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Dunkle Wolken

Der für die Abreise festgesetzte Tag rückte schnell heran. Konnte auch die Urwaldexpedition in der Hauptsache erst in Pinang ausgerüstet werden, so gab es doch schon in Medan mancherlei zu besorgen.

In Gedanken lebten die Freunde bereits ganz in der Zukunft. Cornelis nahm an ihren Beratungen teil, als ob auch er Zinn suchen wolle, und wirklich hätte er sich ihnen am liebsten angeschlossen. Aber diesen Wunsch behielt er still für sich, sah er doch selbst ein, daß an eine Erfüllung nicht zu denken war. Gerade in den bevorstehenden Wochen und Monaten nahm die Tabakernte alle verfügbaren Kräfte in Anspruch, und wenn auch in Aussicht stand, daß der Vater bald wieder imstande sein werde, in alter Weise die Oberleitung zu übernehmen und sogar in den abgelegenen Teilen der Pflanzung persönlich seine Anordnungen zu treffen, blieb doch genug zu tun übrig für den ältesten Sohn, der einst den großen Besitz übernehmen sollte und jetzt schon einzelne Zweige ganz selbständig verwaltete.

Auch der Vater beteiligte sich lebhaft an allen Beratungen.

»Schwierigkeiten und Gefahren sind dazu da, um überwunden zu werden,« pflegte er zu sagen, wenn seine Frau, die meist in ihrer bedrückten Stimmung schweigend dabeisaß, gelegentlich einmal Bedenken äußerte. »Nur Vertrauen! Diese beiden werden sich durchzuschlagen wissen.«

Mit stolzem Leuchten ruhten seine Augen auf Jan. Der nickte ihm zuversichtlich zu. Seine neben ihm sitzende Mutter, die er mit einem Arm umschlungen hielt, drückte er dabei zärtlich an seine Brust.

»Diesmal gehe ich doch nur für ein paar Monate fort,« tröstete er in liebevollem Ton. Ihr Schmerz zu bereiten, die er so viele Jahre lang entbehren mußte, fiel ihm nicht leicht.

Frau Hollebeek schüttelte nur traurig den Kopf. Ihr Wunsch war immer gewesen, Jan eines Tages als Regierungsbeamten oder Arzt in Indien wiederzusehen. Das Schicksal hatte es anders gefügt. Nun hieß es stillhalten und das, was die anderen nicht verstanden, allein mit sich abmachen.

Vielleicht hätten aber auch die Herren nicht ganz so sorgenfrei in die Zukunft geblickt, wenn gewisse Beratungen anderer Art, die mittlerweile in Li Fus Arbeitszimmer stattfanden, ihnen bekannt gewesen wären.

Nach Schmeicheleien klang nicht, was der Chinese seinem Bevollmächtigten nach dessen Bericht zu hören gab.

»Ich habe auf jede Weise versucht, ihm beizukommen,« beteuerte Haydock, »aber dieser junge Mensch läßt sich nicht so leicht fangen. Ich weiß bestimmt, daß er erst wenige Tage vorher mit dem anderen Holländer aus Europa zurückgekehrt war; also müssen ihm andere gut vorgearbeitet haben. Als ich ihm den Plan zeigte, stellte er sich, als ob er ihn zum erstenmal sähe, verriet aber gleich darauf durch eine Frage, wie gut ihm die Verhältnisse bekannt waren. Kein schlechter Schauspieler! Ein anderer hätte sich von ihm vielleicht hinter das Licht führen lassen. Aber da kannte er Jack Haydock schlecht.«

Der Chinese winkte ab. Ein Selbstlob des Agenten, den er verachtete, war das letzte, was er zu hören verlangte.

»Sie sind fest davon überzeugt, daß auch ihm gute Stellen bekannt sind?« fragte er eindringlich.

»Können Sie daran zweifeln, nachdem er meine verlockendsten Vorschläge abgelehnt hat? Um hinter seine Geheimnisse zu kommen, bot ich ihm sogar als letztes an, das Geschäft mit mir zu machen, und gab ihm zu verstehen, daß ich sicher sei, Zinn zu finden.«

»Sind Sie denn von Sinnen?« fuhr ihn Li Fu an.

»Nein, bis jetzt noch nicht; aber ich könnte es werden bei dem Gedanken, daß ein anderer imstande wäre, uns den fettesten Bissen wegzuschnappen. Wer weiß, ob sich nicht in der Nachbarschaft meiner Fundstelle eine noch einträglichere auftut! Die bloße Vorstellung, daß ich zusehen müßte, wie dieser Neuling über mich triumphierte und mehr Zinn zutage förderte als ich, macht mich rasend. Ich wäre fähig …«

Sei es, daß er von seinen geheimsten Gedanken nicht zu viel preisgeben wollte, sei es, daß er überhaupt nicht in Worte kleiden mochte, was ihm sein Haß eingab: er brach ab und blickte mit finsterem Gesicht starr zu Boden. So entging ihm das lauernde Lächeln, womit der andere ihn beobachtete.

»Ärgerlich, sehr ärgerlich,« nahm nach kurzer Pause Li Fu wieder das Wort. »Aber noch ist nichts verloren. Suchen wir ein sicheres Mittel, Mister Haydock, diesen unangenehmen Mitbewerber aus dem Felde zu schlagen – ein sicheres Mittel, Mister Haydock,« wiederholte er mit eindringlicher Betonung. »Gelingt es nicht, dann möchte ich beinahe lieber von dem Unternehmen absehen. Wann, sagen Sie, muß die Summe gezahlt werden?«

»Innerhalb eines Monats an Simons und Co., oder der Vertrag ist ungültig. Aber, Sir, das ist doch hoffentlich nicht Ihr Ernst,« fuhr er bestürzt fort. »Dann wäre ja das ganze Geld verloren, das Sie für die heimlichen Schürfversuche aufgewendet haben.«

Der Chinese zuckte gleichgültig die Achseln.

»Geschäftsunkosten! Schon mehr als einmal ist mir der Plan leid geworden; nur durch Sie habe ich mich immer wieder bereden lassen. Mitbewerber kann ich aber nicht brauchen. Ungefähr vier Wochen haben wir bloß Zeit zum Überlegen. Ich bin, wie gesagt, sicher, daß Sie noch Mittel und Wege finden werden, uns alles, was uns in diesem Geschäft empfindlich schädigen könnte, vom Halse zu halten.«

.

Mit diesen Worten wurde Haydock entlassen.

Sie wirkten auf die Seele des gewissenlosen Mannes wie ein fressendes Gift. »Ich muß Mittel und Wege finden!« Das ging ihm nicht mehr aus dem Sinn.

Der Zurückgebliebene sah ihm mit spöttischem Grinsen nach; er kannte diesen haltlosen Menschen zu gut.

»Ihr Engländer dünkt euch erhaben über unsereinen, aber in der Schlauheit nehme ich es doch mit jedem von euch auf. Du Dummkopf denkst, ich werde mir ein solches Geschäft entgehen lassen? Ja, ich allein will in dem Gebiet des Sultans Minenbesitzer sein, und du wirst dazu dienen, alle Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen. Überlege nur allein! Brauche ich mich nicht um Einzelheiten zu kümmern, umso besser! Im Notfall habe ich sichere Leute an der Hand. Meinst du, ich hätte dich kostspielige Untersuchungen machen lassen, ohne dir einen geheimen Aufpasser mitzugeben? Aus einem sichereren Munde als dem deinigen werde ich ohne Gefahr für mich erfahren, auf welche Weise du die Mitbewerber ausgeschaltet hast.«

Von Zeit zu Zeit erschien Haydock wieder, um über die Reisevorbereitungen zu beraten.

Vierzehn Tage mochten nach seiner Rückkehr vergangen sein, als er bei einem Besuche Li Fu daran erinnerte, nun werde es auch Zeit, eine geeignete Prau zu mieten und Leute anzuwerben. Einige der Kuli, die ihn bei der ersten Fahrt begleitet hatten, waren bereit, ihm noch einmal in die Wildnis zu folgen; doch sollte diesmal ihre Zahl durch erfahrene Arbeiter ergänzt werden.

»Kümmern Sie sich nicht darum; die nehme ich von meiner Mine, um ganz sicher zu sein, daß sie etwas taugen.«

»Und die Prau?«

»Auch dafür werde ich selber sorgen. Durch gute Verbindungen unter meinen Landsleuten werde ich besser und billiger bedient als Sie.«

Das war nicht zu bestreiten; doch hätte der Agent auch diese Gelegenheit gern benutzt, um für die eigene Tasche etwas herauszuschlagen. Ließ sich jeder Kuli für die Anwerbung nur einen Dollar abziehen, so ergab das zwar keine große Summe, doch, wie das Sprichwort sagt: »Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert.« Aber solche eigennützige Gedanken mußte Haydock selbstverständlich klug in sich verschließen.

»Ich nehme an, daß Sie jetzt ganz sicher sind, den bewußten jungen Mann im guten oder bösen aus dem Felde zu schlagen,« sagte dann Li Fu, wie wenn er sich ganz plötzlich dieses Falles wieder erinnere.

Zu seiner Überraschung, die er indessen nicht merken ließ, wurde diese verfängliche Frage durch wiederholtes Kopfnicken bejaht.

»Im Guten oder Bösen,« wiederholte Haydock mit einer Entschlossenheit, die auf einen feststehenden Vorsatz schließen ließ.

Ohne merken zu lassen, wie sehr ihn diese Auskunft befriedigte, warf der Chinese lässig die Frage hin: »So wird er also die Reise überhaupt nicht antreten?«

»Daran kann ihn wohl niemand hindern. Aber was er in der wilden Gegend vorfindet, und ob er gesund heimkehrt, steht auf einem anderen Blatt des Schicksalsbuches.«

Ein abstoßendes Grinsen belebte das gelbe Gesicht, das bisher Gleichmut geheuchelt hatte.

»Ich begreife: die Wildnis birgt unberechenbare Überraschungen und Gefahren, besonders für einen Neuling. Reißende Tiere, giftige Schlangen, Fieber und manches andere können dem tüchtigsten Streben unversehens ein Ende machen. Ich sehe, wir haben uns verstanden.«

Der Verführer war sicher, den anderen wieder einmal nach Wunsch gelenkt zu haben. Rasch wechselte er den Gesprächsgegenstand. Mochte den Engländer die Bahn, auf der die Gewinnsucht ihn leitete, in einen Abgrund führen! Mit kühler Gelassenheit bedachte der Chinese auch diese Möglichkeit.

Als Haydock das Halbdunkel des abgeblendeten Zimmers verließ und wieder vom hellen Sonnenschein umflutet wurde, fühlte er eine furchtbare Beklemmung. Vergebens suchte er sich ihrer zu erwehren. Aber den Ursprung gab er sich keiner Selbsttäuschung hin. Furcht war es vor den eigenen Plänen. Sein Herz galoppierte in unruhigen Sprüngen, und vor seinen Augen führten Spukgestalten einen wilden Tanz auf.

Ein langes Schuldregister belastete sein Leben. Um Mitmenschen geschäftlich zu schädigen, hatte er sich ohne langes Besinnen der verwerflichsten Mittel bedient, bis er selbst schließlich so tief zu Fall kam, daß seine Bekannten von der Höhe ihrer untadligen Geschäftsanschauungen verächtlich auf ihn hinabsahen. Nie aber war ihm bisher in den Sinn gekommen, einem Mitmenschen nach dem Leben zu trachten. Ein Rest von Ehrgefühl, das sich gegen die demütigende Behandlung durch Jan aufbäumte, der Wunsch, auf gesicherter geschäftlicher Grundlage ein neues Leben zu beginnen, und nicht zuletzt Li Fus Drohung, den ganzen Plan aufzugeben: dies alles mußte sich vereinigen, um einen so furchtbaren Gedanken in ihm feste Gestalt annehmen zu lassen. Aber auf der Tat stand eine Strafe, die ihn bis ins Innerste erschauern ließ und ihm fast den Atem raubte, wenn er daran dachte, daß sie ihn selber treffen könne. In solchem Augenblick wollte auch der Trost, ohne Ankläger gebe es keine Richter, nicht verfangen. So quälte er sich täglich, um aus dieser Sackgasse einen Weg ins Freie zu finden; doch keiner schien sich aufzutun …

Auf der Pflanzung wurde der Reiseplan noch zu guter Letzt empfindlich gestört. Ein giftiges Insekt stach Arnold Hemskerk am Fußgelenk; die Wunde entzündete sich, und heftige Schmerzen hinderten ihn am Gehen. Der Arzt erklärte sogleich, daß er vor Ablauf von zwei Wochen nicht reisefähig sein werde und auch dann noch eine Zeitlang das Gelenk sorgsam schonen müsse.

»Selbstverständlich fährst du ohne mich nach Pinang,« entschied Arnold ohne Besinnen. »Zwei Wochen wollten wir sowieso dort bleiben. Nicht einmal die Abreise von dort brauchen wir zu verschieben. Denn wenn der Doktor recht behält und ich bis dahin einigermaßen gehfähig bin, bietet mir die lange Praufahrt genug Gelegenheit, das Gelenk zu schonen.«

So blieb er nach dem Abschied mit Frau Hollebeek allein zurück, denn der Pflanzer und Cornelis wollten es sich nicht nehmen lassen, den künftigen Minenbesitzer, wie sie scherzend sagten, im Kraftwagen nach Medan und mit der Bahn nach Belavan zu begleiten.

Am folgenden Morgen ging die »Malaya« in ihrem Bestimmungshafen zu Anker, und Jan betrat in erwartungsvoller, tatenfroher Stimmung die Stadt. Nach den ruhigen Wochen im Elternhause freute er sich auf die Arbeit. Ob sie Gewinn bringen werde, stand in den Sternen geschrieben. Daß viele sich jahrelang um dasselbe Ziel vergebens abmühten, war ihm wohlbekannt, konnte ihn aber nicht schrecken. Neue Eindrücke, nicht alltägliche Erlebnisse und ein Gewinn an Kenntnissen und Erfahrungen standen jedenfalls in sicherer Aussicht.


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