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2.

Hans Steinherr hatte es nicht sonderlich eilig gehabt, Frau Bettina Wittelsbach wiederzusehen. Die ersten Tage in Berlin waren damit hingegangen, eine Wohnung zu suchen und das Ameublement auszuwählen, das dem Geschmack eines verwöhnten Junggesellen zu entsprechen vermochte.

Er konnte nicht müde werden, die Stadt zu durchstreifen und sich die Gegenstände Stück für Stück zusammenzuholen. So schuf er sich ein Heim, so ruhig und vornehm in Form und Farbe, als hätte ein kunstsinniger Geist schon seit einem Menschenalter in diesen Räumen geweilt.

Die Wohnung lag in der Viktoriastraße nahe der Potsdamerbrücke. Wenige Schritte, und er war mitten im Leben der Großstadt; wenige Schritte zurück, und die Brandung war verrauscht, Weltabgeschiedenheit umfing ihn. Seine Stimmung brauchte sich von der Laune Berlins nicht abhängig zu machen.

Vierzehn Tage hatte er benötigt, um die Einrichtung zu vollenden. Von früh bis spät war er in freudiger Tätigkeit gewesen, und das Schaffen und Anordnen, das stetige Sichversenken in jeden neuen Gegenstand und das heitere Bekanntwerden mit den Dingen, die nun seine Umgebung bildeten, hatte seine andrängenden Gedanken und Erinnerungen in ruhige Bahnen abgezogen.

Es war ein Vormittag zu Anfang Oktober. Hans Steinherr stand an dem weitgeöffneten Fenster seiner Parterrewohnung und blickte über die sonnenbeschienene Potsdamerbrücke hinaus. Was nun? Er hatte sich fertig eingerichtet und mußte nun wohl an die Regelung eines weiteren Tagewerks gehen. Das fiel ihm zum ersten Male ein. Weshalb hatte er sich sonst seßhaft gemacht!

Er erinnerte sich der hohen Meinungen seiner einstigen Kommilitonen. Ihres Schwärmens von seiner Zukunft. Man hatte doch eine Karriere von ihm erwartet, die in gerader Linie unter Volldampf vorwärts wies, und nun war er, eben vom Start gelassen, in breiter Kurve ausgewichen und hatte den Anschluß nicht wieder aufgesucht. Wo war der kalt wägende Ehrgeiz geblieben, für den es keine Hindernisse geben sollte, dem er als ersten Tribut seine töricht süße Jugendliebelei geopfert hatte?

Töricht – –? Süß, o ja, das war sie gewesen. Aber töricht? – Was war denn in der Empfindung später ernsthafter gewesen? Oder nur gleich ernsthaft? Jede Spanne des Lebens nahm das ernsthaftere Gepräge der Empfindungen für sich in Anspruch, aber das der aufwachenden Jugend war das erste und damit das ursprünglichste gewesen. Das, was folgte, hatte sich darauf aufgebaut, dem Geschmack der Welt, den Zeitströmungen nachgebend.

So schnell er gelaufen war, sein Schatten lief mit.

Das hatte sich hemmend auf den Sturmlauf seines Ehrgeizes gelegt. Das niederrheinische Gemüt wurzelte tiefer als alle anerlernte Form. Das Wesensinnere einer Heimatscholle, die einen ausgesprochenen Charakter besitzt, läßt sich nicht abschütteln wie der Staub von den Stiefeln. Durch sie, durch das Festhalten an ihr, werden ihre Söhne in der Ferne zur Kraft gelangen wie Eichen im Buschwald, ohne sie, unter Preisgabe ihrer Art, werden sie unkennbar im Niederholz verschwinden.

Hans Steinherr sah über die sonnige Straße hin. Noch war er da!

Anders, als er es sich vorgestellt hatte beim letzten Abschied von Düsseldorf, vor fünf Jahren … Aber er war da! Er war wieder da! Und eine neue Heimat zu schaffen, mußte gelingen.

Als er es in seinem Studium zum Doktor der Rechte gebracht, hatte er resigniert. Durch den jähen Abbruch der Beziehungen zur Vaterstadt, zur Mutter, den Freunden, der Freundin, war es mählich und mählich beklemmend still in ihm geworden. Er hatte Stunden gehabt, in denen es ihn mitten in fröhlicher Gesellschaft fror. Und die Stunden waren wiedergekommen und kamen wieder. Dann vermochte er sich nicht zu wehren: die Vergleiche drängten sich ihm unabweisbar auf. Dann entsann er sich des Abends am Rheinufer, als er, noch ein Primaner, vom Schützenfestplatz gekommen war und ihm die Ursprünglichkeit des Heimatlandes zum ersten Male jubelnd aufgegangen war. Auch damals hatte er Vergleiche gezogen, zwischen dem gesellschaftlichen Leben im Hause seines Vaters, das sich, wenn auch Schablonenarbeit, zeitweilig doch so hübsch, ja sogar witzig abspielte, und der Glückseligkeit, die ihm die nahe Berührung mit der Rassigkeit der ureigensten Scholle bereitet hatte. Nun fehlte ihm selbst das schwache Abbild, das das Vaterhaus ihm bot. Von allem anderen zu schweigen …

Immer wieder waren die Erinnerungen gekommen wie der Dieb in der Nacht. Sie verschönten sich in seiner Einbildung, ließen ihn oft die Gegenwart vergessen und gaukelten ihm Perspektiven vor, in denen er als nimmer müder Genießender stand. Wenn er erwachte, fragte er sich: Wozu arbeite ich, wozu leb' ich denn überhaupt? Das ist ja eine regelrechte Komödie, die ich mitmache. Nur weil andere aus Gründen ihr Gesicht unter Schminke verstecken? »Wenn der Mensch schon etwas ›aus Gründen‹ tut …!« hatte Heinrich Springe einmal gewettert.

Aber der harte Kopf, der niederrheinische Eigensinn hatte ihn abgehalten, den Schritt zurück zu tun. Wenigstens nicht als Schiffbrüchiger sollte es geschehen. Der Schein des Siegers, der sich großmütig und menschlich erweist, sollte gewahrt werden. In den Gedanken, so widerspruchsvoll er war, hatte er sich verbissen.

Wo der Siegerlorbeer für ihn zu holen sei, war ihm dabei nicht klarer geworden. Den Ehrgeiz auf eine hohe gesellschaftliche oder Staatsstellung hatte er quittiert, seitdem ihm die Masken als Masken erschienen und ihm der Gedanke, eines Tages als Marionette zu funktionieren, kalten Schauder einjagte. Also zurück zu den Jugendträumen, der Kunst! Aber die Poesie floß ihm dickflüssig aus der Feder, sie wurde geschraubt, unwahr und schematisch, weil sich sein innerer Mensch noch immer im Widerspruch zu dem äußeren befand. Er war zu gründlich in die Schule der Salons gegangen. Die Natürlichkeit schien ihm mit einem peinlich lächerlichen Beigeschmack behaftet. In seinem Gefühlsleben war alles durcheinander gestürzt.

Da hatte er es mit der Flucht in die Einsamkeit versucht. Er, der Anwärter des Menschenglücks, war menschenscheu geworden, hatte die Wüsten durchwandert und die Meere befahren. In jungen Jahren waren seine Züge schärfer geworden und sein Sarkasmus größer als seine Jugendfreude. Wieder hatte er sich eine neue Welt gebaut, und wieder umgürtete sie nicht die chinesische Mauer, die den großen, fragenden Augen der Heimat den Einblick verwehrt hätte.

Nicht, daß er von daheim mit vielen Briefen behelligt worden wäre. Nur das unabweisbar Notwendige kam zu seinen Ohren. Die geschäftlichen Berichte und Bilanzen, die ihm der neue Leiter der Firma Philipp Steinherr regelmäßig einsandte, würdigte er kaum eines Blickes. Das mußte der Mann ja besser verstehen als er. Von privaten Geschehnissen wußte er nur, daß seine Mutter Heinrich Springes Gattin geworden war, daß sie sich an der Seite des herrlichen Menschen unsagbar glücklich fühlte, daß sie die Wohnung in der Immermannstraße gewählt hatten, und die Villa an der Grafenbergerchaussee unter einer tüchtigen Verwalterin täglich für ihn bereit stand. Einmal hatte die Mutter den Namen Hannes in den letzten Jahren erwähnt. Er hatte Wunderdinge aus dem Briefe herausgelesen. Sie sollte, nachdem sie Düsseldorf bald verlassen und in Frankfurt am Main unter Meister Stockhausens Leitung ihre Studien vollendet hatte, eine Konzertsängerin von weitreichendem Ruf geworden sein und draußen in der Welt zu den gesuchtesten Künstlerinnen zählen. Nach Düsseldorf käme sie selten, und nur zu Gast.

Die Nachwirkung dieser Kunde war größer gewesen, als er sich zuerst gestehen wollte. Es war etwas wie Scham und Stolz, was in ihm stritt. Die kleine Jugendliebste schien dort eingesetzt zu haben, wo er aufgehört hatte. Sie hatte gehalten, was er versprochen hatte. Und noch eins: sie zeigte, daß jeder Name, und sei es der geringste, adlig ist, wenn er von seinem jeweiligen Träger adlig gehalten wird.

Ah, das war ganz der alte Hannes. Das war schön und – das war niederdrückend.

Sie hatte sich den Inhalt ihrer Jugend gerettet, ihn veredelt; er hatte ihn verloren, nachdem er ihn verleugnet hatte.

Eine Ausgleichung konnte nicht mehr in Betracht kommen.

Nein, dachte der Mann am Fenster ruhig, wir sind auseinander gewachsen, der Boden unter unseren Füßen ist nicht mehr der gleiche. Die alten Gespenster müssen endlich einmal geknebelt werden, und endgültig.

Er trat zurück, nahm Hut und Handschuhe und verließ die Wohnung. Ein eigentümliches Flimmern kam in seine Augen, als er über die Straße schritt und sein Ziel nahm. Es glitt plötzlich wie schwerer Wein durch seine Adern, und seine Männlichkeit dehnte sich in den Gelenken. Die Sturmnachtstimmung von der Nordsee war über ihn gekommen, und er spürte die wilden Küsse des Bereitseins. Das war eine andere Stimmung wie weiland die Hofgartenstimmung in Düsseldorf mit den keuschen Küssen der Vorbereitung. Das Herz hatte sich als ein läppischer Bundesgenosse bewiesen. Es wimmerte bei der geringsten Zumutung. Frau Bettina aber … Ah, diese Frau hielt es mit den Sinnen. Sie lachte und genoß.

»Um Sechse des Morgens ward er gehenkt,
Sie aber schon um Achte
Trank roten Wein und lachte …«

klang ihm die Heinesche Romanze in den Ohren. Unwillkürlich blieb er stehen und zog die Brauen zusammen. Was war dies für eine wahnsinnige Reminiszenz? Mußte er denn schon wieder ins Extravagante verfallen? Sie hatte Leidenschaft, Frau Bettina!

Er schritt weiter, bis er den Kurfürstendamm erreicht hatte. Aus dem Adreßbuch wußte er ihre Wohnung. Der Portier öffnete und wies ihn nach der ersten Etage.

Feierlich still war es in dem hochschössigen Treppenhaus. Der dicke Teppich dämpfte jeden Lebenslaut.

Hans Steinherr mußte eine momentane Verlegenheit niederkämpfen, bevor er dem Stubenmädchen in den Salon folgen konnte. Er hatte sich ein ganz anderes Bild von Frau Bettinas Umgebung gemacht, ein farbenfroheres, ein genußfreudigeres. Hier war ja alles auf Harmonien gestimmt.

Die Dame des Hauses ließ auf sich warten. Er hatte schon die Bilder ringsum an den Wänden studiert, als er hinter sich das Rauschen eines Kleides vernahm.

»Guten Morgen, mein lieber Herr Doktor! Entschuldigen Sie, daß ich Sie nicht in Toilette empfange, aber ich hätte dann Ihre kostbare Zeit allzusehr in Anspruch nehmen müssen. Wie geht es Ihnen? Was führt Sie her? Bitte, dort den Sessel!«

Er ärgerte sich über die Begrüßung, und sie sah es ihm an.

Ihre Augen schlossen sich ein wenig, als wollten sie eine geheime Freude unterdrücken.

»Sie sehen übrigens ausgezeichnet wohl aus. Ich fühle mich leider etwas abgespannt. Die vielen Verpflichtungen hier –«

»Frau Bettina –«

»Aber so setzen Sie sich doch, Herr Doktor!«

Er setzte sich, blickte sie an und schwieg. Eine Ernüchterung kam über ihn.

Und wieder bemerkte sie es, schloß die Augen halb und lächelte.

»Sie sind wohl ungehalten, daß ich Sie so sans gêne, im Hauskleid, empfange?«

Er antwortete nicht gleich, aber der leise ironische Zug um seinen Mund, der sie schon auf dem Schiffe gereizt hatte, kehrte wieder, als er mit fragendem Blick ihre weich herniederwallende Gewandung betrachtete und mit gut gespielter Naivetät dann das Auge zu ihr erhob.

»Ich kann mir nicht helfen, ich finde Sie ganz hübsch, gnädige Frau.«

»Nein – wirklich? Ganz hübsch? – Sie nehmen mir eine Last vom Herzen.«

»Sollte Ihnen daran gelegen sein, mir gegenüber noch hübscher zu erscheinen? Das wäre doch undenkbar.«

»Gott, liebster Doktor, man hat zuweilen so seine Launen.«

»Das versteh' ich vollkommen. Wer in dieser Beziehung frei von Schuld, der werfe den ersten Stein.«

Sie öffnete weit die Augen. Was fiel dem Manne ein? Wollte er den Spieß umkehren? Trotzte er noch oder spottete er bereits …

»Sie haben sich wohl noch in Hamburg von den Strapazen der Seereise erholt?« fragte sie mit erzwungener Ruhe.

»Nein. In Hamburg hielt mich nichts. Es zog mich nach Berlin, und seit zwei Wochen bin ich hier.«

»Würde es unbescheiden sein, zu fragen, was Sie so sehr nach Berlin zog und Sie hier so fesselte, daß Sie sogar darüber vergaßen, sich nach dem Befinden einer Ihnen nicht ganz unbekannten Dame zu erkundigen?«

»Die nicht ganz unbekannte Dame war es.«

»Ah«, lachte sie auf und lehnte sich weit zurück, »das muß ich sagen: Sie haben eine Art, Ihre Bewunderung an den Tag zu legen, die einem Dichter Ehre machen würde.«

»Gnädige Frau haben die Güte, anzunehmen, daß ich etwas erdichte?«

»Ja, gnädige Frau haben diese Güte.«

»Das ist – verzeihen Sie – sehr unrecht, gnädige Frau. Ich konnte der mir nicht ganz unbekannten Dame die Aufrichtigkeit meiner Bewunderung nicht besser beweisen, als dadurch, daß ich ihr Zeit ließ, sich ebenso über ihre Aufrichtigkeit klar zu werden. Wie mir scheint, ist das geschehen. Das Schiff streicht durch die Wellen, Fridolin – –«

»Sie erwarteten wohl gar noch eine Art rührender Familienszene, Herr Doktor?«

»Fehlgeraten, meine allergnädigste Frau. Über die Tage der Rührung bin ich hinaus. Mich gelüstet es mehr nach dem Starken, dem Kräftemessen, dem – aber pardon, ich langweile Sie wohl.«

»Ich wüßte nicht, daß ich Sie unterbrochen hätte. Bitte, fahren Sie fort. Es gelüstet Sie –?«

»Nach dem Weib – dem Vollweib.«

Sie lag noch immer, den Kopf weit hintenüber gelehnt, in ihrem Sessel.

»Sie sprechen von diesen Dingen«, sagte sie gedehnt, »als ob es sich um Spielzeug handelte. Orientieren Sie sich.«

»Ich spreche von Dingen«, entgegnete er, »denen ich gewachsen bin. Vorausgesetzt, daß mir die Partnerschaft paßt.«

Mit einem Ruck stand sie auf den Füßen. Ihre Brust wogte, und über ihre elfenbeinfarbene Haut zog sich blitzschnell eine fliegende Röte.

»Das – das ist – eine Kühnheit von einer Beispiellosigkeit –« brachte sie hervor.

»Hassen Sie die Kühnheit?« fragte er mit einem Gleichmut, der sie noch mehr empörte. »Nun, meine gnädige Frau, Kühnheit oder Feigheit, Haß oder Liebe: eine Frau wie Sie, die nur zuweilen eine Laune hat, ist doch selbstredend hors concours. Und von der anderen zu sprechen, lohnt sich nicht.«

»Wie Sie befehlen, Herr Doktor.«

Sie ging mit erzwungener Gelassenheit an ihm vorüber, und die Schleppe ihres weichen Kleides strich über seine Füße hin. Wie ein magnetischer Strom ging es von der Berührung aus.

»Sie bedienen sich da eines Ausdrucks, meine allergnädigste Frau, den Sie mir einmal verwiesen. Sie betonten damals als erlesenste Freude das freiwillige Entgegentragen ohne Befehl.«

»Sie täuschen sich, Herr Doktor. Das muß wohl die andere gewesen sein.«

»Verzeihung wegen meiner Vergeßlichkeit. Es war die andere.«

Sie stand an dem Fenstervorhang, den Rücken ihm zugewandt, und blickte durch die Stores. Wie prachtvoll sich diese Rückenlinie schwang. Ein Frauenkörper ohne Fehl.

Eine Minute zögerte Steinherr noch, um das Bild zu genießen. Dann erhob er sich.

»Sie verabschieden mich, meine gnädige Frau? Da muß ich wohl meiner Erziehung Ehre machen und – gehen?«

Sie blickte weiter durch die Stores, als ob auf der Straße sie etwas ungewöhnlich fesselte.

Da trat er hinter sie und küßte sie auf den weißen Nacken, dicht unter den Haaransatz des schmalen Kopfes.

Sie fuhr herum mit vor Entrüstung flammenden Augen.

»Was erdreisten Sie sich!«

Da beugte er sich über sie und küßte sie auf den gewölbten Hals.

»Ich verbiete Ihnen – –«

Und er beugte sich zum zweiten und dritten Male über sie und küßte sie genau auf dieselbe Stelle.

»Du!« stieß sie erregt hervor, »du! Ich will nicht! Ich – ah, ich verspreche mich.«

Er führte langsam ihre Hand an die Lippen, zum Abschied.

»Leben Sie wohl, gnädige Frau! Ich hoffe, ich habe Ihnen keine Aufregung bereitet.«

Noch eine Verneigung, und er ging.

»Hans!«

Er wandte sich an der Tür um.

»Sie befehlen, meine gnädige Frau?«

»Nichts, nichts!« rief sie zornig und stampfte wie ein wildes Kind mit dem Fuße auf.

»Entschuldigung. Mir war's, als hätte ich meinen Namen gehört«, und er griff nach der Klinke.

»Wann du wiederkommst, will ich wissen!«

»Also war es doch keine Halluzination.« Er lachte, drehte sich um und sah sie mit seinen strahlenden grauen Augen an, die sonst so geheimnisvoll das Feuer behüteten. »Die andere war kein Phantom. Sie lebt!«

»Wann du wiederkommst, frag' ich doch.«

»Wenn Bettina sehr lieb zu sein gedenkt – morgen!«

»Morgen«, sagte sie hastig, »morgen abend.«

Er verbeugte sich und ging, ohne sie noch einmal zu berühren.

Fassungslos blickte sie ihm nach. Dann lachte sie nervös auf. Also – geschlagen!

Geschlagen? Der Anfang eines Gefechtes entscheidet nicht. Und – und – war es denn gar so unangenehm? Sie sah mit einem verträumten Lächeln an sich herab.

Wie er mich auf den Hals geküßt hat! Das brennt wie Feuer.

Leise wischte sie mit der Hand über die Stelle.

Sie durchtändelte den Tag, ohne sich zu einer bestimmten Beschäftigung aufraffen zu können, nahm hundert verschiedene Dinge in die Hand und entsann sich im selben Augenblick nicht mehr, zu was sie ihr dienen sollten, fühlte sich einsam, ließ dennoch jeden Besuch abweisen und saß zuletzt ganz still in einer Ecke des Diwans, zusammengekauert, mit glänzenden Augen.

Am Abend dieses Tages schrieb Hans Steinherr zum ersten Male nach langen Jahren wieder ein Gedicht. Es war ein Impuls, dem er folgte. Etwas trieb ihn an, die Spannung, die wie eine Gewitterschwüle in ihm lag, zu entladen. Und der junge, heiße Siegestaumel kam hinzu, das Begehren nach Frauenliebe, nach großer Leidenschaft, in deren Lichtfülle alle kleinen Gestirne erblassen. Er glaubte in der zwingenden, sinnenstarken Frau, der Geben und Nehmen nur ein Begriff war, das Weib, die Verkörperung des Weibes entdeckt zu haben, und in dem Sturm der beiderseitigen Gefühle sah er die beiderseitige Sehnsucht nach der Ruhe. Nach der Ruhe Brust an Brust.

Er wußte, daß sie ihn liebte; und in ihm loderte alles empor, wenn er nur ihren Namen vor sich hinsprach. Er wollte nachdenken, wie von nun an sein Leben zu gestalten wäre, er wollte einen Plan entwerfen, seinem täglichen Tun einen vernünftigen Inhalt zu geben. Er dachte an seine Fabrik, an die Eisenwerke in Bilk; er dachte an Arbeit. Denn ihm schien es, als ob solche Liebe ein Äquivalent verlange, als ob er in kühnem, erfolggekröntem Schaffen der königlichen Frau tagtäglich ein Bild seiner Unwiderstehlichkeit bieten müsse, damit sie die Herrenhand sähe, die für sie das Eisen zu Gold münzte, damit das Staunen vor seiner Kraft sie wiederum ansporne, die Kräfte ihrer Liebe auszulösen.

Aber in seine Grübeleien fuhr ihr Bild hinein wie ein Wirbelwind und riß ihn mit über Höhen und Tiefen, und alle ehrgeizigen Pläne, alle Vernunftgründe stoben auseinander vor dem einen Gedanken an den Besitz, den unumschränkten Besitz dieser Frau.

Das ist die Liebe, sagte er sich. Sie duldet keine Götter neben sich. Als ich jung war, war ich ein Schwärmer, der die Seele suchte, wie Saul des Vaters entlaufene Eselin. Und als er auszog, fand er ein Königreich. Da flogen die opferseligen Hirtengefühle auf die Heide. Für den verlorenen Jugendhimmel die königliche Glückseligkeit der Erde!

Und ist das vielleicht keine Schwärmerei? dachte er lachend und sprang vom Tisch auf. Ehrlich, alter Hans, du gibst dem Kind nur einen größer tönenden Namen. Beschwindle deinen eigenen Menschen nicht. Du bist verliebt, verliebt, verliebt! Nun ja – – und das ist mehr als alle großen Worte.

Von dieser Sekunde an versuchte er seine Gefühle nicht mehr zu zergliedern und zu analysieren. Er nahm sie als ein Unbedingtes, als eine feststehende Zahl, als ein untrennbares Element. Der Mann in ihm erhob seine Stimme, und er sah nur Helena. Bettina-Helena – –. Nam' und Art zu wägen, wäre ihm als Sakrileg erschienen.

Er beobachtete es nicht, daß er unmerklich in eine neue Phase geraten war …

Am nächsten Abend, zur Teestunde, war er bei Bettina.

Sie hatte ihn vom Fenster aus kommen sehen, und ihre Ungeduld war so groß gewesen, daß sie selbst auf den Korridor hinausgeschlüpft war, um die Entreetür für ihn offen zu halten.

»Endlich, endlich … So komm doch nur … Nennst du das Abend? … Das ist ja Nacht.«

»Kaum sechs vorbei.«

Sie zog ihn ins Zimmer und hing, bevor er ablegen konnte, an seinem Halse.

»Du läßt mich ja zu Tod' schmachten. So küss' mich doch!«

Sie sprachen kein Wort mehr. Sie küßten sich, bis daß es sie schmerzte. Da ließen sie sich mit einem Seufzer los.

Frau Bettina strich ihr Haar zurecht. Mechanisch, mit einer wohligen Mattigkeit. Als er aufs neue auf sie zutreten wollte, um sie in die Arme zu schließen, wehrte sie horchend ab.

»Wir sind Kinder«, murmelte sie. »Wenn das Mädchen servieren kommt und dich sieht –«

Rasch ging sie auf den Korridor hinaus, ließ die elektrische Klingel draußen ertönen und kam zurück.

»Lassen Sie nur, Anna«, rief sie dem herbeieilenden Mädchen zu, »ich habe schon selbst geöffnet. Sie können den Teetisch richten. In einer Viertelstunde etwa melden Sie.«

Hans Steinherr war überrascht beiseite getreten. Der Vorgang war ganz natürlich, aber der schnelle Wechsel von alles verlachender Unvernunft zur peinlich überlegenden Vernunft hatte ihn beklommen gemacht.

Ihr weiblicher Instinkt witterte sofort den Grund seiner Umwandlung. Der Ton ihrer Stimme bekam eine schmeichelnde, mütterlich besorgte Klangfarbe, und als ob sie es mit einem großen Jungen zu tun habe, nahm sie ihn beim Ohr und zupfte es.

»Willst du wohl gleich ein anderes Gesicht machen? Wenn Bettina nicht für dich mit dächte! Jetzt bist du doch offiziell gemeldet, ganz gleich, ob du den Abend offiziell oder inoffiziell gestalten willst. Siehst du wohl? Ja, jetzt lächelst du. Ich verwöhn' dich.«

Sie hob sich auf den Zehen und legte ihre weichen Lippen auf das mißhandelte Ohr.

Er hielt ganz still. In seinem Hirn begann ein Sausen und Brausen. Und plötzlich faßte er sie um die Taille, trug sie wie ein zappelnd Nixlein zum Diwan, kniete schnell nieder und hob sein erhitztes Gesicht zu ihr auf.

»Wie du die Menschen verjüngst. So hatte ich es mir gedacht. Du bist das Leben.«

»Du hast an mich gedacht? Wann? Wo? Ich muß jede Regung in dir kennen.«

»Gestern abend, zu Hause. Ich kramte in Erinnerungen umher, in toten Geschichten. Da kamst du …«

»Und weiter? Was tat ich? Was tatst du? So erzähle doch. Du sprichst schön.«

»Ich sagte es ja: du verjüngtest mich.«

»Und die toten Geschichten? Legten sie sich nicht zwischen uns? Wurden sie nicht lebendig?«

»Du hattest ihnen ein neues Leben gegeben. Sie trugen deinen Stempel.«

Sie atmete tief auf und zog die Brauen dicht zusammen.

»Ich bin von einer unbändigen Eifersucht«, murmelte sie. »Das hast du davon.«

Er zog ihren Kopf herab und küßte sie auf die finsteren Augen.

»Hättest du mich lieber als den Spötter gemocht, dem nichts mehr heilig war?«

»Nichts soll dir heilig sein als ich!«

»Nun, ich meine: daß du diese Ausnahme in mir geweckt hast, beweist alles. Eine andere kenne ich nicht.«

Sie griff links und rechts in sein Haar.

»Schnell, schnell, was hast du jetzt gedacht? Liebster, so sprich doch …«

»Du wirst mich nicht auslachen, wenn du hörst, wie jung ich geworden bin?«

»Nein, aber nein. Ich könnte dich eitel machen und sagen: ich will nur dein sonores Organ hören. Du hast einen Klang in der Stimme, der aufwühlt. Nun gib dem Klang Begriffe, an denen man sich halten kann.«

»Ich werde beichten«, sagte er, und das selbstironisierende Lächeln spielte um seinen Mund. »Erschrick nicht allzu sehr. Ich bin so jung geworden, daß ich wie in der Jugend holden Wahnsinnstagen das – Dichten wieder aufgenommen habe! Sage und schreibe: das Dichten!«

Sie legte ihm die Hände auf die Schultern, richtete sich auf und blickte ihn lange an.

»Ich habe es ja gewußt«, sagte sie endlich, »o ich habe es ja gewußt, daß etwas Eigenes in dir war.«

Ein triumphierendes Leuchten stand in ihren Augen.

Im Nebenzimmer klirrte ein Servierbrett.

»Steh auf!« flüsterte sie.

Als das Mädchen erschien, saß Hans, durch den Tisch von der Hausfrau getrennt, gelassen in seinem Sessel.

»Stellen Sie nur alles hin, Anna; ich werde das übrige selbst besorgen.«

»Sehr wohl, gnädige Frau.«

Sobald das Mädchen gegangen war, hatte sich Frau Bettina erhoben.

»Hans«, schmeichelte sie und legte ihm die Arme um den Hals, »vorlesen; bitte, bitte, vorlesen!«

»Du wirst mir nachher keinen Tee mehr geben wollen«, lachte er.

»Sei lieb, Hans. Ich will auch verwöhnt sein. Ich will einen Sänger, meinen Sänger haben.«

»Gut, dein Wille geschehe! Wollte ich mich noch weiter sträuben, würdest du am Ende noch glauben, es handle sich um ein unerhörtes Meisterwerk. Es ist nichts als eine Impression.«

Er entnahm seiner Brieftasche ein Blatt und wollte lesen. Aber sie legte ihre schlanken Hände über die Zeilen.

»Trag mich erst auf den Diwan zurück.«

Er gehorchte auf der Stelle. Aber sie ließ ihn nicht wieder los, bis er auf dem früheren Platze kniete.

»So – –« sagte sie gedehnt, und dann kroch sie lauschend in sich zusammen.

Er nahm die Spitzen ihrer Finger in seine Hand und las. Wenn er eine Pause machte, hörte er ihre tiefen Atemzüge und spürte das Klopfen des Blutes in ihren Fingerspitzen.

»Der Tag erlischt … Was war's, was die Sibylle,
Die schöne Frau, einst sprach?: Es tut nicht gut,
Daß du allein bist in der Dämmerstille.
Dann fließt zu schwer dein Abenteurerblut. – –

Der Tag erlischt … Gestreckt in meinen Sessel
Schau träumend ich empor ins dichte Grau,
Das mich umstrickt wie eine enge Fessel …
Hüt' vor dem Traum dich – sprach die schöne Frau. –

Ich blätterte heut' lang' in alten Briefen;
Noch spielt die Hand mit dem vergilbten Tand.
Es wurden Bilder wach, die längst entschliefen;
Ein Rufen scholl aus fernem Heimatland.

Ich hör' den Rhein an seine Ufer rauschen;
Das Wellenlied reißt meine Sehnsucht wund.
Du meine Jugend, komm, laß dich belauschen;
Drück' deine Lippen auf des Träumers Mund.

Sieh dort, sieh dort: die alte Lieblingsstelle –
Ein Streifen Moos im dichten Erlenstand.
Fern fließt der Rhein; es lockt und leckt die Welle;
Ein Sommerduften zittert durch das Land.

Zwei Händchen, wie sie sonst nur Kinder zieren,
Sie pressen sich an meine Schläfen an,
Und junge Lippen wollen sich verlieren
Im ersten Kuß, im Kuß von Weib und Mann. – –

– Wenn Jahr für Jahr die Winterstürme bliesen,
Wenn meine Seele nach dem Sommer schrie,
Nach meinem Rhein, nach meinen Erlenriesen:
Ich sucht' die Händchen, und ich fand sie nie:

Durch Abenteuer bin ich durchgeritten,
Und Lieder sang, just wie mein Mund, mein Schwert.
O wüßtet ihr, um die ich heiß gestritten,
Nach welchen Rosen nur mein Herz begehrt'!

– Du sollst dich hüten vor der Dämmerstille,
Kein Sieger träumt! – Wer trat in mein Gemach?
Wer wagt es, mit den Worten der Sibylle
Zu wandern meinen Seelenpfaden nach?

Gib Antwort, du! Die Jugend ist verklungen!
Kein weicher Schwärmer spannte hier sein Zelt!
Halt' ich mit diesem Arm ein Weib umschlungen,
So bring' dies Weib mir eine neue Welt!

Aus Gräbern müßt' ihr wundertät'ger Wille
Mir wecken Heimat, Jugend, Liebeskraft!
– Seh' ich dich recht – –? Du, zaubrische Sibylle?
Du hast zum Wunder selbst dich aufgerafft?

Du, schöne Frau …? Die Prüfung ist zu Ende?
Du trägst die Fackel in die Dämmerung?
Ich spür' zwei Hände, schlank wie Kinderhände,
Und einen Mund wie wilde Rosen jung,

Und deines Blutes sturmbewegte Welle!
– O andre Wellen sind's, wie einst am Rhein –
Ein Lebender, ich fühl's, in Sonnenhelle
Kann nur des Lebens Auserwählter sein.

Komm an mein Herz! Es ward dein Adelswille,
Des Rätsels stolze Lösung mir bewußt!
... Du sollst nicht träumen in der Dämmerstille,
Doch siegen sollst du, – siegen Brust an Brust!«

Die Dämmerstille lag über ihnen. Es begann stärker zu dunkeln, und keiner von ihnen bemerkte es.

Da führte Hans Steinherr die widerstandslose Frauenhand an seine heißen Lippen, so fest, daß sie den Druck schmerzhaft verspürte, und daß Bettina mit einem kurzen Aufschrei auffuhr.

»Tu' ich dir weh?«

»Weh? – Weh? – Fragt mich dieser Mensch auch noch, ob er mir weh tut! Ja, du tust mir weh, aber nicht weh genug. Brust an Brust! Hast du das nicht eben selbst gerufen? Brust an Brust! Wo bleibst du denn nur?«

»Bettina! Ob du mich lieb hast, sag!«

»Lieb, lieb! Das ist ein Ausdruck für kleine Mädchen! Wenn du mich meinst, erfinde einen anderen!«

»Ich habe keine Zeit dazu. Das einzige Wort, das ich ausdenken kann, heißt: Bettina. Meine, mir gehörige – Bettina.«

»Das ist nicht viel für einen Dichter. Sag mehr, mehr –«

»Jetzt hat der Mensch in mir das Wort. Nimm dich in acht: wenn er mehr redet, steigert er seine Ansprüche.«

»Ah, laß ihn doch, laß ihn doch«, rief sie laut und preßte ihren Kopf gegen seine Brust. Dann rann die Woge langsam zurück – – –

»Ich bin rasend«, sagte sie und fuhr sich über die Augen. »Ich muß Licht machen, damit wir zur Besinnung kommen.«

Sie ging zur Wand und tastete nach dem Knopf der elektrischen Leitung.

Das Zimmer schwamm in blendender Helle, und die beiden Menschen standen und staunten sich an.

Er trat ihr einen Schritt entgegen, ungewiß, zögernd. Aber es schob ihn vorwärts.

Und sie schüttelte den Kopf über sich selbst, wollte entweichen und lief auf ihn zu.

»Hans, Hans, sei doch vernünftig! Du siehst doch, ich kann es nicht sein.«

»Weshalb hast du Licht gemacht? Jetzt seh' ich erst, was ich alles vergessen habe.«

Sie glitt unter seinem Arm hinweg, zurück zur Wand. Ein Ruck, und es war dunkel.

Bevor er sich von seiner Überraschung erholen konnte, spürte er ihre Lippen auf seinem Mund und ihre Hände an seinen Schläfen.

Worte seines Gedichtes wirbelten ihm durch das Hirn.

»Ein Lebender kann nur des Lebens Auserwählter sein!« –

Jetzt lebte er ein auserwähltes, ein doppeltes Leben. Das ihre war das seine.

Die umschwärmteste Frau, die Dame der großen Welt war wie ein zärtliches Kind und bedeckte ihn mit ihren Liebkosungen.

»Bettina, kleine, süße, wilde Bettina, sprich nur ein Wort. Noch existiert der Schmied von Gretna-Green. Noch ist Helgoland nicht aus der Welt. Morgen, übermorgen kannst du meine Frau sein.«

»Nicht den Zauber brechen«, murmelte sie, »das kommt nicht wieder.«

»Wir werden es in der Hand haben, ihn jede Stunde zu beschwören, wenn wir nicht mehr getrennt sind.«

»Ach, du, diese Heimlichkeit – das ist das Schöne. Das Gefühl haben: wenn's morgen aus wäre – diese Stunde raubt uns niemand mehr, mag die Zukunft sein wie sie will. Das Gefühl laß mir, bring es mir, so oft du kannst, tagtäglich; das spannt unsere Nerven, das macht so närrisch jung und so rasend verliebt; das ist, als könne es ein Jahrhundert dauern. Das ist eine Brautzeit, wie sie für uns paßt. Ein Fest nach dem anderen. Die Ehe bringt ja doch den unausbleiblichen Schlafrock.«

»Du, du, werde nicht tragisch. Soll ich wieder Licht machen, damit du siehst, was du dir zutrauen kannst?«

»Horch«, entgegnete sie unvermittelt, »eins – zwei – drei – neun Uhr! Unmöglich! Was ist aus der Zeit geworden? Das Mädchen wird kommen, um den Tisch abzuräumen. Ich habe alles vergessen.«

»Wer an der Tafel der Götter gesessen hat, kann doch keinen Tee mehr trinken, Bettina.«

»Du mußt; hörst du, du mußt. Ich kann doch das ganze Arrangement nicht unberührt fortschaffen lassen. Die Dienstboten würden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Liebster, sei gut. Ein klein, klein wenig Aufopferung, weil es nicht anders geht. Da – ah, da ist Licht. Nein, ich will dich jetzt nicht anschauen. Hier, an den Tisch mit dir! Lach nicht so mokant. Du mußt ja doch, wie ich will.«

»Ich bin dein ergebenster Diener. Wenn du befiehlst, verschling' ich dich mit.«

»Vorwärts, die Küche will ihr Recht. Ach Gott, der Tee ist kalt!«

»Nein«, sagte er verwundert, »und steht doch erst seit zwei Stunden.«

Sie warf sich im Sessel zurück, griff in ihr Haar und lachte ohn' Aufhören.

»Du, Bettina, ich möchte auch lieber lachen als essen. Das ist eine Tortur.«

Und jubelnd weiter lachend, fuhr sie mit Messer und Gabel durch den Inhalt der Platten, warf die Delikatessen der Saison wild durcheinander und lehnte sich aufatmend zurück.

»So«, sagte sie, »das Abendessen wäre zu Ende. Wenn du jetzt auch nur noch eine Viertelstunde bleibst, mache ich jede Dummheit.«

»Dann laß mich ungezählte Viertelstunden bleiben. Und noch länger.«

»Mein Herr – so gern ich Ihrem Wunsche willfahre: der Ruf Ihrer Dame verlangt –«

Er erhob sich sofort.

»Ich habe Ihnen nur noch zu danken, meine allergnädigste Frau; nur noch zu danken.«

Sie sah die kühne Mannesfröhlichkeit in seinem Blick, faßte seine Hand, und schloß die Augen.

»Ich mach' Dummheiten«, sagte sie.

Er küßte sie auf die Lippen, die sich ihm boten.

»Auf morgen!«

»Und – vergiß nicht! – Gedichte will ich haben, Gedichte. Von mir, für mich. Du sollst mich stolz machen.«

Sie stand hinter den Stores und sah ihm nach, wie er jugendlich elastisch über die Straße schritt. Dann ging sie langsamen Schrittes und vor sich hin grübelnd zum Diwan. In eine Ecke gekauert saß sie und sah vor sich hin, immer auf denselben Punkt.

»Ich darf nur Dummheiten machen, die mich vorwärts bringen. Einstweilen, einstweilen – –«

*


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