Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

10.
Ländliche Feste.

In manchen Gegenden unserer lieben Provinz Schlesien sind die Sitten und Gebräuche der alten Zeit völlig eingeschlafen und vergessen. Und da nun jetzt viele Vorschläge zum Feiern ländlicher Feste gemacht werden, und sich allenthalben der Wunsch regt, dem Landleben einen größeren Reiz durch allerlei Vergnügungen zu geben, so will ich erzählen, wie wir früher dergleichen mit unsern Leuten vereint genossen.

Da war zunächst das Pfingstfest, welches lange vorher schon besprochen wurde, von den Burschen des Dorfes mußte eine Fichte beschafft werden, die einfach aus dem Forste entnommen wurde. Der Förster ahnte oder wußte wohl gar, daß man sie holte, drückte aber beide Augen zu, denn es war eben eine geheiligte Sitte, daß der Pfingstbaum aus seinem Wald genommen wurde. Der stattliche Stamm wurde geschält und zur rechten Zeit auf dem Dorfanger eingerammt. An den hoch oben stehen gebliebenen Ästen wurden allerlei gute Dinge angebracht, bunte Tücher und Bänder, Würste, Bretzeln, Pfefferkuchen. Wir steuerten auch unser Teil dazu bei und sahen interessiert den Wettkämpfen zu, durch welche diese Schätze verdient wurden. Wer gut klettern konnte, hatte die Auswahl, und die Burschen holten für ihre Mädchen die gewünschten Gegenstände herab.

Musik und Tanz, fröhlicher Gesang und Spiele begleiteten das Fest, und die Dorfleute hatten nicht nötig, zum Pfingstschießen nach der Stadt zu gehen, sie amüsierten sich untereinander viel besser.

Ziemlich bald darauf wurde dann das Johannisfest mit den üblichen Formalitäten gefeiert. Am 24. Juni wurde zwar wie gewöhnlich gearbeitet, aber abends mußte ein Leiterwagen gestellt werden, der die Leute auf einen auserwählten Platz, fern vom Dorfe, brachte, wo sie ihre brennenden Strohkränze in die Höhe warfen und unter Jauchzen und Schreien sich vor den herabfliegenden brennenden Strohhalmen wahrten. Bei diesem Feste sangen sie: »Goldene Abendsonne« einmal wie allemal, das Lied gehörte zu der Feier. Auf den kleinen Anhöhen brannten dazu Teertonnen, und die Begeisterung stieg immer höher, trotzdem materielle Genüsse an diesem Tage nicht in Frage kamen. Es machte uns große Freude, dem lustigen Treiben zuzusehen, und spät in der Nacht, wenn das letzte Feuer erloschen war, kehrte die lustige Gesellschaft singend heim. Es wird in vielen Orten viel großartiger Johannisfest gefeiert – bei uns geschah es in der eben geschilderten anspruchslosen Weise.

Und nun unser Erntefest! wie viele unserer lieben Freunde und Anverwandten erinnern sich der fröhlichen Erntefeste, die wir mit ihnen und unseren Leuten genossen. Berge von Kuchen wurden gebacken, die Butter dazu hatte ich in Töpfe eingelegt, denn man kannte damals noch keine Surrogate bei der Bäckerei, die Kuchen mußten hoch aufgegangen, und mit Streußel, der wie »Hagelkörner« dicht oben lag, versehen sein. Jeder der Ernteleute, Mann und Weib, bekam ein halbes Blech, Kaffee wurde dazu im Kessel gekocht, reichlich mit Milch und Zucker gemischt und in blanken Eimern auf die gedeckte Tafel gestellt. Wenn die Ernteleute anmarschiert waren, Musik voran, die Ansprachen abgetan waren und der Choral »Nun danket alle Gott« von uns allen gesungen war, kam Kaffee und Kuchen daran. Ein besonderer Tisch war für die Musikanten gedeckt. Es machte uns allen Spaß, zu sehen, wie es mundete, besonders ist mir von einem Erntefest eine russische Arbeiterin in Erinnerung geblieben, die sich an einem Eimer festgesetzt hatte und unermüdlich ihren Becher füllte. Die Kinder, die dem Zuge gefolgt waren und begierig herüberblickten, bekamen auch ihr »Streifel« Kuchen, es machte den jungen Mädchen unserer Gesellschaft die größte Freude, die kleinen Hände zu füllen.

Die von der Vorarbeiterin überreichte Erntekrone war immer ein wahres Wunder, von Blumen, Ebereschen, Ähren und Flittergold hergestellt, sie nahm sogleich den Platz ihrer Vorgängerin im großen Flur ein, wo sie wieder hängen blieb, bis die neue gebracht wurde. Kleinere Kronen, Kränze oder Sträuße wurden den Beamten oder auch den Gästen dargebracht, und der Dank in klingender Münze erlegt.

Dann begann der Tanz auf dem Rasen- oder Kiesplatz vor dem Hause. Man mußte genau die Pflichttänze innehalten, um nicht anzustoßen, waren diese aber erledigt, so tanzte alles bunt untereinander, und oft hörte man unsere jungen Herren die einzelnen Tänzerinnen rühmen, »von denen man lernen könne«, auch die jungen Burschen erwarben sich bei den Mädchen Lob, sie »führten so sicher« und ließen ihre Tänzerinnen in kraftvollem Schwunge nur so dahinschweben. Wenn es das Wetter irgendwie erlaubte, blieben die Leute am liebsten im Freien; man hängte bunte Papierlampions an die Bäume und blieb bis spät in die Nacht draußen. Sonst war der Saal im Wirtshause für den Tanz bestellt, falls nicht auf dem Hofe ein geeigneter Raum vorhanden war. Gegen Abend wurde die übliche Pause »zum Füttern« gemacht, und die Leute aßen bei sich zu Hause ihr Abendbrot, wir hatten nur für die Musikanten zu sorgen. Um auch unsere Hausmädchen recht viel von dem Fest genießen zu lassen, war schon vormittags für das Abendessen und Erfrischungen gesorgt worden, und alle weiblichen Gäste halfen mir beim Anrichten der kalten Gerichte –, es herrschte ein fröhliches Treiben in dem kleinen Kreise. Auch abends holten uns die Leute nochmal zu einer feierlichen Polonaise durch den Park, Musik voran, und wenn wir dann noch mal mittanzten, kam selten, trotz der geleerten Bierfässer, ein Mißklang in das Fest. Freilich kam es in vorgerückter Morgenstunde hier und da mal zu einem Kriegsgeschrei, aber die vernünftigen unter den Honoratioren, Schaffer, Kutscher, usw. brachten durch energische Maßregeln bald wieder alles in Ordnung. Unfrieden entstand meistens durch Neugierige, die sich unberechtigterweise an dem Feste beteiligten. So war das eine Mal, als wir auf dem großen Brennereiboden tanzen ließen, ein Hut zurückgeblieben – –, und ein fremder Jüngling, der in tiefem Rausch schlafend dort auf dem Fußboden gefunden wurde, als die Mägde früh das Schlachtfeld besahen. Bald aber erschien ein älterer Mann aus dem Nachbardorfe, besah den Schlafenden, erkannte seinen Sohn und begann ohne weiteres den Ahnungslosen mit seinem Knotenstocke zu bearbeiten, bis sich völlige Klarheit einstellte; dann gingen die Beiden ab, nicht ohne den Hut mitzunehmen.

Im Ganzen waren es stets gelungene und heitere Feste, ich scheute keine Mühe, um sie gemütlich zu gestalten, und lange noch sprachen die Leute von dem gehabten Vergnügen. Auf einem Gute, wo wir viele Zuckerrüben bauten, schloß sich der Rübenernte ein »Rübenball« an, der im Wirtshaus gegeben, ebenso verlief wie das Erntefest. Man tritt den Leuten näher, wenn man ihre Freuden teilt, und kann viele Studien bei diesen Vereinigungen machen, wie ergötzlich sind z. B. die steifen, langsamen Tänze der Alten, wie drollig die Sprünge der Jungen bei dem Gesange: »Herr Schmidt, Herr Schmidt, was bringt denn Julchen mit?« Man muß sich über die Ursprünglichkeit dieser Tänze freuen und sie nicht in Vergessenheit geraten lassen.

Wenn die Winterabende nahten, begann sich in unserem Dorfe der musikalische Sinn zu regen. Der Lehrer war Vorstand eines Gesangvereins, zu dem jeder, der Stimme hatte, zugelassen wurde. Zweimal in der Woche wurde abends geübt, und dann gab es einen Liederabend, wo Chorgesänge mit Einzelvorträgen abwechselten. Wir bekamen zu diesen Aufführungen stets eine feierliche Einladung, man setzte für uns Rohrstühle in die vorderste Reihe, das Pult des dirigierenden und mit der Geige begleitenden Lehrers war mit einer Guirlande geschmückt, und alles hatte einen festlichen Anstrich. Nach den Vorträgen tanzte die Jugend, und wir sahen zu oder saßen im Honoratiorenstübchen und tranken »Selbstgekelterten«, den man freilich als Glühwein mit viel Zucker genießen mußte, um seinen wahren Wert zu erkennen. Bei diesen Musikabenden fiel die Schranke zwischen Bauern und Knechten gänzlich, wer eben singen konnte, war gleichberechtigt. freilich war es der Lehrer, der seinen guten Einfluß auf alle ausübte, und überall da, wo eine geeignete Persönlichkeit ganz für die gute Sache eintritt, reißt sie die andern mit sich fort.

Daß wir uns an den Kinderfesten beteiligten, war selbstverständlich. Wenn die Abgesandten von der Schule kamen, uns um unseren Beitrag bescheidentlich zu bitten, so flog ein ansehnlicher Groschen in die Büchse, aber ich holte dann noch aus der Stadt nützliche und süße Gaben, die das Fest verherrlichen sollten. Zog die Kinderschar zum Feste aus, so kam sie mit Musik am Schlosse vorbei und machte Halt, um mich und meinen Mann mit Blumengewinden zu schmücken. Der Lehrer hielt eine Ansprache, dankte für unsern Beitrag zum Fest und lud uns im Namen der Kinder ein, daran teil zu nehmen. Wir sagten zu, und nach einem Hoch auf uns, mit dem üblichen Tusch, marschierte die festlich geschmückte Schar mit ihren Fähnchen davon.

Später folgte ich dann mit meiner jeweiligen Stütze, bewaffnet mit Körben voll Obst und Kuchen; sowie den kleinen Gaben, per Wagen nach. Wir spielten unsere alten Kinderspiele mit der Jugend und beteiligten uns ebenso an ihren neuen Vergnügungen, verlosten die mitgebrachten Sachen, verteilten die Leckerbissen und waren fröhlich mit den Fröhlichen.

Das einfache Abendbrot, warme Würstel mit Semmeln und Milch, halfen wir noch verteilen, ehe wir schieden, und abends kam die müde, aber noch immer vergnügte Schar mit den angezündeten Lampions in feierlichem Zuge nochmals vors Schloß –, es war ein köstlicher Tag gewesen. Es macht Freude, schon vorher zu sorgen, daß keines zu kurz kommt. Ein weißes Schürzchen, ein Jäckchen oder ein buntes Band halfen dem Staat der Ärmsten wirkungsvoll auf; es tut weh, wenn man die zierliche Kleidung der einen und daneben die bittere Armut der anderen sieht, schon da beginnt die Bitterkeit gegen die Besitzenden zu keimen, und man muß versuchen auszugleichen.

Wenn jeder nach seinem Können Feste für seine Leute einrichtet, in keiner Weise die Grenze des Guten überschreitend, sie aber mitfeiert, so ist das jedenfalls eines der »kleinen Mittel«, die Anhänglichkeit und Vertrauen schaffen können.


 << zurück weiter >>