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2.
Die Botenfrau.

»Die Neuberten ist da.« Mit dieser Meldung trat zweimal in der Woche das Mädchen bei mir an. Die einundeinhalb Meilen entfernte Stadt wurde damals sehr selten von uns besucht, im Dorfe gab es auch noch keine großen Läden, und so war die Botenfrau ein sehr erwünschtes Verbindungsglied zwischen Land und Stadt. Es ist unglaublich, was alles sie in ihren Kiepen und Körben mitbrachte und wie pünktlich und gewissenhaft sie die verschiedensten Aufträge erledigte. Dabei war es gar nicht mal nötig, ihr alles aufzuschreiben, »nur die kniffligen Bestellungen« mußte man durch beigegebene Zettel erläutern. Sonst machte sie sich ihre Notizen auf einen dürftigen Zettel in geheimnisvoller Chiffreschrift, d. h. in abenteuerlichen Abkürzungen. Mein Mädchen behauptete, sie hätte Fleckwasser einfach durch einen Tintenfleck und ein großes »w« dahinter auf dem Zettel bezeichnet, das habe ich aber nicht selber gesehen. Zufällig traf ich die Neuberten einmal in einem Hutgeschäft, wo sie einen Auftrag für einen Bauern hatte; sie probierte dort den umgearbeiteten Hut auf und erklärte, er wäre zu eng geworden, den dürfe sie nicht nach Hause bringen. Gewissenhafter konnte sie es doch nicht machen. Nur einmal mißglückte eine Bestellung. Ich benutzte damals »Franzbranntwein mit Salz« zu einer stärkenden Einreibung. Es ging wohl etwas eilig, denn die Neuberten erhielt nur den mündlichen Auftrag für die Besorgung und eine leere Flasche dazu. Sie brachte dann einfach »Nordhäuser« und meinte, »das Salz könnten wir uns ja alleene 'nein tun.« Sie hatte es eben mißverstanden. Nach Probe besorgte sie aber z. B. Stickgarn und andere Handarbeitszutaten ganz ausgezeichnet und scheute nicht den Weg von einem Laden in den andern, um das Richtige zu bekommen. Ihr außergewöhnlich gutes Gedächtnis half ihr auch bei Besorgungen in der Buchhandlung, sie zählte die Journale und meldete gleich, wenn eines fehlte und welches, freilich gab sie ihnen ihre eigenen Titel, die wir allmählich in unsern Wortschatz übernahmen. Das »hohe, lange«, war »Über Land und Meer«, das »dicke mit die vielen Bilder« »Westermanns Monatshefte« usw. Auf einer Unredlichkeit habe ich die Neuberten nicht ein einziges Mal betroffen und für ihre Bemühungen hatte sie ihre eigene feste Taxe, an der sie ein bescheidenes Sümmchen verdiente. Im Winter ging sie mit Männerstiefeln, kurz geschürzt dahin, ein dickes Umschlagetuch hüllte Kopf und Schultern ein. Es gewährte einen grotesken Anblick, wenn sie mit Päcken und Körben beladen, auf ihren großen Schirm gestützt, kräftig ausschreitend daher kam. Da sie übrigens die Markttage der Stadt besuchte, fand sie fast immer Gelegenheit für Hin- oder Rückfahrt, und hatte sie sich letztere im voraus sichern können, so ließ sie sagen, sie könne heute »was Großes« mitbringen. Das war oft ganz erwünscht, und beim Abrechnen kam dann der Nachtrag: »Gan Se mir ok an Biehm (Groschen) für den Kutscher«, der natürlich gern bewilligt wurde. Ich habe die Neuberten erst kennen gelernt, wie sie schon eine alternde Frau war, aber rüstig und tatkräftig hat sie noch viele Jahre ihren Beruf ausgeführt, bis ein unternehmungslustiger Dörfler eine Fahrpost einrichtete, und damit der alten Frau ihren Erwerbszweig nahm, heute hat das Dorf Bahnstation und Telephonanschluß, die Spuren der Botentätigkeit sind verwischt und damit ein Teil der alten Zeit, die viele Beschwerden und Mühseligkeiten mit sich führte, so oft man sie auch die gute nennt.

Die Neuberten hat in einem Altersstift einen friedlichen Lebensabend gefunden und ist in hohem Alter gestorben, ein Zeichen, daß Wind und Wetter, beschwerliche Wege und Lasten ihrer Gesundheit keinen Schaden gebracht haben.


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