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4

Hans Steinherr war zu einem Entschluß gekommen. Als er am Spätnachmittag des nächsten Tages den Frack anzog, wußte er, daß der Abend die Entscheidung bringen müsse. Heute noch würde seine Verlobung mit Frau Bettina erklärt werden, oder – er machte mit Fassung seine Abschiedsverbeugung. Auf seinem Schreibtisch prangte eine große Photographie Bettinas. Sie zeigte den von der dunklen Haarwelle gekrönten Kopf im Profil, die klassischen Schultern und den weißen, schlanken Nacken, der von mattfarbener Seide wirksam umsäumt war. Er sah das Bild prüfend finster an; wie einen Gegner, mit dem er heute noch die Klinge kreuzen müsse.

»Schöne Frau«, sagte er, »jetzt gilt's. Zeig, daß du Seele hast, oder du bist verloren.«

Dann drehte er das Bild herum.

»Erst die Berechtigung nachweisen, daß du hier stehst, sonst könnte ich ja das Zimmer mit Bildern tapezieren.«

Eine Röte stieg ihm in die Schläfen.

Was für unwürdigen Zweifeln gab er Raum! Er verstand sich nicht, daß er von der Frau, mit der er im Begriff stand, seinen Namen zu teilen, auch nur vorübergehend anders denken konnte als in der höchsten Wertbemessung. Sie hatte Kapricen. Welche Frau von Welt hatte die nicht! War er doch selbst in diesem Winter nervös geworden und hatte sich doch Jahre hindurch in kalter Selbstüberwindung geübt.

Draußen auf dem Korridor wurden Stimmen laut. Es wurde nach ihm gefragt, und die Wirtschafterin gab Auskunft. Da vergaß er, das Bild wieder umzudrehen und wandte sich nach der Hausbesorgerin, die eingetreten war.

»Ein Herr möchte Sie sprechen, Herr Doktor. Er sagt, er wär' ein Landsmann.«

»Wie heißt der Herr? – Sie wissen es nicht? – Nein, Sie brauchen nicht zum zweiten Male zu fragen. Lassen Sie den Herrn eintreten.«

Gespannt blickte er nach der Tür. Sonderbar, daß sich just in diesem Augenblick die Heimat melden mußte.

»Guten Tag, Steinherr; 'n Tag, 'n Tag! Jesses, Jüngsken, dich hätt' ich bereits nich widdererkannt. Such ens, wer da vor dir steht? Donnerlütsch, er hat kein' Ahnung mehr vom Willibald Hüsgen am Wehrhahn.«

»Hüsgen –?« fragte Steinherr überrascht. »Wahrhaftig, an dich hätt' ich zuletzt gedacht. Nichts für ungut. Es freut mich doch, daß du mich aufgesucht hast. Sei willkommen!«

»Na, wenn et dich nur freut«, meinte der Gast und schüttelte die dargebotene Hand, »dat is die Hauptsach'.«

»Nimm Platz, ich steh' zwar, wie du an meinem Frack siehst, auf dem Sprunge, auszugehen, aber auf ein paar Minuten langt's immer noch. Du besuchst mich dann in den nächsten Tagen wieder.«

»Och, Steinherr, laß doch heut die Gesellschaft schießen. Ich hatt' grad Lust, mit dir so'n bißchen 'rumzukneipen.«

»Das läßt sich heute leider nicht machen«, versetzte Steinherr höflich. »Ich habe sogar fest zugesagt, schon vor dem Beginn der Abendgesellschaft zu erscheinen.«

Willibald Hüsgen überlegte. Er hatte sich einen schönen Rubensbart wachsen lassen, den er zärtlich streichelte.

»Du hast vielleicht gehört, Steinherr«, begann er mit offenem Selbstbewußtsein, »daß ich fix in die Höhe gekommen bin. Wir haben da in Düsseldorf ein bißchen revolutioniert. Die Herren Malermeister schliefen ja alle auf die Dauer ein; Gehirnschwund, Farbenblindheit, Verblödung. Die betrieben das Geschäft zuletzt rein fabrikmäßig und schmierten ihre Sächelchen nach dem Quadratfuß. Sie wünschen, mein Herr? Eine Düsseldorfer Landschaft? Ein zartes Genrebildchen? Ein derbes? Bitte, nehmen Sie Platz. Sie werden auf der Stelle rasiert. So, bitte, frisch von der Pfanne, gleich mitzunehmen, wie beim Kirmesphotographen. Was es kostet? Fester Düsseldorfer Preis. Aber bestellen Sie doch ein Pendant dazu! Pendants, das ist das Feinste. Links vom Sofa, rechts vom Sofa. Heilig' Mutterjottes, ich krieg' Leibschmerzen!«

»Setz dich doch, Hüsgen!« sagte Steinherr lachend. Die heimatlichen Klänge regten ihn zu einer längst entwöhnten, heiteren Stimmung an. Wie lange hatte er solch eine Plauderstunde vermißt!

»Du«, meinte Hüsgen und ließ sich gemütlich nieder, »das Leitungswasser, hab' ich mir sagen lassen, wär' bei euch in Berlin gar nicht zu genießen. Schade.«

»Ach so«, fiel Steinherr ein, »du kommst ja vom Rhein. Da läßt sich natürlich eine Unterhaltung nicht anders als zwischen den Gläsern denken.«

»Zu allen Tages- und Nachtstunden«, erklärte Hüsgen. »Die Zeiteinteilung ist Menschenmachwerk. So was muß überwunden werden. Ah, das nenn' ich doch eine Blume. Prosit! Es lebe der freie Geist!«

Sie taten sich mit einem Glase Rheinwein Bescheid, und Hüsgen nahm sofort den Faden wieder auf: »Ja, alter Junge, den Umwandlungsprozeß in Düsseldorf hast du nicht mitgemacht. Ihr hier draußen lebt in der Einbildung, in Düsseldorf liefe noch alles im alten, verschlafenen Trott. Schneidet euch nur nicht! Da ist Leben in die Bude gekommen; über Nacht, sag' ich dir. Aus der alten ›Lätitia‹, dem ›Tartarus‹, dem ›Baldur‹ sind Maler hervorgegangen, Maler – nä, mit einem Wort – Kerle! Ich bin nämlich, als die Gaudeamusbrüder sich in Wohlgefallen auflösten, weil mein Alter den Bierverlust nicht mehr tragen wollte und ein anderer Dummer mit dem Laternchen nicht zu finden war, in die ›Lätitia‹ eingetreten. Kurz, ich sag' dir, die in Düsseldorf wissen jetzt, was sie wollen! Der Fink hat wieder Samen! Das neue Jahrhundert wird die Leute wieder an der Spitze sehen. Darauf kannst du kommunizieren gehen.«

»Das freut mich, zu hören. Es war aber auch Zeit geworden. Und du stehst also mit an der Spitze?«

Willibald Hüsgen verbeugte sich nur.

»Ich hab' ein paar Riesenfetzen verkauft. Landschaften, aber ordentlich mit Erdgeruch. Weißt du, Landschaften, das ist heute nämlich das einzige. Früher, da schrie die bornierte Gesellschaft gleich: ›Dat is ja gar kein Möler, dat is ja nur en Landschafter!‹ Jawoll, un dann kam dat Echo von draußen. ›Seht ens, dat is Düsseldorfer Figurenmalerei. Dat sind Bilderbogen nach Zeichenvorlagen!‹ Zum scheckig lachen!«

»Also, du hast Erfolg«, sagte Steinherr und erhob sich. »Ich gratuliere herzlich. Und nun sei nicht bös, daß ich dich nicht länger hierhalten kann. Gerade heute abend darf ich nicht fehlen.«

»Ja«, meinte Hüsgen und schlürfte langsam sein Glas aus, »wenn sich das nun mal nicht anders einrichten läßt? Ich bin nur auf ein paar Tage hier, wegen meiner Ausstellung bei Schulte. Und eben für heut hatt' ich dir noch eine Masse zu erzählen. Du«, fragte er plötzlich mit echter Hüsgenscher Unverfrorenheit, »kannst du mich denn nicht in die Gesellschaft einführen?«

»Heute geht's schlecht«, sagte Steinherr reserviert. »Es ist ein Prinz da, den ich selbst nicht kenne.«

»Ein Prinz?« wiederholte Hüsgen wegwerfend. »Die sind, wenn's ans Bilderbezahlen geht, akkurat wie andere Menschen. Wie heißt er denn? Vielleicht kenn' ich ihn.«

»Prinz Georg von Dingsda. Irgend eine Seitenlinie.«

»Na natürlich kenn' ich den. Der stand doch mal ein Jahr in Düsseldorf. Und trinken konnt' der! Ich hab' ihn mal aus dem ›Malkasten‹ nach Hause geschleppt, und zum Dank durft' ich ihm gänzlich gratis seine Gäule malen. Darunter tat er's nicht. Als kleines Erinnerungszeichen an die große, denkwürdige Stunde. Du, nimm mich mit; ich muß doch meinen edlen Mäcen begrüßen.«

Hans Steinherr lachte. Auch er hätte gern mit dem einstigen Kameraden noch geschwatzt. Wenn er den Menschen ansah, wenn er ihn sprechen hörte, wurden hundert alte Bilder in ihm lebendig. Die Proben im Hüsgenschen Hause, Francesca von Rimini, Hannes – Und die Fragen brannten ihm auf den Lippen.

»Höre, ich muß vorausfahren. Aber ich werde dich anmelden. Ich glaube, ich darf mir in dem Hause eine Einführung wohl gestatten. Wo wohnst du? Am Potsdamer Platz? Dann steig schnell mit in meine Droschke, ich setz' dich vor der Tür ab, du ziehst den Frack an und kommst nach, und ich werde durch den Tiergarten hinfahren. Die Adresse geb' ich dir. Nun aber eilt es.«

Auf der kurzen Strecke zwischen Potsdamerbrücke und Potsdamerplatz kramte Hüsgen schnell noch seine größte Neuigkeit aus.

»Was sagst du denn zu unserem Hannes? Das ist eine Karriere, was? Die verdient das Geld gleich scheffelweis, stellt sich hin, singt ein paar Lieder und trägt die dicken Kuverts auf die Bank. Wenn ich bedenke, daß ich das Mädel mal heiraten gewollt hab' … Nee, nee, das ist kein Spaß von mir. Damals wollt' ich mich tatsächlich herbeilassen. Ich hatte nur noch nicht das dienstmäßige Alter. Und dann standest du mir in der Quere. Das war wirklich nicht hübsch von dir, Steinherr, denn du hattest doch keine ernsthaften Absichten. Na, ich war nicht schlecht wütend auf dich. Einmal hab' ich sogar an deinen Alten geschrieben, aber anonym natürlich, das war ja nicht so schlimm. Gott, als Jung' ist man ja immer ein Stück Halunke, besonders in dem eifersüchtigen Stadium, und du bist ja längst über so was 'raus.«

»Wie hast du denn nur meine Adresse erfahren?« lenkte Steinherr ab. Das Thema war ihm gerade jetzt unbequem.

»Deine Adresse? Springe ist doch hier. Kam heute mit mir zusammen an. Jesses, er will dich ja vor sieben Uhr besuchen. Der Hannes ist von London gekommen und singt heute abend in der Philharmonie, wo der Nikisch dirigiert. Oder ist es der Weingartner?«

Der Wagen hielt vor dem Hotel, und Hüsgen, der in seiner derben Selbstsucht Angst verspürte, die Gesellschaft mit dem Prinzen könnte ihm verloren gehen, sprang schnell aus dem Fond und rief dem Jugendfreunde zu: »Das erzähl' ich dir nachher alles ausführlich. Wohin soll der Kutscher?«

»Kurfürstendamm.« Steinherr nannte zerstreut Namen und Nummer.

»Auf Wiedersehen. In einer Stunde meld' ich mich zur Stelle.«

Steinherr wollte ihn zurückhalten. Da fiel sein Blick auf die Bahnhofsuhr. Sechs vorbei. Er gab dem Kutscher einen Wink und lehnte sich, von einer plötzlichen unerklärlichen Müdigkeit befallen, tief in die Polster des Wagens zurück. Hannes in Berlin, mit ihm in derselben Stadt – –

Er sah die Straßen nicht, durch die der Wagen rollte. Er sah nur immer Bilder aus dem alten, einstigen Düsseldorf vor sich. Wanderungen durch den stillen Hofgarten, Wanderungen über die Rheinbrücke, Wanderungen nach all den kleinen altertümlichen Städtchen, Neuß, Zons, Kaiserswerth, über denen der Zauber geschichtlicher Romantik lag, und Benrath, das für ihn den Zauber der Liebesidylle gezeitigt hatte.

War er wirklich einmal so jung, so selig verschwärmt, so trunken verliebt gewesen, daß er nicht anders gekonnt hatte, als seine Liebe durch die Natur zu führen, um seine innere Glückseligkeit mit der Umgebung in Einklang zu bringen? Und – er besann sich – so stark, so stolz, so lebensfreudig hatte er sich dazumal gefühlt, als er die Welt erobern wollte. Die Welt in einem süßen, milden, hingebungsvollen Mädchen. Und die Welt überhaupt! Er, der Sieger …

Der Wagen hielt vor Frau Bettinas Haus, und Steinherr fuhr hastig empor.

Richtig, er war am Platz. Hier war ein Feld, Beweise anzutreten. Also heraus doch mit der jugendtrotzigen niederrheinischen Siegernatur, falls sie nicht vorzeitig vom Alter gestreift war wie ihr einstiger Besitzer!

Er biß die Zähne aufeinander und ging ins Haus.

Frau Bettina befand sich noch in ihrem kleinen Privatsalon, aber das Mädchen hatte Auftrag, Herrn Doktor Steinherr unverzüglich zu ihr einzuführen. Die Dame des Hauses erhob sich und kam ihm entgegen.

»Du hast dir heute Zeit gelassen, lieber Freund. Ich erwarte dich seit einer halben Stunde, und dringender als je.«

»Ich bitte um Entschuldigung. Ein Schulfreund suchte mich in dem Moment auf, in dem ich gehen wollte; ein junger, erfolgreicher Maler aus Düsseldorf, der augenblicklich eine Ausstellung bei Schulte hat. Hoffentlich hast du nichts dagegen, daß er heute abend hier erscheint. Ich wußte ihn nicht anders loszuwerden.«

»Aber heute abend gerade –« machte sie, sichtlich unangenehm überrascht.

»Du meinst, weil sich Hoheit angesagt hat?« Und mit leiser, ironischer Färbung fuhr er fort: »Das trifft sich im Gegenteil sehr gut, der Prinz Georg war während seiner Düsseldorfer Zeit der Mäcen des jungen Künstlers.«

Sie sah ihn ungewiß an. Dann nickte sie, daß die Angelegenheit nunmehr erledigt sei.

»Mein lieber Hans, wenn du den Namen des Prinzen nennst, ist mir, als ob es mit einem gewissen Sarkasmus geschehe. Das hör' ich nicht gern.«

»O – ich konnte nicht ahnen, daß dir der Mann so interessant wäre. Übrigens, wir wollen uns nicht zanken.«

»Gewiß nicht. Ich wollte dir auch nur die Bitte vortragen, einige Rücksicht auf mich zu nehmen.«

Er sah stutzig zu ihr hin.

»Sollte ich in der Tat so weit heruntergekommen sein, daß ich es an – Rücksichtnahme fehlen ließe?«

»Gebrauche doch nicht immer gleich die stärksten Ausdrücke. Es greift dich doch niemand an.«

»Mir war, als ob ich einen Vorwurf zu hören bekäme. Oder – verzeihe – sollte es sich um – um eine Art Vorbereitung handeln?«

»Das ist ein Angriff auf mich«, fuhr sie auf. »Jetzt ersuche ich dich, dich deutlicher zu erklären.«

»Deutlicher – –. Das ist so ein vages Gefühl. Seit einiger Zeit tritt es auf, seitdem du so rätselhaft weich geworden bist. Aber das ist ja unsinnig, rein unsinnig. Verliebte sehen Gespenster.«

Er zwang sich zu einem Lächeln und trat auf sie zu.

»Guten Tag, Bettina. In dem Eifer, uns Liebenswürdigkeiten zu sagen, haben wir richtig vergessen, uns zu begrüßen.«

Sie beugte den Kopf und hielt ihm die Stirn hin. Da legte er ihr leicht die Hand unter das Kinn und bog ihren Kopf zurück. Und als sie die Wimper, die sie unmutig gesenkt hielt, endlich hob, traf ihr unvorbereiteter Blick in seine tiefgrauen, strahlenden Augensterne, und um seinen Mund gewahrte sie den alten, spöttischen Zug, der sie einst angetrieben hatte, den Einsamkeitsmenschen auf besondere Qualitäten zu erforschen. Sie hatte mehr als besondere Qualitäten, sie hatte den Mann gefunden.

Ihre Augen weiteten sich unter seinem Blick, ihre Brust schwoll unter einem tiefen Seufzer –

– – Den Mann gefunden – –!

Und unwillkürlich hob sie sich, in seiner Umarmung auf die Fußspitzen und schob ihre Stirn an seine Wange hinauf.

Mit weicher Hand strich sie ihm ein Haarsträhnchen aus der Stirn und streichelte sein Gesicht. »Mein ganzes Dasein wird darin bestehen, dir Opfer zu bringen.«

»Also endlich hast du dich entschlossen? Endlich, Bettina?«

»Zu was, was du nicht längst schon wüßtest. Ich hab' dich lieb. Verstehst du das? Lieb, lieb, lieb! Viel zu lieb, als daß ich dich heiraten möchte.«

»Ach – scherze jetzt nicht, Bettina!«

»Scherzen? Wer spricht von scherzen? Ich war noch nie so ernst wie jetzt. Wollte ich die Unklugheit begehen, dich zu heiraten, so wäre sowohl der Nimbus hin, der mich, wie der, der dich umgibt. Binnen kurzem hätten wir die Zahl der alltäglichen Ehepaare um eins vergrößert.«

Hans Steinherr staunte die Frau an, die mit ihm sprach. Hatte er recht gehört?

»Du, Bettina, du verwechselst die Personen. Ich bin's – ich.‹

»O, ich bin durchaus bei der Sache. Ich habe alles hundertmal, tausendmal überlegt und bitte dich nur darum, ruhig, ganz ruhig zu bleiben. Was glaubst du, was es heißt, wenn eine Frau wie ich dir sagt: Mein Dasein wird nur darin bestehen, dir Opfer zu bringen?«

»Ich lasse nur eine Deutung zu. Ist die falsch, so verzicht' ich auf eine andere.«

»Das ist Hartnäckigkeit; nicht das, was ich Liebe nenne. Liebe aber ist für mich Leidenschaft; du kennst meine Natur. Und Leidenschaft, die nach acht Tagen in Schlafrock und Pantoffeln herumläuft – geh fort, das ist dir ja selber lächerlich. Menschen wie wir haben eine schärfere Luft zum Gedeihen nötig.«

»Du sprichst nur immer von uns beiden. Irr' ich mich, oder geschieht das, um den ehrenwerten Dritten zu kaschieren?«

»Uns soll doch eine bloße Form keine Skrupel machen? Ich behalte mir in meiner Ehe jede Freiheit vor und lasse sie meinem Gatten nicht weniger. Ich kann mich nicht zum zweiten Male fesseln lassen.«

Hans trat zurück, totenblaß, aber er verbeugte sich.

»Dann bleibt mir also nichts, als meinen allerergebensten Glückwunsch abzustatten. Der Name ist bei den hochfliegenden Plänen der gnädigen Frau ja nicht schwer zu erraten.«

»Es ist der Prinz«, sagte sie ruhig. »Du brauchst über diese Wahl wahrhaftig nicht betrübt zu sein.«

»Es wäre unstatthaft für mich, wollte ich deinen – Pardon, Ihren zukünftigen Gatten mit meinen Gefühlen in Zusammenhang bringen. Das würde eine Geschmacklosigkeit bedeuten – und den guten Geschmack möchte ich mir doch bewahren.«

Sie sah es ihm an, daß er trotz der eisigen Kälte, die er jetzt zur Schau trug, erregt war bis ins Innerste, daß ein beständiges Zittern durch seinen Körper lief, daß er sich mit der letzten Gewalt beherrschte.

»Hans«, stieß sie hervor, »was will ich denn? Deinen Ehrgeiz befriedigen und meinen Ehrgeiz befriedigen. Wir brauchen hier nichts zu beschönigen. Du sollst berühmt werden, und ich will beneidet sein.«

»Ah –« sagte er gedehnt, »du meinst: man beneidet eine Frau nicht um den Mann, sondern um den Liebhaber.«

»Nenn es, wie du magst. Das sind Worte. Ich will das Glück und die Liebe auf meine Weise.«

»Meine gnädige Frau, bei uns am Niederrhein pflegt man aus der Liebsten eine Frau, nicht aber aus dem Liebsten einen Geliebten zu machen. Wenn das in diesem Kreise hier nur Worte sind – ich habe ihnen nichts hinzuzufügen.«

Die Muskeln in seinem Gesicht arbeiteten. Er bewegte die Hand, als wollte er etwas Widerwärtiges beiseite schieben.

Da flammte es in ihr auf.

»So behandelt man mich nicht!« rief sie und trat ihm dicht unter die Augen. »Ich habe mehr an dir getan, als du zu wissen scheinst. Ich habe dich bekannt gemacht, und mehr als das, ich habe dich interessant gemacht, dir einen Nimbus in dieser sensationssüchtigen Welt gegeben, selbst auf die Gefahr meiner eigenen Persönlichkeit hin, nur um dich über alle hinaussteigen zu sehen.«

»Für dich oder für mich?« fragte er mit offenem Hohn.

»Nun ja, für mich! Tausendmal ja, für mich! Aber dir ist es zugute gekommen. Und dafür rechne ich auf Dank, auf Ergebenheit. Ich kann und will dich nicht mehr lassen, und du, du – denke nur mit einem einzigen Gedanken daran, mich beiseite zu schieben. Du solltest sehen, was ich vermag. Wenn ich dich berühmt gemacht habe, ich kann dich auch –«

Hans Steinherr sah die rasende Frau von oben bis unten an. Dann drehte er sich auf dem Absatz herum.

»Du«, rief sie außer sich und faßte nach seinen Schultern, »das ist eine Behandlung, wie du sie deinem rheinischen Allerweltsmädel zuteil werden lassen kannst, mir nicht, mir nicht!«

Er hatte sich blitzschnell umgewandt und sie bei den Handgelenken ergriffen.

Kein Wort sprach er, aber er preßte ihre Gelenke, daß sie zusammenzuckte.

»Hans«, weinte sie leise, »sei doch gut, sei doch gut. Wenn ich dich nicht so wahnsinnig liebte –«

»Schäme dich«, sagte er kaum hörbar und ließ sie los. »Arme, betrogene Frau …«

Und plötzlich war ihm, als ob er selbst schon einmal in einer ähnlichen Situation gestanden hätte. Er als der Betrogene, der sich selbst Betrügende.

»Es wiederholt sich alles im Leben«, murmelte er, »nur der Verlierende wechselt.«

»Hans –« versuchte sie noch einmal.

»Still, man kommt.«

Frau Bettina richtete sich auf und fuhr sich mit dem Tuch über das verstörte Gesicht.

»Du darfst jetzt nicht gehen. Nicht sofort. Das gäbe Aufsehen. Versprich es mir.«

»Gut, gut. Hab' ich so lang' Komödie gespielt, halt' ich es auch noch eine halbe Stunde länger aus.«

»Ich werde dich wiedersehen.«

»Das wirst du nicht.«

Das Mädchen meldete, soeben sei Seine Hoheit erschienen. Die Gäste wären vollzählig. Auch ein fremder Herr schicke der gnädigen Frau seine Karte herein mit einer Empfehlung des Herrn Doktor.

»Ihren Arm. Herr Doktor …«

In seinen Augen flackerte es, als er die Dame des Hauses in den Salon führte. Seine Haltung war noch aufrechter als sonst, seine Miene kalt und abweisend wie meist. Aber es war ihm, als ob er ohne zu atmen, ohne atmen zu können einherginge, und dieses Gefühl verursachte ihm direkt körperlichen Schmerz. Er führte seine Begleiterin, ohne sich bei den Gästen aufzuhalten, geradewegs auf den Prinzen zu, der im selben Augenblick den Salon betrat.

Frau Bettinas Hand zitterte auf seinem Arm. Wollte er einen Eklat herbeiführen?

Doch als sie den Prinzen erreicht hatten, trat Steinherr mit kurzer Verbeugung wortlos zurück.

Da fand auch sie ihre Selbstbeherrschung, und sie reichte dem Prinzen lächelnd die Hand, die er an die Lippen führte.

»O –« sagte er bedauernd und nahm auch die andere Hand auf, »rote Streifen an den süßen Gelenken?«

»Ich habe Armbänder anprobiert, Hoheit, aber sie wollten nicht passen. Darf ich Ihnen die Herrschaften bekannt machen?«

Frau Bettina war an diesem Abend eine besonders entzückende Wirtin. Für jeden ihrer Gäste hatte sie ein freundliches Wort bei der Hand, das dem Prinzen die künstlerische oder gesellschaftliche Bedeutung des Vorgestellten schmückend erklärte, und ihre Augen strahlten heller, als sie sich von den bewundernden Blicken ihrer Freunde verfolgt sah. Sie las darin den offenkundigen Drang, ihr heute noch die Glückwünsche der Intimen darbringen zu können, und sie quittierte mit einem geheimnisvollen Sinkenlassen der langen, dunklen Wimpern. Nun war ein jeder orientiert. Und gerade die stille Erregung, die sie in dem Kreise wahrnahm, gab ihrem Auftreten das Bewußtsein.

Willibald Hüsgen war der vielbeschäftigten Hausfrau kurz präsentiert und mit einem gnädigen Nicken bewillkommnet worden. Der Prinz hatte kaum Notiz von ihm genommen. Von einem Wiedererkennen konnte nicht die Rede sein.

»Du«, flüsterte Hüsgen und stieß den wortkargen Steinherr in die Seite, »alles wat recht is: ene staatse Frau. Wär' det nix für dich gewese?«

»Also Springe ist in Berlin?« fragte Steinherr zurück. Er fühlte, daß er sich zu jedem Worte Gewalt antun mußte.

Willibald Hüsgen aber war von dem eleganten Gesellschaftsbild viel zu sehr gefesselt, um aus der neuen Welt eine Exkursion in die altbackene zu unternehmen.

»Weißt du«, sagte er, »hier muß mer sich bloß beliebt mache. Hier gucken einen die Aufträg' förmlich aus jeder Ritz' an. Ich werde Hoheit nachher mal so 'nen stillen Wink geben, von wegen der Düsseldorfer Bekanntschaft.«

Dann sprach er ziemlich laut von seiner Ausstellung bei Schulte, um die Umstehenden darauf aufmerksam zu machen, daß auch er »wer sei.«

Das wurde von der Gesellschaft nicht gerade angenehm empfunden. Man befleißigte sich heute mehr denn je, dem Zusammensein einen gewissen feierlichen Charakter zu verleihen, und die ungenierte Stimme des Düsseldorfer Malers, der sich etwas zugute darauf zu tun schien, auch in seiner Ausdrucksweise durch Urwüchsigkeit zu verblüffen und aufzufallen, störte empfindlich das verbindliche, harmonische Zeremoniell.

Es war an Frau Bettinas Abenden eine schöne Sitte, daß man zunächst dem Büfett im Speisezimmer zusprach und dann erst den Musik- und Diskutiersalon aufsuchte, um, angeregt durch die leibliche Stärkung, ausgiebiger den geistigen Genüssen sich hingeben zu können. Auch heute war das der Fall. Aber während der Büfettstunde wurde eifriger als gewöhnlich die Improvisation einer unmittelbar eingreifenden künstlerischen Veranstaltung besprochen. Man wünschte diesmal, das gefüllte Glas in der Hand zu behalten, um für jeden Moment gewappnet zu sein.

»Herr Doktor Steinherr, es gilt, Hoheit einen anregenden Abend zu verschaffen, und unserer strahlenden Hausfrau nicht minder. Bitte! Beginnen Sie mit einem stimmungmachenden Gedicht. – Sie haben zufällig nichts bei sich? Ach, das sagen die Herren Dichter immer, um sich den Hof machen zu lassen! Sehen Sie nur einmal gründlich nach, die Muse wird Ihnen bei ihrem letzten Besuch schon eine kleine Gabe zurückgelassen haben. – In der Tat nicht? Ja, dann hilft es Ihnen nichts, dann müssen Sie extemporieren.«

Frau Bettina und der Prinz wurden um Hilfe angerufen.

»Ah«, sagte der Prinz, »da steht uns ja ein seltener Genuß bevor. Sie würden mich wirklich verbinden, Herr Doktor. Ich bin gerade heute für Poesie besonders empfänglich.«

Über Bettinas Gesicht glitt ein seltsames Scheinen. Der Augenblick war da, den gegen den Stachel Lökenden wieder zur Raison zu bringen. War er zu bewegen, den Abend verherrlichen zu helfen, so war die Grundlage für ein späteres Wiederzusammenfinden dennoch geschaffen. Ein Gedicht, jetzt, zum festlichen Abend, das der Eigenschaft gerade dieses Abends irgendwie Rechnung trug, und er entäußerte sich damit seines beleidigten Stolzes und erkannte, wenn auch heute noch unter einem Zwange, ihre Wünsche und Pläne an.

Gespannt blickte sie zu ihm auf, ihre Hand im Arme des Prinzen.

»Fehlt Ihrer Harfe«, sagte sie, um ihn zu reizen, »die Saite, auf der die Töne des Glückes erklingen?«

»Ja«, fiel der Prinz lebhaft ein, »preisen Sie die Liebe. Ich höre, Sie sind der Berufenste.«

Um Hans Steinherrs Lippen zuckte es sarkastisch. Hoheit hatte unbewußt ein böses Gleichnis gebraucht.

Auch Frau Bettina hatte die Wimpern gesenkt und blickte starr auf einen Punkt.

Vom Musikzimmer her erschallten die Töne des Steinways. Ein berühmter Klaviervirtuose spielte meisterlich das Liebeslied aus der Walküre:

»Winterstürme wichen dem Wonnemond …«

Als er geendet hatte, grüßte Steinherr, äußerlich unbewegt, die Hausfrau. Und mit einer Stimme, deren Kälte und Gelassenheit in seltsamem Gegensatz zu dem nervösen Wesen Bettinas stand, sagte er nur: »Ich bitte um Urlaub. Soeben höre ich von Freund Hüsgen, daß liebe Düsseldorfer Freunde mich noch erwarten. Mit Ihrer gütigen Erlaubnis, meine gnädige Frau. Sie wissen, die Heimat hat ihre Rechte. Nochmals: ich bitte um Urlaub.

Er war gegangen, aber eine drückende Stille war geblieben.

Da glaubte Willibald Hüsgen sich zum Retter der Situation aufwerfen zu müssen, und er hob schnell sein Glas, das er nicht aus der Hand gelassen hatte. »Pröstchen, gnädige Frau …«

Bettina sah über ihn hinweg. Und als nun gar Hüsgen, um sein gesellschaftliches Gleichgewicht wieder herzustellen, auf den Prinzen einsprach und ihn unter lustigem Augenzwinkern an die Düsseldorfer Zeit erinnerte, kehrte ihm das Paar frostig den Rücken.

Willibald Hüsgen aber nahm französischen Abschied.

*


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