ihm hin, wie wenn ich immer noch hoffte, ihm die Zähne zeigen und mich an ihm rächen zu können. Ein sonderbares Ding, diese Freundschaft! Ich kann positiv sagen, daß der Grund meines freundschaftlichen Verhaltens gegen ihn zu neun Zehnteln Ingrimm war. Diesmal schieden wir jedoch voneinander in gefühlvoller Weise.

»Ihr Freund ist ein sehr kluger Mensch!« bemerkte halblaut zu mir der Deutsche, der sich anschickte, mich hinauszubegleiten; er hatte die ganze Zeit über unser Gespräch aufmerksam mit angehört.

»Apropos,« sagte ich, »um es nicht zu vergessen: wieviel würden Sie wohl für Ihr Krokodil verlangen, falls man daran dächte, es Ihnen abzukaufen?«

Iwan Matwejewitsch, der meine Frage gehört hatte, wartete gespannt auf die Antwort. Offenbar wünschte er nicht, daß der Deutsche einen geringen Preis fordere; wenigstens räusperte er sich bei meiner Frage auf eine ganz besondere Art.

Zuerst wollte der Deutsche überhaupt nichts davon hören; er wurde sogar ärgerlich.

»Niemand soll sich erdreisten, mir mein Krokodil abkaufen zu wollen!« schrie er zornig und wurde dabei rot wie ein gekochter Krebs. »Ich will das Krokodil nicht verkaufen. Ich gebe es nicht für eine Million Taler her. Ich habe heute hundertunddreißig Taler vom Publikum eingenommen, und morgen werde ich zehntausend Taler einnehmen, und dann täglich hunderttausend Taler. Ich will es nicht verkaufen.«

Iwan Matwejewitsch kicherte sogar vor Vergnügen.

Meinen Ärger unterdrückend (denn ich erfüllte die Pflicht eines wahren Freundes), wies ich den verrückten Deutschen kaltblütig mit Gründen des Verstandes darauf hin, daß seine Berechnungen nicht ganz richtig seien; wenn er täglich hunderttausend Taler einnehme, so werde nach vier Tagen ganz Petersburg bei ihm gewesen sein, und dann werde niemand mehr da sein, von dem er Geld einnehmen könne. Leben und Tod ständen in Gottes Hand; das Krokodil könne doch noch platzen, oder Iwan Matwejewitsch könne krank werden und sterben usw. usw. Der Deutsche wurde nachdenklich.

»Ich werde Ihrem Freunde Tropfen aus der Apotheke geben,« sagte er nach einiger Überlegung; »dann wird er nicht sterben.«

»Auf Tropfen ist auch kein Verlaß,« erwiderte ich. »Ziehen Sie aber auch das in Betracht, daß sich daraus ein Prozeß entwickeln kann! Iwan Matwejewitschs Gattin kann ihren Ehemann zurückverlangen. Sie möchten gern reich werden; aber beabsichtigen Sie auch, dieser Frau eine jährliche Pension zu zahlen?«

»Nein, das beabsichtige ich nicht!« antwortete der Deutsche in festem, entschiedenem Tone.

»Nein, das beabsichtigen wir nicht!« bestätigte seine Frau ordentlich ergrimmt.

»Wäre es also für Sie nicht besser, jetzt mit einem Mal eine zwar mäßige, aber dafür sichere, bestimmte Summe zu nehmen als sich aufs Ungewisse einzulassen? Ich halte es für meine Pflicht hinzuzufügen, daß ich Sie nur aus müßiger Neugier frage.«

Der Deutsche nahm seine Frau bei der Hand und entfernte sich mit ihr zum Zwecke der Beratung nach derjenigen Ecke, wo der Käfig mit dem größten und häßlichsten Affen der ganzen Kollektion stand.

»Nun, du wirst ja sehen!« sagte Iwan Matwejewitsch zu mir.

Was mich anlangt, so wünschte ich in diesem Augenblicke brennend, erstens den Deutschen gehörig durchzuprügeln, zweitens noch brennender, seine Frau durchzuprügeln, und drittens am allerbrennendsten, Iwan Matwejewitsch für seine grenzenlose Eigenliebe ganz besonders gründlich durchzuprügeln. Aber was wollte alles Bisherige besagen im Vergleich mit der Antwort des habgierigen Deutschen!

Nachdem er sich mit seiner Frau beraten hatte, forderte er für sein Krokodil fünfzigtausend Rubel in Staatsschuldscheinen der letzten inländischen Prämienanleihe, ein steinernes Haus in der Gorochowaja-Straße, mit einer eigenen Apotheke, und außerdem noch den Rang eines russischen Obersten.

»Siehst du wohl?« rief Iwan Matwejewitsch triumphierend. »Ich habe es dir ja gesagt! Abgesehen von der letzten, sinnlosen Forderung, der Beförderung zum Obersten, hat der Mann vollkommen recht; denn er hat ein völliges Verständnis für den jetzigen Wert des von ihm gezeigten Ungeheuers. Die nationalökonomischen Maximen gehen über alles!«

»Aber ich bitte Sie!« rief ich ärgerlich dem Deutschen zu. »Wofür wollen Sie denn zum Obersten ernannt werden? Sie haben doch keine Heldentat ausgeführt, sich keinen Kriegsruhm erworben und überhaupt nicht gedient! Muß man Sie da nicht für verrückt halten?«

»Verrückt!« rief der Deutsche gekränkt. »Nein, ich bin ein sehr kluger Mensch; aber Sie sind sehr dumm! Ich verdiene den Rang eines Obersten, weil ich ein Krokodil zeige, in dem ein lebendiger Hofrat drinsitzt, und so ein Krokodil kann kein Russe zeigen! Ich bin ein außerordentlich kluger Mensch und will unter allen Umständen Oberst werden!«

»Also leb wohl, Iwan Matwejewitsch!« rief ich, zitternd vor Wut, und verließ, beinah laufend, das Krokodilzimmer.

Wäre ich noch eine Minute länger geblieben, so hätte ich (das fühlte ich) irgend etwas Unverantwortliches getan. Ich konnte es nicht länger ertragen, die sinnlosen Hoffnungen dieser beiden Narren mit anzuhören. Die kalte Luft erfrischte mich und milderte einigermaßen meine Empörung. Endlich spuckte ich energisch fünfzehnmal nach beiden Seiten aus, nahm eine Droschke, fuhr nach Hause, zog mich aus und warf mich aufs Bett. Am meisten ärgerte ich mich darüber, daß ich mich hatte zu seinem Sekretär machen lassen. Nun konnte ich da in Erfüllung der Pflicht eines wahren Freundes mich jeden Abend zu Tode langweilen! Ich hatte die größte Lust, mich dafür durchzuprügeln, und als ich bereits das Licht ausgelöscht und mich mit der Bettdecke zugedeckt hatte, versetzte ich mir wirklich mehrere Faustschläge gegen den Kopf und andere Körperteile. Dies brachte mir einige Erleichterung, und ich versank endlich in einen sogar recht festen Schlaf, weil ich sehr müde war. Die ganze Nacht über träumte mir nur von Affen; aber kurz vor Tagesanbruch träumte mir von Jelena Iwanowna …

Viertes Kapitel

Von Affen hatte mir, wie ich vermute, deswegen geträumt, weil ich solche bei dem Krokodilmanne in Käfigen gesehen hatte; daß ich aber von Jelena Iwanowna träumte, das stand auf einem besonderen Blatte.

Ich will gleich von vornherein sagen: ich liebte diese Dame; aber ich beeile mich, beeile mich mit der größten Beschleunigung, zur Erklärung hinzuzufügen: ich liebte sie wie ein Vater, nicht mehr und nicht weniger. Ich schließe das daraus, daß ich oftmals ein unwiderstehliches Verlangen verspürte, sie auf das Köpfchen oder das rote Bäckchen zu küssen. Und obwohl ich dies nie zur Ausführung brachte, so hätte ich doch, wie ich bekenne, mich nicht einmal geweigert, sie auf die Lippen zu küssen. Und nicht bloß auf die Lippen, sondern auch auf die Zähnchen, die immer, sobald sie lachte, so reizend zum Vorschein kamen, wie eine Reihe schöner, auserlesener Perlen. Und sie lachte erstaunlich oft. Iwan Matwejewitsch pflegte sie in Augenblicken der Zärtlichkeit sein allerliebstes Närrchen zu nennen, eine im höchsten Grade zutreffende, charakteristische Bezeichnung. Sie war ein Dämchen wie von Marzipan; Punktum. Darum war es mir Völlig unbegreiflich, wie dieser selbe Iwan Matwejewitsch jetzt auf den Einfall kam, in seiner Gattin unsere russische Eugénie Tour zu finden. Jedenfalls brachte mein Traum, wenn ich die Affen dabei nicht berücksichtige, auf mich den angenehmsten Eindruck hervor, und als ich mir bei meinem morgendlichen Täßchen Tee alle Ereignisse des gestrigen Tages noch einmal durch den Kopf gehen ließ, beschloß ich, sofort auf dem Wege zu meinem Dienstlokal zu Jelena Iwanowna heranzugehen, wozu ich übrigens als Hausfreund verpflichtet war.

In einem kleinen, vor dem Schlafzimmer gelegenen Zimmerchen, das bei ihnen der »kleine Salon« genannt wurde, obwohl ihr »großer Salon« gleichfalls nur klein war, saß auf einem kleinen, eleganten Sofa an einem kleinen Teetischchen in einem lustigen halboffenen Morgenrock Jelena Iwanowna und trank ihren Kaffee aus einem kleinen Täßchen, in das sie einen winzigen Zwieback eintauchte. Sie war berückend schön, schien mir aber etwas nachdenklich zu sein.

»Ach, Sie sind es, Sie böser Mensch!« begrüßte sie mich mit einem zerstreuten Lächeln. »Setzen Sie sich, Sie Ungetreuer, und trinken Sie mit mir Kaffee. Nun, was haben Sie gestern angefangen? Sind Sie auf dem Maskenball gewesen?«

»Sind Sie vielleicht dort gewesen? … Ich gehe zu dergleichen Vergnügungen nicht … zudem habe ich gestern unsern Gefangenen besucht …«

Ich seufzte und machte, während ich die Tasse Kaffee in Empfang nahm, eine fromme Miene.

»Wen? … Was für einen Gefangenen? … Ach ja! … Der Ärmste! Nun, was macht er? Langweilt er sich? Aber wissen Sie … ich wollte Sie fragen … kann ich jetzt die Scheidung verlangen?«

»Die Scheidung!« rief ich entrüstet und hätte beinah den Kaffee überfließen lassen. »Dahinter steckt der Brünette!« dachte ich im stillen mit Ingrimm.

Es existierte nämlich ein brünetter Herr, mit einem Schnurrbärtchen, der in der Abteilung für Bauwesen angestellt war, schon sehr viel bei dem Ehepaar verkehrte und es vortrefflich verstand, Jelena Iwanowna zum Lachen zu bringen. Ich muß gestehen, ich haßte diesen Menschen und zweifelte nicht im geringsten daran, daß er gestern mit Jelena Iwanowna zusammengewesen war, entweder auf dem Maskenballe oder vielleicht auch hier, und ihr allen möglichen Unsinn vorgeredet hatte!

»Aber wie soll denn das werden?« sagte Jelena Iwanowna auf einmal hastig, und es klang, als ob es ihr jemand eingelernt hätte. »Wie soll das werden? Er sitzt da in dem Krokodil und wird vielleicht im Leben nicht wiederkommen, und ich soll hier auf ihn warten! Ein Ehemann muß im Hause wohnen; aber in einem Krokodil …«

»Aber das ist doch nur ein unvorhergesehener Zufall …« begann ich in sehr begreiflicher Erregung.

»Ach nein, sagen Sie nichts; ich will nichts hören!« schrie sie; sie war plötzlich ganz zornig geworden. »Sie sind immer mein Gegner, Sie häßlicher Mensch! Mit Ihnen ist nichts anzufangen; Sie können einem nie einen Rat geben! Mir sagen schon fremde Menschen, es werde mir die Scheidung bewilligt werden, weil Iwan Matwejewitsch jetzt doch kein Gehalt mehr bekommen wird.«

»Jelena Iwanowna! Sind Sie es wirklich, die ich so reden höre?« rief ich pathetisch. »Welcher schändliche Mensch hat Ihnen so etwas einflüstern können? Eine Scheidung aus einem so nichtigen Grunde, wie der Wegfall des Gehalts, ist ja ein Ding der Unmöglichkeit. Und der arme, arme Iwan Matwejewitsch glüht ordentlich vor Liebe zu Ihnen, selbst in den Eingeweiden jenes Ungeheuers. Noch mehr: er schmilzt vor Liebe dahin wie ein Stückchen Zucker. Noch gestern abend, während Sie sich auf dem Maskenball amüsierten, erwähnte er, nötigenfalls werde er sich vielleicht dazu entschließen, Sie als seine angetraute Gattin zu sich in das Innere des Tieres zu rufen, um so mehr, da das Krokodil sehr geräumig sei und nicht nur für zwei, sondern sogar für drei Personen Platz biete …«

Und nun erzählte ich ihr ungesäumt diesen ganzen interessanten Teil meines gestrigen Gespräches mit Iwan Matwejewitsch.

»Wie? Wie?« rief sie erstaunt. »Auch ich soll da zu Iwan Matwejewitsch hineinkriechen? Ist das eine Idee! Und wie soll ich denn überhaupt hineinkriechen, mit Hut und Krinoline? Mein Gott, was für eine Dummheit! Und was für eine Figur werde ich dabei machen, wenn ich da hineinkrieche und womöglich jemand dabei zusieht … Das ist ja lächerlich! Und was soll ich denn da essen? … Und … und wie soll ich mich da verhalten, wenn … Ach, mein Gott, was die beiden Menschen für Einfälle gehabt haben! … Und was gibt es denn da für Amüsements? … Sie sagen, es riecht da nach Gummi? Und wie soll ich mich verhalten, wenn ich mich da mit ihm zanke; soll ich dann doch neben ihm liegen bleiben? Pfui, wie abstoßend das alles ist!«

»Einverstanden, liebste Jelena Iwanowna; mit allen diesen Gründen bin ich vollkommen einverstanden,« unterbrach ich sie, indem ich mich bemühte, mit jenem erklärlichen Eifer zu sprechen, der den Menschen immer erfaßt, wenn er fühlt, daß die Wahrheit auf seiner Seite ist; »nur einen Umstand haben Sie bei diesen ganzen Erwägungen nicht gewürdigt, nämlich daß er ohne Sie nicht leben kann, da er Sie ja dorthin ruft. Also hier liegt Liebe vor, leidenschaftliche, treue, sehnsuchtsvolle Liebe … Sie haben die Liebe nicht voll gewürdigt, liebe Jelena Iwanowna, die Liebe!«

»Ich will es nicht, ich will es nicht, und ich will auch nichts mehr davon hören!« rief sie und machte eine abwehrende Bewegung mit ihrem kleinen, hübschen Händchen, an dem die soeben gewaschenen und gebürsteten Nägelchen rosig schimmerten. »Sie garstiger Mensch! Sie werden mich noch zum Weinen bringen. Kriechen Sie doch selbst hinein, wenn Ihnen das Vergnügen macht! Sie sind ja sein Freund; nun, da legen Sie sich aus Freundschaft neben ihn, und disputieren Sie mit ihm das ganze Leben lang über irgendwelche langweiligen wissenschaftlichen Fragen! …«

»Sie ziehen diesen Vorschlag ganz ohne Grund ins Lächerliche,« unterbrach ich mit würdigem Ernste das leichtsinnige Frauchen. »Iwan Matwejewitsch hat mich bereits aus eigener Initiative eingeladen, zu ihm dorthin zu kommen. Allerdings, Sie zieht Ihre Pflicht als Gattin dorthin, mich nur Edelmut des Herzens; aber als Iwan Matwejewitsch mir gestern von der außerordentlichen Dehnbarkeit des Krokodils erzählte, deutete er in sehr verständlicher Weise an, daß nicht nur für Sie beide, sondern sogar auch für mich als Hausfreund mit Ihnen zusammen dort Platz sei, zu dreien, wenn ich dazu Lust hätte, und deshalb …«

»Wie? Zu dreien?« rief Jelena Iwanowna, mich verwundert anblickend. »Wie werden wir denn da … Also alle drei werden wir da zusammen sein? Ha-ha-ha! Was seid Ihr beide doch für Dummköpfe! Ha-ha-ha! Ich werde Sie sicher dort die ganze Zeit über kneifen, Sie Taugenichts, ha-ha-ha! Ha-ha-ha!«

Sie warf sich gegen die Sofalehne zurück und lachte, bis ihr die Tränen kamen. Alles dies, die Tränen und das Lachen, war so bezaubernd, daß ich mich nicht mehr halten konnte und entzückt nach ihrem Händchen griff, um es zu küssen, was sie mir nicht verwehrte, obwohl sie mich zum Zeichen der Versöhnung leicht an den Ohren zog.

Darauf wurden wir beide ganz vergnügt, und ich erzählte ihr eingehend all die Pläne, die Iwan Matwejewitsch mir gestern entwickelt hatte. Die Idee von den Empfangsabenden und dem allabendlich offenen Salon gefiel ihr sehr.

»Nur werde ich sehr viele neue Toiletten brauchen,« bemerkte sie, »und daher ist es erforderlich, daß Iwan Matwejewitsch mir möglichst bald und möglichst viel Geld schickt … Aber … aber wie wird das aussehen,« fügte sie, bedenklich werdend, hinzu, »wie wird das aussehen, wenn er in dem Kasten zu mir hergetragen wird? Das wäre sehr lächerlich. Ich will nicht, daß man meinen Mann im Kasten herträgt. Da müßte ich mich zu sehr vor meinen Gästen schämen … Das will ich nicht; nein, das will ich nicht …«

»Apropos, um es nicht zu vergessen: war Timofei Semjonowitsch gestern abend bei Ihnen?«

»Ach ja, er war hier; er kam, um mich zu trösten, und denken Sie sich, wir haben die ganze Zeit zusammen ›Eigene Trümpfe‹ gespielt. Er setzte Konfekt ein; und wenn ich verlor, so küßte er mir die Hand. So ein Taugenichts, und denken Sie sich, es fehlte nicht viel, so wäre er mit mir auf den Maskenball gefahren! Wahrhaftig!«

»Die Wirkung des Enthusiasmus!« bemerkte ich; »und wer sollte auch von Ihnen nicht enthusiasmiert sein, Sie Zauberin!«

»Ach, nun kommen Sie mit Ihren Komplimenten! Warten Sie, ich werde Sie für unterwegs einmal kneifen. Ich habe das jetzt vorzüglich gelernt, einen zu kneifen. Nun? Wie gefällt Ihnen das? Ja, apropos, Sie sagen, Iwan Matwejewitsch habe gestern sehr viel von mir gesprochen?«

»N–n–nein, sehr viel, das kann ich eigentlich nicht sagen … Ich muß Ihnen gestehen, er denkt jetzt mehr an das Schicksal der ganzen Menschheit und will …«

»Na, mag er! Reden Sie nicht weiter davon! Gewiß langweilt er sich da schrecklich. Ich werde ihn auch einmal besuchen. Morgen will ich bestimmt hinfahren. Nur heute nicht: ich habe Kopfschmerzen, und außerdem wird dort so viel Publikum sein … Die Leute werden sagen: ›Das ist seine Frau,‹ und da geniere ich mich … Leben Sie wohl! Am Abend sind Sie wohl dort?«

»Gewiß, gewiß, ich werde bei ihm sein. Er hat gewünscht, daß ich hinkomme und ihm die Zeitungen mitbringe.«

»Nun, das ist ja schön! Gehen Sie zu ihm, und lesen Sie ihm vor! Zu mir aber kommen Sie, bitte, heute nicht mehr heran! Ich bin nicht wohl, und vielleicht mache ich auch einen Besuch. Nun, leben Sie wohl, Sie böser Mensch!«

»Der Brünette wird heute abend bei ihr sein,« dachte ich im stillen.

Auf dem Bureau ließ ich mir natürlich nicht merken, was ich für Mühe und Sorge hatte. Aber bald fiel es mir auf, daß einige fortschrittliche Zeitungen an diesem Morgen merkwürdig schnell bei meinen Kollegen von Hand zu Hand gingen und mit außerordentlich ernsten Mienen gelesen wurden. Die erste, die in meine Hände kam, war der Listok, eine kleine Zeitung ohne jede besondere Richtung, sondern nur von allgemein humanem Charakter, weswegen sie bei uns stark verachtet, aber allerdings trotzdem gelesen wurde. Nicht ohne Erstaunen las ich darin folgendes:

»Gestern verbreiteten sich in unserer ausgedehnten, mit prächtigen Gebäuden geschmückten Residenz sehr merkwürdige Gerüchte. Ein gewisser Herr N., ein bekannter Gourmand aus der höheren Gesellschaft, dem wahrscheinlich die Küche bei Borel und im ***schen Klub langweilig geworden war, ging in die Passage, in einen Ausstellungsraum, wo ein gewaltiges, soeben erst nach der Residenz gebrachtes Krokodil gezeigt wird, und forderte, es solle ihm zum Mittagessen angerichtet werden. Nachdem er mit dem Besitzer gehandelt hatte, machte er sich sogleich an die Verzehrung desselben (d. h. nicht des Besitzers, eines sehr friedlichen, ordnungsliebenden Deutschen, sondern seines Krokodils), indem er von dem noch lebenden Tiere saftige Stücke mit einem Federmesser abschnitt und mit außerordentlicher Geschwindigkeit verschlang. Allmählich verschwand das ganze Krokodil in seinem feisten Wanste, und er schickte sich nunmehr an, auch den Ichneumon, den beständigen Begleiter des Krokodils, zu verzehren, wahrscheinlich in der Annahme, daß auch dieser ebenso wohlschmeckend sein werde. Wir haben durchaus nichts gegen dieses neue Gericht einzuwenden, das den ausländischen Feinschmeckern schon längst bekannt ist. Wir haben sogar vorausgesagt, daß man auch bei uns einen Versuch damit machen werde. Die englischen Lords, die nach Ägypten reisen, vereinigen sich dort zu ganzen Jagdgesellschaften, um Krokodile zu erbeuten, und genießen den Rücken des Ungeheuers wie Beefsteak, mit Senf, Zwiebeln und Kartoffeln. Die Franzosen, die mit Lesseps ins Land gekommen sind, ziehen die in heißer Asche gebackenen Pfoten vor, was sie übrigens den Engländern zum Trotz tun, die sich über sie lustig machen. Wahrscheinlich wird man bei uns sowohl den einen wie den andern Körperteil zu schätzen wissen. Unsererseits freuen wir uns über diesen neuen Zweig der gewerblichen Tätigkeit, an der es in unserm starken, vielgestaltigen Vaterlande noch so sehr mangelt. Nach diesem ersten Krokodil, das im Magen eines Petersburger Gourmands verschwunden ist, wird es wahrscheinlich nicht ein Jahr dauern, bis man sie bei uns zu Hunderten importiert. Und warum sollte man die Krokodile nicht bei uns in Rußland akklimatisieren? Wenn das Newawasser für diese interessanten Ausländer zu kalt ist, so gibt es ja in der Residenz Teiche und in der Umgegend Flüsse und Seen. Warum sollte man z. B. nicht Krokodile in Pargolowo halten oder in Pawlowsk, oder in Moskau in den Prjäsnenskije-Teichen und in der Samoteka? Sie würden einerseits unseren raffinierten Gourmands eine angenehme, gesunde Nahrung bieten und könnten andrerseits gleichzeitig die an diesen Teichen promenierenden Damen amüsieren und die Kinder durch ihre Erscheinung in der Naturgeschichte unterrichten. Aus der Haut des Krokodils könnten Futterale, Koffer, Zigarettenetuis und Brieftaschen hergestellt werden, und vielleicht würde mancher russische Tausender in fettigen Kreditscheinen, wie sie bei den Kaufleuten besonders beliebt sind, in Krokodilhaut aufbewahrt werden. Wir hoffen noch mehrmals auf diesen interessanten Gegenstand zurückzukommen.«

Ich hatte zwar etwas Derartiges geahnt; aber doch befremdete mich dieser übereilte Bericht. Da ich niemand zur Hand hatte, dem ich meine Empfindungen hätte mitteilen können, so wendete ich mich an den mir gegenüber sitzenden Prochor Sawitsch und nahm wahr, daß dieser schon lange die Augen auf mich gerichtet hielt und den Golos in der Hand hatte, wie wenn er bereit wäre, ihn mir hinzureichen. Schweigend nahm er von mir den Listok in Empfang und gab mir den Golos, nachdem er in diesem durch einen kräftigen Strich mit dem Nagel einen Artikel bezeichnet hatte, auf den er wahrscheinlich meine Aufmerksamkeit lenken wollte. Dieser Prochor Sawitsch war ein sehr sonderbarer Mensch: ein wortkarger alter Junggeselle, war er mit keinem von uns in irgendwelche Beziehungen getreten, redete auf dem Bureau fast mit niemand, hatte stets und über alles seine besondere Meinung, liebte es aber nicht, sie jemandem mitzuteilen. Er lebte ganz für sich allein. In seiner Wohnung war kaum je einer von uns gewesen.

Folgendes las ich an der bezeichneten Stelle des Golos:

»Es ist allgemein bekannt, daß wir Russen fortschrittsfreundlich und human sind und darin hinter dem westlichen Europa nicht zurückbleiben wollen. Aber trotz all unserer Bemühungen und trotz der Anstrengungen unserer Zeitung sind wir noch lange nicht ›reif geworden‹, wie das ein empörendes Vorkommnis bezeugt, das sich gestern in der Passage zugetragen hat, und das wir schon vorausgesagt hatten. Es trifft in der Hauptstadt ein Ausländer ein und bringt ein ihm gehöriges Krokodil mit, das er in der Passage dem Publikum zu zeigen beginnt. Wir eilten sogleich hin, um diesen neuen Zweig nützlicher gewerblicher Tätigkeit, an der es unserm starken, vielgestaltigen Vaterlande überhaupt noch mangelt, freudig zu begrüßen. Da erscheint plötzlich gestern nachmittag um halb fünf Uhr in dem Ausstellungslokal des Ausländers ein ungewöhnlich dicker Herr in angetrunkenem Zustande, bezahlt das Eintrittsgeld und kriecht sogleich ohne irgendwelche vorgängige Bemerkung in den Rachen des Krokodils, das sich natürlich genötigt sieht, ihn hinunterzuschlucken, schon aus dem Triebe der Selbsterhaltung, um nicht zu ersticken. Nachdem der Unbekannte in das Innere des Krokodils hineingelangt ist, schläft er sofort ein. Weder das Geschrei des ausländischen Eigentümers, noch das Wehklagen der Familie desselben, noch Drohungen, sich an die Polizei zu wenden, machen auf ihn irgendwelchen Eindruck. Aus dem Innern des Krokodils ist nur Lachen zu vernehmen, sowie das Angebot, einen Belästiger durchpeitschen zu lassen sic); das arme Säugetier aber, das eine solche Masse hat verschlingen müssen, vergießt vergebens Tränen. Ein ungebetener Gast ist schlimmer als ein Tatar; aber diesem Sprichwort zum Trotz will der dreiste Eindringling nicht hinausgehen. Wir wissen nicht, wie eine solche barbarische Handlungsweise zu erklären ist, die von unserer Unreife zeugt und uns in den Augen des Auslandes diskreditiert. Die Schwunghaftigkeit des russischen Wesens hat da einen würdigen Beleg gefunden. Man fragt sich, was der ungebetene Besucher eigentlich wollte. Wollte er eine warme, komfortable Wohnung haben? Aber es gibt in der Residenz eine Menge schöner Häuser mit billigen, sehr komfortablen Wohnungen, mit Wasserleitung aus der Newa und mit Gasbeleuchtung auf der Treppe; ja, nicht selten halten die Hauswirte sogar einen Portier. Wir lenken die Aufmerksamkeit unserer Leser noch auf die höchst barbarische Behandlung von Haustieren; dem ausländischen Krokodil fällt es natürlich schwer, eine solche Masse zu verdauen, und nun liegt es, dick aufgeschwollen, da und erwartet unter unerträglichen Leiden den Tod. In Westeuropa wird schon lange ein jeder, welcher Haustiere unmenschlich behandelt, gerichtlich bestraft. Aber obwohl wir gar manche westeuropäische Einrichtung herübergenommen haben, die Gasbeleuchtung, die Trottoirs, die Art des Häuserbaues, so können wir uns noch immer nicht von unserer veralteten Art zu denken losmachen.

 

›Die Häuser zwar sind neu, die Art zu denken alt,‹ um mit dem Dichter zu reden. Aber nicht einmal die Häuser sind neu, wenigstens nicht die Treppen. Wir haben schon mehrmals in unserer Zeitung darauf hingewiesen, daß auf der Petersburger Seite Ein Stadtteil, ebenso wie gleich darauf die Wyborger Seite. – Anmerkung des Übersetzers. im Hause des Kaufmanns Lukjanow die unteren Stufen der hölzernen Treppe verfault sind und sich gesenkt haben, so daß sie schon lange eine Gefahr für die bei ihm im Dienst stehende Soldatenfrau Asimja Skapidarowa bilden, die genötigt ist, oft die Treppe mit Wasser oder mit einer Tracht Holz hinaufzusteigen. Endlich hat unsere Voraussagung ihre Bestätigung gefunden: gestern abend um halb neun ist die Soldatenfrau Afimja Skapidarowa mit einer Suppenterrine hingefallen und hat sich das Bein gebrochen. Wir wissen nicht, ob Herr Lukjanow jetzt seine Treppe reparieren lassen wird; der Russe wird immer erst durch Schaden klug; aber das Opfer dieser üblen Eigenschaft ist wohl bereits ins Krankenhaus gebracht worden. Ebenso werden wir nicht müde zu wiederholen, daß die Hausknechte, die auf der Wyborger Seite den Schmutz vom Trottoir fegen, die Beine der Passanten nicht beschmutzen dürfen; auch sollen sie den Schmutz in Haufen zusammenfegen, wie das in Westeuropa geschieht,« usw. usw.

 

»Was soll das heißen?« sagte ich, indem ich Prochor Sawitsch einigermaßen erstaunt anblickte; »was soll das heißen?«

»Was meinen Sie denn?«

»Aber ich bitte Sie! Statt Iwan Matwejewitsch zu bemitleiden, bemitleiden sie das Krokodil!«

»Nun, was ist dabei? Da haben sie nun sogar eine Bestie, ein ›Säugetier‹, bemitleidet; also worin stehen wir noch hinter Westeuropa zurück? Dort hat man ebenfalls viel Mitleid mit den Krokodilen. Hi-hi-hi!«

Nach diesen Worten versenkte sich der wunderliche Prochor Sawitsch in seine Akten und sagte keine Silbe weiter.

Den Golos und den Listok steckte ich in die Tasche und suchte mir außerdem zur Abendunterhaltung für Iwan Matwejewitsch so viele alte Nummern der Petersburger Nachrichten und des Golos zusammen, als ich nur finden konnte, und obgleich es bis zum Abend noch lange hin war, schlich ich mich diesmal doch etwas früher aus dem Bureau fort, um mich nach der Passage zu begeben und wenigstens von weitem zu sehen, was dort vorgehe, und die verschiedenen Meinungen und Urteile der Leute anzuhören. Ich sagte mir vorher, daß dort ein großes Gedränge sein werde, und verbarg nach Möglichkeit mein Gesicht im Mantelkragen, weil ich mich ein bißchen schämte; so wenig sind wir noch daran gewöhnt, uns in der Öffentlichkeit zu bewegen. Aber ich fühle, daß ich kein Recht habe, angesichts eines so merkwürdigen, eigenartigen Begebnisses meine eigenen prosaischen Empfindungen zum Ausdrucke zu bringen.


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