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Neuntes Kapitel.
Nach dem Konzert.

Norbert Dujardin erschien nicht im Konzert und Carlotta sang so schlecht, daß es wirklich unglaublich gewesen wäre, hätte man es nicht mit eigenen Ohren angehört. Dabei sah sie aus wie eine Eumenide oder eine Medea. Die Blicke, mit denen sie im ganzen Saale den Belgier suchte, glichen denen eines hungrigen Raubthiers, welches nicht aus seinem Käfig heraus kann. Als sie sich überzeugen mußte, daß Dujardin ihr nicht gehorcht, wurden ihre Lippen förmlich weiß und spannten sich so straff, daß man die Zähne unter ihnen hervorleuchten sah. Nie hatte ich bisher geahnt, in welchem Maße dieses Mädchen aller wilden Leidenschaften fähig war, so viele überzeugende Beweise von der Ungezähmtheit ihrer Natur sie uns auch bereits gegeben hatte. Zugleich zweifelte ich mehr als je an ihrem ächten Beruf zur großen dramatischen Künstlerin. Ich konnte ihr nicht die Selbstbeherrschung zutrauen, wodurch die angeborene Kraft sich allein in die tragische Gewalt verwandelt.

Carlotta als Weib vermochte Zorn, Wuth, Rache, genug alle Gefühle, die gleich Abgrundsflammen lodern, zu empfinden und auszudrücken, vermochte sie es aber auch als Dolmetscherin eines musikalischen Schöpfers? Konnte sie als Donna Anna den Bräutigam zur Rache gegen Don Juan aufrufen, als Norma ihre Kleinen tödten wollen? So nämlich, daß man ihr glauben mußte, was sie sang, daß man davor schauderte und bebte? Das glaubte ich eben nicht von ihr. Die Persönlichkeit nahm bei ihr zu viel Raum ein, als daß genug für die Kunst hätte übrig bleiben können. Ihr Talent war rein ein musikalisch instinktives, bestand blos in einer Stimme, welche wiederum gänzlich von der Stimmung der Besitzerin abhing, wie es sich diesen Abend erwiesen hatte. Nun hat allerdings eine Künstlerin so gut wie jedes andere menschliche Geschöpf die Erlaubniß, besser oder schlechter gestimmt zu sein, je nach den Umständen und sogar der Laune und dem Wetter nach, und eben so natürlich ist es, daß es an ihren Leistungen bemerkbar wird, ob sie aufgelegt ist oder nicht. Aber geradezu schlecht darf eine bedeutende Künstlerin weder singen noch spielen, wenn sie ihre Stellung behaupten will, und, wie ich schon sagte, Carlotta sang unter aller Kritik.

Nicht nur ein gänzlicher Mangel an Ausdruck störte, es trat sogar eine völlige Achtlosigkeit auf das blos Mechanische so stark hervor, daß eine entschiedene Voreingenommenheit des Publikums zu Gunsten Carlotta's dazu gehörte, um die zerstreute und so rücksichtslos unliebenswürdige Sängerin nicht durch deutliche Zeichen des Mißfallens daran zu erinnern, was sie, so gut wie jeder Künstler, ihren Zuhörern schuldig war. Beifallsbezeigungen wurden nur durch einige, vermuthlich persönliche Verehrer versucht, und in der allgemeinen Stille verhallten sie eilig und gleichsam beschämt. Nur ganz zuletzt wurde durch den patriotischen Anklang, welchen einige böhmische Lieder fanden, eine gewisse laue Wärme erzeugt, welche jedoch nicht lebhaft genug wirkte, um das Publikum zu mehr als einem » bis« zu veranlassen.

Carlotta's wüthende Stimmung oder Verstimmung schien sich während des Verlaufs der anderthalb Stunden, die das Abhaspeln des Programms ausfüllte, von Minute zu Minute zu steigern. Sie nahm es dem Publikum wahrhaftig übel, daß es nicht entzückt war, obwol sie schlecht gesungen hatte. Es sollte errathen, das einfältige Publikum, daß die Sängerin einem jungen Belgier hatte befehlen lassen, unter den Zuhörern zu erscheinen, daß dieser Trotzkopf von Belgier nicht erschienen war, daß die Frau das Recht hatte, wüthend zu sein, und folglich auch die Sängerin dasjenige, schlecht zu singen. Und statt das einzusehen, saß das unverständige Publikum da, kritisirte und blieb kühl. Als ob der Gesang Carlotta's, selbst wenn er schlecht war, nicht noch gut genug für dieses wie für jedes Publikum wäre! Carlotta ließ bei ihrer Abschiedsneigung auch ihre ganze zornige Geringschätzung auf die Schwerhörigen herunterblitzen, welche es gewagt hatten, ihr den ihr gebührenden Beifall zu versagen. Das Publikum schien sich, leider oder zum Glück, um den Zorn der Sängerin sehr wenig zu kümmern, sondern verließ so schnell wie möglich den schlecht erwärmten und noch schlechter erleuchteten Saal. Carlotta war hinter dem weißen Bettschirm verschwunden, welcher sie während der Pausen zwischen ihren Leistungen verborgen hatte. Sie waren meistens nur sehr kurz gewesen, denn Carlotta hatte fast immerfort gesungen, neun oder zehn Nummern, glaub' ich, jedenfalls zu viel. Sie verstand nun einmal durchaus Nichts von der großen Kunst des Zurücktretens, die allen Frauen, auf welcher Rangstufe und in welchen Verhältnissen es auch sei, so unumgänglich nothwendig ist.

Genug, die Künstlervocation Carlotta's wollte mir, als wir nach dem Konzert ins Hôtel zurückfuhren, nur wie der Eigensinn eines eitlen Mädchens vorkommen, und mit voller Ueberzeugung sagte ich zu Baron R., »sie sollte mit beiden Füßen in die Stellung hineinspringen, welche dieser Dujardin ihr anbietet, und sich niemals weder nach Bühne noch nach Konzertsaal umsehen.«

»Dieser Dujardin« erwartete uns bereits, als wir in das Hôtel einfuhren. Er half mir aus dem Wagen, bot mir den Arm, führte mich hinauf und trat mit uns ein, Alles, als gehörte es sich. Und wir hatten ihn erst ein Mal wirklich gesehen. Aber mit den Belgiern ist es eigen. Um mit ihnen bekannt zu werden, braucht man entweder ein Jahr oder einen Abend; sie sind äußerst scheu und fremd, wenn man mit ihnen auf dem gewöhnlichen Wege des geselligen Ceremoniells zusammentrifft, sie sind die Offenheit selbst, wenn man alles Herkömmliche bei Seite läßt und, wie sie sich ausdrücken, » tout rond« ist. In dem einen wie in dem andern Falle ist man ihrer sicher, wenn man sie erst hat. Wie man einen Belgier verlassen hat, so findet man ihn wieder, sei es nach drei oder nach zwanzig Jahren.

Ich ließ die Herren einige Augenblicke allein, um im Schlafzimmer Hut und Mantille abzulegen. Als ich wieder eintrat, stand Dujardin am Flügel, der während unserer Abwesenheit gebracht worden war. Sich verbeugend sagte er: »Madame, Sie haben mir die Ehre angethan, an mich zu schreiben.« – »Und Sie haben etwas Schönes angestiftet, indem Sie nicht gekommen sind,« antwortete ich, und wollte eben hinzusehen: »und warum sind Sie nicht gekommen?« da rauschte es vor der Thür. »Mein Gott, da ist sie schon!« sagte ich ganz ängstlich.

Es war in der That Carlotta, welche die Thür aufriß und einen Augenblick in der Beleuchtung der Gasflamme stehen blieb, welche auf dem Korridor brannte. Die Sängerin war natürlich noch in ihrem Konzertkostüm, denn sie hatte eben nur Zeit gehabt, anzukommen und zu uns heraufzueilen. Und so stand sie jetzt athemlos und bleich und ließ Baron R. die Thüre hinter ihr zumachen, ohne ihm zu danken, ja, ohne ihn zu bemerken. Auch mich grüßte sie nicht. Ihre Augen richteten sich fest und starr ausschließlich auf Dujardin, welcher, ohne seine Stellung zu verändern, ihre Anrede erwartete. Sie ging langsam auf ihn zu. Ihr weißer Kachemirmantel, dessen Kapuze bereits bei ihrem Eintritt zurückgefallen war, glitt von ihren Schultern herab und fiel hinter ihr auf den Boden. Sie fühlte es nicht oder beobachtete es nicht, Baron R. hob den Mantel auf, Carlotta kam bis zum Flügel. Bei dem Schein der Lichter, welche auf diesem brannten, wurde ihre erschreckende Blässe ganz sichtbar. Sie trug an diesem Abend einen Anzug, der auf einen ungewöhnlichen Glanz der Haut, auf ein lebendiges, freies Spiel des Blutes im Gesicht berechnet war: nämlich ein phantastisch volles Volantkleid von silbergrauem schwerem Taffet, an den Schultern, an den Aermeln, am Leibchen von flatternden blaßrosa Schleifen zusammengefaßt und gehalten, und dazu einen Haarputz von Rosen, welche in langen Ranken auf ihren Nacken herabfielen. Es war eine reizende Toilette, doch hätte sie einer schlanken und großen Gestalt besser gestanden, Carlotta sah etwas massiv darin aus. Und dann, wie gesagt, gehörte zu diesen beiden blassen, schillernden Tinten Frische und Farbe im Gesicht. So bleich wie Carlotta war, erschien sie in dem grauen Kleide beinahe fahl, als wäre sie in einen Aschennebel gehüllt. Gespenstisch fast, möchte ich sagen. Ihre Lippen waren noch ganz weiß, nur in ihren Augen funkelte ein unheimliches Leben.

Man behauptet, die Männer fürchteten die Leidenschaftlichkeit bei Frauen. Im Allgemeinen ist es der Fall, weil es den meisten Männern an der Energie fehlt, welche dazu gehört, den Aufruhr der weiblichen Natur zu dämpfen, ohne zu Gewaltmaßregeln greifen zu müssen. Der Mann, welcher seiner innerlichen Kraft sicher ist, wird der zürnenden Frau gegenüber ruhig bleiben, er weiß, daß er der Fels und sie die Woge ist, welche schäumend anschlägt, ohne den Felsen zu erschüttern. Norbert Dujardin mußte sich dieser ächt männlichen Kraft bewußt sein, seine Miene in seinem Gesicht veränderte sich, als Carlotta so drohend vor ihn hintrat: er verbeugte sich achtungsvoll und wartete ab, was sie ihm sagen würde.

Sie öffnete die Lippen, um zu sprechen, da hielt ich sie an, indem ich meine Hand auf ihren Arm legte. »Erlauben Sie einen Augenblick,« sagte ich; »wird auch die Frau Generalin nicht kommen?« –

»Meine Mutter weiß, daß ich hier bin,« antwortete Carlotta, ohne die Augen von dem jungen Belgier abzuwenden; »ich habe es ihr gesagt, daß ich mit Herrn Dujardin sprechen will und muß. Warum sind Sie heute nicht gekommen?« fragte sie ihn nun. Ihre Stimme zitterte.

Die seinige war völlig unbewegt, als er einfach antwortete: »Sie wissen es wol, Mademoiselle.«

»Haben Sie nicht errathen, daß ich es dieses Mal durchaus wollte?«

»Ja,« war die bestimmte Antwort.

»Sie haben den Brief der Baronin zeitig genug erhalten?«

»Diesen Vormittag noch.«

»Und Sie wußten es, daß ich ihn diktirt hatte?« Dujardin verbeugte sich abermals.

»Und dennoch nicht?«

»Dennoch nicht, und – niemals,« setzte er mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Unbeugsamkeit hinzu. Man hörte es, dieser Mensch war Fels.

Carlotta sah ihn an und sah es. Er liebte sie, aber er gehorchte ihr nicht. Sie fühlte sich in seiner Gewalt. »Und ich habe schlecht gesungen!« brach sie aus. »Denn ich habe schlecht gesungen, nicht wahr?« wandte sie sich an mich.

»Ja,« antwortete ich trocken.

»Sie hören es!« rief sie, sich wieder zu Dujardin kehrend. Er hörte es höchst gleichgültig an; auf seinem Gesicht stand es deutlich geschrieben: »Was kümmert es mich, ob Sie schlecht gesungen haben oder nicht?«

Außer sich gebracht durch seine Unbeweglichkeit, rang sie die Hände und rief: »Mein Gott, mein Gott, was soll ich thun!«

»Sie wissen es,« sagte Dujardin, und aus seinen Augen brach ein Wetterleuchten der Leidenschaft, welches für einen Augenblick Carlotta's ganze Gestalt wie in einen Flammenschein hüllte.

Carlotta fühlte das nicht. Sie hatte das Gesicht in die Hände verborgen, wiegte sich leise hin und her, wie man wol im Schmerz thut, und wimmerte vor sich hin: »Was soll ich thun?«

»Nicht danach fragen, ob Herr Dujardin da ist oder nicht, und gut singen,« sagte ich, halb ärgerlich und halb gerührt.

»Wenn ich es nun nicht kann?« fragte sie, das Gesicht erhebend und mich hülflos ansehend. Thränen lösten sich einzeln von ihren Wimpern, rannen langsam über ihr blasses Gesicht, welches jetzt nur noch den Schmerz ausdrückte. Sie mußte sehr leiden, um so zu weinen. Dujardin betrachtete sie mit dem innigsten Mitgefühl.

»Ich sehe Sie nicht gern weinen,« sagte er leise, fast bittend.

»Wer anders macht mich denn weinen, als Sie?« antwortete Carlotta. »O, ich bitte Sie, lassen Sie mich endlich frei! Wenn es so fortwährt – ich fühl's: Sie vernichten mich als Künstlerin!«

»O wenn das wäre!« rief er leidenschaftlich.

»Da vernichten Sie mich mit, denn die Kunst ist mein Leben!«

Er schüttelte lächelnd den Kopf.

»Und es soll immer so fortgehen?« fragte sie

»So lange, bis Sie's einsehen, daß Sie mein werden müssen.«

»Warum soll ich's werden?« rief sie.

»Weil ich Sie retten muß! Weil das mein mir von Gott bestimmtes Werk ist.«

»Ah, ein Fanatiker!« dachte ich. »Zugleich Liebe und Bekehrung.«

»Lassen Sie mir wenigstens Zeit,« bat nach einer Pause Carlotta, die, ganz entmuthigt, ihre Niederlage nur noch etwas hinausschieben zu wollen schien. »Nur einige Monate, damit ich mich besinnen, fassen, entscheiden könne. Wollen Sie das?«

»Ich habe bewiesen, daß ich Geduld habe,« antwortete Dujardin. »Ich warte seit zwei Jahren, und ich werde noch länger warten, weil ich weiß, daß der Tag endlich kommen muß, an welchem ich den Sieg davontragen werde. Nur, soll ich warten, gehen Sie nicht nach Belgien.«

»Wie können Sie sich erlauben, mir das vorschreiben zu wollen?« rief sie, und ihre Weichheit stählte sich allmälig wieder zum Zorn.

»Weil ich,« erwiederte er, jedes Wort deutlich betonend, »wenn Sie erst ein Mal in Belgien öffentlich gesungen haben, Sie meiner Mutter nicht mehr als Schwiegertochter zuführen darf.«

Ungeschickt wie ein ächter Mann! Oder that er's mit Absicht?

Carlotta wurde roth vor Empörung. Ich verdachte es ihr nicht. Sie warf auf Dujardin einen Blick, der ihn zerschmettert hätte, wär' ein Blick wirklich ein Blitz. Ich verdacht' es ihr auch nicht. Dujardin stand wie bisher gerade, aufrecht und unbeweglich. Carlotta riß ihren Mantel von dem Stuhl, über dessen Lehne Baron R. ihn gelegt hatte, und wie ein Sturm von Seide rauschte sie zur Thür hinaus.


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