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Siebentes Kapitel.
Ein angenehmes Zusammentreffen.

Die unruhige Periode der Konzertvorbereitungen war glücklich zu Ende. Als Leute, welche alles Konzertgehen und Konzertsitzen gründlich verabscheuen, wünschten wir herzlich, das Konzert selbst möge auch erst vorüber sein. Die Aussicht dazu war da: es sollte Donnerstag den achten Dezember um fünf Uhr im Saal auf der Sophieninsel stattfinden, und wir hatten Mittwoch.

Die Schneeflocken wirbelten in dem engen Raum der Straße, auf welche unsere Zimmer gingen, es war fünf Uhr, fast schon gänzlich finster, wir saßen beim Schein des Feuers, da traten zwei sehr große Männergestalten feierlich ein: es waren Brzetislav und der Belgier.

Ich sah erst jetzt, als ich ihn neben Brzetislav sah, wie groß der Herr Norbert Dujardin eigentlich war. Keinen Zoll kleiner als Brzetislav, und Brzetislav ragte regelmäßig über alle Personen hinaus, mit denen er zusammen stand. Nachdem Licht angezündet worden war, betrachtete ich mir Herrn Dujardin genauer, als ich es bisher gekonnt hatte. Im Ganzen genommen war es ein hübscher Mann, mit einer ächt belgischen Physiognomie, d. h. mit einer, die beinahe französisch, und doch wiederum ganz und gar nicht französisch ist. Während der Zeit nach Orsini's Mordversuch Felice Graf Orsini (1819-1858), italienischer Rechtsanwalt; das Attentat auf Napoléon III. 1858 kostete 156 Menschenleben; Kaiser Napoleon und seine Frau wurden wie durch ein Wunder nicht verletzt. Orsini wurde öffentlich hingerichtet., wo die Italiener in Frankreich verdächtiger waren, als alle übrigen Europäer, die Franzosen ausgenommen, wurden mehrere Belgier an der französischen Grenze aufgehalten oder wol gar zurückgeschickt, weil man sie für Italiener hielt. Ein solches Gesicht, stark brünett und stark gezeichnet, hatte Norbert Dujardin. Die Gestalt war ächt belgisch, wie ich schon gesagt habe, breitschulterig, fest, ohne dick zu sein. Das Wesen hielt, eben auch ächt belgisch, die Mitte zwischen der englischen und der französischen Art: es hatte viel von der englischen Einfachheit, und ein wenig von der französischen Gewandtheit. Das Eintreten des Belgiers zeigte von geselliger Gewöhnung und innerlicher Sicherheit, obwol er sich mit Zurückhaltung und Bescheidenheit betrug und äußerte, ohne, was den Belgiern wol leicht begegnet, irgendwie den Pariser spielen zu wollen.

Wir saßen etwa seit einer Viertelstunde, welche wir mit verständigen Gemeinplätzen über die Politik des Tages oder lieber der Stunde ausgefüllt hatten, da fuhr, ohne erst anzupochen, Carlotta herein.

Sie hatte es eilig, kam mit einem Zeitungsblatte heruntergelaufen, um mir etwas darinnen zu zeigen, sah Dujardin und blieb, wie von einer unsichtbaren Hand gefaßt und gehalten, vor ihm stehen.

Er war aufgestanden, hatte die Hand auf den Tisch gestützt – hatte er es nöthig, um sich zu halten? – und so grüßte er Carlotta mit einer wunderbaren trotzigen Unterwürfigkeit.

Sie konnte offenbar nicht sprechen. Schnellere, sichtlichere Verwandlungen hatte ich im geselligen Leben noch nie beobachtet, als auf diesen beiden Gesichtern, an diesen beiden Menschen, in den wenigen Augenblicken, während welcher sie einander so gegenüber standen.

Carlotta ließ das Blatt fallen, das sie hielt. Oder ich sollte sagen, es fiel ihr aus der Hand, welche nicht mehr die Kraft hatte, es zu halten, so schlaff lösten sich herabsinkend die Finger.

Indessen war dieses Ohnmächtigwerden eben nur in der rechten Hand sichtbar, Carlotta selbst stand aufrecht und widerstrebend da. Ich dankte im Stillen dem Himmel, wir sind nicht auf Ohnmachten eingerichtet: ich hätte nicht einmal ein Flacon holen können.

Carlotta faßte sich gewaltsam, ich möchte sagen wild. War bei Dujardin der Trotz unterwürfig, bei ihr kam er zornig zum Vorschein. Wenn Dujardin beharrte, wollte sie ihm ebenso eigensinnig entgehen, das sahen wir Alle deutlich. Herausfordernd setzte sie sich dicht neben ihn an meine Seite auf das kleine Sopha. So nahe ihr fühlte ich allerdings, wie ihr Fuß unter dem Kleide gegen den Boden zuckte, aber sehen konnte man Nichts. Und so, den Kopf leicht zurückgeworfen, die Brust durch volle Athemzüge gehoben, wandte sie sich an Dujardin und sprach mit ihm. Sie stellte sich nicht, als kennte sie ihn nicht. Nein, sie behandelte ihn als Bekannten, sie leugnete nicht, daß sie ihn während der letzten Jahre überall gesehen, sie erinnerte sich mit ihm an Petersburg, Odessa, Wien. Sie fragte ihn sogar, wie es komme, daß sie ihn den letzten Monat gar nicht gesehen.

Wir sprachen Französisch, obwol Brzetislav mir sehr patronisirend versichert hatte, der Belgier verstände und spräche sogar vortrefflich deutsch. Ich zweifelte nicht daran, denn großes Sprachtalent ist in Belgien nichts weniger als selten, indessen mechanisch gleichsam war ich mit unserm belgischen Besucher in die Sprache hineingerathen, welche in Brüssel zu sprechen ich gewohnt worden war, und auch Carlotta hatte ihn gleich französisch angeredet. So konnte er ihr denn antworten, wie er es that: j'ai été bien souffrant, mademoiselle, ohne sich schmachtend lächerlich zu machen, wie ein Deutscher unfehlbar gethan hätte, wenn er dieselben Worte in seiner Muttersprache gesagt. Man stelle sich einmal einen großen, starken Mann vor, wie er auf deutsch sagt: »ich bin sehr leidend gewesen, mein Fräulein«; man wird lachen und man hätte das Recht dazu. Deutsch hätte Dujardin höchstens antworten können: »ich war krank«, und das auch nur kurzweg, als wäre es ganz einerlei, wie er sich befunden habe. Aber seine Antwort: j'ai été bien souffrant, so einfach, so gleichgültig sie ausgesprochen wurde, sie klang wie ein milder, trauriger Vorwurf, sie erregte das Mitleid, man dachte unwillkürlich an das schrecklichste aller Krankenzimmer, eine Stube im Gasthof, an lange Fiebertage, von denen jede Stunde doppelt zählt, an den Mangel eines frischen Trunkes, einer liebenden Hand, ja, eines selbst nur kühl theilnehmenden Wortes, man sah sich Dujardin an und dachte: der Arme! Carlotta wenigstens that es, d. h. sie sah ihn betroffen an, und fragte mit Unruhe: »doch nichts Bedeutendes, hoff' ich?« – »Oh nein,« antwortete er, und zum ersten Male sah ich seine Lippen sich zu einem Lächeln öffnen, welches wie ein Schein sich über sein Gesicht verbreitete. Menschen, die nur selten lächeln, werden durch das Lächeln wunderbar verschönt, Carlotta konnte nicht eigentlich lächeln, ebenso wenig wie sie flüstern konnte, sie lachte gleich immer. Alles was Schattirung, Vermittlung, Uebergang war, fehlte sowol in ihrer Erscheinung, wie in ihrem Wesen, welches immer im Augenblick von einem Aeußersten zum andern sprang. Jetzt schien sie ganz ängstliche Besorgniß für Dujardin, fragte noch einmal, was es denn bei ihm gewesen sei? »Wol mehr bloße Ermüdung,« antwortete er. Offenbar wollte er sich mit so wenig Worten wie möglich interessant machen, wenn er es überhaupt wollte. Doch ja, von dem Kokettiren mit seinem Leid konnte man ihn nicht freisprechen. Jeder Mensch hat das Bewußtsein, etwas Großes zu thun, wenn er um ein anderes Wesen leidet, und nur die Wenigsten haben den Stolz, sich nicht als Opfer zu zeigen.

Carlotta saß plötzlich stumm geworden da und blickte dabei unruhig hin und her, als suche sie etwas. Vielleicht eine Lösung dieses Wirrsals, welches sich von Neuem um sie her weben zu wollen schien, vielleicht das Verständniß ihrer Gefühle für Norbert Dujardin. Er saß, wie es seine Gewohnheit war, aufrecht und unbeweglich, und blickte Carlotta unverwandt an, als wäre das sein Recht. Brzetislav machte die wunderlichsten Mienen. Unter seiner Brille hervor nach dem sonderbaren Paare spähend, warf er seine vollen Lippen auf, schüttelte sich das blonde Haar aus der Stirn, sah mich an, blickte gen Himmel oder vielmehr an die Zimmerdecke, war mit einem Worte sichtlich unzufrieden mit dem Zusammentreffen überhaupt und besonders durchaus nicht einverstanden mit der Wendung, welche es genommen hatte. Ihm gefiel nun einmal Carlotta nicht, ja, sie mißfiel ihm sogar entschieden. Er konnte sich in ihr ausschließliches Persönlichkeitsgefühl nicht schicken. Norbert Dujardin wurde dadurch nicht gestört, er war Aehnliches gewöhnt: mit wenigen Ausnahmen leben die Belgierinnen nur für ihre eigensten, unmittelbarsten Interessen. Auch das Aeußere der Sängerin mußte für einen Belgier, welcher die Frauen stark und kräftig liebt, anziehend sein. Ueberdies war Carlotta blond, ihre Augen konnte die Einbildungskraft eines Liebhabers sich leicht blau malen, und die Belgier theilen mit den Italienern und den Franzosen die Vorliebe für Blondinen mit blauen Augen. Das sagte ich auch Brzetislav, wenn er mir später immer wieder den Einwurf machte: »aber sie ist ja doch gar nicht schön, nicht einmal hübsch.« Für Brzetislav, den Slaven, der das Schlanke wollte, für einen Deutschen, welcher von der Frau immer verlangt, sie solle schwach genug sein, um des Stützens zu bedürfen, war Carlotta zu gesund und zu entwickelt in den Formen. Der Belgier dachte anders. Die Liebe wird mehr, als man glauben will, durch den nationalen Geschmack, selbst durch die nationalen Vorurtheile bedingt; es gibt so wenig eine allgemeine Liebe, wie es eine allgemeine Schönheit gibt. Der Italiener findet, daß die Jungfrauen von Rubens wie Wirthshausmägde aussehen, der Niederländer nennt alle Idealität Unnatur. Und ganz ebenso ist es mit den Frauen und mit der Liebe.

Dem mochte nun sein wie ihm wollte, genug, für Norbert Dujardin war Carlotta die Frau unter den Frauen, die Eine, Erwählte, Geliebte, Gewollte, die, zu welcher seine Seele gesagt hatte: »Da bin ich – nimm mich hin und thue mit mir, was Dir gefällt.

Die trotzige Künstlerin wollte dieses Wort nicht hören. Sie schüttelte sich gewaltsam die Schwüle ab, mit welcher die ihr körperlich so nahe Leidenschaft Dujardins auf ihre Sinne zu drücken begann. Sich plötzlich hastig zu mir und den beiden andern Männern wendend, fing sie an zu lachen und zu reden. Natürlich von sich, anders konnte sie es nicht. Schon früher hatte sie die Aeußerung fallen lassen, daß sie Holland und Belgien zu besuchen wünsche, jetzt sprach sie diesen Wunsch als Absicht aus und verlangte von Baron R. Der Sprach- und Kulturforscher Otto Freiherr von Reinsberg, mit dem die Autorin seit 1845 verheiratet war. und mir Briefe. Ich kann nicht sagen, daß sie uns darum bat, Carlotta bat nie, sondern verlangte stets. Sie dachte, ein Jeder, ja die ganze weite Welt müsse sich glücklich schätzen, ihr dienstbar sein zu dürfen.

Wir hatten eben angefangen, zu überlegen, an wen wir in Antwerpen schreiben könnten, an wen in Brüssel, an wen in Gent, da klang die tiefe Stimme Dujardins auf ein Mal in der Frage: »Sie wollen nach Belgien gehen, Mademoiselle?«

Carlotta wandte sich wieder zu ihm und sah ihn lachend an. »In Ihr Land, ja. Warum sollt' ich nicht? Wird es mir schlecht dort gehen, daß Sie mich so verstört ansehen?«

Der Belgier sah in der That verstört aus, er war ganz bleich geworden und fragte ängstlich gespannt: »Ist es wirklich Ernst? Wirklich Ihre Absicht? Oder nur ein Einfall?«

»Ja, warum sollte ich denn nicht hin?« wiederholte sie.

Dujardin kämpfte sichtlich mit sich selbst, dann faßte er einen Entschluß und sagte bittend: »Gehen Sie nicht hin, um meinetwillen.«

»Ah, Sie wünschen nicht, daß ich Ihr Vaterland kennen lernen soll?« fragte sie und ihre Augen fingen an zu blitzen.

»Nichts mehr als das,« antwortete er mit einer Innigkeit im Ton, die mich überraschte und rührte. »Ich bitte nur – gehen Sie nicht hin, wie Sie – nach Rußland gegangen sind.«

Carlotta lachte kurz und hell auf. »Wenn ich noch nicht entschlossen gewesen wäre, so würden Sie mich dazu bestimmt haben, Herr Dujardin. Seien Sie sicher, daß ich nach Belgien gehen werde, und zwar ganz so wie ich nach Rußland gegangen bin.«

Dujardin verbeugte sich leicht, dann stand er auf und sagte zu mir: »Ich habe unendlich um Entschuldigung zu bitten, Madame. Wenn Sie mir erlauben, meinen Besuch zu wiederholen, werde ich mich vielleicht rechtfertigen können.«

Ich erlaubte ihm gern, wiederzukommen. Er that mir leid, vielleicht konnte man ihm helfen, doch um das zu können, mußte man Alles genauer und bestimmter erfahren. So fragte ich denn: wann? und er antwortete: wenn ich's erlaubte, schon am nächsten Abend.

Brzetislav hatte bereits seinen Rock an und zeigte eine ungeheure Eile, wegzukommen. Ich sah, daß Carlotta ihn um alle Geduld gebracht hatte. Mir ging es, offen gestanden, nicht besser. Ich hätte sie sehr gern auch Anstalten zum Weggehen machen sehen, aber sie blieb fest sitzen, grüßte die abschiednehmenden Männer nur vom Sopha aus. Da Baron R. diese bis an die Treppe begleitete, hatte ich das nicht angenehme Gefühl, mit Carlotta allein zu sein und den ersten Sturm ihrer Aufregung über mich ergehen lassen zu müssen. Fast ängstlich drehte ich mich nach ihr um. Sie war im Aufstehen begriffen, drängte den kleinen Tisch vor dem Sopha zurück und trat in die Mitte des Zimmers.


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