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Fünftes Kapitel.
Eine Soirée bei der Gräfin W.

Den dritten oder vierten Abend, nachdem ich das Album besehen, fand die Soirée statt, deren die Sängerin Erwähnung gethan. Carlotta hatte während dieser Zeit ein Piano bekommen, aber keine Stunde frei gehabt, um mir vorsingen zu können. Auch gesehen hatte ich sie nur ein Mal, an dem Abende, wo als zweite Vorstellung im neuhergestellten Theater der Oberon Oper von Karl Maria von Weber (1826). gegeben worden war. Da begegneten wir Mutter und Tochter auf der Treppe; Beide waren sehr unzufrieden mit der Vorstellung: Die Sängerinnen hauptsächlich hatten gar nichts getaugt. Carlotta war bis an die Fingerspitzen voll von der Eifersucht der Künstlerin, welche egoistischer und brennender ist, als jede andere. Was sie nicht sang, wurde – wenigstens nicht ganz so gesungen, wie es gesungen werden sollte. Ich errieth dies bald aus ihrem bedingten Loben und unbedingten Kritisiren ihrer sämmtlichen Kolleginnen, sowie aus der sichtlichen Zufriedenheit, mit welcher sie von uns mißfällige Aeußerungen über die eine oder die andere aufnahm. Die Mutter war darin wo möglich noch leidenschaftlicher. Sie beging nicht die Ungeschicklichkeit, die Tochter zu loben, dazu war sie zu sehr Frau von Welt; aber ihre schwarzen Augen wurden stechend und feindlich, wenn man, im Anfange aus Unbefangenheit und Ueberzeugung, später wol auch aus Neckerei, etwas Gutes oder gar etwas Enthusiastisches über eine andere Sängerin sagte. Ja, sie gönnte selbst den todten Sängerinnen ihren Ruhm im Grabe nicht, das bemerkte ich, als ich eines Tages davon sprach: wie man selbst mit der einfachsten Spezialität, wenn sie nur bis zur künstlerischen Vollendung entwickelt sei, sich einen europäischen Ruf erwerben könne, und als Beispiel davon die Milder Anna Milder-Hauptmann (1785-1838), österreichische Opern-, Konzert-, Lied- und Operettensängerin (Sopran). anführte, deren Vortrag der Uhland-Kreuzer'schen Lieder »Lieder und Romanzen von Uhland, Op. 60« (1824); Gedichte von Ludwig Uhland (1787-1862), vertont von Conradin Kreutzer (1780-1849). noch nach zwanzig Jahren nicht vergessen war.

»Damals verlangte man auch noch nicht so viel,« sagte die Generalin sehr spitzig.

»Man hatte doch die Catalani'schen Angelica Catalani (1780-1849), italienische Opernsängerin (Koloratursopran) von legendärem Ruf. gehört und ich glaube gar, auch schon die Sonntag,« wandte ich ein. Aber mit der Sonntag kam ich erst recht schlecht an. Die Sonntag hatte ein für alle Mal keine Stimme gehabt, deswegen hatte sie so schön mezza voce gesungen, mit diesem Bescheide wurde ich abgefertigt.

Es wurde mir nun allmälig begreiflich, warum sich bei einer so günstigen Einstimmigkeit der Kritik noch nie und nirgend ein festes Engagement für Carlotta gefunden, besonders wenn ich mir die unwillige Aeußerung der Generalin bei ihrem ersten Besuche zurückrief: die Kapellmeister verlangten ewig, daß die Sängerin mit ihnen kokettiren solle. Da ich das nicht gleich verstand, bat ich um Erklärung, und da kam es heraus, daß die Generalin mit dieser Bezeichnung die Forderung des Kapellmeisters meine, von der Sängerin angesehen zu werden, damit sie seiner Taktangabe folgen könne. »Warum wollen Sie denn das nicht?« frug ich damals Carlotta, und sie antwortete mir etwas kurz angebunden: »Weil ich's nicht nöthig habe; ich weiß das Tempo immer besser, als jeder Kapellmeister.« – »Aber wenn's ihm nun Vergnügen macht, von Ihnen angesehen zu werden,« sagte ich und dachte weiter nicht über den Umstand nach, jetzt indessen fiel er mir wieder ein und als bedeutungsvoll auf. Die Welt auf den Brettern hat so gut ihre Gesetze, wie die wirkliche draußen, und der Kapellmeister ist ohne Zweifel während einer Opernvorstellung die Personifikation der absoluten Macht, gegen welche kein Auflehnen erlaubt sein darf, soll das Ganze nicht in's Schwanken gerathen und den Sturz drohen. Wenn nun Carlotta sich dieser Autorität nicht unterordnen wollte, was sollte da ein unglücklicher Kapellmeister mit ihr anfangen, und wiederum, was sollte ein Theaterdirektor mit einer Sängerin anfangen, mit der sein Kapellmeister Nichts machen konnte? Nahm man dazu nun noch das heftige Wollen, die Erste, ja, vielleicht die Einzige zu sein, welches von der Parteilichkeit der Mutter unterstützt und gleichsam verdoppelt wurde, so konnte sich sehr gut die völlige Unverwendbarkeit Carlotta's selbst als Primadonna ergeben, denn wenn auch die Primadonna die Erste sein kann, die Einzige kann sie nicht sein, von Zeit zu Zeit muß sie das Manna, welches aus der Höhe der Logen auf die Bühne fällt und »Beifall des Publikums« oder vielmehr nach dem neuern Sprachgebrauch des »Auditoriums« heißt, mit ihren Kolleginnen und sogar mit ihren Kollegen theilen. Carlotta aber sah mir keineswegs danach aus, als ob sie gutwillig auch nur das kleinste Körnchen abgeben würde.

Diese meine Ansicht bildete sich noch bestimmter, als ich am nächsten Abend Carlotta endlich hörte. Ihre Stimme war, was man eine phänomenale nennen konnte, von einer flötenden Leichtigkeit in den höhern und höchsten, von einer leidenschaftlichen Kraft dumpfen, fast drohenden Grollens in den tiefen Tönen. Die Mittellage hatte, sonderbar genug, etwas völlig Unsympathisches: die Töne waren klar, aber auch kalt, wie Eistropfen. Trotz dieser schneidenden Verschiedenheit der Tonlagen war die Stimme, als Ganzes gehört, doch voll Harmonie. Das brachten die Uebergangstöne zuwege, die von einer merkwürdigen Sicherheit waren und von Carlotta mit einer Kühnheit behandelt wurden, welche Allen, die nur das Geringste von dem Wissenschaftlichen des Gesanges verstanden, ungemein imponiren mußte. Man empfand es, die Sängerin war unumschränkte Herrin über ihre Stimme, aber freilich war die Stimme eben so undisciplinirt, wie sie selbst.

Nicht daß es Carlotta an Studium gefehlt hätte. Man hörte, daß sie gelernt hatte, sogar bei verschiedenen Meistern. Das Mechanische war ihr geläufig. Sie trillerte mit einer Art Insolenz, so ruhig begnügte sie sich, den Mund aufzumachen und den Triller hoch oben wirbeln zu lassen, wie sie denn überhaupt das italienische Stehen hatte, sich weder schüttelte noch wiegte, den Kehlkopf nicht vorstreckte, die Augen nicht verdrehte, mit einem Worte, den Eindruck ihres Gesanges durch keine von den unerträglichen Manieren verdarb, welche die Sekte der musikalischen Quaker und Shaker bezeichnen. Und dennoch war dieser Gesang kein klassischer, schul- und regelrechter; Carlotta sang wie sie wollte, aber durchaus nicht, wie man soll, im Gegentheil fast immer gegen die Ueberlieferungen und oft sogar gegen die Logik. Für Jemand, der polizeimäßig musikalisch war, konnte ihre Stimme, diese große melodische Caprice, allmälig zu einer Nervenfolter werden. Der junge Pianist, welchem die Ehre zu Theil geworden war, sie zu begleiten, sah vor der gespannten Aufmerksamkeit, womit er ihren improvisirten Accelerando's und Rallentando's zu folgen strebte, förmlich fieberroth aus. Der anwesende Kapellmeister hörte mit einer Verwunderung zu, welche sich allmälig bis zur Bedenklichkeit steigerte. Als sie Casta diva Große Aria der Norma in der gleichnamigen Oper von Bellini. Siehe Anm. 40. beendigt hatte, wandte er sich zu mir und sagte: »Eine Stimme, wie nicht bald eine, aber fürs Theater – unpraktikabel.« – »Wer weiß«, sagte ich, gegen meine Ueberzeugung, um Carlotta nicht etwa zu schaden, »vielleicht singt sie nur im Salon so gänzlich individuell.« Der Kapellmeister schüttelte den Kopf. »Die ist nicht in Respekt zu halten. Ich habe ja schon von ihr gehört, wenn ich sie auch heute erst singen hörte. Man hat's ja überall versucht, in Berlin, in München, in Leipzig, selbst in Paris, nirgends ist's gegangen. Nein, sie muß sich begnügen, Konzertsängerin zu bleiben.«

»Aber sie will durchaus immer auf's Theater.«

»Ja, sie will, sie will – Andere wollen auch: genug, es geht nicht.«

»Haben Frau Baronin schon etwas erfahren?« fragte in diesem Augenblicke Brzetislav, der auch anwesend war, sich im Salon mit derselben phlegmatischen Eleganz bewegte, wie in der Bierstube, und sich hinter mich gesetzt hatte.

Ich wandte mich um, wollte mich entschuldigen, ihn vertrösten, da sah ich, daß er lächelte.

»Haben Sie etwa mehr erfahren, als ich?«

»Ja. Der geheimnißvolle Schwarze ist seit jenem Abend, wo Sie mit dem Fräulein im Roß waren, immer kurz vor oder kurz nach mir hingekommen, und vorgestern hat er meine Bekanntschaft gesucht.«

»Nun, und?« frug ich, doch einigermaßen gespannt. »In unserm Hôtel ist er seit jenem Abend nicht mehr erschienen.«

»Er hat gesehen, daß die Damen ihn vermeiden. wollen, darum ist er nicht mehr hingekommen. Dafür hat er mich aufgesucht und mich zu seinem Vertrauten gemacht.«

»Aber wer und was ist er denn? Seinem Aeußern nach würde ich ihn für einen Belgier halten.«

»Das ist er auch. Aus Brügge. Und heißt Norbert Dujardin.«

»Ein Verwandter von dem Antwerpener Dujardin Edouard Dujardin (1817-1889), belgischer Maler., dem Maler, der Conscience Hendrik Conscience (1812-1883), flämischer Erzähler und Mitbegründer der flämischen Literatur. illustrirt hat?«

»Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß er seit zwei Jahren Fräulein Charlotte von *** liebt und ihr überall hin folgt. Jetzt ist er in Wien krank gewesen, darum ist er etwas später als sie hier angelangt.«

»Und was will er denn von ihr?«

»Er will sie heirathen,« antwortete Brzetislav mit lobenswerther Kürze und Deutlichkeit.

»Sehr wohl, da soll er sie heirathen. Wer hindert ihn daran?«

»Sie will nicht,« war die zweite lakonische Antwort.

»Ja, was sollen Sie denn dabei thun?«

»Er bedarf eines Vertrauten. Der arme Mensch leidet wirklich sehr.«

Die Idee, gerade Brzetislav zum Vertrauten einer Liebesangelegenheit zu machen, kam mir ungemein drollig vor. Ja, wenn irgend ein in Stein gehauener Ritter sich auf seinem Monumente hätte aufsetzen können, um die Geschichte seiner Liebe zu einer gleichfalls steinernen Dame, welche ihm gegenüber auf ihrem Grabstein lag, altböhmisch oder lateinisch zu erzählen, da wäre Brzetislav der passende Vertraute gewesen, aber in einen unglücklichen Roman zwischen einem lebendigen Belgier und einer auf allen Eisenbahnen und Dampfschiffen fahrenden primadonna cosmopolite schien er mir durchaus nicht zu passen. Auch fragte ich ihn nicht ohne Bosheit, was er denn als Vertrauter bereits gethan habe?

Brzetislav antwortete sehr ernsthaft: er habe noch nicht viel thun können, da er erst seit zwei Tagen Vertrauter sei, indessen er gedenke, viel zu thun.

»Und was, wenn ich fragen darf?«

»Dem armen Menschen abzureden.«

»Da das Fräulein ihn nicht liebt, ist es das Einzige, was Sie thun können.«

»Und wenn sie ihn selbst liebte,« sprach Brzetislav dozirend. »Es ist meine feste Ueberzeugung, daß sie in eine Ehe eben so wenig paßt, wie sie in ein festes Engagement taugen würde. Unser Theaterdirektor kennt sie ja, hat's ja durchgemacht. Er hat sie ja in Riga engagiren wollen, aber er hat Gott gedankt, als er sie nach fünf Gastrollen wieder los geworden ist, so schön sie singt.«

»Ja, sie singt wirklich sehr schön – so viel ich erwartete, so bin ich doch noch überrascht worden.«

»Ich nicht,« redete Brzetislav ruhig weiter. »Ich wußte, was ich zu erwarten hätte; eine solche Stimme macht sich ihren Ruf. Aber,« setzte Brzetislav, die Augenbrauen ein wenig hinaufziehend, mit mehr Nachdruck hinzu, »eine Person macht sich auch ihren Ruf. Nicht daß über das Fräulein das Geringste in Bezug auf die guten Sitten zu sagen wäre, darin steht sie untadelhaft da –«

»Und das ist viel,« unterbrach ich ihn, »ein junges Mädchen ist als Künstlerin Manchem ausgesetzt –«

»Es ist sehr schätzenswerth,« bestätigte Brzetislav, »aber sie könnte neben dem Rufe der guten Sitten auch den eines liebenswürdigen Charakters haben, und den hat sie nicht.«

»Vielleicht mit Unrecht.«

Brzetislav schüttelte den Kopf, wie vorhin der Kapellmeister. »Sie sehen ja doch, daß man ihr in anderer Beziehung Gerechtigkeit widerfahren läßt. Nein, nein: sie würde angebetet werden, man würde sich zu ihr drängen, die Theater würden sich um sie reißen, aber es ist kein Auskommen mit ihr, so eigensinnig ist sie, und solche Ansprüche macht sie, und noch mehr die Mutter. Nun bitte ich Sie, was soll denn ein Mensch mit einer solchen Frau? Ich muß dem armen Dujardin abreden, es ist meine Pflicht, selbst als Fremder, und ich bitte Sie herzlich, mir darin zu helfen. Wenn Sie mir erlauben, werde ich ihn morgen mit mir bringen, und da stehen Sie mir bei. Sie können es ohne Indiskretion, er macht kein Geheimniß aus seiner Liebe.«

»Dann ist's eine starke Leidenschaft und wahrscheinlich unheilbar, wenigstens durch Zureden.«

»Jede Leidenschaft ist heilbar, besonders wenn sie thöricht ist.«

»Da gerade am schwersten,« sagte ich, »indessen bringen Sie darum Ihren Belgier immerhin. Belgien ist so halb und halb unsere Heimath geworden Das Ehepaar Reinsberg-Düringsfeld hielt sich längere Zeit in Belgien auf, wo die Autorin auch mit König Leopold bekannt wurde und mit ihm in Briefwechsel trat., also muß ich Ihren Herrn Dujardin schon als Landsmann annehmen, und dann können wir ja sehen.«

Während Carlotta auf diese Art den Gegenstand des Gespräches zwischen mir und Brzetislav bildete, stand sie am Flügel und nahm die Artigkeiten der sie umgebenden Gesellschaft mit großer Kühle in Empfang. Die Prager Aristokratie ist im Allgemeinen sehr liebenswürdig, einfach, von natürlicher Freundlichkeit, – Carlotta sah sich mit Beifallsbezeugungen, mit anmuthigen Schmeicheleien überhäuft. Aber sie neigte kaum den Kopf. Sie sah diesen Abend sehr gut aus. Ein Kleid von grauem Moire antique, im Haar große purpurne Sammetschleifen mit schwarzem Schmelz – es war eine ebenso einfache wie reiche Toilette, und Carlotta trug sie gut, nicht als fühlte sie sich geputzt, sondern mit der Sicherheit der Gewöhnung. Gewissermaßen schickte auch der Ausdruck sich dazu, den ihr Gesicht hatte, und doch hätte ich einen andern zu sehen gewünscht, einen mehr weiblichen, minder bewußtvollen. Etwas Dankbarkeit und Bescheidenheit hätte zu dem Putz und zu den Huldigungen ihr recht gut gestanden. Brzetislav sagte auch: »ich bitte Sie, sehen Sie sich das Mädchen an. Ist's nicht, als wäre Alles, was ihr gesagt wird, nur Schuldigkeit von denen, die es aussprechen? Einige unserer ersten Kavaliere sind um sie herum, und sie behandelt sie wie Unterthanen.«

»Als Fürstin.«

»Verzeihung, eine Fürstin ist höflicher. Und die Mutter erst – wie sie dasitzt!«

»Ja, olympisch genug,« sagte ich lachend. »Wie eine – alternde Göttin, welche Sterblichen erlaubt, ihrer Nymphe Tochter den Hof zu machen. Aber – sind nicht vielleicht alle Sängerinnen so?«

»Viele, nicht alle,« antwortete Brzetislav, und da er als so langjähriger Theaterreferent das verstehen mußte, so widersprach ich ihm nicht, sondern ging nur hin, um eine Person mehr im Hofstaat Carlotta's auszumachen. Sie war ziemlich gnädig gegen mich, aber dabei doch nicht wenig herablassend. Das Andante von Beethoven hatte sie nicht gesungen. Ich würde es im Konzert hören, meinte sie.


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