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7. Kapitel.
Das Schicksal der Brüder

Mein jüngster Sohn Rainer hatte seinen Vertrag mit dem Leipziger Theater gelöst, um in Berlin arbeiten zu können. In Alsbergs »Konflikt« sollte er eine wichtige Rolle als Partner von Bassermann und Frau Durieux spielen. Er wollte einen Künstlernamen wählen, weil der Name seines Bruders jetzt dauernd in der Öffentlichkeit von den Nazis angegriffen wurde. Aber der Theaterdirektor wünschte das nicht. In diesem Stück spielten nur »Prominente«, und man war froh, für diese ganz jugendliche Rolle einen jungen Schauspieler gefunden zu haben, der sich immerhin schon bewährt hatte, und dessen Name nicht völlig unbekannt war.

Am Tage, als die Premiere des »Konflikt« zum erstenmal ausführlich angezeigt wurde, enthielt die »Vossische Zeitung« folgende drei Nachrichten:

Der Rechtsanwalt Hans Litten ist in der Nacht des Reichstagsbrandes in Schutzhaft genommen worden.

Der Oberspielleiter am Stadttheater Chemnitz, Dr. Heinz Litten, ist fristlos entlassen worden.

Rainer Litten wird im »Konflikt« die Rolle des Christoph spielen.

Der Direktor bereute, daß er die Namensänderung nicht zugelassen hatte, aber jetzt war es zu spät.

Dem »Konflikt« folgte die Rolle des Peter in den »Flüchtlingen«, dem ersten »nationalen Film«, den die Ufa drehte. Wieder der Wunsch der Namensänderung, wieder genau dieselbe Antwort mit genau derselben Motivierung.

Noch ehe der Film seine Premiere erreicht hatte, arbeitete Rainer bereits in einem zweiten Film als Partner von Albers. Er erregte Aufsehen; man sah in ihm einen rasch emporsteigenden jungen Star, die Nazipresse brachte dauernd Lobeserhebungen, er war »das, was sich die deutsche Seele träumt«, er war » der deutsche Junge«. Jeder wollte ihn entdeckt haben.

Einer seiner Interviewer entdeckte aber die Zusammenhänge, meldete sie der Ufa, und aus war die Karriere. Aus dem »Flüchtlings«-Film konnte man ihn nicht mehr entfernen, aber der verpönte Name konnte gerade noch vor der Premiere geändert werden. Aus dem zweiten Film aber konnte man ihn noch persönlich entfernen. Er klagte auf Zahlung seiner Gage und gewann den Prozeß. (Er war so klug gewesen, sich einen Standartenführer als Anwalt zu nehmen.) Der Richter, der das Urteil gesprochen hatte, wurde versetzt.

Rainer bekam an einem Privattheater eine Rolle mit der Bemerkung: »Hier kann uns niemand dreinreden.« Aber am Tage der Premiere stand SA vor dem Theater und forderte die Ankommenden im Namen der Partei auf, dies Stück zu boykottieren. Auf Befragen, weshalb, antworteten sie: »Es handelt sich um den Bruder des Anwalts Litten.«

Das Theater war trotzdem ausverkauft, aber am dritten Tag teilte der Direktor Rainer mit, er könne ihn nicht mehr auftreten lassen, man habe ihm angedroht, das Theater zu schließen, wenn Rainer Litten weiter spielte. Er würde sich aber sehr freuen, wenn Rainer ihn verklage. Rainer müsse diesen Prozeß ja gewinnen, und er könne sich dann wenigstens mit der Bezahlung an die Partei wenden.

Aber Rainers Anwalt erklärte: »Ich wage es nicht, Sie noch einmal zu verteidigen, und ich rate Ihnen, wenn Ihnen Ihre Knochen lieb sind, schleunigst aus Deutschland zu verschwinden.«

Rainer tat es.

*

Mein zweiter Sohn Heinz ist bei Nacht und Nebel im Auto aus Chemnitz geflohen, wo er Regisseur am Stadttheater war, und wohnt nun bei uns. Er hat zunächst die ersten Wochen jede Nacht bei anderen Freunden geschlafen, aber in Berlin läßt man ihn anscheinend in Ruhe. In Chemnitz hatte man mit Hundepeitschen in der Hand nach ihm gesucht, hatte einen Wachtdienst auf dem Bahnhof eingerichtet, um ihn im Fall seiner Abreise abzufangen.

Heinz hatte sich während seiner mehrjährigen Tätigkeit in Chemnitz den stärksten Haß der Nazis zugezogen. Durch revolutionäre Inszenierungen von Stücken mit pazifistischer und sozialistischer Tendenz, durch Einstudierung von Sprechchören mit der Arbeiterjugend und nicht zuletzt durch Vorträge und Artikel, in denen er die Nazis aufs schärfste angriff.

Ein ihm befreundeter Schauspieler, Karl Heinz Stein, von dem der Intendant nicht viel hielt, fürchtete, für die nächste Spielzeit nicht wieder engagiert zu werden und erklärte, »ich werde mich schon sichern«. Bald darauf wurde Stein Parteigenosse und SA-Mann. Als Heinz von dieser Konjunkturtat hörte, erklärte er ihm: »Du bist ein Schweinehund, mit dir verkehre ich nicht mehr.« Bei der Machtergreifung wurde der damals so wendige Schauspieler Stein Intendant, und es hagelte fristlose Entlassungen, beim bisherigen Intendanten angefangen.

Der neue Intendant hatte einen Anschlag am Schwarzen Brett des Theaters machen lassen: »Dr. Heinz Litten ist das Betreten des Theaters verboten.« Auf dem Balkon des Theaters brüllte SS-Mann und Kritiker der Nationalsozialistischen Zeitung, Ballerstedt, in betrunkenem Zustand und erklärte der grölenden Masse, daß der Kulturbolschewist und Bruder des Rot-Mord-Verteidigers Hans Litten unschädlich gemacht werden müsse. Derselbe Herr vergnügte sich damit, zum Zwecke von Haussuchungen und Verhaftungen in Häuser einzudringen. Der Öffnende, sei es Mann oder Weib, erhielt zunächst als Begrüßung eine Ohrfeige oder einen Fußtritt.

Der Redakteur der »Volksstimme«, ein alter, kränklicher Mann, wird bei einer Haussuchung in seinem Büro von SA-Leuten »in Notwehr« erschossen. Daß der Schuß, wie bei vielen dieser Notwehr-Erschießungen, im Rücken saß, braucht nicht ausdrücklich hinzugefügt zu werden.

Da hielt Heinz es nicht mehr für zweckmäßig, länger in Chemnitz zu bleiben.

Auch er klagte auf Auszahlung seines noch fälligen Gehaltes. Er hatte leider keinen Standartenführer, sondern einfach einen Anwalt, den er für gut hielt, gewählt. Da aber sein Gegner, der Intendant Stein, in voller Kostümierung als Standartenführer vor Gericht auftrat, und ihm nur ein normaler Rechtsanwalt ohne Parteiabzeichen gegenüberstand, ist es klar, wie die Entscheidung ausfiel. Die Zeugen »konnten sich gar nicht erinnern«, der Hauptzeuge hatte sich mit Krankheit entschuldigt. Ein anderer hatte Heinz ganz ehrlich geschrieben, er solle ihn doch nicht in die unangenehme Lage bringen, gegen seinen jetzigen Chef als Zeuge aufzutreten. Wenn er gegen ihn aussage, sei es aus mit seiner Stellung, um die er sowieso schwer ringen müsse. Heinz verlor den Prozeß mit Trommeln und Pfeifen. Der Richter, dem bei seinem Richterspruch nicht ganz wohl in seiner Haut zu sein schien, schlug einen Vergleich vor. Karl Heinz Stein erklärte: »Unter keinen Umständen. Nach einem Vergleich würde Litten wieder die Möglichkeit haben, Arbeit zu finden. Das will ich unter allen Umständen verhindern.«

Er hat es verhindert.

Heinz konnte sich noch nicht entschließen, Deutschland zu verlassen. Er fand, daß einer dableiben und mir im Kampf um Hans beistehen müsse. Er gab Unterricht im Rollenstudium, den auch verschiedene Berliner Schauspieler heimlich bei ihm nahmen.


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