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4. Kapitel.
Der Reichsjustizminister ist machtlos

Hans kam absolut nicht wieder zu Kräften. Durch den Blutverlust war er sehr geschwächt, wiewohl man mit allerhand künstlichen Mitteln versucht hatte, das Blut zu ersetzen. Sein Magen war durch das eingenommene Gift sehr angegriffen. Dazu kam, daß ihn die dauernden Verhöre entsetzlich aufregten, so daß er alles, was er zu sich nahm, sofort wieder ausbrach.

Wir fanden das nicht so ungünstig. Uns war klar: sobald er kräftig genug war, das Krankenhaus zu verlassen, drohte erneuter Lager- oder Gestapo-Aufenthalt mit erneuten Folterungen. Wir schlugen ihm im Kode vor, möglichst wenig Nahrung zu sich zu nehmen, um in diesem geschwächten Zustand zu bleiben. Er antwortete uns im Kode, daß er das nicht unbemerkt tun könne, da sowohl alles, was er zu sich nähme, wie alles, was er von sich gäbe, genau kontrolliert würde.

Ich suchte Dr. Schlegel auf und bat ihn, sich auch für den Nervenzustand meines Sohnes zu interessieren, auf den die dauernden Verhöre so ungünstig einwirkten. Dr. Schlegel meinte, da könne er nichts machen. Mein Sohn befände sich natürlich in einer üblen Situation, und daß man da mit den Nerven herunter sei, sei kein Wunder. Im übrigen sei doch mein Sohn ein sehr gescheiter Mensch. Er würde sich schon selber zu helfen wissen. In Spandau habe er sich doch auch geholfen, als es ihm dort anscheinend nicht mehr gefallen habe.

Als ich ihn empört über die dortigen Vorkommnisse (als Grund für seinen Selbstmordversuch) aufklärte, tat er so, als ob er von all diesen Dingen keine Ahnung habe, versprach mir aber wenigstens, meinen Sohn nicht eher aus dem Krankenhaus zu entlassen, bis sein Zustand gebessert sei.

Da ich sah, daß mit Schlegel nichts zu machen war, suchte ich verschiedene Nervenärzte auf, um zu einem Attest über den Nervenzustand von Hans zu kommen. Natürlich mußten es einerseits Ärzte von Ruf, andererseits Ärzte sein, die häufiger Gutachten machten, oder direkt als Nervenspezialisten an einem Gefängnis tätig waren. Bei einigen stellte sich heraus, daß sie Juden waren und daher nicht in Frage kamen.

Bonhöfer erschien mir geeignet, da er den Auftrag hatte, über van der Lubbe ein Gutachten abzugeben. Er klärte mich dahin auf, daß er nur ein Gutachten abgeben dürfe, wenn er von der zuständigen Stelle dazu aufgefordert würde. Unter den verschiedenen Gerichtsärzten, die er mir nannte, war auch Dr. Störmer, zu dem allerhand Beziehungen vorhanden waren.

Störmer war reizend zu mir, erklärte es aber für ausgeschlossen, daß die Dinge, die ich ihm schilderte, vorkämen. Sei jemals die leiseste Mißhandlung während seiner Dienstzeit vorgekommen, so seien die Beamten sofort entlassen oder sehr streng bestraft worden. (Diesen Glauben an einen Rechtsstaat haben übrigens eine Menge vernünftiger Ärzte und Juristen monate-, ja jahrelang gehabt.) Also, wenn wirklich mal eine Kleinigkeit vorgekommen sei, so bestimmt nicht zum zweiten Male.

»Aber wie erklären Sie sich dann den Zustand meines Sohnes?«

»Nun, er wird an einer Haftpsychose leiden.«

Da hatte ich ihn ja, wo ich ihn haben wollte.

»Natürlich, das können Sie besser beurteilen als ich. Es muß aber eine sehr schwere Haftpsychose sein. Sie werden nach einer Untersuchung sicher der Meinung sein, daß eine Nervenheilanstalt nötig ist. Denn wenn das, worüber mein Sohn klagt, nur nervöse Erscheinungen sind, so muß man diesen Grad von Nervosität schon Wahnsinn nennen. Stellen Sie sich doch vor, daß er dann nicht von Mißhandlungen, sondern aus reiner Nervosität ein kaputtes Auge, einen verletzten Gehörgang, einen gebrochenen Knochen, einen angeknaxten Kiefer und viele Zahnstumpfen im Munde hat.«

»Nein, das kann nicht sein. Solche Folgen von Nervosität gibt es nicht.«

»Diese Folgen sind aber doch vorhanden. Teils habe ich mich durch Augenschein davon überzeugt, teils weiß ich es vom behandelnden Arzt selber. Wie erklären Sie es sich denn, wenn das alles weder von Mißhandlungen noch von Nervosität herrühren kann?«

Er konnte es sich einfach nicht erklären. Er riet mir, auf die Gestapo zu gehen, zu sagen, daß ich mich ein bißchen beunruhige. Man würde bestimmt sehr nett zu mir sein, sofort nach dem Krankenhaus telefonieren und alles, was ich wünsche, in die Wege leiten. »Verfluchter Idiot!« entfuhr es mir laut und vernehmlich. Er war so vertieft in seine rosige Schilderung aus »Herzblättchens Zeitvertreib«, daß er es überhörte und mir zuredete, doch weiter mit all meinen Sorgen zu ihm zu kommen.

Ich gab den Traum mit einer Nervenheilanstalt auf, um so mehr, als mir verschiedene Sachverständige sagten, daß das beim heutigen Regime durchaus keine Besserung zu bedeuten brauche.

*

Ich bat Blomberg, mir eine Unterredung mit dem Reichsjustizminister Gürtner zu verschaffen, was umgehend Erfolg hatte. Im Wartezimmer sagte mir der persönliche Referent Gürtners, daß mich der Herr Reichsjustizminister zwischen zwei wichtigen Konferenzen empfinge und mit seiner Zeit sehr knapp sei. Ihm selber sei es peinlich, die Unterredung mit einer Dame zu unterbrechen. Deshalb möchte er mich bitten, mich mit einer Viertelstunde einzurichten. Glücklicherweise hatte ich mich mit meinem Bruder, Reinhard Wüst, der Rechtsanwalt in Halle an der Saale war, und mir stets mit mutiger und selbstloser Hilfsbereitschaft zur Seite stand, sehr genau auf diese Unterredung vorbereitet (denn ich mußte auf allerhand mir nicht geläufige juristische Dinge zu sprechen kommen). Mein Bruder hatte mir geraten, mich so kurz wie möglich zu fassen und Gürtner zum Schluß einen ebenfalls kurzen Schriftsatz einzureichen, damit er sein Gedächtnis nicht unnötig belasten müsse. Dieser Schriftsatz enthielt eine Darstellung des Tatbestandes (Folterung, um unwahre Geständnisse zu erpressen usw.), die Bitte, diese Art der Verhöre zu verhindern und meinem Sohn einen Rechtsanwalt zuzubilligen, zu dem er Vertrauen hätte.

Es machte denn auch sichtlich einen ausgezeichneten Eindruck auf Gürtner, daß ich mich so knapp und juristisch ausdrückte. Als er zum Schluß sagte: »Es wäre mir lieb, wenn Sie mir über alles, was Sie mir gesagt haben, einen schriftlichen Bericht zukommen ließen«, gab ich ihm den geforderten Bericht, als ob das die selbstverständlichste Sache der Welt wäre. Er bemühte sich nicht, sein Staunen über diese prompte Erledigung zu verbergen.

Er fragte mich: »Weshalb wenden Sie sich eigentlich an mich? Für Ihren Fall sind doch Frank und Freisler zuständig?« –

Ich: »Ich habe drei Gründe. Erstens wäre ich weder an Herrn Frank noch an Herrn Freisler herangekommen, da meine Beziehungen nur bis zu den Deutschnationalen, aber nicht bis zu den Nationalsozialisten reichen. Zweitens habe ich mehr Zutrauen zu Ihnen als zu diesen beiden Herren, und drittens finde ich, daß es sehr wichtig für den Herrn Reichsjustizminister ist, einmal zu erfahren, wie die Rechtspflege im Dritten Reich, für die er doch eigentlich verantwortlich ist, gehandhabt wird.« Er sah mich ruhig, ohne Ärger oder Verwunderung, an: »Ich verstehe Ihre Gründe. Ich werde Ihre Eingabe an die zuständige Stelle befürwortend weiterleiten.«

Damit war die Unterredung, genau in einer Viertelstunde, wie er gewünscht hatte, erledigt.

Als ich nach einer Woche noch keine Antwort erhalten hatte, rief ich den Referenten Gürtners an. Er sagte, er habe mein Schriftstück mit einer Befürwortung Gürtners weitergegeben. Er versprach zu mahnen. Das wiederholte sich noch zweimal, dann erklärte er mir, nun könnten sie nichts weiter tun, sie hätten alles versucht, was in ihrer Macht stünde.

Ich hörte später von Freunden Gürtners, daß er den Fall meines Sohnes mit warmem Interesse verfolgt habe, daß er aber nichts habe für ihn tun können.

Sehr angenehm fiel mir im Justizministerium, ebenso wie im Reichswehrministerium, die vornehme Atmosphäre auf, die Stille im Haus, die höfliche Behandlung, vom Portier angefangen bis zum Minister. Wie anders war das auf der Gestapo! Immer Spektakel, Lärmen und lümmelhaftes Benehmen der massenhaft herumwimmelnden Mannschaften vom Dienst. In den Räumen, wo sich die Angehörigen von Schutzhäftlingen anzumelden hatten, wurde dauernd geschimpft. Viele wurden einfach nicht gemeldet, immer sah man verängstigte und betrübte Gesichter.

Einmal begegnete ich einer Frau, die bitterlich weinend unverrichteter Sache wieder abzog. Ich hörte den Mann, mit dem sie verhandelt hatte, noch hinter ihr herschimpfen. Ein SA-Mann fragte ihn: »Was hast du denn mit der vorgehabt?«

Antwort: »Das Aas kann die Zähne nicht zum ›Heil Hitler‹ auseinanderbringen. Der habe ich's mal gegeben. Der wird's schon noch beigebracht werden.«

Ich konnte die Zähne auch nicht dafür auseinanderbringen und war bisher immer mit einem stummen Hochschlenkern des Armes durchgekommen. Nach diesem Vorgang brachte ich die Zähne auseinander und habe es von da an immer getan, sowie ich die Gestapo oder etwas Dementsprechendes betrat. Aber soviel Mühe ich mir auch gab, es möglichst leise und unauffällig zu sagen, immer klang es wie ein Schlachtruf, und jedesmal sah mich der also Begrüßte erschrocken an. Nur mein späterer Gönner, Hauptmann Frodin, nahm jedesmal wohlgefällig lächelnd davon Kenntnis, wenn ich ihn anbrüllte: »Heil Hitler, Herr Hauptmann!« Und antwortete freundlich: »Heil Hitler, gnädige Frau.« Probierte ich manchmal, es zu unterlassen, so sagte er jedesmal liebenswürdig, aber mit betonter Mahnung: »Heil Hitler, gnädige Frau«, und nahm dann anerkennend lächelnd meinen Schlachtruf: »Heil Hitler, Herr Hauptmann!« entgegen.

Mich pflegten die Mannschaften nicht gerade anzuschnauzen, aber freundlich waren sie auch nicht. Vor allem gab es jedesmal einen langen Kampf, bevor sie mich anmeldeten. Ich hatte manchmal eine halbe Stunde auf sie einzureden, bis sie sich dazu herbeiließen, und wir benahmen uns bei dieser Gelegenheit ungefähr gleich unfreundlich gegeneinander. Als mich einmal Conrady zu sich bestellte, sagte ich: »Bitte, geben Sie mir das schriftlich.« Er sah mich erstaunt an. »Das ist doch aber wirklich überflüssig!« – –

»Nein, das ist leider gar nicht überflüssig. Jedesmal, wenn ich mich telefonisch bei Ihnen angemeldet habe, habe ich einen langen Kampf mit diesen Leuten. Sie verlangen einen schriftlichen Ausweis als Beweis dafür, daß Sie mich wirklich bestellt haben. Ich muß Ihnen überhaupt einmal bei dieser Gelegenheit sagen, daß der Ton der Leute da unten ungeheuerlich ist. Man behandelt mich da wie einen lästigen Bettler. Ich bin kein Bittsteller, ich bin ein Mensch, der für sein Recht kämpft und verlange, dementsprechend behandelt zu werden.«

Er sagte: »Ich werde Anweisung geben, daß man Ihnen keinerlei Schwierigkeiten macht.«

Von dem Tage an wurde ich tadellos behandelt. Die Mannschaften zeigten auch keine Verstimmung über meine Beschwerde. Der Ton gegen die anderen schien mir aber derselbe zu bleiben.

Mir war nicht recht wohl bei meinen Gängen zur Gestapo und zu den Ministerien. Ich war bisher mit den Unannehmlichkeiten des Lebens wenig in Berührung gekommen. Mein Mann hatte immer auf dem Standpunkt gestanden, daß in einer Ehe der Mann dazu da sei, die Frau vor den Rauheiten des Lebens zu bewahren. Wenn ich mich mal vorbei benahm, so schützte mich die Stellung meines Mannes, ja man fand sogar infolge dieser Stellung Dinge, die man anderen übelgenommen hätte, bei mir originell oder besonders nett. Jetzt war nichts mehr vorhanden, was mich schützte. Wenn ich mich jetzt falsch benahm, so konnte ich großen Schaden anrichten. Wen konnte ich jetzt zu meinem Berater wählen? Wir lebten noch nicht lange in Berlin, die meisten meiner Freunde schienen mir nicht geeignet. Es mußte jemand sein, der selbst in einer hohen Behörde tätig war und aus eigener Erfahrung wußte, wie solche Leute zu behandeln waren. Er mußte auch unbedingt zuverlässig sein. Ich fand Bekannte meines Mannes heraus, die sich fabelhaft zu mir benahmen, wiewohl ich sie kaum kannte und sie sich durch die Beziehungen zu mir schwer belastet fühlten. Sie hatten zum Teil ihre Stellungen in den Ministerien verloren, teils wegen Judentums, teils wegen unvorschriftsmäßiger Gesinnung. Sie hatten immer Zeit für mich, wußten genau Bescheid, wer von den einflußreicheren Leuten hilfsbereit war, wer mir nützen, wer mir schaden konnte. Sie sorgten dafür, daß meine Eingaben und Gesuche in der richtigen Form abgefaßt und nicht aufreizend wurden.

Einer meinte einmal: »Eigentlich weiß ich nicht, warum ich Sie so genau beraten muß. Sie tun ja bei Ihren Unterredungen immer genau das Gegenteil von dem, was wir vorher verabredet haben, und ich finde dann immer nachher, daß Sie mit nachtwandlerischer Sicherheit das Richtige getroffen haben.«

Da ich mich aber viel sicherer fühlte, wenn ich mit einer genauen Marschroute loszog, so blieb es bei den sorgfältigen Beratungen. Trotz dieser »nachtwandlerischen Sicherheit« schien er aber zu finden, daß es damit nicht allzu sicher bestellt war, denn jedesmal, wenn ich eine besonders schwierige Unterredung hatte, erschien er oder seine Frau am Nachmittag in meiner Wohnung, um festzustellen, ob ich auch wieder nach Hause gekommen wäre.

Ein Freund von mir in einflußreicher Stellung, der so mutig wie es eben möglich war, ohne ausgeschaltet zu werden, verschiedene Nazi-Barbareien zu verhindern suchte, verschaffte mir Beziehungen zu führenden Nazi-Juristen. So war es mir möglich, auf verschiedenen Wegen Gürtner über wichtige Dinge zu informieren.

Mein Freund stand übrigens auf dem Standpunkt, daß man Gürtner nur zu Schritten anstiften durfte, bei denen er seine Stellung nicht gefährdete. Er wäre der einzige, der auf juristischem Gebiet das Schlimmste verhindere. So sei Gürtner der einzige, der mit ihm zusammen zur Zeit die Verhängung der Todesstrafe bei Rassenschande bekämpfe, und zwar mit der Motivierung, daß ein solches Gesetz das Ansehen Deutschlands im Auslande zu sehr schädigen würde. Meine Anschauung, daß die Leute, die mitarbeiten, auch wenn sie dadurch »das Schlimmste« verhüten, sich zu Mitschuldigen an der Erhaltung einer solchen Verbrecher-Regierung machten, lehnte er aufs entschiedenste ab.

Auch Freisler empfing mich auf die Empfehlung eines Freundes hin. Er war eigentlich der einzige von den höheren Beamten, der mich unverschämt behandelte. Als ich ihm eine Rechtfertigung meines Sohnes vorgetragen hatte, erklärte er: »Das ist ja alles gar nicht wahr. Wie können Sie sagen, daß Ihr Sohn aus Idealismus gehandelt hat! Hier habe ich es in den Akten.« (Neben ihm stand die ganze Zeit in ehrfurchtsvoller Haltung ein Regierungsrat und hielt die Akten meines Sohnes zur Einsicht bereit.) »Ihr Sohn hat für den Felsenecke-Prozeß von der Roten Hilfe allein die Summe von (ich erinnere mich nicht mehr an die Summe, jedenfalls war sie sehr klein) bekommen.«

Ich: »Das spricht doch für meine Anschauung, diese Summe ist doch lächerlich klein! Er hat für diesen Prozeß Tag und Nacht gearbeitet, er hat nicht eine einzige Sache nebenbei übernehmen können.«

Freisler nannte wieder mit Ingrimm die Summe und schlug auf die Akten: »Hier steht es, Sie können also nicht sagen, daß Ihr Sohn umsonst gearbeitet hat.«

Ich: »Ich sage Ihnen, daß er bei diesem Prozeß zugesetzt hat. Sie sind doch auch einmal Rechtsanwalt gewesen, Sie wissen, wie hoch die Bürokosten sind. Ich habe nach der Verhaftung meines Sohnes eine größere Mietschuld bezahlt. Seine Sekretärin hat mir erklärt, daß er während dieses Prozesses nicht eine einzige neue Sache übernehmen konnte. Daß er für die laufenden Sachen einen Vertreter nehmen mußte, der mehr von ihm bekam, als er für den Felsenecke-Prozeß. Dabei gingen noch die Bürokosten weiter. Für sein Leben blieb ihm überhaupt nichts. Die Offizialverteidiger im Felsenecke-Prozeß haben die schönsten Einnahmen gehabt, mein Sohn hat seine kleinen Ersparnisse dafür ausgegeben, Schulden gemacht und sich tot gearbeitet. Wollen Sie da bestreiten, daß er aus reinem Idealismus gehandelt hat?« –

Freisler: »Er ist in meinen Augen ein ganz gewissenloser Mensch, für den ich unter keinen Umständen etwas tun werde.«

Ich: »Dann habe ich hier nichts zu suchen. Es tut mir leid, daß ich zu Ihnen gekommen bin. Adieu.«

Trotz allem hat Freisler sich doch an Hitler gewandt, um ein gutes Wort für Hans einzulegen. Freisler bemerkte später zu Freunden: »Es wird niemand etwas für Litten erreichen. Hitler lief blaurot im Gesicht an, als er den Namen hörte.«

*

Auch an den Kronprinz wandte ich mich. Ich rief ihn in Potsdam an. Er konnte mich nicht empfangen, da er krank zu Bett lag. Ich solle mich an seinen Adjutanten wenden.

Der war liebenswürdig, bedauerte zu hören, daß mein Mann verreist war. Ihre Majestät, die Kaiserin Hermine, sei gerade in Berlin und gebe einen Empfang. Er habe gerade eine Einladung an meinen Mann abschicken wollen. Ich hatte den Eindruck, daß es ihn sehr peinlich berührte, daß so etwas wie Kommunistenverteidigung in einer Familie wie der unsrigen vorkam.

Der Adjutant meinte, ich könnte ungeniert mit ihm sprechen, denn was der Kronprinz tue, ginge ja doch alles durch ihn. Aber er könne sich keinen rechten Erfolg versprechen, der Kronprinz sei ja jetzt selber völlig machtlos.

Ob er die Stimmung des Volkes nicht kenne, fragte ich ihn. Es schiene mir doch bedeutungsvoll, daß bei der Wochenschau der Filme beim Erscheinen des Kronprinzen häufig ein stärkerer Beifall losginge als beim Erscheinen der Führer des Dritten Reiches.

Er lächelte: »Natürlich sind uns diese Dinge bekannt.«

Ich: »Dann wohl doch auch dem Führer. Glauben Sie nicht, daß ein Mann, der beim Volk so beliebt ist, auch ein bißchen Einfluß beim Führer haben könnte?«

Der Adjutant: »Aber Seine Kaiserliche Hoheit muß doch sehr vorsichtig sein.«

Ich: »Sie wollen damit doch nicht etwa sagen, daß Seine Kaiserliche Hoheit Angst haben würde, für meinen Sohn einzutreten? Ich kann mir doch einfach nicht vorstellen, daß ein Hohenzollern Angst hat.«

»Natürlich nicht, da haben Sie recht. Er wird auch versuchen, etwas für Ihren Sohn zu tun. Ich kann mir nur nicht vorstellen, daß er etwas erreichen wird.«

Ich hatte den bestimmten Eindruck, daß nichts geschehen würde. Aber schließlich, erzwingen kann man ja so etwas nicht.

Nicht lange danach hörte ich immer wieder von ostpreußischen Adligen (mit vielen von ihnen stand ja der Kronprinz in freundschaftlichen Beziehungen, und sie sahen in ihm, oder wenigstens in seinem ältesten Sohn, den zukünftigen Herrscher), der Kronprinz habe sich bei Hitler für meinen Sohn verwendet. Hitler habe ihn angeschrien: »Wer für Litten eintritt, fliegt ins Lager, selbst wenn Sie es sind.«

Ob es wahr ist, habe ich nie feststellen können.

Übrigens auch von den ostpreußischen Adligen versuchten mehrere, ihre Beziehungen für Hans mobil zu machen. Zum Beispiel erinnere ich mich, daß einer einmal bei mir auf der Durchreise erschien und mich fragte, ob ich mit ihm zum Herren-Klub kommen wolle, er wolle versuchen, dort etwas für meinen Sohn über Papen zu erreichen. Wir beschlossen, daß er zunächst mal ohne mich vorfühlen solle, ich wartete dort in leicht erreichbarer Nähe. Die Herren dort wollten aber nicht gern mit mir verhandeln, das sei belastend für sie. Sie versprachen, Schritte zu unternehmen, aber im Augenblick schiene die Situation doch so günstig für meinen Sohn zu sein (es war gerade während seines zweiten Spandauer Aufenthaltes), daß sie davon abraten müßten, durch nicht unbedingt notwendige Schritte zu reizen.

Ich möchte bei dieser Gelegenheit bemerken, daß manche der ostpreußischen »Junker« sich viel anhänglicher und mutiger zeigten als viele andere Freunde. Der eine oder andere von ihnen kam auch in den späteren Jahren des Nazi-Regimes immer mal zu meinem Mann, wenn er auf der Durchreise in Berlin war, nicht einer von ihnen sympathisierte mit dem Dritten Reich, aber sie waren auf ihren Gütern weniger angefochten und beobachtet als unser sonstiger Verkehrskreis, von denen die Beamten ja besonders vorsichtig sein mußten.

*

Ich hatte gehört, daß Hitler eine Vorliebe für Furtwängler habe und bat ihn um eine dringliche Unterredung. Er steckte gerade tief in der Arbeit und bestellte mich ins Opernhaus. Ich müsse dort schon in seinem Zimmer auf ihn warten, bis er eine Probenpause mache.

Als ich ihm den Fall erzählte, ging er aufgeregt hin und her und rief wiederholt empört: »Wo bleibt denn da die Menschlichkeit!« Dann fragte er mich erstaunt, wie ich eigentlich auf die Idee käme, mich gerade an ihn zu wenden. Ich sagte ihm, was ich über sein Verhältnis zu Hitler und seine Hilfsbereitschaft erfahren hatte, und fuhr fort: »Natürlich ist es ungewöhnlich, daß ich die Hilfsbereitschaft eines mir ganz unbekannten Mannes anrufe. Um Ihnen das zu erklären, muß ich Ihnen leider eine Geschmacklosigkeit sagen. Ich bin überzeugt, daß ein Künstler von so großem Format wie Sie auch menschlich Format haben muß. Und von einem Mann mit menschlichem Format erwarte ich, daß er in einem ungewöhnlichen Fall auch einen ungewöhnlichen Schritt tut.«

Er nickte und schien meine Bemerkung nicht geschmacklos zu finden. »Das möchte ich schon. Es ist auch richtig, daß ich gern helfe, aber das tue ich doch immer nur in meinem Fach, z. B. wenn ich versuche, Musikern ihre Stellung zu erhalten. Da habe ich schon helfen können. Aber in einem politischen Fall? Man wird sagen: ›Schuster bleib bei deinem Leisten. Menge dich nicht in politische Angelegenheiten, von denen du nichts verstehst‹.«

Ich: »Halten Sie es für eine politische Angelegenheit, wenn man versucht, einen Menschen vor Mißhandlungen zu retten? Ich halte das für eine rein menschliche Angelegenheit. Und wenn jemand einen Menschen als Künstler verehrt, so wird er ihm auch zubilligen, für Menschlichkeit einzutreten.«

Furtwängler, nachdenklich: »Ja, so ließe es sich vielleicht machen – ja, so werde ich es machen. Ich verspreche Ihnen, daß ich es versuchen werde. Ich wende mich zunächst an Hitlers Adjutanten Brükner, den kann ich jederzeit sehen.«

Furtwänglers Sekretärin rief mich noch ein paarmal an, ich solle nicht ungeduldig werden, es ginge nicht so schnell, wie er gehofft hätte; dann wieder, es mache doch mehr Schwierigkeiten, als er sich gedacht hätte, es wäre sehr schwer, etwas zu erreichen.

Immer wieder derselbe Verlauf bei aller Hilfsbereitschaft.


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