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Der Herr Eleve.

1.

»So, nun wäre alles zusammengeschleppt, und wir können ans Packen gehen.«

Die kleine, behäbige Frau sieht sich in dem mit herumliegenden und -hängenden Kleidungsstücken angefüllten Gemache um. Dabei streift ein wehmütiger Blick den jungen Mann, der eben vor dem Spiegel einen flotten Jägerhut aufprobiert, den er möglichst keck auf die Seite rückt. Er legt ihn sofort weg, zieht den Rock aus und bietet der Mutter die kräftigen Arme dar.

»Nun lade mal auf, Muttel, ich werde die Sachen in den Koffer werfen.«

»Werfen,« macht sie entrüstet, »hübsch sorgfältig legen werden wir sie. Daß du mir auch die Wäsche immer richtig nach der Nummer brauchst und jedes Stück notierst, das die Waschfrau bekommt. Viel lieber hätte ich dir nach wie vor alles selber besorgt, aber die Entfernung verzögert und erschwert das zu sehr.«

»Na, es wird ja auch so gehen,« meint der Lohn gleichmütig, woraus die Mutter einen tiefen Seufzer ausstößt. Sie kann sichs gar nicht denken, daß ihr Einziger ohne sie fertig werden soll. Max ist nicht etwa ein Muttersöhnchen, bewahre, keine Spur, – aber sie sind seit Vaters Tod doch ganz aufeinander angewiesen gewesen, da kommt gegenseitig das Gefühl der Unentbehrlichkeit.

Nun soll er hinaus ins feindliche Leben, er ist nicht unbegabt gewesen, aber das schreckliche Lernen hat ihn doch recht angegriffen, und er hat sich immer so brennend nach Freiheit und Tätigkeit des Körpers gesehnt. Da haben Mutter und Sohn beschlossen, daß er nach Erlangung des Einjährigenzeugnisses Landwirt werden soll, und der Vormund, Dr. Berger, hat endlich nachgegeben. Es ist seinen Bemühungen zu danken, daß Max zu einem berühmten Landwirt, einer Autorität in seinem Fach, in die Lehre kommt, man hats ja, Gott sei Dank, dazu und braucht nicht mit Pension usw. zu knausern. Freilich liegt die königliche Domäne, die Amtsrat Paulisch in Pacht hat, weit hinten im Oderbruch, und es gehört beinahe eine Tagereise dazu, um sie von ihrem Wohnort in Oberschlesien zu erreichen, aber Freund Berger hat diese Entfernung so nebensächlich behandelt, daß Frau Rüdiger gar nichts dagegen zu sagen wagte. In der Tat lacht sich der alte Herr ins Fäustchen, daß es ihm gelungen ist, den Jungen ein bißchen von den mütterlichen Banden zu lösen!

Mutter und Sohn gehen nun eilig an die Packerei und es ergibt sich, daß der große Koffer und die Riesenstiefelkiste nicht genügen, um alle die aufgespeicherten Sachen zu fassen. Flintentasche und Zubehör, der prächtige Sattel und Zaumzeug liegen als Handgepäck noch draußen. Eine Bücherkiste, in welche Mama Rüdiger neben allen erdenklichen Fachschriften auch etwas Unterhaltungslektüre gepackt hat, ist mit dem Bettsack schon per Fracht vorausgeschickt, so ist die Ausrüstung des Eleven eine recht stattliche, Mama überdenkt es mit Stolz.

»Wie wirst du nur alles in die Schränke und Schübe räumen?« fragt sie mit jenem hausfraulichen Mißtrauen, das die Übernahme derartiger Obliegenheiten von seiten der Herren Söhne ungerechterweise zu begleiten pflegt.

»Oh, das mache ich ganz fix,« entgegnete Max mit sorgloser Miene, indem er den Riemen der Flintentasche probeweise über die Schulter hängt, was ungemein forsch aussieht. Dann überkommt ihn aber plötzlich eine gewisse Zaghaftigkeit, er blickt nachdenklich auf das Gepäck und sagt zögernd:

»Den Sattel möchte ich doch noch hier lassen, du schickst ihn mir, wenn ich ein Reitpferd gekauft habe, mit allem Zubehör nach.«

Mama tut es leid, ihm diesen vornehmen Gegenstand nicht gleich beim Einzuge zur Seite zu wissen und sie macht Gegenvorstellungen, befestigt aber dadurch nur Mäxchens Entschluß.

»Nein, ich bitte dich, schicke ihn nach,« sagte er bestimmt, und so wird der Gegenstand fallen gelassen.

Abends, wo die Geschäftigkeit zur Ruhe übergeht, und nur noch Ermahnungen und Lehren zu geben sind, bricht der Trennungsschmerz bei der liebenden Mutter unaufhaltsam durch.

»Wenn ich wenigstens wüßte, wo du hinkommst, wenn ich deine Umgebung kennen lernen könnte, dir deine erste Einrichtung erleichtern dürfte,« so überstürzen sich die Seufzer der weinenden, haltlosen Frau. Max ist ganz blaß geworden, er kann den Jammer nicht mehr mit ansehen.

»Aber so komm doch mit,« sagt er endlich, »wer hindert dich daran.«

Und in seinem innersten Seelenwinkel steigt ein leises Gefühl der Beruhigung auf bei dem Gedanken, daß die Mama ihm den Eintritt in die fremde Familie erleichtern wird. Sie faßt den Gedanken auf, und Hals über Kopf geht sie daran, sich zur Reise zu rüsten, da sie schon früh vor fünf Uhr am Bahnhof sein müssen, um den Schnellzug nach Breslau zu erreichen.

AIs sich die Reisenden am anderen Nachmittage ihrem Bestimmungsorte nähern, wird ihnen freilich ein wenig unsicher zumute, aber keines will es dem andern gestehen. Mama ist in Schwulität, weil sie unangemeldet in ein fremdes Haus zu dringen beabsichtigt, und Max denkt mit Bangen daran, daß er, wie ein kleiner Junge, an der Mutter Hand seinen Einzug bewerkstelligen will.

2.

In Blumenau sitzt Amtsrat Paulisch an seinem Schreibtisch, der so ans Fenster gerückt ist, daß man von diesem Platz aus den ganzen Hof überblicken kann. Ein sehr gefürchtetes Fenster ists, das gleichwohl die Blicke aller auf dem Hofe Verkehrenden magnetisch anzieht. »Das historische Eckfenster« wird es deshalb in der Beamtenstube genannt. Aber wenn sie auch anderen gegenüber spotten, es ist keiner unter den jungen Landwirten, dessen Auge nicht bei der Einkehr in den Hof zuerst hinüberflöge, um festzustellen, ob die Gestalt des alten Herrn beobachtend am Fenster steht. Nicht, daß der Amtsrat von dieser Stelle aus das große Wirtschaftsgetriebe zu leiten gewöhnt wäre, bewahre, er ist schon im Morgengrauen draußen und gönnt sich erst Ruhe, wenn abends die letzten Gespanne vor der vollen Krippe stehen. Aber, wenn ihn irgend etwas im Zimmer zurückhält, so ist das historische Eckfenster der Verräter jeder kleinen Unregelmäßigkeit, und sein Klirren bedeutet sicher ein Donnerwetter für schuldbewußte Tage- oder andere Diebe.

Jetzt hat er den ersten Beamten bei sich im Zimmer, da unaufhörlicher Regen die Arbeit des Rübenlegens unterbrochen hat, so daß eine keineswegs erfreuliche Umkrempelung aller Dispositionen nötig wurde und die verhaßten schriftlichen Arbeiten ihr aufdringliches Recht geltend machen. Inspektor Deutscher hat eben seine Bücher präsentiert und steht nun stramm, dieselben unterm Arm haltend, seiner Entlassung gewärtig.

Der alte Herr, von den jungen Leuten kurzweg »der Alte« genannt, hat zwar weißes Haar und einen ebensolchen Schnurrbart, aber seine Augen blicken hell und scharf unter den buschigen Brauen hervor, und die straffe Haltung der hohen Gestalt zeugt noch von Kraft und Energie. Die hohe weiße Stirn steht in auffallendem Gegensätze zu der braunroten Gesichtsfarbe, welche beweist, daß der Amtsrat sich den Einwirkungen von Luft und Sonne keineswegs entzieht. Jetzt schiebt er mit der wohlgepflegten Rechten das Schreibzeug ein wenig zurück und legt die Wirtschaftsbücher, in denen er Nachtragungen vorgenommen hat, in das dafür bestimmte Fach, lehnt sich im Stuhl zurück und fragt: »Wer ist nach Rüdiger gefahren?«

»Der Hubiak, Herr Amtsrat.«

»Mit dem Flechtwagen?«

»Jawohl, Herr Amtsrat.«

Der alte Herr nickt befriedigt lächelnd vor sich hin.

»Ist immer ein Prüfstein, wie sich so ein junges Herrchen aus der Stadt benimmt, wenn er diese Art Kälberwagen auf der Station vorfindet; noch dazu bei solchem Wetter. Man spart dabei auch den Gepäckwagen.«

»Viel Gepäck wird Herr Rüdiger kaum noch mitbringen, es sind ja schon zwei hübsche Frachtstücke da,« sagt Deutscher.

»Noch eins, lieber Deutscher, bitten Sie Herrn von Duwaloff in meinem Namen, den neuen Ankömmling im Anfang mit seinen Witzen zu verschonen. Ich werde mir das junge Fohlen zunächst mal selber an die Leine nehmen. So, das wäre alles, ich danke Ihnen.«

»Sehr wohl, Herr Amtsrat,« murmelt Deutscher, und will sich rückwärts konzentrieren, als ihn ein Ausruf seines Prinzipals zurückhält. Dieser ist zum Fenster getreten und blickt angelegentlich in den strömenden Regen hinaus.

»Das ist doch Hubiak,« sagt er, »aber wo zum Donnerwetter steckt denn Rüdiger, Gepäck genug sehe ich, aber keinen Eleven!«

Der Knecht lenkt mit seinem Gespann nach dem Beamtenhause hinüber, aber von dem jungen Mann vermag auch Deutscher weit und breit nichts zu sehen.

Der Alte murmelt ingrimmig vor sich hin: »Aha, zu fein für die Flechte,« als eine Droschke in den Hof biegt, die sich mit »sausendem Schritt« dem Herrenhause nähert. Der Amtsrat läßt einen kurzen Pfiff hören.

»So ein Vogel bist du, na warte man, mein Bürschchen.« Fast verächtlich dreht er sich vom Fenster weg.

»Es sitzt auch eine Dame im Wagen,« bemerkt Deutscher, der die Entwicklung der Sache abwarten zu sollen glaubt.

»Wahrhaftig! Das ist entschieden die Frau Mama, – da muß doch ein Brief verloren gegangen sein, – – – Bitte, Deutscher, schicken Sie im Vorbeigehen Friedrich mit einer Meldung zu meiner Frau, ich will doch selber hinausgehen, die Dame zu begrüßen.«

Jetzt ist der alte Herr ganz ritterlicher Hausherr und empfängt Frau Rüdiger mit so selbstverständlicher Höflichkeit, daß ihre Bangigkeit schwindet.

»Aber meine gnädige Frau, ich bitte tausendmal um Entschuldigung, Ihre Anmeldung ist uns nicht zugegangen, ich hätte sonst den Landauer zur Bahn geschickt.«

Mama erklärt verlegen ihren schnellen Entschluß, und der Amtsrat unterdrückt mit Mühe ein belustigtes Lächeln.

Im Salon finden sie die Amtsrätin, welche kühl freundlich die Erklärungen und Entschuldigungen von Frau Rüdiger entgegennimmt und den ihr vorgestellten Max ebenso begrüßt. Mama erwähnt gleich, daß sie die Droschke hier behalten habe und nur ihrem Sohn bei seiner Einrichtung helfen wolle. Der Nachtzug werde sie dann wieder entführen.

Die Amtsrätin nötigt nicht zum längeren Verbleib, weil es ihr unverständlich ist, wie die Frau den großen Sohn derartig bemuttern kann.

Dann ruht ihr beobachtendes Auge auf dem jungen Mann, dessen fast kindliche Züge mit dem offenen Blick der großen grauen Augen ihr nicht zu mißfallen scheinen. In wärmerem Tone spricht sie ihn an und sucht sich ein Bild von seinem Wesen zu verschaffen. Er antwortet schlicht und frisch und sie denkt: »Gottlob, noch scheint er nicht verdorben.«

Der Amtsrat als Menschenkenner, lächelt manchmal verstohlen. Diese Spezies verwöhnter Stadtjungen ist ihm bekannt, aber wo er guten Kern findet, läßt er sich die Mühe nicht verdrießen, ihn aus der widerlichen Hülle herauszuschälen. Fest anfassen muß man das Bürschchen, aber ihm dabei den Beruf nicht verleiden und der Jugend ihr Becht einräumen.

Es wird Wein gereicht und ein Imbiß, und auch da fliegt ein prüfender Blick des alten Herrn zu Max herüber. Wird er in angenommener Bescheidenheit danken?

I wo! Max greift tapfer zu und läßt sich auch ein Schinkenbrötchen munden.

»Na,« sagt der Alte, »stoßen wir mal an, auf gute Lehrzeit! Wird nicht alle Tage Wein geben, wohl aber tüchtige Arbeit. Wie wirds mit dem Frühaufstehen sein? So alle Tage um halb vier Uhr heraus, das schmeckt nicht immer.«

»Wenn ich geweckt werde, will ich schon da sein,« sagt Max mutig, nachdem er seinem Prinzipal Bescheid getan hat. Mama aber fragt:

»Auch bei schlechtem Wetter? Max, dann vergiß nur nicht, dich warm anzuziehen und schlimmstenfalls ein Halstuch zu nehmen.«

Max wird glühend rot, aber die Amtsrätin hilft freundlich der Mutter:

»Ja, ja, die jungen Leute machen zuerst immer den Fehler, sich ohne jede Vorsicht gewaltsam abhärten zu wollen, das rächt sich oft empfindlich. Ihre Frau Mama hat ganz recht, Sie zu mahnen.«

»Ach was, ohne Schnupfen gehts freilich nicht ab, nur keine Pimpelei, er wirds schon gewöhnt werden,« damit schließt der Amtsrat die Debatte, und Frau Rüdiger erhebt sich. Die Hausfrau klingelt, befiehlt dem eintretenden Diener, die Herrschaften ins Beamtenhaus zu geleiten und bittet zugleich, sich um acht Uhr zum Abendbrot einzufinden, da Frau Rüdiger dann noch bequem den Nachtzug erreichen könne.

Drüben hat Deutscher die Sachen bereits abladen lassen und steht noch bei den Leuten, die alles in das schlichte Mansardenstübchen, das für Max bestimmt ist, tragen. Als Mutter und Sohn den unteren Hausflur durchschreiten, öffnet sich schnell eine Tür, in deren Rahmen die Gestalt eines jungen Mannes erscheint, der sich artig verneigt und dann sofort zurückzieht. Max hatte einen Blick in ein geräumiges, komfortabel eingerichtetes Zimmer geworfen, an dessen Wänden Jagdrequisiten und Reitpeitschen sichtbar wurden, Mama hat mehr den Herrn betrachtet, dessen dunkles Gesicht entschieden slavischen Typus aufwies.

Oben treffen sie mit Deutscher zusammen, der sich höflich bekannt macht und seine Hilfe anbietet, die dankbar angenommen wird. Frau Rüdiger bittet ihn, die große Kiste öffnen zu lassen und vertraut ihm unterdessen das Nötigste an:

Wie lieb Max schon als Kind war, wie gut und brav, und daß sie sich um ihn ängstigt und den Herrn Inspektor bittet, ihn nicht gar zu sehr anstrengen zu lassen, ihn zu schonen und zu hüten usw.

Max hört nichts von alledem, er hat seine Sachen abgelegt, und die praktische Art, wie er zugreift, den Kistendeckel gleich von den Nägeln befreit und in Sicherheit bringt, verwandelt das spöttische Lächeln, welches Deutschers Lippen bei dem mütterlichen Erguß umspielt, in ein beifälliges. »Nur die Alte erst raus,« denkt er, »der Junge wird sich schon machen.«

Nach zwei Stunden ist die Arbeit getan, der Kleiderschrank strotzt von Sachen und an dem primitiven Rechen hängt die funkelnagelneue Joppe, der Jagdhut und der Regenmantel. Flinte und Jagdtasche schmücken im Verein mit einer eleganten Reitpeitsche die eine Wand und werden von zwei Gemälden flankiert, wie sie sich für einen strebsamen Landwirt gehören. Rechts: Englische Lämmer, zur Tränke gehend, aus der berühmten Schäferei von Sattig-Würchwitz, links: Trakehner Stuten mit Fohlen. Das größte Bild, eine Holländer Kuhherde darstellend, hat der törichte Kerl, der Händler, nicht pünktlich abgeliefert, es kommt noch nach.

Mama hat nichts vergessen, Teppiche und Tischdecken, Aschenbecher und Stiefelknecht, alles ist an seinem Platze, und das schlichte Zimmer sieht ganz behaglich aus.

Deutscher bewundert alles aufrichtig. Jetzt tritt er an die schöne Flinte heran, prüft das Schloß und sagt so beiläufig: »Schade, daß die hier verrosten soll.«

Max sieht ihm forschend ins Gesicht, und seine Mutter fragt erstaunt:

»Wird denn hier nicht gejagt?«

»Oh, doch, gnädige Frau, aber ob Ihr Herr Sohn im ersten Jahre seines Hierseins dazu kommen wird, ist doch fraglich.«

»Aber er hat einen Jagdschein für fünfzehn Mark gelöst,« sagt sie noch immer ungläubig.

»Trotzdem, gnädige Frau, in der Elevenzeit darf man höchstens mal 'ne Krähe wegblitzen, die der Mamsell ein Hühnchen nahm.«

Frau Rüdiger blickt empört zu ihrem John hinüber, sie hat es auf der Zunge, zu sagen, für das teure Lehrgeld müsse Max das Recht beanspruchen, seiner Jagdliebhaberei zu fröhnen, aber ein ängstlich abwehrender Blick seiner Augen schließt ihr die Lippen.

Deutscher empfiehlt sich dann, und die beiden bleiben allein. »Gut, daß ich den Sattel daheim ließ, Mama, schicke ihn keinesfalls nach,« sagt Max.

3.

Als Deutscher unten an der Zimmertür vorüberkommt, öffnet sich diese abermals, und Herr von Duwaloff, denn dieser ist der neugierige junge Mann, winkt ihm einzutreten. AIs Deutscher im Zimmer ist, erhebt sich eine zweite Gestalt vom Platz am Schreibtisch und begrüßt ihn.

»Nanu, Schmidt, was machen Sie denn hier?« Ehe der Angeredete antworten kann, sagt der Russe:

»Hab ich Schulmeister herbestellt, lasse ihn arbeiten vieles Schriftliches, was ist furchtbar langweilig.«

Deutscher lacht belustigt: »Aber ich denke, Sie wollen die deutsche Buchführung erlernen, Herr von Duwaloff.«

»Hab ich schon gelernt alles, – furchtbar langweilig,« lautet die gleichmütige Antwort. Dann faßt er Deutscher am Rockknopf und fragt:

»Wie ist neues Eleve? Hat wohl Kinderfrau mitgebracht, das ihn soll waschen und kämmen. Habe ich gesehen alte Frau, wird sie bleiben hier?« Deutscher erklärt und Duwaloff geht lebhaft zu anderem über.

»Wissen Sie wo ist Hubiak hingefahren?«

»Er sollte Schnitzel für den Ochsenstall ranfahren.«

»Tut er nicht, hab ich ihn geschickt nochmal zur Stadt. Müssen wir heut feiern Ankunft von neues Eleven auf meiner Bude, brauch ich Wein, Zigarren, laß ich holen. Bitte die Herren nach dem Souper zu kommen.«

»Aber, Herr von Duwalow, das ist gegen die Abrede, wie können Sie meine Dispositionen derartig durchkreuzen?« ruft Deutscher unwillig aus und setzt hinzu, was ihm der Amtsrat inbetreff Rüdigers aufgetragen hat. »Wenn der Alte nun merkt, daß Hubiak zur Stabt gefahren ist, muß ich natürlich tun, als habe ich darum gewußt, das ist mir wirklich fatal,« schließt er.

»Ach, lassen Sie sein, wird der Alte nichts merken, habe ich gebeten um Vortrag über Drainageanlage, gehe sogleich hinüber und gucken wir dann so eifrig in Karten, daß nix zu merken ist, werd ich fragen viel, serr viel! – Also kommen Sie alle abends zu mir, morgen Sonntag, wollen wir ausschlafen. Ist besser so, hat man bloß Schande, wenn man mit jungen Leuten kneipt im Lokal, vertragen zu wenig, ist unangenehm.«

Als Deutscher sich entfernt hat, trifft Duwaloff seine Vorbereitungen für den Abend. Auf seinen Pfiff erscheint ein junger Bursche, in dunkelgrüner Livree, der ihm zu seiner persönlichen Bedienung zugewiesen wurde.

»Jetzt aufgepaßt, Johann, werden wir heut abend trinken.«

»Zu Befehl, Herr Baron!«

»Werden wir viel trinken: Bier, Wein, – werde ich brauchen viele Gläser, laß dir geben von Mamsell, aber gutes Glas, nicht dick wie Stiefelsohle, mag ich nicht!«

»Zu Befehl, Herr Baron. Sie wird aber nicht geben. Sie hat gesagt, wir haben letztes Mal zu viel zerschlagen, sie darf nichts mehr geben.«

Duwaloff greift in die Westentasche, in der lose Goldstücke klingeln und reicht dem Diener zwanzig Mark.

»Bezahl gleich auf der Stelle, was du hast zerschlagen, ungeschicktes Kerl, aber andermal laß ganz die guten Gläser.«

»Ich hab nichts zerschlagen,« stammelt Johann, ist aber wie der Wind zur Türe hinaus, da der Russe nach seiner Reitpeitsche greift. Trau der Teufel so einem russischen Edelmann! Er sieht freilich nicht das schalkhafte Leuchten in den Augen seines Gebieters, der zu dem Schullehrer gewendet, sagt:

»Furcht muß es haben, Dienervolk das.«

Dann belohnt er ebenso freigiebig den erfreuten Mann, dem die unverhoffte Nebeneinnahme bei seiner Kinderschar hochwillkommen ist. –

* * *

Und nun ist die Abschiedsstunde vorüber. Mama Rüdiger und Max haben bei der Abendtafel sämtliche Familienmitglieder und die übrigen jungen Leute kennen gelernt, und eine stattliche Tafelrunde ists. Drei erwachsene Töchter und ein Backfischchen, Miß Morton, die Engländerin, welche mit den jungen Damen Konversation und Musik treibt, und außer Deutscher und dem Russen, der Hofverwalter Keil und der Assistent Volkmann nehmen ihre bestimmten Plätze ein. Ganz zuletzt schiebt sich noch eine schlichte weibliche Gestalt herein und drückt sich bescheiden auf den untersten Platz – – die Mamsell.

Frau Rüdiger sieht mit Erstaunen, welche Mengen Milchsuppe da ausgelöffelt werden und wie sich auf den Tellern der jungen Leute die Bratkartoffeln häufen; können sie das neben der Zugabe von kaltem Fleisch wirklich bewältigen? Der Amtsrat hat die Verwunderung seiner Nachbarin bemerkt und auch das zögernde Löffeln ihres Sohnes, der, nachdem er die reichliche Suppenportion heldenmütig überwunden hat, kaum noch etwas genießen kann.

»Wird schon besser werden mit der Zeit,« sagte er lächelnd, »in ein paar Wochen greift er anders zu, besonders wenn Fräulein Minchen die Frühstücks- und Vesperschnitten ein wenig beschränkt. Nur nicht zwischendurch viel essen, das macht träge, die Hauptmahlzeiten tüchtig ausnützen, das ist das richtige.«

Schnell ist die Mahlzeit beendet, und bald darauf meldet der Diener, daß der Wagen vorgefahren sei. Der Amtsrat hat sich's nicht nehmen lassen, seinen Wagen anzubieten und klopft Max wohlwollend auf die Schulter:

»Werden die Frau Mama doch zur Bahn begleiten wollen, deshalb hab ich die Droschke zurückgeschickt.«

Max hat sich den Abschied nicht so schwer gedacht, – aber so eine schluchzende, bebende Frau immer wieder trösten und beruhigen zu müssen, sich das ganze Elend ihres vereinsamten Lebens auszumalen, das greift einem weichherzigen Jüngling doch ans Herz! Ganz blaß ist er, und seine Augen sind feucht geworden, aber er zwingt seinen eigenen Jammer mutig nieder und findet endlich das rechte Wort:

»Aber Mama, es gefällt mir hier ausgezeichnet, und wenn ich recht tüchtig bin, wird's ja nicht gar so lange dauern, bis du zu mir auf unser Gut ziehst, – in der Stube, zu Hause könnte ich doch die Landwirtschaft nicht erlernen!«

»Ach, dann heiratest du, und ich bin auch überflüssig,« schluchzt Frau Rüdiger, aber Max weist aufs äußerste empört diesen schrecklichen Verdacht von sich.

»Ich denke gar nicht daran,« schließt er seine Lobrede auf das Zölibat, und Mama ist nun ein wenig ruhiger.

Dann endlich sind sie auf dem Bahnhof, der Zug braust heran und nimmt die kleine Frau auf, die in dem Hasten und Drängen, welches die Schnellzüge zu verursachen pflegen, kaum Zeit findet, ihren Jungen noch einmal richtig abzuküssen.

Max kehrt in etwas gedrückter Stimmung in seinem Stübchen ein, bald aber sitzt er mit den andern bei dem guten Glase Wein, das Duwaloff seinen Gästen bietet, und das Klingen der Gläser scheint ihm eine fröhliche Zukunft einzuläuten!

4.

Am Sonntagmorgen geht Max mit den Kollegen durch die Ställe und Wirtschaftsgebäude. Er staunt beim Einblick in das riesige Wirtschaftsgetriebe, zu dem eine Brennerei gehört, während man den Schornstein der städtischen Zuckerfabrik in nicht gar zu großer Ferne emporragen sieht. Der Regen hat endlich aufgehört, und die jungen Leute gehen heiter plaudernd, wenn auch ein wenig blaß aussehend, über den Hof, dessen Grundlosigkeit Max geheimes Entsetzen erregt, er blickt etwas ängstlich auf seine neuen Beinkleider herab, die er dieser harten Probe unterwerfen soll.

»Krempeln Sie man 'rauf,« sagt Deutscher, »der Bruchboden klebt wie Wagenschmiere.«

Im Ochsenstall stehen 120 Ochsen, sie geben in dem hohen, gewölbten Stall, auf reinlichem Strohlager gemächlich wiederkauend, ein Bild behaglicher Ruhe. Lebhafter ging es im Pferdestall zu, wo einige 40 kräftige Kaltblüter bei jeder Bewegung das Rasseln der Ketten oder das Aufschlagen der Hufe auf das Pflaster vernehmen lassen, hier und da hantiert ein Knecht, sonntäglich gewaschen und mit feuchtglänzendem Scheitel, in weißleuchtenden Hemdsärmeln mit Eimer oder Besen. Es wird dann ein kurzer Gruß getauscht, dem einer der Herren eine sachgemäße Frage oder Bemerkung hinzufügt. Max geht ziemlich schweigsam einher, nachdem ihm Duwaloff auf harmlose Fragen in einer Weise antwortete, die bei den Kollegen wahre Lachsalven hervorriefen.

Zum Beispiel fragte »der Neue« nach dem Zweck eines im Bau begriffenen Stalles und erhielt die prompte Erklärung:

»Baut der Alte Logierhaus für die Muttern von seinen Eleven.«

AIs sie bei den in gerader Linie aufgefahrenen Ackergerätschaften vorbeikämen, bittet Max, ihm die Handhabung des Pfluges zu zeigen, aber Duwaloff schneidet Deutschers bereitwillige Erklärung mit den Worten ab:

»Alles veraltet, sind wir weiter fortgeschritten. Bei uns geht Pflug ähnlich wie Fahrrad, kein Pferd oder Ochse nötig, Reiter sitzt oben, drückt auf elektrischen Apparat und hat nur zu lenken. Kommen alle Herren aus der Stadt und machen Arbeit zu ihrem Vergnügen und um nicht zu sein dick.«

Alle lachen und Deutscher vertröstet Max auf später, wo er alles genau genug kennen lernen wird.

Überall herrscht die größte Ordnung und Eigenheit. Ein wahres Schmuckkästchen ist der Kuhstall. Auf dem breiten Mittelgange, der das ganze Gebäude durchschneidet, könnte man nach Deutschers Ansicht »mit weißen Atlasschuhen gehen und brächte sie sauber wieder heraus.« Der Futtergang, der sich in angemessener Breite an den Wänden hinzieht und von großen, hellen Fenstern Licht empfängt, und die Krippen sehen wie »geleckt« aus, kein Wunder, daß die Kühe in diesem Ideal von Stall ihrem Züchter Ehre machen.

Ihr kräftiger Körperbau und ihre strotzenden Euter sprechen für ihre Futterrationen, und es ist so gut wie gar nicht aufgeschnitten, wenn Volkmann sagt:

»Heut ›spiegeln‹ sie man wieder so.«

Deutscher gibt mehr auf die Erträge, als auf das Aussehen und prüft eingehend die große Tafel im Stall, die für Max unverständliche Hieroglyphen enthält, er lächelt befriedigt.

»Das gnädige Fräulein wird sich freuen, wir steigen gradatim, die neuen Zutreter machen sich ganz famos.«

»Ich messe auch sehr reichlich,« rühmt sich Keil, kriegt aber sofort was auf den Kopf:

»Na, alter Freund, wenn's nicht aufs Pfund stimmt bei der Abrechnung, greifen Sie gefälligst in Ihre Tasche, in solchen Dingen verstehen wir keinen Spaß.« »Wir« sind natürlich Deutscher und der Alte.

»Immer reichlich aus den Speicher messen und knapp runter,« gibt Volkmann kund und zu wissen, »dann bleibt stets ein Restchen für wohltätige Zwecke.« »So z. B. für ein freudiges Aufleuchten in Fräulein Hildegards Augen!« »Oder für eine dick belegte Stulle von Mamsells zarter Hand, wenn sie mal ausnahmsweise nicht vom »Geringen« für die Hühner kriegt.«

So tönt es lustig durcheinander, und Max blickt verstohlen von einem Kollegen zum andern, er versteht zwar die Anspielungen noch nicht in ihrer ganzen Tragweite, aber so viel ist ihm klar, daß er in einen Kreis heiterer, zufriedener Menschen versetzt wurde, die Landwirtschaft scheint ihre Jünger nicht gerade sauertöpfisch zu machen.

Mit wahrer Hochachtung macht die kleine Gesellschaft dann bei den »Importierten« halt, die in vornehmer Ruhe daliegen, als wären sie sich der ganzen Wichtigkeit ihrer Mission bewußt. Deutscher nimmt es beinahe wie eine Majestätsbeleidigung auf, daß Volkmann der einen Färse einen derben Schlag auf den glänzenden Schenkel gibt, der sie zum Aufstehen veranlaßt, stimmt dann aber versöhnt in die Bewunderung aller Schönheiten der breitgebauten Oldenburgerin ein. Max steht diesem Begeisterungshymnus verständnislos gegenüber, in diesem Moment erscheinen ihm seine Herren Vorgesetzten einfach töricht. –

Der Schafstall, wo die Negrettiherde gehegt wird, hält die jungen Leute nicht lange auf, 's ist keiner darunter, dem dieser Wirtschaftszweig besonderes Interesse einzuflößen vermöchte.

Nur der Russe knüpft mit dem Schafmeister ein sachverständiges Gespräch an, weshalb Keil Max erklären zu sollen glaubt:

»Er ist Besitzer einer Herde von 4000 Stück, daher seine Kenntnisse auf diesem Gebiet.«

Mehr im Vordergrunde der Teilnahme steht bei den Beamten die Schweinezucht, die gerade erfreulichen Aufschwung genommen hat. Die Mastschweine sind in jenem hochgepriesenen Zustande, den der Händler besonders bevorzugt, knapp dreiviertel Jahr alt und im Gewicht von zwei bis drei Zentnern. Nun gar die Mutterschweine mit ihren »quatschlichen« Ferkeln, welche nach einem oft kolportierten Ausspruch Fräulein Hildegards »wie mit rosa Atlas gefüttert sind!« Man sieht wirklich selten solche Mustertiere, eine Kreuzung vom Meißner Schwein mit der Yorkshirerasse, sie bekommen »rein nichts« und werden doch fett.

Eben kommt der Wächter mit der Schweinemagd, sie bringen die Mittagsration heran, und es erhebt sich ein ohrenzerreißender Lärm im Stall.

Die strengen Augen der jungen Leute prüfen Qualität und Quantität des Futters, und der unvermeidliche Knotenstock weist mit scharfem Tadel auf jeden noch so unscheinbaren Futterrest in den Krippen. Das Futter selbst sieht ganz appetitlich aus, feingemahlene Dämpfkartoffeln sind trocken mit Getreideschrot vermengt worden, und der große Zober abgelassene Milch liefert für jede Partei die vorschriftsmäßige Menge Flüssigkeit zum »Nachspülen«. Deutscher geht mit Max von Koben zu Koben und gibt ihm einen ungefähren. Begriff vom Wert und Zweck der Schweinezucht und -Mast, hinzusetzend: »Voriges Jahr, wo das Getreide fast wertlos war, haben wir einen Versuch gemacht, die Körner bei der Mast besser zu verwerten, wir gaben ungeschrotene Gerste und reichlich abgelassene, verdünnte Milch, sparten dabei Arbeitskraft und Kartoffeln und haben annähernd 4000 Mark aus den Mastschweinen gewonnen. Dieses Jahr wird der Ertrag höher sein, da die Preise enorm gestiegen sind, aber wir füttern nur minderwertiges Getreide, da augenblicklich ganz besonders gute Konjunkturen für die Körner sind.« Von den Ställen geht es durch die anderen Wirtschaftsräume, da ist die Brennerei, die, noch im Betriebe, sich blitzblank präsentiert. Der riesenhafte Speicher mit seinen drei übereinander liegenden Böden birgt Schätze an Futter- und Getreidevorräten, letztere hauptsächlich zu Deputatzwecken aufgehoben, denn der Alte ist kein Freund vom Getreidelagern, sein Grundsatz ist: der Landwirt soll nicht spekulieren, sondern die Preise mitnehmen, wie sie gerade treffen. Der glatte Fußboden erweckt in Duwaloffs Kopf ketzerische Gedanken.

»Können Sie tanzen?« fragt er Max.

Dieser vergißt bei dieser Frage seine Reserve gegen den Übermütigen und nickt lebhaft.

»O natürlich, sehr gut!«

»Werden wir zum Erntefest hier oben Ball haben, denke ich.«

Deutscher wehrt lebhaft ab:

»Das mag der Alte nicht, die Leute bekommen Geld und feiern ihr Fest im Wirtshaus.«

»Wird dieses Jahr anders sein, werden wir doch Erntefest hier feiern,« beharrt in unerschütterlicher Ruhe Duwaloff.

Nachdem noch die Sackkammer besichtigt wurde, welche den enormen Bestand des Gutes an Getreidesäcken enthält, die sauber aufeinander gestapelt sind, wie die Servietten im Wäscheschrank der Hausfrau, wirft man auch einen Blick in die Geschirrkammer.

Hier hängen die Joche und Leinen, die zur Bespannung der Zugochsen gehören und allabendlich von den fremden Anspannern, die das Gut heranzuziehen genötigt ist, abgegeben werden müssen. Ein mitfühlender Blick Keils trifft Max, der ahnungslos diese Einrichtung bewundert, von morgen ab wird er die angenehme Aufgabe haben, diesen Kampf mit unordentlichen oder böswilligen Leuten zu führen.

Reichlich zwei Stunden hat der Gang durch die Wirtschaft in Anspruch genommen und nun landet die ganze Gesellschaft in Duwaloffs Zimmer, wo ein auserlesenes Katerfrühstück ihrer harrt und ein ganz solider Frühschoppen die Antrittsfeierlichkeit für Max beschließt. Am Nachmittag findet ein Gang durch die Felder statt, der vom Herrenhause aus, nach dem Kaffee, und unter Beteiligung der Damen angetreten wird.

Hier zeigt sich deutlicher, was Max schon aus den Reden der Kollegen entnommen hat, daß alle in heißer Neigung zu der zweiten Haustochter entbrannt sind, Hildegard interessiert sich nämlich für die Landwirtschaft und besonders für den Kuhstall, und sie lenkt die jungen Leute an einem seidenen Fädchen. Max erobert sich unabsichtlich das Herz des Backfischchens durch seine Kenntnisse im Lawntennis und gibt wertvolle Ratschläge für Einrichtung des neuen Tennisplatzes, der im Park erstehen soll! Er hatte reichlich Gelegenheit, diesen Sport im Logengarten seiner Vaterstadt zu üben. Zum Glück hat Mama auch daran gedacht, den Tennisanzug mitzugeben.

Nach dem Abendbrot ziehen sich die jungen Leute zurück, Max bleibt in seinem Zimmer und schreibt an Mama, der er das Leben eines Landwirts in den blühendsten Farben malt, – als ihn am anderen Morgen die rauhe Stimme des Wächters ruft und er bald darauf seinen Blümchenkaffee und die derben Brotschnitten vorgesetzt bekommt und sehr verschlafen an die Toilette geht, bei dieser Arbeit das Frühstück ab und zu »versuchend«, scheint ihm die Zukunft nicht mehr ganz so rosig, aber er geht willig daran, sich in seine Tagespflichten einweihen zu lassen.

5.

Wie manche Illusion schwindet in dieser ersten Zeit auf dem Lande in Maxs Seele, wie oft bereut er bitter, nicht lieber seinem Vormund gefolgt zu sein, der so dringend zur Offizierskarriere riet, da vom Studium keine Rede sein sollte. Ists denn ein Vergnügen dabei zu stehen, wenn die Goldgrube der Landwirtschaft geleert und ihr Inhalt auf die Felder gefahren wird? Und wenn dann gar der Alte herankommt und sagt:

»Zeigen Sie den Leuten, daß Sie auch was davon verstehen, laden Sie mal selber so ein Fuder kunstgerecht auf,« oder draußen auf dem Felde: »schlagen Sie den Dünger in größere Haufen ab,« und dann dabei stehen bleibt, bis der Eleve wirklich, mit zusammengebissenen Zähnen freilich, und innerlich wütend, seine »Zeile« abgedüngt hat.

Oder ists gemütlich, beim Rüben- und Kartoffellegen oder beim Drillen von Regengüssen überrascht zu werden und geduldig dazustehen, als wäre so ein kaltes Bad für den Menschen das schönste Vergnügen? Und wie oft, wenn der todmüde junge Mann sein Zimmer glücklich erreicht hat und, ohne sich Zeit zu nehmen, die nassen, schweren Stiefel auszuziehen, einfach aufs Sofa fällt, um zu ruhen, wie oft klopft es dann energisch an, und er wird abgerufen. Da kalbt eine Kuh, und der Eleve soll dabei sein; dort soll noch was vom Boden herabgegeben werden, und man wählt mit besonderer Vorliebe Herrn Rüdiger zu diesen Extrawegen, oder der erste Beamte braucht eine Notiz, die Max haben muß, aber natürlich gerade vergessen hat einzutragen, gar nicht zu gedenken all der »unsäglich zwecklosen« Schreibereien, die ihm aufgebürdet sind. Nein, in den ersten zwei Monaten seiner Lehrzeit fühlt er sich körperlich und geistig entsetzlich mitgenommen, nur die Furcht, sich lächerlich zu machen hält ihn davon zurück, all diesen Qualen einfach den Rücken zu kehren und sich daheim von Mama hätscheln zu lassen.

Ganz allmählich aber tritt ein Umschwung ein. Der Körper beginnt sich an die veränderte Lebensweise zu gewöhnen, die schlaffen Muskeln spannen sich, und da sich gesunder Appetit einfindet, mundet dem verwöhnten Gaumen die einfache, kräftige Kost. Der Amtsrat tauscht manchmal einen verständnisvollen Blick mit seiner Frau, wenn er auf Maxs Teller sieht, er kann die faulen Esser ebenso wenig leiden wie die langsamen Arbeiter. Und nun Max die körperlichen Strapazen seines Berufs leichter überwindet, wird auch sein Geist freier. Er blickt mit Verständnis um sich und fängt an, sich mit Stolz als nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft zu fühlen.

Mit Staunen wird er sich bewußt, wie unendlich viel der Landwirt zu lernen hat, um allen Anforderungen der neuen Zeit zu genügen. Abgesehen vom alten Herrn, dem seine langjährigen Erfahrungen zur Seite stehen, – muß nicht Deutscher in Buchführung, Ackerwirtschaft, Viehzucht, Tierarzneikunde, Chemie, ja sogar Nationalökonomie und Gerichtsverwaltung bewandert sein. Und das alles neben der anstrengenden körperlichen Tätigkeit, die ihn viele Stunden am Tage zu Pferde oder zu Fuß draußen beschäftigt. Dabei findet er auch noch Zeit, Fachschriften und Zeitungen zu lesen und angemessenen Umgang zu pflegen. Gar mancher gelehrte Herr, der geringschätzig auf den Landwirt herabsieht, würde staunen, wenn er die Arbeitskraft dieses Beamten mit seinen eigenen Leistungen vergliche. Die Zeit ist eben vorbei, wo die unbegabten Jungen Landwirte werden mußten, jetzt hat nur der intelligente Mann Aussicht, auf diesem Gebiet vorwärts zu kommen.

Und wie enthaltsam und sparsam geht es dabei in Blumenau zu! Von oben herab weht ein Geist von Einfachheit und Selbstverleugnung, wie ihn Max daheim nicht kennen gelernt hat. Sich selber vieles versagen, um Bedürftigen jederzeit helfen zu können, ist das nicht Edelsinn? Wie oft hat Max in der ersten Zeit die Nase gerümpft, wenn er den »Alten« im schlichten, von der Sonne farblos gemachten Rock einhergehen sah, wie manchmal ihn einen Geizkragen und Kleinigkeitskrämer gescholten, – seit er aber sieht, daß auf dem Gute eine nie ermüdende Fürsorge für die ordentlichen Armen waltet, macht er einen Unterschied zwischen Geiz und Sparsamkeit. Die Achtsamkeit auf kleine Dinge ist ihm allmählich auch in Fleisch und Blut übergegangen, er übersieht keine am Boden liegende Kartoffel oder Rübe, und sein Stock schleudert sorgsam jedes Kleebüschel auf den Futtergang, das die verschwenderischen Kühe zum Fliegenjagen benutzt haben. Und wenn die Gespanne beim Dungfahren etwas von dem köstlichen Stoff verlieren, so befördert der Eleve das herabgefallene sicher auf den Acker. Der Alte schmunzelt, wenn er dergleichen sieht, aber er zeigt dem jungen Manne doch fast noch immer ein barsches Gesicht, beileibe nicht zu zeitig loben, das verdirbt die Erfolge!

Wer ihm das Leben auf dem Lande als einförmig und langweilig geschildert hat, der soll jetzt nur zu Max kommen, er tauscht mit keinem seiner Schulkameraden, die entweder viele Stunden des Tages ans dumpfige Zimmer gefesselt sind, oder einförmigen Gamaschendienst zu leisten haben. Zwar die Studenten loben ihm die Freiheit ihres Lebens in blühendem Stil, – aber wie bald kehren sie als Philister zu ihren staubigen Akten oder anderen Pflichten zurück, während er als Gutsherr sein eigner Herr bleibt und unumschränkte Freiheit genießt. Wie schön malt er sich und in seinen Briefen auch der Mama diese Zukunft aus, – wenn sie auch noch fern liegt, denn nach beendeter zweijähriger Lehrzeit wird er Soldat und will später die Universität besuchen, ehe er sich ankauft.

Bei den Kollegen hat er sich allmählich eine geachtete Stellung erworben. Allmählich, – denn zuerst haben sie es an Neckereien und Spott nicht fehlen lassen. Über das ist die beste Art der Erziehung, die so verwöhnten jungen Menschen den Übergang ins tätige Leben erleichtert, notabene, wenn sie einen guten Fond haben. Als Max das erstemal bei heftigem Regen mit harmlosem Sinn den Regenschirm auf dem Hofe benützte, glaubte er ein Verbrechen begangen zu haben, so empört zeigten sich alle über seine Weichlichkeit.

Von da ab hätte er sich lieber in den Tod erkältet, als nochmal Furcht vor dem Naßwerden gezeigt, – – – daß die lieben Kollegen bei solchen Anlässen imprägnierte Joppen oder Mäntel trugen, wußte er damals noch nicht, machte es später aber ebenso.

Und als gelegentlich seine Freude am Reiten recht kindlich zum Ausdruck gekommen war, haben sie nicht geruht, bis sie ihn mal auf dem Pferde hatten und ihn so recht müde und zerschlagen heimbrachten, sich lachend gegenseitig versichernd: »Der steigt sobald nicht wieder aufs Roß.« Aber, siehe da, mein Mäxchen hat dann vom Alten die Erlaubnis erwirkt, regelrecht reiten zu lernen und hat kein Ungemach gescheut, bis er auch darin seinen Mann stellte, – sie freuten sich wirklich sämtlich über den tüchtigen Kern, der in ihm steckte.

Merkwürdigerweise ist der Russe sein treuster Ratgeber geworden. Er hat die seltene Menschenkenntnis, die ihrem Besitzer alle Wege öffnet, weil er seine Umgebung an der schwachen Seite zu fassen weiß, und wenn Max auch nicht zu Übergriffen neigt, so ist doch gerade ihm ein derartiger Umgang von Nutzen. Er gewöhnt sich, seine Ansicht frei herauszusagen, wenn sie auch der Duwaloffs direkt entgegengesetzt ist.

Oft genug gibt ihm dieser Anlaß dazu. Nach der Ernte unternahm der Amtsrat mit seiner Familie eine Erholungsreise, und diesen Zeitpunkt hatte sich der Russe ausersehen, seinen Leuteball zu geben.

Deutscher weigerte sich, irgend einen Wirtschaftsraum in Abwesenheit des Alten diesem Fest zu öffnen, erreichte damit aber nur, daß der reiche Jüngling bei dem Stellmacher des Nachbardorfes einen Tanzboden von Dielen bestellte, die er an irgend einem schönen Plätzchen im Walde auslegen zu lassen gedachte. Eine arge Spaltung der Ansichten trat zu Tage, denn welchem jungen Mann hätte das Geld und seine Macht nicht imponiert?

Und wie herrlich hätte sich's da draußen getanzt. Aber so verlockend es auch dem Eleven schien, diese Demonstration mitzumachen, er hatte sie doch als solche erkannt und sein Anstandsgefühl empörte sich dagegen. So gelang es ihm, durch ruhiges Entgegentreten die Festlichkeit bis nach der Rückkehr des Chefs hinauszuschieben, und sie fand dann mit Pomp statt.

Freilich konnte Max nicht verhindern, daß sich ein Karussell im Dorfe niederließ und der Russe es für einen ganzen Sonntag mietete, um alle Leute, die Platz fanden und Lust hatten, diesen Sport zu üben, fahren zu lassen. Das war ja ein wirklicher Spaß!

Nun liegt das alles hinter ihm, das erste Jahr der Elevenzeit ist vorüber, und er hat Urlaub erhalten, nach Hause zu fahren. Mit ganz anderen Gefühlen tritt er die Reise an, er weiß, daß er seinem Chef wenig Anlaß zur Unzufriedenheit gibt, und er fühlt festen Grund unter den Füßen.

Noch vermag er ja nicht Vergleiche mit anderen Wirtschaften zu ziehen, aber die jungen Leute aus Blumenaue wissen wohl, daß sie unter sicherer Führung marschieren. »Unser Roggen ist wieder mal viel besser aufgekommen, wie der drüben,« »unsere Rüben stehen kräftiger und sind tadellos behackt,« »unsere Pferde ziehen das spielend,« solche von größter Befriedigung strotzenden Reden kann man täglich hören, sie sind immer ein rührendes Zeugnis für das innige Verwachsen mit der Tätigkeit, die einem andern Vorteil bringt, und wo sie geführt werden, kann man sicher sein, daß der Lehrmeister lebenslangen Dank von seinen Schülern erntet. Oft kommt die Erkenntnis spät, um so unbegrenzter ist sie dann aber. Max hat das Glück gehabt, in Gemeinschaft mit braven Genossen seine Lehrzeit zu absolvieren, dadurch ist ihm kein aus Neid, Haß und Übelwollen gewebter Schleier vor die Augen gelegt worden, sondern er hat in ungetrübter Hochachtung zum »Alten« und seinem Vorgesetzten aufgeschaut; das hat ihm sehr bald den Weg geebnet, denn nur wo Vertrauen herrscht und vollkommene Sicherheit, daß jede Maßregel, ob verständlich oder unverständlich, zum guten Ziele führt, geht das Lernen gedeihlich vorwärts.

So zieht er fröhlich heim, und eine ganze Weile sind seine Gedanken noch bei der Wirtschaft. Ob auch alles in seiner Abwesenheit ordentlich besorgt werden wird?

Dann aber gewinnt ihm die Fahrt durch die anderen Gegenden Interesse ab, und er sieht mit kritischen Augen auf die Frühjahrsbestellung der Ländereien, die die Bahnlinie durchschneidet. Und endlich richten sich seine Gedanken nur noch auf das Wiedersehen mit der Mutter.

Und diese? Als der Zug hält, sucht sie ihren blassen, schmächtigen Max, und was findet sie? Einen kräftigen jungen Mann, mit von der Luft gefärbten Wangen und einem dunkeln Hauch über der Oberlippe, – es wird nächstens ein Bart sein, – das ist nicht Mäxchen, der Primaner, den sie ängstlich sorgend aus den Armen ließ, – das ist der Herr Eleve in prächtiger Frische und mit ungeschwächtem Jugendmut.


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