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Achtes Kapitel.
Wettern.

» Sagen Sie mir, war dieses Zusammentreffen von Ihnen vorbereitet?« Mit dieser Frage kam Carlotta mir entgegen.

»Habe ich Sie gebeten, herunterzukommen?« lautete meine Antwort.

»Sie konnten sich aber denken, daß ich kommen würde – es ist die Stunde, wo ich jeden Abend komme – haben Sie den Herrn Dujardin eingeladen, damit ich ihn treffe?«

Sie sprach im höchsten Zorn, denn ihre Stimme war leise und zischte wie kochendes Wasser. Zugleich brannte ihr ganzes Gesicht in der leuchtenden Rosenröthe, welche die Erhitzung der Blondinen ist. Eine Blondine wird heftiger roth und heftiger böse, als alle Brünetten.

Da ich das wußte und gewöhnlich kühl werde, wo Andere heftig werden, da Carlotta mir überdies leid that, weil ich bei ihr eine Leidenschaft vermuthete, welche sie sich selbst nicht eingestehen wollte und doch schmerzhaft fühlte, so suchte ich zu beschwichtigen und ihr darzulegen, wie ungegründet ihr Verdacht sei.

Sie reichte mir die Hand und sagte, hastig athmend: »Verzeihung!« Gleich darauf aber fragte sie, wieder böse: »warum haben Sie ihm überhaupt erlaubt, herzukommen?«

»Warum hätt' ich es denn nicht thun sollen?«

»Weil ich nicht mehr zu Ihnen kommen kann, wenn ich Gefahr laufe, ihn hier zu finden! Weil – o Gott!« rief sie, sich leidenschaftlich unterbrechend, »Sie können sich nicht vorstellen, wie dieser Mensch mich verfolgt, quält, martert, und das schon seit zwei Jahren!«

»Wie sollt' ich's können? Sie haben mir nie ein Wort von Herrn Dujardin gesagt.«

»Nein, das ist wahr,« sagte Carlotta entmuthigt. »Ich vermeide so viel wie möglich, von etwas zu sprechen, was meine Qual ist. Aber da Sie ihn nun doch einmal gesehen haben, so will ich Ihnen Alles sagen.«

Hier kam Baron R. zurück, Carlotta achtete nicht darauf, sondern fuhr, gewissermaßen in sich selbst zusammengesunken klagend fort: »Es ist seit der unglückseligen Messe in der Hedwigskirche, daß er mich liebt, seit er mich dort singen hörte. Schon den Tag nachher hatte er mich herausgefunden, suchte meine Bekanntschaft, und einige Wochen später trug er mir seine Hand an. Er ist reich, das macht ihn so anmaßend.«

Ich mußte Carlotta bekennen, daß ich eben keine Anmaßung darin fände, wenn ein reicher junger Mann um die Hand eines Mädchens anhielte, welches offenbar nicht reich sei, um so mehr, wenn er diesem Mädchen an Bildung völlig gleich sei. Wenn nicht gar bedeutend überlegen, fügte ich in Gedanken hinzu. Auch im Stande fand nur ein scheinbarer Unterschied statt, denn der Rang Carlotta's bestand nur im Militäradel, welchen der Vater für lange und treue Dienste erhalten hatte.

Carlotta zeigte sich aufgebracht über meine Antwort. Wenn das nicht anmaßend wäre, meinte sie, daß er ihr zugemuthet, um den Preis seiner Hand ihrer Laufbahn als Künstlerin zu entsagen, so wüßte sie nicht, was man anmaßend nennen sollte.

»Allerdings war es ungeschickt von ihm, eine solche Forderung gleich bei der Bewerbung zu stellen. Zuerst hätte er nach Ihrer Liebe streben sollen, hatte er die, so mochte er das Opfer von Ihnen verlangen; ob Sie es dann bringen wollten, war Ihre Sache. Aber bevor er wußte, ob Sie ihm überhaupt angehören wollten –«

»Nun, das wußte er wol so halb und halb,« sagte Carlotta mit niedergeschlagenen Augen.

»Ah, Sie hatten sich ihm also zugesagt?«

»Nicht ganz, nicht bestimmt, aber doch so ahnen lassen, und da – schien er es gar nicht anders anzunehmen, als daß ich als seine Frau aufhören müsse, Künstlerin zu sein. Welches alberne Vorurtheil, nicht?«

»Eines, welches viele Männer theilen dürften,« sagte ich. »Um verheirathet Künstlerin bleiben zu können, müßten Sie einen Künstler wählen.«

»Das könnte ich nicht, da würde ich zu eifersüchtig auf meinen Mann sein, wenn er etwa ein Mal mehr applaudirt würde, als ich,« antwortete Carlotta in einem seltenen Augenblicke der Offenherzigkeit und der Selbsterkenntniß.

»Nun gut, da bleiben Sie Künstlerin und unabhängig. Sollten Sie selbst das Unglück haben, Ihre Mutter zu verlieren –«

»O nur das nicht!« unterbrach sie mich lebhaft. »Wir leben nicht immer in Frieden, Mama und ich, dazu sind wir Beide zu hastigen Temperamentes, sie plagt mich, ich plage sie, aber – wir lieben uns dabei doch wie Mutter und Tochter es nur können, und ohne Mama – da wäre ich ja ganz allein – was sollte ich da noch in der Welt?«

»Genügte Ihnen denn die Kunst nicht, um leben zu können?« fragte ich prüfend.

»Die Kunst ist der Wein, aber die Liebe ist das tägliche Brod,« antwortete Carlotta: »man kann sich am Wein berauschen, aber nur vom Brode kann man sich nähren und – ich hab' ja weiter keine Liebe auf Erden, als die von Mama.«

Sie ließ die Arme wieder schlaff herabsinken, und der Ausdruck der Trostlosigkeit, den ich vorhin schon an ihr bemerkt hatte, kam wieder über ihr Antlitz. Das Mädchen interessirte mich, nun ich es leiden sah, auf ein Mal weit mehr. Ich wollte ihr eben näher treten, um ihr, allein wie wir waren, denn Baron R. stand mit einem Buche diskret entfernt am Fenster, Geheimnisse aus dem Herzen zu locken. Da klopfte es kurz und rasch, die Generalin kam, die Tochter zu holen, sah deren Erschütterung, erschrack, fragte, drängte, erfuhr, daß Dujardin dagewesen sei und brach in einen höchst unerquicklichen Sturm von Vorwürfen gegen Carlotta und selbst gegen mich und von Anschuldigungen gegen den jungen Belgier aus. Der arme Norbert wurde zum eingebildeten geldstolzen Bürger, zum Verfolger Carlotta's, ja, gewissermaßen zu einer Art von Räuber, welcher der Generalin ihr einziges Gut, der Wittwe ihr letztes Lamm entreißen wollte. Wie übertriebene Leidenschaftlichkeit immer zugleich peinigend und lächerlich wirkt, so wußten auch wir nicht, – Baron R. war nämlich seit dem Eintritt der Generalin auch dazu gekommen – so wußten, sage ich, auch wir nicht recht, ob wir lachen oder uns ärgern sollten. In keinem Falle war es angenehm, daß wir, die ruhigen Unbetheiligten, auf ein Mal mit der ganzen Sache überstürzt wurden. Was ging sie uns an in des Himmels Namen? Das gab ich denn doch zuletzt, höflichst allerdings, aber deutlich auch, der entrüsteten Generalin zu verstehen. Sie möchte doch das Alles Herrn Dujardin sagen, schlug ich ihr vor, wir könnten im Laufe dieser Angelegenheit doch nichts abwenden, keinen Einhalt thun. Aber die erregte zornige Mutter verstand nicht, daß wir gern Ruhe haben wollten. Nur auf das antwortete sie, was die Angelegenheit unmittelbar betraf. Sie habe, sagte sie, dem Herrn es nicht nur gleich ordentlich gesagt, daß es unter diesen Umständen zwischen ihm und ihrer Tochter zu Nichts kommen könne, sie habe es ihm später noch schriftlich wiederholt und ihm mehrmals durch Andere seine unziemliche Verfolgung ihrer Tochter vorhalten und verweisen lassen. »Und es hilft Nichts,« schloß sie, »er reist nach wie vor hinter uns her, bleibt wo wir bleiben, ißt wo wir essen, ist mit einem Worte da. Und da soll ich nicht böse werden?«

»Wenn es Ihnen zu etwas hülfe, so viel Sie wollten. Aber da es bisher nichts geholfen hat – wie wär's, wenn Sie es einmal mit der Gleichgiltigkeit versuchten? Herrn Dujardin nicht beachteten? Gar nicht wüßten, ob er da wäre oder nicht?«

»Das läßt sich leicht sagen und schwer thun,« meinte die Generalin. »Sie sind gewiß noch nicht so persekutirt worden?«

»Allerdings.«

»Nun, da können Sie auch nicht davon sprechen. So viel kann ich Ihnen versichern, ein pläsirliches Vergnügen ist es nicht. Und es läge noch nicht so viel daran, wenn – nun, wir wollen weiter nicht davon reden, besser zu wenig gesagt, als zu viel. Komm Du jetzt,« fuhr sie fort, sich an ihre Tochter wendend, auf welche sie, bevor sie in ihrer Rede abbrach, einen mißvergnügten Blick geworfen hatte, »komm, Du hast bis morgen noch viel zu thun. Der Herr – Belgier soll uns doch nicht wieder diesen Tag verderben, wie er uns schon so viele verdorben hat. Hoffentlich wird der Mensch doch einmal ertrinken, verbrennen oder den Hals brechen, so daß wir Ruhe vor ihm bekommen werden.« Sie grüßte uns mit ungnädiger Miene und nahm Carlotta, die ganz passiv geworden war, mit sich wie ein Kind, das in die Schule soll.

Auch ich war grämlich und murrte sehr verdrossen: Ich wünschte ebenfalls, wir bekämen Ruhe. Aber die Romantik reist uns nach, wie der Belgier der Carlotta – wo es nur ein Paar Leute gibt, die eine Geschichte haben, so müssen wir gewiß mitten zwischen sie, und die Geschichte von Anfang bis zu Ende mit durchmachen.«

»Ja,« setzte Baron R. hinzu, »auf Ruhe dürfen wir, fürcht' ich, in den nächsten Tagen schwerlich mehr rechnen.«

So resignirt wir indessen auch auf fernere Unruhe vorbereitet waren, daß wir noch an demselben Abend abermals heimgesucht werden sollten, erwarteten wir nicht. Und doch war es so. Um elf Uhr noch pochte Carlotta und bat mit leiser dringender Stimme um Einlaß. Ich erschrack; hatte sie sich etwa mit Mama dermaßen gezankt, daß diese ihr die Thür gewiesen, und daß Carlotta sogleich eines Nachtquartiers bedurfte? Zum Glück waren wir noch angekleidet, so öffnete ich denn, wenn nicht ohne Besorgniß, doch ohne Zögern.

Es war nicht so schlimm, wie ich im ersten Schrecken gedacht. Carlotta kam allerdings ohne Vorwissen ihrer Mutter, doch nur, um mich zu bitten, d. h. von mir zu fordern, daß ich am nächsten Abend die Anwesenheit Dujardins in ihrem Konzert veranlassen möge. Ich fragte erstaunt, ob sich das nicht von selbst verstehe?

»So wenig,« antwortete Carlotta, »daß ich ihn noch nie unter meinen Zuhörern gezählt habe, ich mochte nun im Konzert oder im Theater auftreten. Nur wenn ich in einer Kirche singe, kommt er mich zu hören.«

»Und Sie wissen's immer?« fragte ich halb lächelnd.

»Er stellt sich so, daß ich ihn sehe. Und morgen muß ich ihn auch sehen. Ich will's dieses eine Mal. Wenn ich darin nicht meinen Willen habe, so werde ich schlecht singen, ich fühl' es.«

Carlotta sah aus, als hätte sie die volle Ueberzeugung, wenn sie schlecht sänge, müßte es ein großes Unglück sein, nicht nur für sie selbst, sondern auch für mich, ja, für ganz Prag. Ich rieth ihr, sich davor zu sichern, indem sie Herrn Dujardin von ihrem Wunsche oder von ihrem Willen in Kenntniß setze.

»Deswegen komm' ich eben,« sagte sie hastig.« Sie müssen wissen, wo er wohnt.«

»Ich weiß es aber nicht.«

»Nun, so weiß es doch wenigstens Herr Brzetislav.«

»Vielleicht. Und wenn er's nun weiß, was dann?«

»Dann schreiben Sie durch ihn an Dujardin und sagen Sie ihm, er solle kommen.«

»Das soll ich Herrn Dujardin schreiben? Und er war heute zum ersten Male hier?«

»Was thut das?« rief Carlotta ungeduldig. »Da er Ihnen doch Alles gesagt hat –«

»Er hat mir kein Wort gesagt.«

»Nun, das ist ja gleich, Sie wissen doch Alles. Wie kann man nur eine unglückliche Künstlerin so quälen, wenn es darauf ankommt, ob sie gut oder schlecht singen soll!«

»Schreiben Sie selbst, dann will ich Brzetislav das Billet schicken und sehen, ob er es besorgen kann – oder will,« setzte ich für mich hinzu.

Carlotta setzte sich mit einer heftigen Geberde des Unwillens an den Schreibtisch, wo Baron R. ihr Alles zurechtschob. Sie fing an, verdarb vier Bogen Papier, zwei Federn, sprang auf und rief mit einer Stimme, die zwischen Weinen und Schreien schwankte:

»Sie sehen ja doch, daß ich's nicht kann – mir wirbeln die Gedanken unter der Stirn, ich finde kein Wort, ich unterscheide keinen Buchstaben, und Sie, die kalt sind, wollen es nicht thun!«

Es war halb Zwölf, und ich fürchtete, die Generalin könne nochmals auf uns herabfahren wie eine Adlermutter, welche ihre Brut vertheidigt.

So dachte ich denn: »Dein Wille geschehe, Du höchst ungezogenes Töchterchen der Kunst,« nahm einen fünften Bogen und eine neue Feder, schrieb, so natürlich es unter diesen Verhältnissen gehen wollte, an den mir eigentlich stockfremden Menschen, setzte auf den Brief: »Herrn Brzetislav zur augenblicklichen Besorgung empfohlen,« und hatte endlich das Vergnügen, Carlotta mit dem Briefe abeilen zu sehen, denn sie wollte ihn am nächsten Morgen in aller Frühe durch den Lohndiener an Brzetislav schicken; sie mochte denken, ich könnte es am Ende nicht thun.


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