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9. Kapitel.
Rechtsanwälte unter Terror

Hans hatte mir in seinem ersten Brief aus Esterwegen geschrieben, daß ich mich bei Dr. Conrady erkundigen solle, ob ein Strafverfahren gegen ihn schwebe. Der Kriminalkommissar, der ihn in Brandenburg vernommen habe, hätte gemeint, wenn kein Strafverfahren gegen ihn schwebe, so könne er einen Anwalt nehmen, der seinen Fall vertreten dürfe. Für diesen Fall legte er gleich eine unterzeichnete Vollmacht für den Anwalt bei und gleichzeitig einen Bericht über seine frühere Betätigung.

Hans nannte mir auch einen Anwalt, der schon wiederholt Freilassungen bei Schutzhäftlingen erreicht hatte.

Ich setzte Dr. Conrady die Sache auseinander, und er sagte: »Da geben Sie sich erst gar keine Mühe, Ihr Sohn darf keinen Anwalt mit seinem Fall beauftragen. Ein Strafverfahren gegen ihn schwebt zwar nicht, aber ein Anwalt wird ihm nicht zugestanden!« Ich sagte, ich würde mich also bei einer höheren Stelle darum bemühen. Vielleicht gelänge es mir doch, eine Erlaubnis zu bekommen, worauf er höhnisch lächelnd sagte: »Auch wenn Sie die Erlaubnis bekommen, es wird sich kein Anwalt in Deutschland finden, der sich für Ihren Sohn einsetzen wird.«

Der von meinem Sohn genannte Anwalt Dittrich fühlte sich sichtlich geschmeichelt, daß sein Ruf schon so weit gedrungen war. Ich sah auf den ersten Blick, daß es ein Mann von ganz kleinem Format war, den nur seine Parteizugehörigkeit in die Höhe gebracht hatte. Nachdem ich etwa fünf Minuten mit ihm gesprochen und er mich die ganze Zeit sehr interessiert beobachtet hatte, sagte er: »Entschuldigen Sie die Unterbrechung, Sie sind doch keine Jüdin?« Ich sagte ruhig: »Nein« und fuhr mit meinen Auseinandersetzungen fort. Nach einer Weile sagte er wieder: »Sie sind doch keine Jüdin? Sie können doch kein jüdisches Blut haben? Das ist doch ausgeschlossen!«

Ich: »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß ich keine Jüdin bin.«

Er: »Ja, wie ist denn das aber möglich?«

Ich: »Sie denken wohl, weil Herr Goebbels in seinen Reden immer von dem Juden Litten spricht? Herr Goebbels ist zwar so mächtig, jeden Widerspruch dagegen zu verhindern, aber so weit reicht seine Macht nicht, daß er mein Blut ändern kann.«

Der Anwalt wurde sichtlich geschmeidig und erklärte, er würde mir schrecklich gern helfen, nur müsse er vorher die Partei fragen, ob sie ihm gestatte, diesen Fall zu übernehmen.

Selbstverständlich erhielt ich (nach sechs Wochen) die Antwort, zu seinem großen Bedauern sei es ihm leider nicht möglich, diesen Fall zu übernehmen, die Partei habe es nicht gestattet.

Natürlich hatte ich mich noch nach anderen Anwälten umgesehen. Einer, der Hans sehr liebte und, da er ziemlich weit rechts stand, nicht gefährdet war, wollte es wagen. Aber er bekam einen abschlägigen Bescheid: Litten dürfe nicht durch einen Anwalt vertreten werden.

Andere, die äußerlich gut mit dem Dritten Reich standen, erklärten mir sofort, daß kein Anwalt für meinen Sohn etwas tun dürfe und könne. Sie boten mir aber an, mich heimlich zu beraten, aber es dürfe nie jemand etwas darüber erfahren, und ich dürfte nie meinen Namen am Telefon nennen. Auch den Büroangestellten gegenüber führte ich einen anderen Namen. Niemals hat einer von ihnen einen Pfennig Geld von mir genommen.

Einer machte mich darauf aufmerksam, wie wichtig es sei, Beziehungen nach England anzuknüpfen und möglichst viel namhafte Leute im Ausland für Hans zu interessieren.

Als Conrady durch Teßmer abgelöst wurde und dieser sich hartnäckig weigerte, mich zu empfangen, meinte mein Anwalt, dem viele dieser Staatsanwälte persönlich bekannt waren: »Er weiß eben, daß es gefährlich ist, sich mit Ihnen einzulassen. Zweien von ihnen haben Sie ja bereits das Genick gebrochen.«

Als ich energisch bestritt, daß dies auch bei Conrady der Fall gewesen sei, meinte er: »Glauben Sie nicht, daß es ihm geschadet hat, daß Sie alle Augenblicke eine Stunde bei ihm saßen, während er sonst niemand empfangen hat? Auch daß er wiederholt zu seinen Bekannten gesagt hat, daß Sie ›sein Lieblingsfall‹ wären?«

Als ich wieder einmal zu diesem Anwalt kam, starrte er mich erschrocken an: »Gehen Sie bloß gleich weg, ich muß sofort verreisen. Man hat mir heute auf der Gestapo gesagt, man wisse sehr wohl, daß ich mich für den Fall Litten interessiere, und ob ich wohl wünsche, daß es mir wie Sack erginge.« (Sack war nach dem 30. Juni ins Lager gekommen, aber nicht wegen seiner Verteidigung Torglers, sondern wegen seiner Freundschaft mit dem am 30. Juni ermordeten Gruppenführer Ernst.)

Ein anderer Anwalt riet mir, mich an einen Mr. Cape zu wenden. Es war alles etwas merkwürdig und geheimnisvoll. Ich durfte den Namen meines Beraters nicht nennen, und Mr. Cape hinwiederum legte den größten Wert darauf, zu erfahren, wer mich zu ihm geschickt habe. Ich erfuhr auch nicht, wo er wohnte, sondern traf mich in einem Hotel mit ihm, an das er sich seine Post schicken ließ. Mr. Cape versprach, sich an Göring zu wenden, aber er glaube nicht, mir Hoffnungen machen zu können. Die Fälle, in denen er habe helfen können, seien viel leichter gewesen.

Erst viel später und nach langem Drängen verriet mir mein Anwalt, wer dieser geheimnisvolle Mr. Cape sei: Ein amerikanischer Finanzier, der für Göring – und wahrscheinlich auch für andere Nazibonzen – große Geldsummen ins Ausland schöbe und nach jeder Schiebung einen Schutzhäftling frei bat.

Mr. Cape stand also gleichzeitig im Dienste der Nazis und ihrer Gegner.

*

Eine etwas andersartige Erfahrung machte ich mit einem österreichischen Anwalt, Herrn Dr. Braun-Stammfest, Wien I, Graben 14.

Freunde aus Wien schrieben mir, er habe sich angeboten, Hans herauszubekommen. Ihnen gefiele er nicht, aber sie wüßten, daß er schon viele Leute aus Konzentrationslagern befreit hätte. Er käme demnächst nach Berlin, ich solle doch jedenfalls mal mit ihm verhandeln.

Natürlich tat ich das. Er kam zwar nicht selbst, weil er zu beschäftigt war, schickte aber seinen Bruder. Der erklärte, die Sache läge so: Herr Braun-Stammfest sei einflußreicher österreichischer Nazi, würde daher von Hitler besonders freundlich behandelt, und der würde ihm schon eine Bitte nicht abschlagen. Er habe am Tage vorher schon bei Hitler eine Audienz gehabt, wo er ihm im Namen der österreichischen Nazis eine kostbare Standuhr überreicht habe, die einst in Wien im Besitz Napoleons gewesen sei. (Natürlich wäre es unerlaubt, diese Uhr außer Landes zu bringen, aber so was spiele für einen Nazi natürlich keine Rolle.) Hitler habe sich über diesen Treuebeweis sehr gefreut, sei sehr gnädig gewesen, und diese Gelegenheit habe Herr Braun-Stammfest benutzt, Hitler zu sagen, daß er sich für die Freilassung Hans Littens interessiere. Hitler habe ihm liebenswürdig auf die Schulter geklopft und gesagt: »Über diesen Fall wollen wir noch einmal reden, den Gefallen werde ich Ihnen schon tun können.« Natürlich würde sich die Sache noch eine Weile hinziehen, so fuhr der Bruder Braun-Stammfests fort, aber sie sei so gut wie sicher; natürlich würde es ein bißchen Geld kosten, sechstausend Mark ungefähr, und eine Anzahlung von tausend Mark.

Wir gaben dem Herrn so viel, wie wir gerade im Hause hatten, für die Vorschußzahlung. Den Rest wollte er bei der nächsten Gelegenheit abholen, er habe immerzu in Deutschland zu tun.

Bald bekamen wir einen Brief: Die Sache mache gar keine Schwierigkeiten, es ginge alles über eine hochgestellte Persönlichkeit in Wien (den Andeutungen nach konnte es nur Papen sein). Ich solle meinen Sohn zunächst auffordern, ein Versprechen auszustellen, daß er sich verpflichte, nicht mehr seine Anwaltstätigkeit auszuüben und in keiner Weise mehr politisch zu arbeiten.

Ich schrieb ihm zurück, er habe sich anscheinend nicht mit dem nötigen Ernst mit der Angelegenheit befaßt, sonst müsse er doch in Erfahrung gebracht haben, daß mein Sohn bereits längst von der Anwaltsliste gestrichen sei, und daß ich über derartige Dinge überhaupt nicht mit meinem Sohn verhandeln dürfe. Er müsse diese Verhandlung mit meinem Sohn direkt übernehmen, und zwar auf dem Wege über die Gestapo, die ihm ja Zusicherungen gemacht habe.

Kurze Zeit danach kam ein Herr Dehnhard (Fallschirmspringer!) zu mir, vorher von Herrn Braun-Stammfest als sein Bevollmächtigter angekündigt. Er holte den Rest des Vorschusses ab und erklärte, es wäre alles auf dem besten Wege, die Sache solle aber anders geregelt werden. Ein Nervenarzt in hoher Nazistellung werde Hans auf seinen Nervenzustand hin untersuchen, ihn als haftunfähig erklären, in sein Sanatorium nehmen und die Behandlung bis zu einer wirklichen Entlassung hinziehen. Dieser Weg sei auch der verantwortlichen Regierungsstelle lieber.

Bald darauf war ich für einige Wochen in der Schweiz und schrieb Herrn Braun-Stammfest, jetzt könnten wir ungestört über den Fall korrespondieren. Er antwortete trotz verschiedener Mahnungen nicht, erklärte aber meiner Freundin in Wien, die ihn mir empfohlen hatte, die Sache wäre auf dem besten Wege. Sie war und blieb bei allen Anfragen auf dem besten Wege.

Herr Braun-Stammfest hatte wirklich viel Erfolg gehabt; aber es stellte sich heraus, daß die Leute, die er aus dem Lager befreit hatte, Nazis waren, die in Wöllersdorf gesessen hatten.


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