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6.
Männliche Hausgenossen.

Wir saßen eines Sonntags gemütlich am etwas verspäteten Kaffeetisch, im Winter die behaglichste Stunde für mich, weil da endlich einmal Zeit war, langgehegte Wünsche vorzutragen und Dinge zu erörtern, für die im Getriebe der Woche kein Gehör zu erwarten war. Mein Mann rauchte sich eben eine Feiertagszigarre an, und schon wollte ich meinen wohlerwogenen Vortrag beginnen, der mir zu einem neuen Waschkessel verhelfen sollte, der alte ließ sich wirklich nicht mehr reparieren –, da öffnete er den Mund und kam seinerseits mit einem überraschenden Vorschlag zutage.

»Es geht doch nicht länger ohne eine Hilfe,« begann er, tat einige heftige Züge, um den Glimmstengel ordentlich in Brand zu bringen, und fuhr dann fort: »Die Schreibereien bleiben liegen, man wird beständig vom Landratsamt gemahnt, und schließlich, überall kann ich auch nicht sein. Der Schüttboden bedarf steter Aufsicht, in den Ställen möchte man bei jeder Arbeit stehen, und der alte Brunke schafft's auch nicht mehr lange.«

Ich ersah aus diesen Worten zu meiner Freude, daß es beschlossene Sache war, einen Beamten einzustellen und erwog sofort die Möglichkeit, ihn unterzubringen. Aus diesen Gedanken heraus sagte ich unvermittelt: »Klein ist ja die leere Stube im Gesindehause, aber wenn sie angeweißt wird und Türe und Fenster frisch gestrichen werden, kann sie bescheidenen Ansprüchen wohl genügen. Der Ofen bedarf allerdings auch der Nachhilfe.«

Mein Mann sah mich von der Seite an und lachte. »Du hast dir ja schon alles überlegt, und ich glaubte, auf Schwierigkeiten zu stoßen.« »Daß du dir eine Hilfe halten müßtest, habe ich doch schon öfters ausgesprochen,« entgegnete ich. An und für sich war mir freilich der Gedanke, einen Dritten in unser bisher ungestörtes Beieinander eintreten zu sehen, wenig verlockend. Aber gar zu unruhig verließen wir Haus und Hof, wenn wir die Unsrigen besuchten oder auch nur mal auf ein paar Stunden in die Nachbarschaft fuhren und niemanden zurückließen, der uns wirksam vertrat. Gar zu sehr hetzte sich mein Mann von früh bis spät ab, es war nötig, eine helfende Persönlichkeit anzustellen.

»Soll ich wegen der Einrichtung der Stube mal nach der Stadt fahren?« fragte ich eifrig, wie lange wartete ich schon auf eine Gelegenheit, Einkäufe zu machen! Mein Mann wiegte den Kopf. »Gleich kaufen,« sagte er mißbilligend, »überlege erst, was wir entbehren können, in einem wohlgeordneten Haushalte muß sich doch so viel Überschuß an Sachen finden, daß man ein kleines Zimmer damit ausstaffieren kann.«

Ich unterdrückte ein Lächeln, denn ich überschaute im Geiste meinen wohlgeordneten Haushalt und fand, daß ich mein Gastzimmer ziemlich ausräumen müßte, wollte ich das Beamtenzimmer wohnlich einrichten. Ich kannte aber meinen Mann. Stellte ich sofort große Ansprüche an seinen Geldbeutel, so ließ er wohl den Plan ganz fallen. Der alte Spruch: »Kommt Zeit, kommt Rat« tröstete mich, und ich strich sogar den Kessel für heute von der Tagesordnung, mich eifrig der Beamtenfrage zuwendend.

»Hoffentlich haben wir Glück und bekommen einen tüchtigen Menschen und angenehmen Hausgenossen,« schloß mein Mann unsere Unterredung, »denn so unbequem es uns auch manchmal sein wird, heranziehen werde ich den jungen Mann so viel wie möglich, Findet er bei uns keinen Anschluß, so sucht er ihn natürlich unten, versumpft in der Dorfkneipe oder bändelt Liebesgeschichten an.«

An solche Dinge hatte ich noch gar nicht gedacht, mir ahnte nun erst, daß ich wohl auch meine Arbeit an der Überwachung des jungen Mannes haben würde.

Ich studierte von da ab das Wochenblatt des Städtchens und fand bald, was ich suchte, es wurden »gebrauchte, wohlerhaltene Möbel« billig angeboten. Da griff ich still in meinen Sparbeutel und kaufte das allernötigste, während mein Mann das Instandsetzen des Zimmers bezahlte. Es entstand auf diese Weise ein schlichtes, aber ganz behagliches Heim für den Unbekannten, der aus einer Unzahl schriftlicher Meldungen noch auszuwählen war.

Nach den üblichen Unterhandlungen kam dann ein Herr Franke in unser Haus, ein kleiner, schwarzer Jüngling, von dem ich zunächst nicht den Eindruck hatte, daß er den Leuten imponieren würde. Und er benahm sich sehr ungebildet, er wußte nicht mit Messer und Gabel umzugehen, legte die Arme beim Essen auf den Tisch und riß die Schüsseln mit einer Vehemenz an sich, daß man meinte, er wolle sich sein Teil sichern, ehe es zu spät wäre. Heute lache ich in der Erinnerung an die ersten Mahlzeiten mit Herrn Franke, damals hatte ich ein sehr beklommenes und unbehagliches Gefühl und fand es sehr schwer, diese schlechten Angewohnheiten zu rügen. Ich machte mir Vorwürfe, nicht darauf gedrungen zu haben, daß wir einen Beamten aus gebildeter Familie bekämen. Aber mein Mann sagte auf solche Äußerungen nur kurz: »Das ist das wenigste. Der arme Kerl weiß es nicht besser und wird sich bald anders benehmen lernen, wenn er nur sonst seine Schuldigkeit tut.« Ja, aber da haperte es zuerst auch, wenn wir früher in Sorge wegfuhren, so blieben wir jetzt lieber still zu Hause, denn fast immer hatte der junge Mann haarsträubende Dummheiten begangen, wenn wir fort gewesen waren, falsch verstandene Befehle haarscharf durchgeführt und die Leute »verrückt gemacht«, wie der Kunstausdruck lautete.

Er schrieb eine Handschrift wie gestochen, konnte aber nicht einen ordentlichen Brief allein zustande bringen, also auch die erhoffte Hilfe bei den Schreibereien blieb aus. Ich begriff meinen Mann nicht, sah nicht, wo er den guten Kern bei Herrn Franke fand, auf den er baute, ich hätte nicht so viel Geduld gehabt. Aber, siehe da, es trat unmerklich eine Wandlung ein, und eines Tages wurden mein Mann und ich darüber einig, daß sich unser junger Mann »herauszumachen« begann. Es bedurfte nicht mehr meiner geduldigen Ermahnungen, zu sehen, wie wir uns bei Tische benahmen und es nachzumachen, es bedurfte nicht mehr der ungeduldigen Donnerwetter meines Mannes –, Herr Franke machte seine Sache. Der Lehrer hatte ihm, auf Ersuchen meines Mannes auch wöchentlich mehrere Abendstunden geopfert, um ihn in die Geheimnisse des Briefstils einzuweihen – kurz, Herr Franke wurde das, was wir uns gewünscht hatten. Er verfolgte übrigens mit leidenschaftlichem Interesse alles, was auf Jagd Bezug hatte. Mein Mann nahm ihn Sonntags manchmal mit hinaus oder beteiligte ihn am Scheibenschießen. Endlich versprach er ihm, daß er mal mit dem Jäger ausziehen und ein jagdbares Wild erlegen dürfe.

In einer Mondscheinnacht klopfte daher der Jäger an Herrn Frankes Fenster und bedeutete ihm, eiligst herauszukommen, es sei Damwild draußen. Der junge Mann warf nur das Nötigste über, Stiefel anzuziehen hätte zu viel Zeit gekostet, also hurtig in die Pantinen und hinaus. Und so kam er tatsächlich zu Schuß und erlegte einen kapitalen Hirsch! Wir erfuhren es erst am anderen Morgen, und mein Mann konnte sich gar nicht beruhigen. »So ein Schwein hat der Franke, und schießt noch dazu in Schlafschuhen, das ist ja zum Heulen.« Der Jäger schilderte auch, daß der glückliche Schütze sich gefürchtet habe, an das mit den Läufen schlagende Tier heranzutreten.

Es wurde viel über die Sache gelacht, das Geweih hängt noch heute in unserer Sammlung und erweckt oft heitere Erinnerungen.

Der Dienst fürs Vaterland rief Herrn Franke nach Jahr und Tag hinweg, aber er hat uns seine Anhänglichkeit noch lange durch wohlstilisierte Briefe gezeigt.

Und dann kam die Flut der anderen. Natürlich legten wir bei der nächsten Annonce Gewicht auf das »aus guter Familie«. Da hatte ich denn freilich keine schlechten Manieren zu bekämpfen, aber ich erfuhr jetzt erst, wie ungenügend mein mühsam hergerichtetes Beamtenstübchen für einen gebildeten Menschen war. Und ich mußte nun die Augen offen halten, weil der nette junge Mann die seinigen auf unser braves Stubenmädchen geworfen hatte, und ihr den Kopf zu verdrehen strebte. Und ich mußte die Bierkiste unter eigenen Verschluß nehmen, da der Gebrauch plötzlich ins Unglaubliche stieg; ach, wo war der bescheidene, ungeschickte, ungehobelte Herr Franke? Oft mußte ich an einen Ausspruch des alten Landwirtes denken, den ich in diesen Blättern schon öfters habe zu Worte kommen lassen. Ich hatte ihm wohl mal meine Erziehungssorgen mitgeteilt, da antwortete er mir: »Ja, glauben Sie denn, daß es eine Freude ist, hochgebildete Stadtjünglinge in unsern Beruf einzuführen? Viel leichter ist es, einem schlichten Burschen gesellschaftliche Formen anzuerziehen, als einen verwöhnten, eingebildeten, an keine körperliche Anstrengung gewöhnten jungen Mann zum praktischen Landwirt heranzubilden.« Aber, setzte er nachdrucksvoll hinzu, »das Allerschlimmste sind die Volontäre. Da kommen die reichen jungen Leute daher, nippen an allem ein bißchen herum, wollen nur einen Überblick gewinnen, sich beileibe nicht anstrengen, werden gehätschelt und verwöhnt und sind der Gegenstand des Neides für Beamte und Leute, was ersteren streng untersagt ist, das nächtliche Ausbleiben, das willkürliche Fernbleiben von der Tätigkeit, ihnen wird es nachgesehen, sie stehen auf, wann sie wollen, beteiligen sich nach Gefallen an der Arbeit und geben täglich Anlaß zu Ärgernis.«

»Warum ist man ihnen gegenüber so nachsichtig?« fragte ich, »Prinzen werden in den öffentlichen Lehranstalten, die sie besuchen, genau so streng gehalten wie die andern Schüler, warum macht man mit den Volontären bei der Landwirtschaft so viele Umstände?« »Viele der Herren Prinzipale sagen sich: Will der junge Mann was lernen, so mag er die Gelegenheit wahrnehmen, das ist seine eigene Sache. Andere wollen sich die gut zahlenden Pensionäre nicht vertreiben. Es gibt natürlich Ausnahmen, Lehrherren, die es mit der Ausbildung der Volontäre sehr genau nehmen und gleich von vornherein die Bedingung stellen, daß der Betreffende sich den Anordnungen seines Chefs zu fügen hat, und es gibt auch reiche junge Leute, die wirklich lernen und arbeiten wollen, aber wie gesagt, häufiger sind die oben geschilderten Zustände.«

Nun, mein Mann nahm keine Volontäre, diese Erfahrung blieb uns fern. Aber ich hatte doch hier und da Gelegenheit, zu hören, wie »anregend und belebend« die jungen Herren in einzelnen Familien wirkten, ich sah die Jugend beim mehr oder weniger harmlosen Flirten und dachte oft, es müßte eine dankenswerte Aufgabe sein, so einen jungen Mann zum tüchtigen Landwirt, zum nützlichen Gliede der menschlichen Gesellschaft zu erziehen. Gar zu oft hörte ich von meinem Manne den Seufzer: »wenn man reich wäre, wie wollte man alles auf die Höhe bringen, sich alle Errungenschaften der vorwärts strebenden Landwirtschaft zunutze machen, wie sind einem aber die Hände gebunden, wenn das Kapital fehlt!« Es tat mir weh, zu sehen, wie häufig reiche Mittel vergeudet wurden, und zu denken, daß sie in anderen Händen unendlichen Segen stiften könnten. Aber die Arbeit ist ja der größte Segen und diese erringt oft Erfolge, die mit Geld allein nicht zu schaffen gewesen wären; damit muß man sich trösten.

So wenig scheinbar die Hausfrau mit der Außenwirtschaft zu tun hat, und so unklug es wäre, wollte sie den Beamten gegenüber sich als Aufpasserin und Angeberin aufspielen, so vermag sie doch, wie durch »geheime Magie«, helfend und vermittelnd zu wirken. Waren bei uns neue Beamte angetreten, so pflegte mein Mann mir, wenn er fortfahren mußte, zu sagen: »Passe ein bißchen auf, wie sich der Betreffende in meiner Abwesenheit macht, das ist der beste Prüfstein!« Da gab es welche, die, sich selbst überlassen, des Prinzipals Fernsein als willkommene Ferienzeit ausnützten, andere, die sich ungeheuer wichtig vorkamen und die Welt einreißen wollten und noch welche, die vor lauter Bedenken, ob das oder jenes dem Herrn auch recht sein würde, absolut nichts vorwärts brachten, von den normalen, tüchtigen Beamten, die allzeit ihre Pflicht tun, will ich hier nichts sagen, sie stehen hors de concours! Aber wie viel kann man da unmerklich ins Gleiche bringen! Beständiges Regenwetter hatte das Einfahren eines großen Strohschobers verhindert, ich wußte, wieviel meinem Manne daran gelegen war, das Stroh geborgen zu wissen, er war einige Tage verreist, und es trat schönes Frostwetter ein. Sehr diplomatisch mußte ich mit unserm guten, aber sehr empfindlichen Beamten die Sache einleiten, es gelang mir, ihn zur Umänderung seiner wirtschaftlichen Pläne zu bewegen, und das Stroh wurde geborgen. Als mein Mann eines Nachts heimkehrte, sagte er: »Der Kutscher sagt mir, daß der 3. den Strohschober eingefahren hat. Endlich mal ein lichter Gedanke. Wollte ihm aber auch geraten haben!« Ich lachte in mich hinein und freute mich meines Erfolges im Stillen.

Oder ein altes Weiblein kam klagend zu mir, zeigte mir ihre verkrümmten Finger und sagte: »So ein junger Mensch weiß freilich nicht, wie's tut, mit solchen Händen soll ich in der Kälte Säcke ausspülen.« Dann erfuhr ich durch vorsichtiges Fragen, denn die Alte fürchtete wegen ihrer Anklage gescholten zu werden, daß mein Mann leichte Arbeit für sie angeordnet hatte und so mißverstanden worden war. Ich vermochte auch da und in manchem ähnlichen Falle Abhilfe zu schaffen, ohne viel Aufhebens davon zu machen, oft aber auch ungerechte Anforderungen zurückzuweisen. Soll ich auch von den zarten Fäden erzählen, die sich oft hin und her spannen, von denen mancher mit rauher Hand zerrissen wurde, mancher auch zum beglückenden festen Bande erstarkte? Aber nein, das wäre wohl indiskret. Und solange die Welt steht, wiederholt sich das gleiche Spiel, nur daß auf dem Lande die Herzen sich schneller zu finden scheinen, das tägliche Beisammensein, die gleichen Interessen, das Fehlen anderer Zerstreuungen reift eben nur schneller die Keime innigen Verständnisses! Aber wir Hausfrauen haben auch da die Flamme zu hüten, daß sie nicht in verzehrender Glut ein ganzes Leben zerstöre.

Zum Schluß noch eine Frage, die mich häufig beschäftigt hat. woran liegt es eigentlich, daß die landwirtschaftlichen Beamten sich so schwer eine gesellschaftliche Stellung erringen können? Freilich fehlt es wohl hauptsächlich an der Zeit, Besuche zu machen oder zu empfangen, und die meisten müssen sich damit begnügen, an der Geselligkeit im Hause ihres Prinzipals teilzunehmen, und nicht immer und überall werden sie dazu herangezogen. Durch dieses gewollte oder erzwungene Zurückziehen entsteht aber leicht eine gewisse Unbeholfenheit und Unsicherheit im Auftreten, die es den jungen Leuten wünschenswert erscheinen läßt, ihren Verkehr da zu suchen, wo sie sich ungeniert geben können und eine gewisse Rolle spielen. Jeder Prinzipal sollte, wie es bei so vielen anderen Berufsarten ist, den Bildungsgrad bestimmen, den er bei der Wahl seines Angestellten voraussetzt, dann würde er in ihm den künftig Gleichgestellten sehen, dem er von vornherein seine gesellschaftliche Stellung schafft. Die Stellung unserer männlichen Hausgenossen würde dadurch viel gewinnen.


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