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Ein Glückstag und sein Ende

Mit wahrem Feuereifer hatte sich Haydock an die Arbeit gemacht. Ihm genügte nicht mehr, als Oberaufseher von einer Stelle zur anderen zu gehen, wo seine Leute fleißig bei der Arbeit waren. Am Ufer eines kleinen Nebenflusses wusch er eigenhändig Erdproben aus, um nach den verbleibenden Resten des gesuchten Metalles zu bestimmen, an welchen Stellen die Ausbeute im großen am ehesten Erfolg verhieß.

Er merkte nicht, daß die Chinesen ihn hinter seinem Rücken verlachten, verstand auch nicht die spöttischen Bemerkungen, die sie scheinbar mit ernsten Gesichtern in seiner Gegenwart in ihrer Landessprache austauschten. Eine unersättliche Gier schien von ihm Besitz ergriffen zu haben. Die bei seinem ersten Hiersein als abbauwürdig befundenen Stellen genügten ihm nicht mehr, und die mitgebrachten Einrichtungen, die bei lohnendem Betrieb mit der Zeit zu einem großen Werk ausgebaut werden sollten, lagen noch unbenutzt. Denn jeden Morgen trieb er die Vorarbeiter zu neuen Versuchen an, und zwar an Stellen, die ihm nächtliche Traumbilder gewiesen hatten. Kein Fehlschlag vermochte ihn von diesem Wahn zu heilen. Abend für Abend mußte er sich sagen, daß der Tag verloren und kostbare Zeit vergeudet war. Trotzdem begann er jeden folgenden Morgen mit ungeschwächten Erwartungen.

»Der Herr ist verrückt geworden,« war bald das Urteil seiner Leute, und sie kamen damit der Wahrheit ziemlich nahe. Es gab einen furchtbaren Gedanken in diesem Gehirn, der nur durch nimmer rastende Tätigkeit verscheucht werden konnte – eine Vorstellung, die ihm den Rest jeglicher Lebensfreude raubte.

»Das habe ich nicht gewollt – es ist nicht wahr – ich bin nicht schuld!«

Ähnliche abgerissene Worte sprach, ja schrie er oft plötzlich laut hinaus, während er abseits von den übrigen scheinbar nur darauf bedacht war, die im Wasser aufgelöste gelbe Erde aus dem Gefäß zu schwemmen, das er mit beiden Händen hin und her bewegte.

Eines Morgens schritt er wieder einmal mit einem nur ihm allein bekannten Ziel seinen Leuten durch eine mit mannshohem Gras bewachsene Lichtung voran. Obwohl ihm von wilden Tieren bisher nur Fußspuren zu Gesicht gekommen waren, hatte er seiner Gewohnheit gemäß auch diesmal die Büchse umgehängt.

So arbeitete er sich langsam durch das harte Grün, als plötzlich der Ruf: »Achtung, Herr – Tiger!« hinter ihm erscholl.

Stehen bleiben, die Büchse von der Schulter reißen und entsichern, war das Werk eines Augenblicks. Auf welcher Seite der Feind stand, brauchte er nicht zu fragen. Sobald er den Kopf hob, sah er gerade vor sich ein gelbschwarz gestreiftes Fell durch die Halme schimmern.

In Haydocks Adern strömte kein Jägerblut. Der prickelnde Reiz der Gefahr, der so viele starke Männer zur Jagd auf reißendes Großwild verlockt, war ihm immer fremd gewesen. Viel lieber hätte er in einem Gebiet gearbeitet, in dem man nicht auf solche Überraschungen gefaßt zu sein brauchte.

Auch heute dachte er nicht daran, für den Preis eines Tigerfells sein Leben aufs Spiel zu setzen. Mit der Waffe im Anschlag wartete er, ob das Raubtier angreifen oder, was er durchaus wünschte, kampflos das Feld räumen werde.

Noch verhinderte die Richtung des Morgenwindes, daß der Tiger seine Nähe witterte. Vorsichtig bog also Haydock die Halme auseinander, und nun erkannte er zu seinem Schrecken, daß er im Begriff gewesen war, einer ganzen Tigerfamilie als Angreifer zu erscheinen. Das bunte Fell, das er vor sich sah, gehörte einem Jungen, das sich mit einem anderen zu balgen schien. Deutlich hörte er fauchen und brummen, fast wie wenn junge Hauskatzen miteinander spielen.

Kein Forschertrieb lockte ihn, den seltenen Anblick aus größerer Nähe zu genießen. Mit Freude hätte er auf diese Begegnung verzichtet. Er wußte, daß Europäer nur in seltenen Ausnahmefällen von einzelnen Tigern angegriffen werden; doch ebensogut war ihm bekannt, daß ein Muttertier zum gefährlichen Angreifer wird, wenn es seine Jungen in Gefahr wähnt.

Schon dachte Haydock daran, sich möglichst unbemerkt zurückzuziehen, als er zu seiner Rechten das Gras rascheln hörte. Nichts Gutes ahnend, wandte er sich nach dieser Richtung.

Was er sah, ließ ihn beinahe vor Schreck erstarren. In dem Meer der sanft schwankenden Halmspitzen bewegte sich eine schmale Welle in gerader Linie auf ihn zu.

In harten Schlägen pochte sein Herz. Er wollte die Waffe der von dort schnell nahenden Gefahr zuwenden, doch ein plötzlich einsetzendes unbezwingliches Zittern in allen Gliedern machte ihn wehrlos. Wie gebannt starrten seine weitaufgerissenen Augen dem Verhängnis entgegen.

Da – die Bewegung der Grasspitzen hörte auf. Hatte das Tier ihn gewittert?

Markerschütterndes Brüllen gab die Antwort. Haydock fühlte, seine letzte Stunde war gekommen. Wohl hob er in einer letzten verzweifelten Anstrengung die Büchse an die Wange. Doch ihr Lauf schwankte hin und her, und ein buntes Flimmern vor den Augen verhüllte ihm das Ziel.

Das Brüllen verebbte in grollendem Gebrumm. Oder sollten es Locktöne gewesen sein? Zweistimmig erfolgte von den Jungen die Antwort, und nun eilten sie auch schon auf die Stelle zu, woher es gekommen war.

Wieder bewegten sich die Grasspitzen, doch diesmal in entgegengesetzter Richtung. Mutter und Kinder schienen gleich bestrebt, möglichst schnell aus der Nähe der verdächtigen Menschen zu entweichen. In weiten Sprüngen zeigte sich zuweilen ein gelber Rücken über der Grasfläche. Ehe in dem Engländer das Gefühl der Erleichterung ganz zum Durchbruch kommen konnte, waren die Tiger schon im nahen Walde verschwunden.

Aber der Schreck wirkte noch nach. Erst in Gesellschaft seiner Chinesen, die nun laut schwatzend herbeieilten, wagte Haydock, zum Spielplatz der Jungen vorzudringen.

Hier hörte der Graswuchs auf. Etwas weiter glitzerte das Wasser des kleinen Nebenflusses, dessen Ufergrund heute an dieser noch unerforschten Stelle auf seinen Zinngehalt untersucht werden sollte.

Die jungen Raubtierkatzen hatten anscheinend im Spiel den Boden aufgewühlt. Das brachte Haydock auf einen Gedanken.

»Hier, wo mich die Tiger überrascht haben, wird gegraben,« lautete sein Befehl.

Wo er so glücklich der Gefahr entronnen war, könnte ihm wohl auch in anderer Weise das Glück blühen, war dabei sein leitender Gedanke. Aber natürlich behielt er für sich, daß Aberglaube allein ihn bei diesem Entschluß leitete.

Die Chinesen tauschten wieder Blicke aus, die alles andere als Hochachtung für seine Fähigkeiten bekundeten, machten sich jedoch widerspruchslos an die Arbeit, indem sie den von ihrem Herrn abgesteckten, etwas überein Meter irrt Durchmesser großen Kreis auszuheben begannen.

Wie immer bis zu dem Zeitpunkt, wo, er sich aus dem Grunde des kleinen Schachtes eine Schüssel voll Erde heraufreichen lassen und eigenhändig die entscheidende Waschung ausführen konnte, schritt Haydock, der Hitze nicht achtend, aufgeregt in der Nähe hin und her. In solchen Stunden wurde sein Denken völlig von einem Gefühl beherrscht, das vielleicht auch der Jagdleidenschaft verwandt sein mochte, mehr jedoch der Spannung des Spielers glich, der bei winkendem hohen Gewinn die Würfel rollen sieht. In solchen Augenblicken trat alles andere weit zurück – für ihn ein Grund, in dieser Erregung täglich aufs neue Vergessen zu suchen.

Endlich war es so weit. Zwei Arbeiter ließen sich ein wenig später als er selbst mit anderen Proben nicht weit von ihm entfernt in Hockstellung zum Waschen am Ufer nieder.

Eine Zeitlang blieb alles ruhig; dann rief der eine laut: »Herr, dies ist der beste Zinngrund, den ich je ausgewaschen habe!«

Haydock tat, als ob er nichts gehört habe, zitterte jedoch vor Erregung. Was der Kuli da sagte, bestätigte nur, was er mit eigenen Augen erkannt hatte: seine kühnsten Erwartungen wurden durch dieses Ergebnis weit übertroffen! Das zufällige Zusammentreffen mit den Tigern hatte ihn ein Lager entdecken lassen, dessen Abbau die erhofften Reichtümer einbringen mußte.

Um ganz sicher zu sein, ließ er an zwei weiteren Stellen graben: der Erfolg blieb ihm treu. Im Geist sah er sich als Leiter und Mitinhaber der »Tigermine«. Als er am Nachmittag zum Lager zurückkehrte, war ihm dieser Name schon so geläufig, als ob die Mine längst in Betrieb stünde.

Die Überraschungen dieses Tages waren aber damit noch nicht abgeschlossen.

»Ist das nicht Wong Tsau?« fragte er erstaunt, als ihm von den errichteten Zelten her ein Chinese entgegenkam, dem mehrere andere folgten, die gleichfalls nicht zu seinem Arbeitertrupp gehörten.

»Ja, Herr, es ist Wong Tsau, der Führer von Li Fus Prau,« taut es im Chor von seinen Begleitern zurück.

Vergessen war die Tigermine – mit einem Schlag verdrängt durch peinigende Vorstellungen, die nur darauf gewartet zu haben schienen, bei der ersten Gelegenheit mit verdoppelter Macht wieder vorzubrechen. Li Fu – der Holländer Hollebeek – Ah Ling – alle traten vor seiner Seele ungerufen lebhaft in die Erscheinung, und er fühlte seine Knie zittern, als er dem grinsenden Vertrauten des Li Fu entgegenging, diesem weiteren Glied der furchtbaren Klette, der mich er selbst unlösbar angeschlossen war.

Wie kam Wong Tsau hierher? Wo war der Holländer?

Oh, er glaubte es nur zu gut zu wissen! Bei dem Zusammentreffen auf dem Flusse hatte der Chinese nicht mißzuverstehende Andeutungen fallen lassen. Der andere Holländer sollte auch ausgeschaltet werden; mehr sagte Wong Tsau damals nicht, weil er wohl merkte, daß der Engländer nichts davon hören wollte. Aus dem gleichen Grunde hatte er sich bei der Erwähnung seiner eigenen Aufgabe mit halben Worten begnügt, nicht ohne im stillen den Mann zu verachten, der zwar etwas veranlassen konnte, aber zu feige war, es selbst auszuführen, und dazu die Heuchelei so weit trieb, daß er selbst vor Eingeweihten sich stellte, als ob er gänzlich unbeteiligt sei.

»Guten Tag, Herr,« begann Wong Tsau dreist, »ich höre, Sie suchen nach neuen Fundstellen. Sind Ihnen die alten nicht gut genug?«

Haydock wollte hochmütig erwidern, daß er darüber niemand Rechenschaft schuldig sei und tun könne, was er wolle. Doch bevor er den Mund öffnete, begannen schon seine Leute, den großen Erfolg dieses Tages auszuposaunen.

»Dann können Sie gewiß noch mehr Arbeiter gebrauchen,« nahm Wong Tsau wieder das Wort. »Auch die Ausrüstung der beiden Holländer steht zur Verfügung; die können doch keinen Gebrauch mehr davon machen.«

Haydock biß sich auf die Lippen, blickte ihn eine Weile scharf an und schrie dann wie von Sinnen: »Fort, fort – mir aus den Augen – ich will nichts mit euch zu tun haben! Fahrt, wohin ihr wollt – euren Raub rühre ich nicht an!«

Jedes Wort dieses jähen Ausbruchs mit wilden Armbewegungen begleitend, schrie er so laut, daß von allen Seiten die Chinesen zusammenliefen. Immer heftiger schleuderte er Anklagen und Verwünschungen Wong Tsau entgegen, der überlegen lächelnd vor ihm stehen geblieben war.

Der beständige Anblick dieses Gesichtes steigerte Haydocks Wutanfall zur Raserei; er schien sich auf ihn stürzen zu wollen. Doch plötzlich hielt er mitten im Wort ein und blieb wie erstarrt stehen. Die Augen stierten in die Luft; mit dem Ausdruck höchsten Entsetzens wankte er totenbleich mit weit von sich gestreckten Armen wie vor einer beängstigenden Erscheinung zurück. Ein Aufschrei durchgellte die Luft – im nächsten Augenblick lag er mit schaumbedecktem Munde, wild um sich schlagend, auf dem Boden.

»Tragt ihn ins Zelt,« sagte Wong Tsau; auch ihm war bei diesem gräßlichen Anblick das Lachen vergangen.

Aber der Engländer ließ niemand an sich herankommen. Jeder Versuch hatte nur zur Folge, den furchtbaren Vorstellungen, die ihn offenbar beherrschten, neue Nahrung zu geben.

Welcher Art sie waren, ließen die Worte, die er von Zeit zu Zeit ausstieß, deutlich erkennen. In seinem Wahn sah er sich von den beiden Holländern, an deren Verderben er sich mitschuldig fühlte, zur Verantwortung gezogen.

Das Toben ging spät am Abend in einen langen Schlaf über. Als Haydock daraus erwachte, redete er irre. Durch Gewissensqualen war er an demselben Tag des Verstandes beraubt worden, an dem er endlich die Erfüllung seiner heißesten Wünsche nach irdischem Besitz in greifbarer Nähe vor sich gesehen hatte.

Wong Tsau nahm sofort die Leitung der Arbeiten in die Hand. Seine Landsleute kannten ihn als Li Fus Vertrauten, zögerten daher nicht, seine Anordnungen willig zu befolgen.

»Die Prau fährt nach Pinang, um Li Fu von allem zu benachrichtigen,« entschied er gleich am folgenden Morgen. »Der Engländer aber bleibt bei uns. Im ›Hause der fünf Glückseligkeiten‹ wäre er nur ein lästiger Gast; hier dagegen kann er tun und reden, was er will, ohne daß wir davon Unheil befürchten müssen. Li Fu mag entscheiden, was mit ihm geschehen soll.«

Im letzten Augenblick entschloß er sich jedoch, die Abfahrt um einige Tage zu verschieben, um selber die Nachricht von der Entdeckung der reichen Fundstelle zu überbringen. Nicht ohne Grund durfte er ja für sich selbst Vorteile davon erwarten. Nachdem der Engländer seine Schuldigkeit getan hatte, konnte es dem großen Geldmann in Pinang nur lieb sein, ihn durch einen Chinesen zu ersetzen.

Wohlweislich nahm er sich vor, die Flucht des Holländers zu verheimlichen. Daß der früher oder später in der Wildnis umkommen müsse, davon war er fest überzeugt. Mit dem Bescheid, der Auftrag sei ausgeführt, würde sich Li Fu zweifellos zufriedengeben. Warum sollte man ihm also etwas berichten, was die kaum geweckte gute Laune gleich wieder umschlagen lassen mußte?

Mit solchen Überlegungen trat er zur vorgesetzten Zeit mit fünf Begleitern die Reise an.


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