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2.

Der alte Philipp Steinherr, Fabrikbesitzer und Stadtverordneter, hatte klein angefangen. Grauköpfige Düsseldorfer Bürger erinnerten sich sehr wohl noch der kleinen Blechschmiede auf freiem Felde beim Dorfe Bilk, in der er als junger Mann selbst das Handwerk ausgeübt. Mit nie rastendem Ehrgeiz hatte er seinen Hammer geführt. Seine Bildung hatte er mit zähem Eifer in abendlichen Fortbildungsschulen und durch unablässiges Selbststudium vervollkommnet. Kein Gebiet der über Nacht emporblühenden Technik durfte ihm verschlossen bleiben, sein Spürsinn witterte das goldene Zeitalter, das die Technik zur Wissenschaft und diese Wissenschaft zur Macht stempeln würde, er sah bereits die neue Morgenröte und richtete sich auf ihren Empfang ein, als alles um ihn her noch im Gleise der alten, guten Zeit fortschlenderte, mit echt rheinischem Leichtsinn die Tage hinnahm, wie sie kamen, und – als Hauptsache dieses Erdendaseins – die Feste feierte, wie sie fielen. Philipp Steinherr hatte wenig Feste gefeiert. Seine Gedanken waren zeitlebens auf den Erwerb gerichtet gewesen, auf den Erwerb mit allen Mitteln, die er für seinen Zweck tauglich befand. Der aber war eben der Erwerb, der Konkurrenzkampf, der Aufstieg aus den Niederungen des Lebens zu den Höhen der Besitzenden. Das Wort des Marschalls von Danzig, der auf die hochmütige Frage eines Junkers, ob er sich in der Zahl der Ahnen mit ihm messen könne, schlagend erwiderte: »Nein, aber ich bin ein Ahne«, hatte ihn nicht mehr losgelassen, als er es bei der Lektüre eines Buches gefunden. Der Ahnherr seines Geschlechtes wollte er werden, der bei der Arbeit grübelnde Blechschmied, obwohl er damals noch den Gedanken an Hochzeit machen mit einem geringschätzenden Lächeln abtat. Eins aber wußte er: ein neues Wappenschild richtet man am leichtesten auf heruntergerissenen alten auf, im Kampf der Schlachten wie im Kampf der Industrie. Nur keine Sentimentalitäten beim Geschäft! Man konnte über Leichen schreiten und dennoch ein achtbarer Mann bleiben.

Das hatte Philipp Steinherr in seinem ganzen Leben bewiesen. Als Junger dreißigjähriger Meister erfand er ein billigeres Fabrikationssystem. Er unterbot die Marktpreise so lange, bis er die kleinen Betriebe in der Runde zum Auffliegen gebracht oder von sich abhängig gemacht hatte. Er sog die Kräfte seiner Leute bis zum letzten Blutstropfen aus, entledigte sich ohne Bedenken der verbrauchten, ohne sich über das weitere Schicksal der abgerackerten Alten auch nur einen Gedanken zu machen, und arbeitete, um jeden bösen Leumund zu verstopfen und gleichzeitig seine Leute zur Hergabe der letzten Muskelkraft anzuspornen, mitten unter ihnen mit nie versagender Rüstigkeit. Wenn er an Sonn- und Feiertagen die Messe gehört, gebeichtet und kommuniziert hatte, verschloß er sich tagsüber in seinem kleinen Laboratorium, um Versuche über Versuche anzustellen, und saß abends über seinen Büchern oder trieb Sprachstudien.

Die Kriegsjahre 1864 und 1866 trugen ihm große Lieferungsaufträge ein. Er hatte durch Zufall die Bekanntschaft eines vornehmen Herrn gemacht, der sich zuweilen hier draußen auf den Feldern erging. Wenigstens erschien ihm dazumal der Herr sehr vornehm. Er besaß die kordialen Allüren des etwas heruntergekommenen Edelmannes, die für die unteren Stände stets etwas Bestechendes haben. Dem Meister erzählte er, daß er inspizieren gehe, ob man ihm in der Nacht sein Königreich nicht fortgetragen hätte. Einst habe das ganze Wiesen- und Ackerland, so weit das Auge reiche, seinen Vorfahren gehört, aber der Letzte dieser Biedermänner, sein Herr Vater, habe so gründlich damit aufgeräumt, daß ihm zu tun fast nichts mehr übrigbliebe. Dieser kleine Fetzen Land, einen Steinwurf groß und völlig unkultivierbar, sei der Rest eines einst fürstlichen Vermögens. Vorläufig aber immer noch viel zu geräumig, um sich jetzt schon darin begraben zu lassen.

Dieser lustige Junker, stets in Geldverlegenheit und nie in Sorge um den kommenden Tag, wurde der Mittelsmann zwischen Philipp Steinherr und den Militärbehörden. Die Konnexionen aus den Zeiten der Väter hatten noch vorgehalten, dem Sprossen der alten niederrheinischen Familie ein paar kleine Gefälligkeiten zu erweisen. Als die Schlacht von Königgrätz geschlagen war, hatte Philipp Steinherr den Grundstock zu seinem Vermögen gelegt. Nun konnte er daran denken, eine vorteilhafte Ehe zu schließen. Ihm, dem Fabrikanten, standen die Häuser offen. Er heiratete eine blutjunge Dame, die ihm zwar keine Barmittel, dafür aber einen hochgeachteten Düsseldorfer Namen als Mitgift einbrachte. Er hatte ganz richtig gerechnet. Diese Verbindung brachte ihn vorwärts.

Frau Margot beschenkte ihn im nächstfolgenden Jahre mit einem Sohne und schien damit ihre Pflichten als erledigt zu betrachten. Sie richtete sich mehr und mehr auf die Weltdame ein, was für die im Grunde gut spießbürgerlichen Kreise der Stadt immerhin ein Ereignis war, erhöhte ihre Bedeutung in den Augen der Damenwelt noch durch einen wöchentlichen »Jour«, zu dem sich bald die jungen Offiziere der Garnison und die bessergestellten Elemente der Künstlerschaft drängten, schöngeisterte und flirtete und gewöhnte sich bald an, ihren wenig unterhaltenden Mann lediglich als notwendiges Übel zu betrachten.

Der aber lächelte nur zu dem Tun und Treiben seiner kindischen Gemahlin. Er brauchte ja die Leute, die sie um sich sammelte und durch Koketterien zu fesseln wußte, dann aber so sehr er sich gegen das Eingeständnis sträubte, fürchtete er sich auch ein klein wenig vor der spöttisch überlegenen Miene der jungen Frau, die so trefflich den Unterschied zwischen Geburt und Erziehung anzudeuten wußte und ihm die mangelnde Lebensart fast greifbar zur Erkenntnis zu bringen vermochte. So ließ er sie gewähren, lebte fürder als Hofmarschall neben ihr hin und machte aus jeder Not eine zinstragende Tugend.

Der Deutsch-französische Krieg brachte den gewaltigen Umschwung und Aufschwung in der Industrie, den Philipp Steinherr seit Jahren vorausgesehen hatte. Die große Zeit fand ihn vorbereitet. Ganz in der Stille war ihm ein epochemachendes neues Verfahren in der Herstellung von Eisenblech geglückt. Als der Tag von Sedan vorüber war und die deutschen Armeen auf Paris rückten, ging auch er zum Angriff über, kühl wie ein Börsenspieler. Es galt, so schnell wie möglich Terrain anzukaufen, das beste, das sich zu großen Fabriksanlagen eignete. Mit mathematischer Sicherheit rechnete er aus: war erst der Krieg siegreich beendet, würde eine wilde Spekulation losbrechen und die Werte der Grundstücke ums Vielfache multiplizieren. Dem galt es zuvorzukommen. Er hatte sein Bargeld und den Kredit für die sofortige, jeden Mitbewerb überflügelnde Inangriffnahme und steigernde Unterhaltung eines weit um sich greifenden Betriebs nötiger.

Aber die Bauern von Bilk waren mißtrauisch. Sie wollten zu Kriegszeiten keine Grund- und Bodengeschäfte machen. Ihr Instinkt gab ihnen Witterung von größeren Verdiensten. Schon nach wenigen Tagen merkte Steinherr, daß ein schlauer Spekulant gleich ihm an der Arbeit war, denn die Bauern nannten unerhörte Preise. Bis zum Winter schlug er sich mit der hartnäckigen Bande herum, dann gab er es auf. Jedoch nur, um nachdrücklich einen anderen Plan durchzuführen, den er bisher nur, einem feinbohrenden Schamgefühl nachgebend, in ganz einsamen Stunden zu streicheln gewagt hatte.

Durch die Freunde seiner Frau, die zur Zernierungsarmee gehörten, hatte er die unumstößlicnsten Nachrichten, daß der Fall von Paris nur noch eine Frage von Tagen sein könne. Da opferte er skrupellos die Regungen der Freundschaft. Der fröhliche Mittelsmann, der ihm einst durch die Verschaffung von Armeelieferungen zur Grundlegung seines Wohlstandes verholfen hatte, mußte mit seinem Erbe daran glauben. Das »Königreich«, die paar Hufen Landes, lagen zu beiden Seiten des Bilker Baches langhin gestreckt. Sie waren, wenn die Industrie zur Blüte gelangte, weitaus das günstigste Terrain, nahe genug den Bahnhöfen der Bergisch-Märkischen und der Köln-Mindener Bahn, um sich an diese durch kurze Anschlußgleise anzugliedern.

Philipp Steinherr verließ an diesem Tage die Fabrik vor Feierabend. Er begab sich auf dem kürzesten Weg nach Hause, sicher, den Freund als lustigen Gesellschafter seiner Frau anzutreffen. Er hatte sich nicht getäuscht.

»Du kommst so früh schon?« begrüßte ihn Frau Margot.

»Ich verspürte Lust, ein Stündchen zu verplaudern. Hast du Nachricht von deinem Heinrich?« wandte er sich an den Gast.

»Soeben überbrachte ich der schönen Hausfrau Botschaft von meinem Jungen. Zum Leutnant befördert, vor dem Feinde, und als Marschsoldat ausgerückt. Ja, mein Lieber, so weit hätten wir es mit kaum zwanzig Jahren nicht gebracht, das ist meine Erziehung! Von meinem Alten – Gott hab' ihn selig – hatte ich, als ich zwanzig zählte, nichts, als mein Königreich im Bilker Feld und einem gehörigen Schuß von seinem Podraga im Blut.«

»Und wenn er zurückkommt? Was wird er beginnen?«

»Er wird sich dieser schönen Hausfrau zu Füßen legen, ganz wie bisher. Das ist auch meine Erziehung«, und er küßte galant die Hand der jungen Frau.

»Margot wird«, entgegnete Steinherr, »vorausgesetzt, daß sie ernstliches Interesse an dem hoffnungsvollen jungen Manne nimmt, die Tändeleien abstellen und für seine Zukunft bedacht sein. Wie ich weiß, bereitet sich Heinrich vor, die Kunstakademie zu besuchen.«

»Ach du leew Herrgöttche!« seufzte der Sorglose humoristisch, »der Jong wird Möler, und der Alte hat auch nix! Die Rechnung wird schon auf die Dauer stimmen.«

»Ich will dir einen Vorschlag machen«, sagte Steinherr nachdenk lieb.

»Lieber Freund«, fiel der andere lachend ein, »wenn du mir etwas pumpen willst – gnädige Frau verzeihen wohl diese gräßliche Wendung des Gespräches – so muß ich dich darauf aufmerksam machen, daß, solange mein Heinz und ich dieser schönen Frau um die Wette den Hof machen, wir uns nicht noch obendrein von dem Gatten besolden lassen können.«

Frau Margot lachte wie ein Turteltaube und reichte dem Schwerenöter die Hand zum Kuß. Sie empfand den lustigen Kavalierdienst des Alten fast so entzückend wie die heißen Huldigungen des Jungen, der ihr Gespiele gewesen war.

»Pardon«, sagte Steinherr kalt, »ich dachte, du könntest, wenn es sich um die Zukunft deines Sohnes handelt, auch einmal fünf Minuten ernst sein. Ich beabsichtige nicht im Traume, dir etwas zu schenken, aber ein für dich profitables Geschäft möchte ich dir vorschlagen. Wirklich, aus Freundschaft.«

»Aus Freundschaft? Ein Geschäft? Meines Jungen wegen? Hm, das läßt sich hören.«

»Wieviel, glaubst du, wird die Ausbildung deines Sohnes kosten?«

»Na, gut wär' es, wenn man zweitausend Taler bar in der Hand hätte. Aber die paar Zinsen, die ich beziehe, lassen nicht daran denken.«

»Siehst du«, sagte Steinherr und zog seine Brieftasche heraus, »ich möchte dir, deinem Jungen und meiner Frau, ja auch mir, eine Freude machen und dich bitten, mir dein Königreich zu verkaufen. Ich habe Lust auf ein Stückchen Feld. Vielleicht, daß ich mir einen Gemüsegarten und eine Grasbleiche dort anlege, einige Obstbäume und eine hübsche Laube. Margot wünscht sich lange schon derartiges. Hier sind zweitausend Taler. Einverstanden?«

Der joviale Freund stutzte. Dann lachte er schallend hinaus.

»Philippus, du machst Witze? Da lebst du nicht mehr lange, alter Sohn! Einen Gemüsegarten von fünf Morgen, für euch zwei Leute, denn das Baby rechnet noch nicht mit. Und ich verstehe doch recht: Gemüsegarten? Auf einem Stück Land, auf dem der Herrgott nur nackte Schnecken und Regenwürmer wachsen läßt. O Philippus, du dauerst mich!«

Steinherr lachte mit. Dann, ernst werdend, meinte er ruhig: »Das Bedauern schenk' ich dir gern. Jeder Mensch hat seine Marotte.«

»Wie? Du sprichst im Ernst? Du wolltest wirklich?«

»Hier liegen die zweitausend Taler. Wenn du einverstanden bist, kann die Regierung deines Königreichs morgen schon auf mich übergegangen sein.«

Der Freund hatte sich erhoben und ging im Zimmer auf und ab.

»Philippus«, sagte er dann und blieb vor Steinherr stehen, »du meinst es gut mit mir. Und ich – hm – ich werde dir jetzt wie ein ganz gemeiner, undankbarer und gieriger Rabe erscheinen. Aber, siehst du, wenn ich auch ein einigermaßen flottes Tuch bin: etwas bin ich doch auch meinem Jungen schuldig. Na, also kurz: Glaubst du nicht, daß das Land da draußen nach dem Krieg Grundstückswert bekommen wird, daß sich die Stadt ganz dort hinüber ausdehnen wird? Wenn erst die Milliarden ins Land kommen, wird selbst die ordinärste Plebs von der Bauwut befallen werden, geschweige denn die Mammonspächter und die Herren von der Industrie.«

»Ah – du mißtraust mir? Gut, gut.«

»Sagt' ich es nicht? Nun bin ich der schäbige Rabe! Donnerlütsch, Minsch! Ich? Einem Freunde mißtrauen? Ich wende mich an Sie, schöne Hausfrau. Bin ich denn wirklich schon so tief gesunken?«

Da er nicht weiter wußte, nahm er seinen Marsch durch das Zimmer wieder auf. Ganz kleinlaut, weil ihn das Gefühl peinigte, nicht ritterlich verfahren zu sein, fügte er nur hinzu: »Ich meinte ja auch bloß, wegen der Kriegsentschädigung. Vielleicht hast du die Folgen davon noch gar nicht so ins Auge gefaßt. Ich Tagedieb habe ja genügend Zeit dazu, Luftschlösser zu bauen und in meinem Königreich nach Gold zu schürfen.«

Steinherr setzte die überlegene Miene des Geschäftsmannes auf.

»Ihr werdet euch mit euren Milliardenerwartungen gründlich in die Nesseln setzen. Der Beweis? Nun, was hat uns das Siegesjahr Sechsundsechzig gebracht? Das trägt ein Hund auf dem Schwanze fort. Dem Herrn von Bismarck schien es doch geratener, die gute Laune des Herrn Nachbarn für künftige Zeiten zu schonen. In Geldangelegenheiten sind alle Leute nun mal am kitzlichsten. Frankreich gegenüber wird der Herr von Bismarck zum guten Schluß auch keine andere Politik einschlagen. Die deutsch gewesenen Provinzen zurück, sonst aber den französischen Geldbeutel nach Möglichkeit geschont. Er wirft jetzt nur mit Zahlen um sich, um nachher durch seine Großmut umso nachhaltiger zu versöhnen. Übrigens würde auch England eine solche Schröpfung Frankreichs nicht zulassen. Zum dritten und letzten aber: wer bürgt dir dafür, daß dieser Krieg so bald zu Ende geht und wie er zu Ende geht? Die Franzosen stempeln ihn zum Volkskrieg. Schau mal nach dem Norden, nach Amiens zum Beispiel, welche Heeresmassen dieser Monsieur Faidherbe da wieder aus dem Boden gestampft hat. Eure Milliarden haben einstweilen nur auf dem Monde Kurs. Hier unten könnt ihr damit verhungern.«

Er trommelte einen kurzen Marsch auf dem Tisch. Dann trat Stille ein.

Diese Stille wirkte auf den Hausfreund beklemmend. Er räusperte sich, schritt nach der schönen Hausfrau, die ihm zulächelte, nach dem Hausherrn, der mit einer geradezu beleidigenden Gelangweiltheit nach der Decke starrte und die Daumen umeinanderlaufen ließ, räusperte sich nochmals und trat dann entschieden vor.

»Philippus«, sagte er, »wir kennen uns jetzt ein halbes Dutzend Jahre. Ich hab' dir, wie du behauptest, ein paar Gefälligkeiten erwiesen. Du mir auch. Als Geschäftsleute wären wir ja – nehmen wir mal so an – quitt; aber als Freunde – nee! Schön. So muß das ja auch sein. Und nun, wo du mir deine Freundschaft mal wieder da offenbaren willst, wo sie bei anderen Leuten aufhört, am Portemonnaiechen, da komme ich, ich netter Bruder, dir mit allerhand Eigennützigkeiten, die sich weiß Gott im Ohre eines Fremden beinahe wie Verdächtigungen ausnehmen müßten. Gib mir deine Hand, du wackerer Eisenblechmensch, und laß mich sie drücken. Nichts wie Vertrauen hab' ich zu dir, Vertrauen und Dankbarkeit, 'raus mit dem kalten Mammon und der warmen Liebe! Dafür sei es zehnmal dein, mein Königreich. Nur noch die Zustimmung meines Jungen, und das Geschäft ist perfekt und die Thronfolge geregelt.«

Er schüttelt Steinherr die Hand, daß die Gelenke knackten.

»Heinrichs Zustimmung?« meinte der Geschäftsmann nachdenklich. »Hältst du denn die für nötig?«

»Du wirst mich vielleicht auslachen. Aber es war nun einmal mein Ehrgeiz – und du weißt, in diesem Artikel unterhalte ich nur ein bescheidenes Lager – daß der Junge zum wenigsten eine Scholle Heimatboden sein eigen nennen sollte. Daß ich es konnte, das war ja auch für mich ein sogenanntes ›erhebendes Bewußtsein‹. Grundbesitzer! Na ja … Tempora mutantur. Da bin ich nun zu Ende mit meinem Latein.«

Philipp Steinherr bemerkte die Weichheit des Freundes mit Besorgnis. Jetzt nur keine Sentimentalität aufkommen lassen, sondern Trumpf spielen!

»Ja«, machte er kopfschüttelnd, »wenn du das deinem Sohn schreibst, wird er in dem ganzen Handel natürlich nichts als ein Opfer sehen, das du ihm darbringen willst, sich an Großmut nicht übertreffen lassen wollen und dankend verzichten.«

»Entschuldige, aber für so'n Jammermann wirst du mich doch wohl nicht halten.«

»Hm – – was meinst du, wenn – wenn – meine Frau ihm schriebe? Sie malt ihm seine Zukunft, den Künstlerruhm, den er sich erringen kann, und – na, das wird sie schon selbst am besten wissen. Wie denkst du, Margot?«

»Herr Heinrich wird mir gewiß folgen«, sagte Frau Margot träumerisch. Was verstand sie von den Geschäften der Männer!

»Bis ans Ende der Welt, bis in die Hölle, nee, nee, bis in den Himmel, das Leckermaul!« begeisterte sich der lebensfrohe Causeur, heilfroh, daß er nicht mehr von Geschäften zu reden brauchte. »Und ich alter Krippensetzer werde das Fingerlecken haben. O Philippus, weshalb mußtest du dir eine so charmante Frau nehmen!«

Philipp Steinherr hatte eine Flasche Rheinwein beordert.

»Trinken wir auf eine glückliche Zukunft«, sagte er bedeutsam.

Doch der andere hatte, den gefüllten Römer in der Hand, vor der Frau des Hauses das Knie gebeugt.

»Majestät«, sprach er, »ich habe bisher nur Eurer Schönheit gehuldigt. Lasset mich heute als erster Euch huldigen als der Herrscherin meines Euch zu Füßen liegenden Königreichs. Ich bin Euer Gefangener. Lang lebe und blühe Königin Margot die Erste!«

Die alte, fröhliche Haut ahnte nicht, daß er wirklich eingefangen war.

Eine Woche später traf Antwort aus dem Lager vor Paris ein. Heinrich dankte der Jugendfreundin für das große Vertrauen, das sie in ihn setze und dessen er sich durch seine Kunst und durch seine Anhänglichkeit würdig zeigen werde.

Das Terrain am Bilker Bach ging in den Besitz Philipp Steinherrs über.

Es folgte der Fall von Paris und der Friedensschluß. Wie ein Sturmwind kam die neue Zeit ins Land, das Kapital wurde mobil, die Städte empfanden ihre Enge und reckten sich und dehnten sich aus, industrielle Unternehmungen schossen überall zu Dutzenden empor und suchten der Bauspekulation den besten Boden abzugewinnen, und die Grundstückswerte verdoppelten, verdreifachten, verzehnfachten sich.

In Philipp Steinherrs neuen, mächtigen Eisenwerken dampften die Schlote bei Tag und Nacht. Er war der erste auf dem Platze gewesen. Und als nach wenigen Jahren das einst so einsame Terrain durch lange Straßenzüge der Stadt angegliedert war, als sich die Spekulation durch die unsinnigen, überhetzten Ausgaben zu Grunde gerichtet hatte und das mangelnde oder festgelegte Kapital auch der Industrie den gewaltigen Rückschlag brachte: Philipp Steinherr spürte nichts von schwerer Zeit. Er wuchs und wuchs und war längst Millionär, bevor sein Sohn Hans die ersten Gymnasialklassen hinter sich hatte.

Von dem einstigen Freunde wußte der mit Ehrenämtern überladene Mann seit langem nichts mehr. Der Name klang im Steinherrschen Hause wie das Märchen von der Blechschmiede, die einem Gerüchte nach der Hausherr einstmals draußen im Feld bewirtschaftet haben sollte. An dem Tage – und der Tag war sehr schnell gekommen – an dem der einstige Besitzer des »Königreichs« erfahren hatte, daß er mit kalter Überlegung um hunderttausend Mark geprellt worden war, hatte er das Steinherrsche Haus zum letzten Male betreten. Er war gekommen, seinen Sohn abzuholen, der ahnungslos mit dem Fabrikanten plauderte und nicht dabei vergaß, Frau Margot anzuschwärmen.

»Heinrich«, hatte der alte Junker gelassen gesagt, »mach der Dame dein Kompliment, wie es sich für einen Kavalier gebührt. Und dann setz deinen Hut auf, bevor du an dem kleinen Spitzbuben da vorübergehst, – wie es sich für einen Kavalier gebührt!«

Der Vater war dem Sohne mit der Tat vorangegangen. Er hatte sich zeremoniell vor Frau Margot verbeugt, sich umgewandt, den Hut auf den Kopf gesetzt und war an Philipp Steinherr vorüber zur Türe hinausgeschritten, als sähe er in Luft. Und der Sohn, der bei aller leichten Sinnesart und den Zechgewohnheiten seines Erzeugers die unbedingte Ehrenhaftigkeit seines alten Herrn kannte, war ihm, ohne zu fragen, mit demselben Zeremoniell, auf den Hacken gefolgt.

Trotz des überlauten Lachens ihres Gatten über die »Komödiantenallüren« hatte Frau Margot doch des Gefühls sich nicht erwehren können, daß in diesem scheinbaren Komödiantentum eine erkleckliche Dosis überlegenen Rittersinns gelegen habe. Sie empfand die Demütigung umso stärker, als die beiden einstigen Freunde und Verehrer den Grund des Bruches mit keinem Wort in der Öffentlichkeit laut werden ließen und nicht im Traume daran dachten, die gesellschaftliche Stellung der Steinherrs zu gefährden. Von diesen armen Schluckern einfach übersehen zu werden, hatte sie beschämt, ihre Eitelkeit verletzt und ihren Zorn erregt. Diese Wunde wollte sich auch im Laufe der Zeit nicht schließen.

Hin und wieder hörte sie über die originelle Zigeunerwirtschaft der beiden reden, die hinfort wie Kameraden zusammen hausten, las in den Zeitungen von dem wachsenden Ruhm des Jungen, der in seiner Kunst mehr und mehr ein Eigener wurde, oder stand wohl auch in den Ausstellungen vor seinen Bildern, die bei aller Realistik einen bannenden Farbenrausch zur Schau trugen. Dann fühlte sie ein feines, feines Bohren in ihrem Herzen, das wie aus weiter Ferne sich meldete. Und wenn sie darüber grübelte, tauchte aus verschollenen Jugendtagen das Bild eines Jünglings vor ihr auf, dessen heißes Knabentum sie einst geliebt hatte. Die verwöhnte Weltdame, die seit Jahren die Grenzen ihrer Jugend künstlich zu erweitern trachtete, fand in solchen Stunden keinen Spott über ihre Gefühle. Ein einziges Mal in ihrem so rein äußerlichen Leben hatte die Liebe sie gestreift. Die Liebe zu ihrem Pagen.

Sie hatte sie geopfert, aus Bequemlichkeit, aus Egoismus; in der Hoffnung auf Ersatz.

Die elegante Frau mit den müden Zügen, die in ihrem Rosengarten draußen im Villenviertel der Grafenbergerchaussee unter einem Zeltdach ruhte, strich mechanisch mit der Hand über die Augenlider.

»Long, long ago –« murmelte sie. »Der Page ist jung geblieben und seine Königin wird alt. Wir hätten miteinander jung bleiben können …«

Sie schloß die Augen und horchte auf das feine, feine Bohren in ihrem Herzen, das wie aus weiter Ferne sich meldete – – –.

Bei der Mittagstafel hatte ihr Sohn von seinem neuen Freunde erzählt. Der Name von Springe hatte die Konversation der Ehegatten verstummen gemacht.

»Von Springe? – Ach, das war ja der tolle, alte Junker. Hm …«

»Von Springe?« – Das war ja einst die Jugend …

*


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