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Fünfzehntes Kapitel.
Abschluß.

» Don Juan« wurde abgesagt. Carlotta war nicht fähig, zu singen. Sie war in Verzweiflung, saß den ganzen Tag auf meinem Zimmer. Die Mutter vermochte Nichts mehr über sie. Carlotta stieß sie von sich, überhäufte sie mit Vorwürfen: sie habe sie schlecht erzogen, ihre Fehler gehätschelt, sie unsinnig eitel gemacht, sie sei Schuld, daß sie, Carlotta, ihr Glück nicht erkannt und nicht angenommen habe, als es in der schönen Gestalt Norberts zu ihr getreten sei. Die Generalin that mir leid und Carlotta noch mehr, sie wollte das Geschehene ungeschehen machen, mit ihrer Liebe wider Norberts Schwärmerei kämpfen – würde sie es können? Ich zweifelte, wie ich früher gezweifelt, daß Norbert Carlotta's Weltsucht und Theaterliebe würde überwinden können.

Noch hatte ich Norbert nicht wieder gesehen und wußte daher keinesweges, auf welche Weise die plötzliche vollständige Veränderung in ihm vor sich gegangen sei. Daß ich begierig war, es zu erfahren, leugne ich gar nicht; man hat nicht einen Knoten sich so verwirren sehen, ohne daß man das Mittel zu erfahren wünscht, durch welches die Lösung bewerkstelligt worden ist. Norbert konnte indessen in den ersten Tagen nicht zu mir kommen, die Rückwirkung jener furchtbaren Aufregungen war nicht ausgeblieben, er mußte das Zimmer hüten. Baron R., der ihn mehrmals besuchte, brachte Nichts heraus, auch Brzetislav, der sich aus dem Vertrauten in den Krankenpfleger umgewandelt hatte, blieb im Dunkeln über die Veranlassung zu Norberts Sinnesänderung, welche er übrigens als das größte Heil pries, das Norbert hätte widerfahren können.

Endlich war Norbert so weit wieder hergestellt, daß er es wagen durfte, die paar Schritte bis zu uns herüber zu thun. Brzetislav geleitete ihn, und nun öffnete er uns Allen zugleich sein Herz und sprach offen und mit hoher Freude von seinem Gesichte und dem Berufe, den es ihm eingegeben. Von seiner Liebe zu Carlotta sprach er wie ein Befreiter von einer langen unwürdigen Gefangenschaft, welche er glücklich überstanden hat. Er versicherte, es sei jede Spur davon auch so gänzlich ausgelöscht, daß er sich der Qualen, welche diese Leidenschaft ihm verursacht, kaum noch in einer schwachen Nachempfindung erinnern könne.

Ich sah ihn ungewiß und bedenklich an – täuschte er sich nicht blos? Er las meine Gedanken und sagte lächelnd: »Sie glauben mir noch nicht recht?«

»Ich weiß nicht, ob dieses plötzliche Gefühl von Freiheit nur von Exaltation oder von wirklicher Genesung herrührt,« antwortete ich.

»Von wirklicher Genesung,« sprach er zuversichtlich, und Brzetislav bestätigte diese Worte durch die Versicherung, er kenne Dujardin, und er sei von seiner völligen moralischen Gesundheit jetzt vollkommen überzeugt.

»Wohl,« sagte ich zu Norbert, »es giebt ein gutes Mittel, zu prüfen, wie fest man auf Ihren jetzigen Zustand bauen kann. Fräulein Carlotta wünscht eine letzte Unterredung mit Ihnen – wollen Sie ihr die bewilligen?«

»Warum nicht?« fragte er ruhig. »Jetzt gleich, wenn sie es wünscht.«

»Ja, damit die Geschichte ein für alle Mal abgethan sei,« murrte Brzetislav.

So schickte ich denn hinauf und ließ bei Carlotta anfragen, ob sie den Herrn Dujardin empfangen wolle. Die Antwort lautete: Das Fräulein erwarte den Herrn augenblicklich.

»Wohl,« sprach Norbert aufstehend, »da will ich gehen, obschon ich eigentlich nicht weiß, was ich oben noch soll.«

»Angeweint sollen Sie werden, mürbe geschluchzt,« sagte Brzetislav grämlich. »Dujardin – wenn Sie nicht fest sind –«

»Ohne Sorge!« erwiederte Norbert lächelnd und ging.

»Ohne Sorge« war recht gut gesagt, aber nicht so leicht gethan. Die Stunde, welche Norbert oben blieb, wurde uns Allen sehr lang. Endlich kam er wieder herunter, etwas erschöpft, aber eben so ruhig, wie er hinauf gegangen war. Brzetislav rief ihm lebhaft entgegen: »Nun, wie war's?«

»Unangenehm im höchsten Grade,« antwortete Norbert aufathmend und seinen Platz in unserer Mitte wieder einnehmend. »Gott sei Dank, daß es vorbei ist.«

»Wurde es Ihnen etwa schwer, sich zu vertheidigen?« fragte Brzetislav mißtrauisch.

»Nicht im Mindesten,« erwiederte Norbert, »aber es ist für einen Mann immer peinlich, eine bittende Frau abweisen zu müssen.«

»Ah, also jetzt wollte sie?« fragte Brzetislav mit heilloser Befriedigung.

»Ja, zu spät,« antwortete Norbert. »Lassen wir das,« fuhr er dann heiterer fort. »So wie ich ihre Natur beurtheile, wird ihre nachträgliche Liebe zu mir ein heftiges, aber sehr kurzes Fieber sein, welches ihrer allgemeinen Gesundheit durchaus keinen Schaden thun wird.«

So sprach er von dem Mädchen, welches er noch vor einigen Tagen aus Leidenschaft erwürgen wollte. Seine Liebe hatte wirklich den letzten Athemzug gethan, sie war todt, todt über alle Möglichkeit einer Wiedererweckung hinaus.

Am folgenden Tage schon reiste Norbert ab. Es trieb ihn zu seiner Mutter und zu den Vorbereitungen für sein künftiges Leben.

Acht Tage nach seiner Heimkunft in Brügge schrieb er an Brzetislav und mich. Seine Briefe athmeten Dank und eine unverminderte Freudigkeit. Es hatte einige Mühe gekostet, seine Mutter mit seinem Entschlusse auszusöhnen, indessen sie hatte zuletzt ihre Zustimmung gegeben, und Norbert traf bereits alle Anstalten, um das große Seminar in Mecheln zu beziehen, wo er seine theologischen Studien machen mußte, bevor er Priester werden konnte. Daß der Priesterstand seine eigentliche Bestimmung sei, das, schrieb er, würde ihm je länger, je klarer. »Seit ich mich der heiligen Kirche gelobt, bin ich eigentlich erst ich selbst geworden,« fügte er hinzu. »Sie braucht jetzt mehr als je treuer Herzen und starker Kämpfer, denn von allen Seiten droht ihr Unheil, wohl, ich will für sie streiten, für sie beten, mit ihr siegen oder sinken. Die heilige Gottesmutter hat mich meiner irdischen Mutter rein von Verbrechen zurückgeschenkt, was kann meine irdische Mutter anders thun, als mich als Opfer der himmlischen Mutter darbringen? O, und was für ein jauchzendes Opfer ich bin, was für eine Glückseligkeit darin liegt, nicht länger sich selbst zu gehören, sondern sich ganz und ewig der höchsten Liebe dahinzugeben! Freuen Sie sich mit mir, meine Freunde! Der Herr hat es wohl mit mir gemacht, sein Name werde gelobt in Ewigkeit.« Unwillkürlich dachte ich bei diesem Hochjubel einer Seele, die sich aufgegeben hatte, um sich in Gott wiederzufinden, an Fouqué's Friedrich de La Motte Fouqué (1777-1843), deutscher Dichter der Romantik. Worte:

Man geht aus Nacht in Sonne,
Aus Tod in Leben ein.

Nach Carlotta fragte Norbert Dujardin nicht, sie war vergessen, wie ein böser Traum am hellen Morgen. Auch ich sah nicht mehr viel von ihr, sie grollte mir, als wäre ich Schuld daran, daß sie zu spät geliebt. Anfangs spielte sie die Ariadne und trug eine tragische Blässe zur Schau, vierzehn Tage später indessen trat sie als »Donna Anna« auf und errang in dem jetzt so prächtig aufgeputzten Ständischen Theater einen geräuschvollen Erfolg. Der Kapellmeister schüttelte zwar öfter und bedenklicher als je den Kopf, und das Orchester konnte der Sängerin durchaus nicht ordentlich folgen, aber aus den Logen flogen Blumen und Kränze, und als ich Carlotta bei dem Beifalle der schönen Fürstinnen und Gräfinnen sich so stolz in die Höhe richten sah, wie ihre Gestalt es nur immer zuließ, da war ich über den Einfluß, den ihre nachträgliche Liebe zu Norbert Dujardin etwa auf ihr künftiges Leben hätte haben können, vollständig beruhigt.


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