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Auf dem Urwaldfluß

Arnold Hemskerk saß auf dem Bootsrand und ließ die bloßen Füße vom klaren Fluß bespülen. Ein heißer Tag lag hinter ihm.

Wieder hatte er vergebens nach dem Fahrzeug ausgeschaut, auf dem er den Freund vermutete! Doch weder dieses, noch ein flußabwärts fahrendes, das Auskunft hätte geben können, war in Sicht gekommen.

Seine innere Unruhe wuchs mit jedem Tage, und Jama, der Malaie, gab ihr immer neue Nahrung. Einmal wollte er eine verdächtige Äußerung aufgefangen haben, die nicht für seine Ohren bestimmt war; ein anderes Mal beklagte er sich über Rippenstöße und Drohungen. Wurde daraufhin Wong Tsau zur Rede gestellt, schalt dieser über Jamas angebliche Verlogenheit und erinnerte an seine Voraussage, daß dessen Anwesenheit an Bord nur Reibereien zur Folge haben werde.

Damit hatte er nur zu sehr recht behalten. Kein Tag verging ohne solche unerquicklichen Auseinandersetzungen. Selbst des Europäers gute Nerven begannen empfindlich darunter zu leiden. Die Reize der Tropenlandschaft vermochten nicht mehr seine Aufmerksamkeit zu fesseln. Während die Chinesen unter einschläferndem Singsang mit Hilfe langer Stangen das Boot in Fahrt hielten, lag er während des größten Teils des Tages in erzwungener Untätigkeit unter einem Mattentuch ausgestreckt. So hatte er mehr als genügend Zeit, seiner Stimmung nachzuhängen, wodurch sie nicht besser wurde.

Nun lag die Prau zum ersten Male abends schon bei Tageslicht vor Anker. Während er in das klare Wasser blickte, bekam er Lust, durch ein Schwimmbad die erschlafften Glieder zu stärken. In den vergangenen Tagen war die Prau erst unmittelbar vor Sonnenuntergang festgemacht worden, und in der Dunkelheit mochte er ebensowenig ins Wasser steigen, wie während der gelegentlichen Mittagspausen im glühenden Sonnenbrand. Heute sandte der Feuerball noch helle, wenn auch schon bunte Strahlen über den Abendhimmel. Mindestens eine halbe Stunde dauerte es sicher, ehe die Nacht hereinbrach. Kurz entschlossen begann er daher, sich zu entkleiden.

»Der Herr will ein Bad nehmen?« fragte Wong Tsau, der gerade in der Nähe zu tun hatte, in seiner unterwürfigen Art, die Arnold längst verhaßt war.

»Ja,« erwiderte er kurz. »Oder gibt es Gründe, die es nicht geraten erscheinen lassen?«

Der Chinese zuckte die Achseln.

»Ich habe noch nie hier gebadet.«

Hätte Arnold das böse Lächeln gesehen, mit dem der Vorarbeiter sein weiteres Tun verfolgte, wären ihm vielleicht doch Bedenken aufgestiegen. Bootsleute, die ihre selbstgedrehten Zigaretten rauchten, hatten sich jenem als neugierige Gaffer zugesellt.

Mit kräftigen Schwimmstößen arbeitete der weiße Körper der Strömung entgegen. Das war ein langentbehrter Genuß, nicht zu vergleichen mit seiner Gewohnheit, sich täglich mindestens zweimal einige Eimer Wasser übergießen zu lassen.

Jama, der mit den Vorbereitungen zum Abendessen beschäftigt war, hatte von alledem nichts wahrgenommen. Nach den Erfahrungen der letzten Tage mußte er zufrieden sein, wenn man ihn in Ruhe ließ. Treu erfüllte er die übernommenen Pflichten in der Hoffnung, bald wieder mit dem Mann vereint zu werden, den er als seinen wirklichen Herrn betrachtete.

Aber die abgerissenen Bruchteile der Unterhaltung, die bis zu ihm drangen, weckten nun doch seine Aufmerksamkeit. Nach einer plötzlich eintretenden Stille begann ein aufgeregtes Flüstern, aus dem nach einer kleinen Weile Jama den halblauten Ausruf zu verstehen glaubte: »Er schwimmt gerade darauf zu; er ist verloren.«

»Dann bleibt uns die Arbeit erspart,« gab Wong Tsaus Stimme in gleichem Ton zur Antwort.

Nichts Gutes ahnend, sprang der Malaie zum Bordrand und folgte mit den Augen den stromaufwärts gerichteten Blicken. In weniger als einer Sekunde hatte er die Lage erfaßt. Der Europäer, der dort auf die kleine Insel zuschwamm, schwebte in höchster Lebensgefahr. Diese falschen Chinesen sahen, was den Augen des Schwimmers noch verborgen blieb: dort drüben am Ufer lagen zwei riesige Krokodile. Nur der vorderste Teil ihrer Köpfe ragte aus dem Wasser; doch selbst aus dieser Entfernung hoben sich die unheimlichen Körper als lang gestreckte dunkle Massen von dem sie umflutenden Wasser ab.

Ein Schreckenschrei gellte in die Luft. Der Malaie hatte ihn ausgestoßen.

.

»Herr! Herr! – Zurück! Zurück! – Krokodile!« rief er mit wilden Armbewegungen.

Arnold warf einen schnellen Blick in die Runde. Obwohl er die drohende Gefahr nicht erkannte, zögerte er keinen Augenblick, die Warnung zu befolgen. Sich auf den Rücken werfend, schnellte er in kraftvollen Stößen heran.

Sobald sein Diener ihn außer Gefahr glaubte, wandte er sein Gesicht den Chinesen zu, die nach der ersten Verblüffung, dem Beispiel des Vorarbeiters folgend, gleichfalls zu rufen begonnen hatten und, je näher Arnold Hemskerk der Prau kam, sich desto aufgeregter gebärdeten, wie wenn die Sorge um sein Leben ihnen den Verstand geraubt hätte.

Jamas Gesichtsausdruck war ein getreues Spiegelbild seiner Empfindungen: Furcht und Empörung. Ihm graute vor diesen Männern, die ohne die geringste Spur von Mitleid zugesehen hätten, wie der ahnungslose Weiße von den Untieren angefallen und nach einem kurzen Kampf, dessen Ausgang nicht zweifelhaft sein konnte, verspeist worden wäre. Aber stärker als dieses Gefühl war seine Empörung über ihre Heuchelei.

»Ich habe alles gehört und werde es dem Herrn sagen,« rief er ihnen zornig zu und erhob drohend die Faust.

Einige Chinesen wollten sich auf ihn stürzen, doch Wong Tsau hielt sie zurück.

»Wer sollte einem solchen Lügner glauben?« sagte er mit spöttischem Lächeln. »Wir sind es, die den Herrn gewarnt haben; dieser hier will nur wieder von ihm gelobt werden.«

Dabei wandte er dem erregten, kaum seiner Sinne mächtigen Malaien mit verächtlicher Miene den Rücken zu, um schon eine Sekunde später dem vor Anstrengung laut keuchenden Schwimmer, der inzwischen nahe herangekommen war, ein freudestrahlendes Gesicht zu zeigen und ihm beim Anbordklettern behilflich zu sein.

Arnold sah der Schreck noch in allen Gliedern.

»Waren es wirklich Krokodile?« fragte er, wie wenn er noch an der Richtigkeit der Beobachtung zweifelte.

Statt einer Antwort deutete der Vorarbeiter auf die Flußinsel, wo jetzt die beiden Tiere, ohne zu ahnen, welch seltener Bissen ihnen entgangen war, träge an das Ufer krochen.

»Auf die nähere Bekanntschaft mit diesen unheimlichen Gesellen will ich gern verzichten,« versuchte der Gerettete zu scherzen; doch es gelang ihm nur sehr unvollkommen, denn noch jetzt fühlte er das Blut bei dem bloßen Gedanken an die Gefahr heiß zum Herzen wallen.

»Herr, wenn ich die Tiere nur wenig später entdeckt hätte, wärst du von ihnen gesehen worden,« sagte Wong Tsau mit gutgespielter Bescheidenheit.

Arnold glaubte seine Absicht zu verstehen.

»Du sollst es nicht bereuen. Wenn wir wieder in Pinang sind, mache ich dir zum Dank ein schönes Geschenk.«

Der Chinese rieb sich grinsend die Hände und dachte dabei: »Pinang wirst du roter Teufel niemals wiedersehen, und das Geschenk werde ich mir aus deinen Sachen selber aussuchen.«

In diesem Augenblick gelang es Jama, den Ring der ihn von seinem Herrn abschließenden Gestalten zu durchbrechen.

»Herr, er lügt!« rief er in allerhöchster Erregung. »Er und alle anderen hätten das Unglück geschehen lassen, ohne sich zu rühren. Ich bin es, der gewarnt hat, und dann erst …«

Die anderen ließen ihn nicht weitersprechen. Durcheinanderschreiend unterbrachen sie ihn, und Arnold, der schon damit beschäftigt war, sich abzutrocknen und anzukleiden, wurde jetzt Zeuge eines Wortwechsels, von dem er zwar kein Wort verstand, dessen Sinn jedoch aus dem lebhaften Mienenspiel aller Beteiligten deutlich hervorging.

Wem sollte er nun glauben? Jamas Entrüstung war zweifellos echt, doch die seiner chinesischen Widersacher schien es nicht minder zu sein.

Des Streitlärms müde, suchte er zu vermitteln.

»Gleichzeitig werdet ihr die Gefahr bemerkt und mich gewarnt haben,« entschied er, nachdem es ihm nicht ohne Mühe gelungen war, sich Gehör zu verschaffen, »Keiner soll bei der Belohnung zu kurz kommen. Nun, Jama, sorge für das Abendessen; ich bin hungrig.«

Sein Eingreifen schien die Gemüter zu beruhigen; jeder ging wieder seinen Geschäften nach.

Als der Malaie bald danach die Speisen auf die mit einem Tuch bedeckte Kiste stellte, die bei den Mahlzeiten als Tisch diente, raunte er Arnold verstohlen zu: »Herr, ich glaube bestimmt, die anderen wünschen deinen Tod. Traue ihnen nicht! Sie müssen einen besonderen Grund haben, warum sie dich und mich jetzt noch schonen; aber vielleicht bald …«

Erschrocken hielt er inne. Das Blut war Arnold zu Kopf gestiegen, und seine Augen funkelten den Warner zornig an, daß diesem das Wort im Munde erstarb. Dann wetterte er los, halblaut zwar, damit die anderen es nicht hörten, doch darum nicht weniger eindringlich.

»Jetzt habe ich genug von diesen Scherzen! Hätte ich geahnt, wie furchtsam du bist, wärst du in Pinang geblieben. Überlege doch: welchen Vorteil würden die Chinesen haben, wenn sie uns töteten? Sie haben gemerkt, was für ein Feigling du bist, und machen sich nun einen Spaß daraus, dich mit geheimnisvollen Drohungen zu ängstigen. Merke dir jetzt ein für allemal: ich will nichts mehr davon hören!«

Ohne ihn weiter zu beachten, wandte er sich den sauber angerichteten Speisen zu. Doch die Eßlust war ihm vergangen. Vom Kerzenschein angelockte Moskitoschwärme zwangen zu nervenanspannenden Kämpfen, die seine Stimmung noch verschlechterten.

Die Geistesverfassung des braunen Burschen grenzte ja geradezu an Verfolgungswahn! Dagegen hieß es sich mit allen Kräften wehren, denn die erzwungene Untätigkeit war schon an und für sich nur zu sehr geeignet, unerfreuliche Vorstellungen zu wecken. Es wurde ein höchst ungemütlicher Abend.

Jama schlich umher wie ein geprügelter Hund, und die Chinesen zeigten auch Arnold gegenüber mürrische Gesichter, als ob sie diesen für die ihnen von seinem Diener zugefügte Kränkung verantwortlich machen wollten. Da lernte der Europäer das Gefühl der Einsamkeit, des innerlichen Alleinseins kennen, und immer stärker wurde das Verlangen nach dem Ende dieser Wasserfahrt.

Am folgenden Nachmittag gab es eine große Aufregung. Bei einer Biegung des Flusses kam voraus eine Prau in Sicht, die anscheinend undicht geworden war; sie lag jedenfalls so tief und schräg im Wasser, daß sie nicht mehr weiter konnte.

Arnolds scharfe Augen erkannten unter den Eingeborenen, die sich auf dem Vordeck des Fahrzeuges zu schaffen machten, eine weißgekleidete Gestalt. Erst als die Entfernung zwischen den beiden Schiffen nur noch etwa fünfzig Meter betrug, wurde er gewahr, daß seine Hoffnung, den Freund hier wiederzusehen, getrogen hatte, und diese Enttäuschung verwandelte sich in peinliches Unbehagen, als er an Stelle der vertrauten Züge das fahle, verkniffene Gesicht des Engländers vor sich sah, dessen Tun Jan angeblich hatte auskundschaften wollen.

Dann mußte dieser ja an Haydock vorbeigefahren sein, fiel ihm plötzlich ein. Aber die dort drüben waren in Not und mußten jedenfalls um Hilfe bitten. Dabei konnte man durch eine geschickt gestellte Frage herausfinden, wann die Prau, auf der sich Jan befinden sollte, an dieser Stelle vorbeigekommen war. Vielleicht handelte es sich nur um Stunden. Das war ein erfreulicher Gedanke.

Der Engländer begann zu rufen und seinen weißen Tropenhelm in der Luft zu schwenken. Schon bevor er durch solche Zeichen die Prau in seine Nähe zu locken suchte, hatte Arnold Hemskerk die entsprechenden Befehle gegeben. Bald standen sich die beiden Weißen in Rufweite gegenüber.

Haydock schien um Jahre gealtert zu sein. Kaum gelang es ihm, die furchtbare Erregung, die ihn beim Anblick des Holländers ergriffen hatte, zu verbergen. Wie oft war ihm in den vergangenen Tagen im Wachen und in gräßlichen Träumen diese Gestalt als Rächer des Mannes erschienen, dessen Tod er selbst veranlaßt zu haben glaubte!

Und nun mußte er seine Hilfe in Anspruch nehmen, wenn er nicht aufs Ungewisse hier festliegen wollte, bis ein anderes Fahrzeug an dieser Stelle vorbeikam! Da galt es doppelt, äußerste Kaltblütigkeit zu bewahren und von vornherein jeden etwa bestehenden Verdacht durch eine ungezwungene Haltung zu entkräften.

»Hallo, Mynheer, das ist ein unerwartetes Wiedersehen,« rief er mit gezwungenem Lachen. »Auf der ›Malaya‹ fuhr man angenehmer als auf diesen Kähnen. Der meinige ist durch den Zusammenstoß mit einem treibenden Baumstamm ein Wrack geworden. Das Wasser steht mir schon an den Knöcheln, und es ist höchste Zeit, daß wir sicheren Grund unter die Füße bekommen.«

Das war nicht mißzuverstehen.

»Wollen Sie zu mir übersteigen?« fragte der Holländer höflich.

Dieser Einladung wurde so bald als möglich entsprochen, und wenige Minuten später konnte ihm Haydock seine knochige Hand mit dem beruhigenden Gefühl entgegenstrecken, daß dieser junge Mann nicht als Rächer erschienen war.

Aber welche Erklärung für das spurlose Verschwinden des anderen mochte Li Fu gefunden haben? Das schoß ihm immer wieder durch den Kopf, während er das anscheinend ahnungslose Gesicht seines Retters verstohlen betrachtete.

Der in Verstellungskünsten weniger geübte Arnold fühlte sich aber durchaus nicht unbefangen. Er führte seinen Gast zum hinteren Ende der Prau, wo er zu hausen pflegte. Erst als sie dort Platz genommen hatten, begann er das Gespräch.

»Wie kann ich Ihnen helfen? Lange darf ich mich allerdings nicht dabei aufhalten, denn ich bin in Eile.«

Der andere horchte auf; sein Geschäftsinn wurde rege.

»Was Sie und ich suchen, läuft uns nicht davon,« warf er lachend hin; erst als er sich überzeugen mußte, daß sein Gegenüber nicht darauf einging, fuhr er fort: »Wie ich Ihnen vorhin sagte, ist meine Prau ein Wrack. Wir können uns auf ihr nicht einmal flußabwärts treiben lassen, haben also keine andere Wahl, als auf fremde Hilfe zu hoffen.«

»Bei dem schwachen Verkehr auf diesem Fluß hätten Sie unter Umständen lange warten können.«

»So ist es! Ihre Prau ist das erste Fahrzeug, das ich gesehen habe, seitdem wir auf diesem Fluß schwimmen.«

Arnold stutzte.

»Das erste Fahrzeug?«

Er fragte dies so eindringlich, daß Haydock sich sagen mußte, dies habe etwas zu bedeuten.

Ein lebhaftes Hinundher zwischen den beiderseitigen Schiffsbesatzungen bot ihm die erwünschte Gelegenheit, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.

»Entschuldigen Sie,« sagte er aufspringend, »ich muß meinen Leuten etwas sagen.«

Arnold blickte ihm kopfschüttelnd nach.

»Er hat mich belogen,« sagte er sich, »denn die andere Prau, auf der Jan sich befindet, muß ihn überholt haben, sonst hätte ich sie ja gesehen. Aber welchen Zweck kann er dabei verfolgen? Hat er Jan erkannt? Will er versuchen, uns getrennt zu halten? Das soll ihm nicht gelingen.«

In diesem Augenblick beobachtete er etwas, das ihm aufs neue zu denken gab. Der Engländer sprach ja gar nicht mit seinen Leuten, sondern mit Wong Tsau. Wie eifrig der Chinese auf ihn einredete, gleich als ob er in kürzester Zeit möglichst viel sagen wolle, und wie oft er dabei verstohlene Seitenblicke herüberwarf! Kannten sich die beiden? War es doch keine Täuschung gewesen – hatten sie sich wirklich vorhin bei der Begegnung heimlich durch Zeichen verständigt? Er hatte es wahrzunehmen geglaubt, doch den eigenen Augen nicht getraut, als bei erneutem scharfen Hinsehen keine weitere Beobachtung auf ein verdächtiges Einverständnis schließen ließ. Nun wurde wieder das durch Jama genährte Mißtrauen wach. Wenn doch etwas Böses gegen das Unternehmen im Werke war?

»Was für ein heißer Tag,« stöhnte der Engländer, als er sich wieder auf seinem Platz niederließ.

»Sie haben recht; deshalb empfinde ich jeden Aufenthalt als doppelt unangenehm,« erwiderte Arnold mit unverhohlener Anzüglichkeit.

»Auch ich möchte keinen Augenblick länger als unbedingt nötig hier bleiben,« stimmte Haydock sofort zu. »Mir wäre es also recht, wenn wir sofort weiterführen.«

»Wir?« wiederholte Arnold verwundert.

»Ja; ich erlaubte mir so zu sagen in der Annahme, daß Sie die Freundlichkeit haben werden, mich und diejenigen meiner Leute, die nicht das Wrack bergen müssen, ein Stück flußaufwärts mitzunehmen. Man wird in Pinang veranlassen, daß uns ein anderes Fahrzeug nachgeschickt wird.«

Das klang, als ob es ganz selbstverständlich sei, daß der Wunsch erfüllt werde. Arnold ärgerte sich denn auch im stillen über diesen dreisten Ton, fand jedoch keine Möglichkeit, die Zumutung zurückzuweisen, umso weniger, als das Zusammenleben seiner Berechnung nach nur bis zum nächsten Tage dauern konnte.

Sein Hinweis auf den jetzt schon äußerst beschränkten Raum wurde mit dem Versprechen abgetan, daß man mit den schlechtesten Plätzen zufrieden sein werde. Da gab Arnold nach, unter der Voraussetzung, daß binnen einer Viertelstunde die Fahrt fortgesetzt werden könne.

»Übrigens,« sagte Haydock, nachdem dies erledigt war, »es schien Ihnen vorhin wissenswert, ob wir während unserer Flußfahrt anderen Prauen begegnet seien. Ich habe keine gesehen; aber meine Leute, bei denen ich mich erkundigte, sagten, daß heute in der Frühe, als ich noch schlief, eine Eingeborenenprau uns überholt habe.«

»Danke,« sagte Arnold, wie wenn ihm dies vollständig gleichgültig sei.

Es war ihm nicht entgangen, daß der Engländer seit seiner Unterredung mit Wong Tsau mit einer starken inneren Erregung kämpfte. Wie heftig das Gehörte in ihm wirkte, trat unverkennbar zutage, als Haydock sich nach dem Mittagessen zum Schlafen ausstreckte. Unruhig wälzte er sich von einer Seite auf die andere, und mancher heimliche Seufzer entfloh seinem Munde.

Am anderen Ende des Schiffes lagerten die Chinesen. Es war erstaunlich, wie schnell sich die Fremden mit der eigenen Mannschaft angefreundet hatten. Freiwillig teilten sie deren Arbeit. Gerade jetzt mühte sich einer von ihnen im Verein mit eigenen Bootsleuten ab, das Fahrzeug in Bewegung zu halten. Tief gebückt, die eine Schulter gegen die auf den Flußgrund aufgesetzte Stange gestemmt, so schritt er keuchend die unter ihm weggleitende schmale Fläche entlang, die auf seiner Seite den Laufsteg bildete.

Die Waldtiere hatten sich vor der Mittagsglut in das Dickicht verkrochen. Kaum daß von Zeit zu Zeit ein bunter Vogel kreischend die Baumwipfel überflog.

Arnold war nahe am Einschlafen, als ein Laut in seiner unmittelbaren Nähe ihn plötzlich wieder in die Wirklichkeit zurückversetzte.

Es klang wie ein langgezogenes qualvolles Stöhnen, und als Arnold erschreckt emporfuhr, blickte er in das bleiche, angstvoll verzerrte Gesicht des Engländers. Nun bewegten sich gar die dünnen Lippen! Die Hände schienen einen Angreifer abwehren zu wollen, und aus dem undeutlichen Gemurmel lösten sich einzelne, scheinbar unzusammenhängende englische Worte, bis der Schlafende plötzlich wie in höchster Not vernehmlich herausstieß: »Nein, nein, nicht töten – nicht ich – zu Hilfe – Li Fu!«

Bei dem letzten Wort öffnete Haydock die Augen und starrte Arnold so entsetzt an, als ob dieser im Begriff gewesen sei, das geträumte Verbrechen an ihm selbst zu verüben.

»Nach dem, was Sie soeben sprachen, haben Sie einen häßlichen Traum gehabt,« sagte Arnold, während er unter einem lächelnden Gesicht zu verbergen suchte, wie unheimlich ihm dieser Mensch geworden war.

Diese Worte wirkten verblüffend.

»Ich habe gesprochen? Was habe ich gesagt?« stieß Haydock in unverkennbarer Erregung hervor.

Arnold hatte sich das Gehörte so gedeutet, daß der Schläfer fürchtete, ermordet zu werden. Angesichts dieser auffälligen Furcht, etwas Geheimzuhaltendes verraten zu haben, drängte sich ihm aber plötzlich der Verdacht auf, daß eine weniger harmlose Deutung der Wahrheit näherkommen möge.

»Sie haben von Töten gesprochen,« erwiderte er mit ernster Zurückhaltung.

Der Engländer zwang sich zu einem lauten Lachen, aber der Klang war nicht echt.

»Was für unsinniges Zeug man doch bei der Hitze zusammenträumt! Habe ich etwa auch einen Namen genannt?«

»Ja.«

Diese Wortkargheit war Haydock sichtlich höchst unangenehm. Er wartete ein wenig, ob nicht von selbst eine Erläuterung folgen werde, wollte dann fragen, unterließ es jedoch im letzten Augenblick, aus Angst, einen bestimmten Namen zu hören.

Von dieser Stunde an blickte er scheu zur Seite, wenn die blauen Augen Arnolds im Gespräch den seinen begegneten. Er fühlte sich von ihrem forschenden Ausdruck heimlich verfolgt, und da er nun wußte, daß die qualvollen Träume verräterische Worte hervorriefen, fürchtete er sich vor der Nacht.

Einen rettenden Ausweg gab es nicht. Ohne Not schläft kein Europäer in unmittelbarer Nähe von Chinesen, also kam ein Wechsel des Ruhelagers nicht in Frage.

Seine innere Unruhe ließ ihn infolgedessen überhaupt nicht zum Schlafen kommen. Arnold mußte stundenlang zuhören, wie sein Gast sich von einer Seite auf die andere warf, bis endlich das eigene Ruhebedürfnis die Störung überwand.

Als er beim Morgengrauen erwachte, war das Lager des Engländers leer. Arnolds suchende Blicke fanden seine hagere Gestalt aber bald in der Nähe des Mastes, wo er in eifrigem Gespräch mit einem Chinesen begriffen zu sein schien, den Arnold als seinen Vorarbeiter Wong Tsau erkannte. Was mochten die beiden wieder zu verhandeln haben?

Ohne eine bestimmte Absicht stand er kurz entschlossen leise auf und ging auf die Gruppe zu. Da brach das Gespräch plötzlich ab, und die Köpfe fuhren auseinander.

»Guten Morgen, Mynheer,« begrüßte ihn Haydock mit scheinbarer Ungezwungenheit. »Ich beglückwünsche Sie zu Ihrem guten Schlaf. Fast die ganze Nacht habe ich mich damit unterhalten, den Tag herbeizusehnen, und als es zu dämmern begann, hielt ich es nicht länger auf meinem Lager aus. Da traf ich diesen Frühaufsteher. Ich hoffte, er könnte mir über diese Gegend Auskunft geben und ergänzen, was mir aus eigener Erfahrung bekannt ist. Doch offenbar wittert er in mir den Konkurrenten seines Herrn, denn er ist sehr wortkarg.«

Es lag Arnold auf der Zunge, daß er nicht diesen Eindruck gehabt habe; er sprach es indessen nicht aus, zumal der andere sogleich fortfuhr: »In wenigen Stunden bin ich an meinem Ziel. Nach dem Ihrigen habe ich nicht gefragt, da Sie es mir selbstverständlich nicht verraten hätten. Ich dagegen kann Ihnen nicht verheimlichen, in welcher Gegend ich zu arbeiten gedenke. Möge uns beiden das Glück günstig sein!«

Arnold schien diesen Wunsch zu überhören.

»Es wundert mich, daß Sie nie nach meinem Freund gefragt haben,« versetzte er kühl. »Es war Ihnen doch bekannt, daß wir gemeinsam arbeiten wollten.«

»Fragen Sie diesen Mann, ob ich mich nicht danach erkundigt habe,« kam es ohne Besinnen zurück.

Arnold lächelte überlegen.

»Ich dachte, Ihre Wißbegierde hätte sich nur auf die Gegend bezogen. Oh, bitte, bemühen Sie sich nicht um eine leere Ausrede! Ich gestehe, manches ist mir rätselhaft; aber ich hoffe, nicht mehr lange auf eine überzeugende Erklärung warten zu brauchen.«

Über das Gesicht des dabeistehenden Chinesen huschte ein häßliches Grinsen. Doch das sah Arnold nicht mehr. Nach den in bitterem Ton gesprochenen Worten, die sein ganzes Mißtrauen verrieten, hatte er ihnen den Rücken gewandt.

Gegen Mittag bat Haydock, an einer voraus sichtbar gewordenen Lichtung anzulegen. Froh, die lästige Gesellschaft loszuwerden, stimmte Arnold zu. Dies waren die ersten Worte, die seit dem Zwischenfall vom Morgen zwischen ihnen gewechselt wurden.

Bis zur Brust im Wasser stehend, beluden sich die Chinesen mit den zahlreichen Gepäckstücken, um sie an Land zu tragen. Auf die gleiche Art ließ sich schließlich der Engländer an das Ufer bringen. Ungeduldig war er bis zuletzt auf dem Schiff hin und her gelaufen, als ob ihm der Boden unter den Füßen brenne.

Beim Abschied hatte er Arnold nicht anzusehen vermocht. Die beiden Chinesengruppen dagegen scherzten und lachten und riefen einander in ihrer Muttersprache Bemerkungen zu, bis die wachsende Entfernung dem Verkehr ein Ende machte.

Arnold gab Wong Tsau den Befehl, von nun an mit verdoppelter Aufmerksamkeit die Ufer zu beachten, da noch an diesem Tage, spätestens am nächsten, die Vereinigung mit seinem Freunde zu erwarten sei. Mit dieser Hoffnung im Herzen setzte er sich frohgemut zum Mittagessen nieder. An Jamas Leichenbittermiene war er jetzt so gewöhnt, daß er sie nicht mehr beachtete.

Nach dem Abräumen schien der Malaie etwas sagen zu wollen. Doch bevor sein Herr gewahrte, daß er in seiner gewohnten demütigen Art stehen geblieben war, um eine Anrede zu erwarten, wurde Jama anderen Sinnes. Mit einem Ausdruck, der zu sagen schien: »Es hat ja doch keinen Zweck,« zuckte er die Schultern und begab sich mit traurigem Gesicht nach dem anderen Ende des Schiffes.


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