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V.

Genug, das Büchelchen machte seinen Weg, war nett ausgestattet, hübsch von außen und von innen, wurde gelesen, gekauft und machte Hendrik Van Loon zu einem interessanten jungen Dichter in Antwerpen.

Hendrik war wohl innerlich geschmeichelt, sehr vergnügt und vielleicht sogar ein wenig eitel, aber im Ganzen bestand er diese Probe doch sehr gut, verlor den Kopf nicht, dachte nicht, daß er nun der Einzige geworden sei, erfreute sich nach wie vor an den Arbeiten seiner Freunde, war selbst sein strengster Kritiker und versprach Allen, die sich für ihn interessirten: im nächsten Bande wolle er's noch viel besser machen.

Das war viel, wenigstens war's erfreulich, als Seltenheit. Gewöhnlich blähen sich junge Leute, sobald sie ein Buch in die Welt geschickt haben, dermaßen auf, daß man gar nicht länger in demselben Zimmer Raum mit ihnen findet. Sie haben Dinge gesagt, die noch Niemand vor ihnen gesagt, ihr Name auf einem Titelblatt hat sie zu Wesen anderer Gattung, zu »modernen Titanen« gemacht, es ist unendlich viel von ihnen, wenn sie bei einer unglücklichen sterblichen Frau noch eine Tasse Thee trinken. Hendrik war nicht wie diese kleinen großen Leute, vielleicht weil er keinen Thee, sondern nur Bier trank. Doch nein, das konnte es auch nicht sein, denn wir haben es nur zu oft gesehen, daß literarische Anmaßung sehr gut mit Biertrinken zusammen geht. Woher kam es also, daß Hendrik, obgleich jetzt mit Allem in Berührung und Beziehung, was in Antwerpen in Kunst und Literatur hervortrat, doch in seiner Familie derselbe gute einfache Rik blieb, wie früher? Daß er Mutter, wie seine Geschwister, ganz nach wie vor sein Geld brachte, sich von ihr Alles besorgen ließ, was er brauchte und ihr nur, wenn er über Land oder mit Rien ausgehen wollte, die Hand hinhielt? Daß er nie vergaß, ihr von einem solchen Ausflug einen couc mitzubringen, wie die große Currer Bell Pseudonym der bedeutenden englischen Schriftstellerin Charlotte Brontë (1816-1855), einer der drei Brontë-Schwestern., welche in letzter Instanz über die Vlamingen abgeurtheilt und sie für » stupid« erklärt hat, das einzige vlämische Wort schreibt, welches bis zu ihrem britischen Ohre gedrungen ist? Diejenigen, welche vlämisch verstehen, schreiben es Koek und sprechen es Kuk aus. Es begreift alle Sorten Gebäcks in sich, besonders bezeichnet man nur den Peperkoek, den Pfefferkuchen. Kurz, einen Kuchen verlangte Mutter, wenn Hendrik ausfuhr, und Hendrik kam nie ohne Kuchen wieder, nur daß er ihn bisweilen in Antwerpen kaufte. Aber das wußte Mutter nicht. Hendrik machte jedoch darin keine Ausnahme. Fast nie tritt ein Vlaming durch höhere Entwicklung, sei sie geistig, künstlerisch oder gesellschaftlich, aus seinem Familienkreise heraus. Vater und Mutter mögen im kleinsten Hause, ja, in einer Hütte wohnen, er bleibt selbst als europäische Berühmtheit immer daheim bei Vater und Mutter.

Vielleicht liegt es darin, daß in Belgien das Familienleben, das Familienleben der Bürger und der Bauern wohlverstanden, eine eigenthümliche Poesie bewahrt hat.

Ich meine die Poesie der Festtage. Für alle Tage geht es prosaisch genug zu, das gewöhnliche Leben sieht grau aus; es hat allerdings die Farbe der niederländischen Malerschule, aber die hat nur nicht viel mit der Idealität zu schaffen. Wo sich ein Künstler in diese hineinverliert, da hört man gewiß mit Kopfschütteln sagen: »O, aber er ist doch nicht mehr niederdeutsch.«

Wohl, das tägliche Leben geht also eintönig klappernd dahin, denn es trägt Holzschuhe. Holzschuhe sind unentbehrlich, wo die Straßen so unaufhörlich gescheuert werden, aber der Gang in ihnen ist nicht gerade leicht und macht ein eben nicht erquickliches Geräusch. Doch plötzlich kommt ein Festtag, und das Leben legt die Holzschuhe ab und putzt sich sonntäglich. Es macht nicht weniger Lärm als am Werkeltage, aber es ist nicht der Lärm der kleinen gewohnten Geschäftigkeit, es ist der lustige, alte, junge Lärm der Ueberlieferung.

Was die Familie jetzt thun wird, das hat sie vor so und so viel Jahrhunderten gethan, immer an demselben Tage, und in derselben Weise. Umsonst sind die verschiedensten Elemente über das Vlämische dahingetrieben, es hat sie treiben lassen und ist unter ihren Wogen geblieben, was es war. Die jetzt Mütter und Väter sind, haben die Gebräuche, welche so und so viele Tage mit eigenthümlichen Formeln bezeichnen, von ihren Großvätern und Großmüttern gelernt – werden sie dieselben ihren Enkelkindern lehren können? Die Eisenbahnen durchziehen das Land und die Fabriken erheben ihre Schlote in allen alten Städten, ja, selbst auf den Dörfern. Und sogar die Häuser in den alten Städten werden neu, und das Leben wird sogenannt modern, d. h. zur Kopie von irgend einer Kopie. Wird inmitten von so vielem Neuen dem Alten noch lange ein Plätzchen gegönnt bleiben?

Die Familie Van Loon fragte sich das nicht. Sie that, was man vor ihr gethan hatte; was man nach ihr thun würde, das ging sie Nichts an.

Aber in die Fußtapfen, welche sie vor sich sah, trat sie getreulich. Mutter konnte nicht, wie es in vornehmeren Bürgerfamilien geschieht, am heiligen Abend einen Armen kommen lassen, um ihm Fleisch, Kartoffeln, Brod, Reis mit Safran und etwas Geld zu geben, dazu war sie nicht reich genug. Sie hatte ebenfalls nicht genug, um an Martini den heiligen Bischof mit einem Korbe voll Aepfel, Nüsse und Pfefferkuchen bei ihren Kindern erscheinen zu lassen. Sie konnte zu Halbmärz ihre Dienstboten nicht fragen: »Bleibt Ihr's Jahr?« sie hatte keine Dienstboten. Ebenso wenig konnte sie am verlorenen Montag, dem Jubel- und Tollheittage der Arbeiter, der nach Epiphania Das Fest der Epiphanie feiert, dass die heidnischen Weisen aus dem Morgenland das Jesuskind als Messias erkannt haben; es ist also identisch mit dem Dreikönigstag, dem 6. Januar. fällt, Wurstelbrode, Pfefferkuchen und Borrels oder Gläschen austheilen – sie war keine »Bazin«, d. h. keine Meisterin, sondern nur ihre eigene unermüdliche »Werkfrau«. Aber an den fetten Samstagen, da fehlte, ging es irgend, das Wurstelbrod auf dem Abendtische der kleinen Familie niemals. Das Wurstelbrod ist, wie schon der Name es andeutet, ein leichtes Weißbrod, in welches Bratwürste eingewickelt werden. Jede Familie bereitet es zu Hause und schickt es dann zum Bäcker. Ist es gahr, so geben Jungen mit Schnarren in den Straßen das Zeichen zum Abholen, dann läuft man herbei, läuft mit dem dampfenden Wurstelbrode eiligst nach Hause und verzehrt es so schnell wie möglich, denn nur heiß gegessen ist es gut. Die fetten Samstage gehen von Weihnachten bis Lichtmeß Am 2. Februar, also genau 40 Tage nach Weihnachten, feiert die katholische Kirche das Fest der »Darstellung des Herrn«, volkstümlich auch »Maria Lichtmess« genannt. Traditionell beschloss dieses Fest den weihnachtlichen Festkreis., und werden, dem Volksglauben nach, zur Erinnerung an die Wochen der Jungfrau Maria gefeiert, weil sie während derselben so gut wie jede andere Frau einer mehr als gewöhnlich stärkenden Nahrung bedurft habe.

Eben so wenig wie das Wurstelbrod, fehlte am Zoppendonnerstag nämlich am grünen, an dem vor Ostern, der Meth mit dem Eingebrockten von den kleinen, eigens dazu bestimmten Wecken. Am Charfreitag des Morgens aber gab es nur Brod mit Syrup und zu Mittag Biersuppe und gesalzenen Häring mit Bohnen. Unter uns, Hendrik war kein großer Liebhaber vom Charfreitagessen, hielt von früh an Nichts vom Fasten, war überhaupt ein schlechter Katholik. Nur Mutters wegen bequemte er sich zum Fasten, sowie zum Anhören einer Seelenmesse am Todestage des Vaters. Gegen die Seelenbrödchen vom zweiten November Einen Tag nach ›Allerheiligen‹ begeht die katholische Kirche ›Allerseelen‹, den ›Tag des Gedenkens an alle verstorbenen Gläubigen‹., auf denen der Safran die Schwefelflammen des Fegefeuers andeuten soll, hatte er keine Einwendungen, sie waren vom feinsten Mehl und schmeckten gut, aber das den Tag darauf in der Kirche geweihte Hubertsbrod Hubertus von Lüttich (um 655-727) war Bischof von Maastricht und Lüttich. Er wird in der katholischen Kirche als Heiliger verehrt. Sein Gedenktag im Heiligenkalender ist der 3. November. - Am Hubertustag gesegnetes Salz, Brot und Wasser soll gegen Hundebisse schützen, außerdem sollten auch die Hunde selbst dadurch vor Tollwut geschützt werden. verschluckte er, als wär' es gewöhnliches, und vergaß regelmäßig, über sein Stück, bevor er hineinbiß, das Kreuz zu schlagen.

Einige Festfreuden in der Familie waren nun bereits von den Kindern auf die Enkel übergegangen. Die beiden Kleinen des ältesten Bruders spielten jetzt, wie früher Therese, Anton und Hendrik, am Fest der unschuldigen Kinder in Kleidungsstücken, die an den winzigen Körperchen bis auf die Erde schleppten, Vater und Mutter, hatten die Schlüssel und bestellten das Mittagessen, welches denn unabänderlich aus Reisbrei mit Safran bestand. An der großen Kermiß wurde dieses altvlämische Gericht von Mutter auf den Tisch gebracht. Eine Kermiß ohne »Ryspap«, das wäre etwas Schönes gewesen!

Den Kleinen fiel es jetzt auch zu Theil, an Mutters »Verjahrstag« mit den Reimchen anzukommen:

Großmütterchen lieb,
'S war gestern Euer Abend und 's ist heute Euer Tag,
Ich hab' die Ehr', daß ich Euch »bestekenbesteken« mag.

Wirklich »bestoken« aber wurde Mutter von den Großen, die ihr die Geschenke des Morgens in's Bett brachten. Abends gab es dann ein Familienmahl, wobei man Kukebak aß, eine Art Eierkuchen von Hefenteig, welcher entweder mit Butter geschmiert, oder mit Zucker bestreut wird, und besonders zum Kaffee für etwas gar Köstliches gilt. Was davon übrig bleibt, wird den andern Morgen zum Frühstück aufgebacken, und: »Och, das schmeckt!« rief dann Hendrik, wenn er sein Theil zu seinem bittern Milchkaffee bekam, denn Hendrik wollte nie Zucker. Mutter nahm zum Kukeback immer das feinste »Blummehl«, wie das Kernmehl von Buchweizen genannt wird, und bisweilen kochte sie auch »Blumpap«, nämlich Brei von Buchweizenmehl, doch geschah das seltener, denn Rik sowohl wie Toon hatten mehr als einmal die Wahrheit des alten Volksreimes erfahren, welcher so pathetisch über den »Blumpap« klagt.

Am Dreikönigstage versammelte die Familie sich gleichfalls. Ein Königsbrief wurde gekauft: ein Bogen von schlechtem Papier, auf welchem, begleitet von vlämischen und französischen Versen, sämmtliche Personen eines Hofes schauderhaft illuminirt sind. Alle sitzen zu Pferde, ausgenommen der Narr, der zu Esel, und der Beichtvater, der im Beichtstuhl sitzt. Diese Hervorbringungen der Antwerpenschen Kunst werden mit andern Bogen, die noch viel furchtbarer illuminirt sind, von zahllosen Kindern, sowohl am Vorabend wie am Tage der drei Könige unter dem Geschrei feilgeboten: »Königsbriefe und Kron' und Kron', Königsbriefe und Kron'!«

Von dem zweiten der Bogen nämlich, auf welchem in drei Reihen Figuren gemalt sind, welche die Absicht haben, heilig zu sein, wird die Krone gemacht, die der König den Dreikönigsabend über tragen muß. Der König aber, sowie der ganze Hof, wird durch das Ziehen der Zettel bestimmt, in welche der »Königsbrief« zerschnitten wird. Hendrik brachte an dem Abend immer einige lustige Jungen mit, die sich als Bote, als Spielmann, als Schweizer, als Koch, als Arzt, als Schenke, als Vorkoster, als Knecht, als Rathsherr, als Kämmerling und als Geheimschreiber gut zu behaben wußten. Von ihm selbst sah man's gerne, wenn er der Narr wurde, er konnte so überselig albern thun, und malte so dicke schwarze Striche auf das Gesicht irgend eines Unloyalen, der nicht, so oft der König einen Schluck »Gersten« nahm, aus voller Kehle schrie: »Der König trinkt!« Eigentlich gehen so kleine Familien, wie die Van Loonsche, um den »König zu ziehen«, gewöhnlich zu irgend einer benachbarten, aber dazu wollte Mutter sich nie bequemen, der König mußte bei ihr gezogen werden, und mochte es das Jahr über auch noch so knapp hergegangen sein, an diesem Abend sparte sie weder »Gersten«, noch Kukeback, denn Kukeback durfte doch nicht fehlen.

Kukeback war's auch meistens, was Mutter »gelobte«, wenn sie am Thomastage Der 21. Dezember. Die katholische begeht diesen Tag seit 1970 jedoch aus Gründen der liturgischen Rangordnung am 3. Juli. heimkam und die Thüre verriegelt fand. Dann guckte in der Regel Meinherr Rik aus einem Fenster und rief: »Mutterchen, was gelobt Ihr?« – »Was gelobt Ihr?« ist die stehende Frage, welche an Alle gethan wird, die sich am Thomastage aus- oder einsperren lassen. Beides geschieht, obgleich alle Streiche, welche man einander an diesem Tage mit Hilfe von Schloß und Riegel spielt, mit dem allgemeinen Ausdruck »Ausschließen« bezeichnet werden. Und kann man nun entweder nicht hinein, oder nicht heraus, steckt man in einer Kammer, oder steht man vor der Thür, so wird einem, ist man draußen, aus dem Fenster, ist man drinnen, durch die Thür, triumphirend zugerufen: »Was gelobt Ihr?« Da »gelobt« man denn je nach seinen Mitteln, oder seinem natürlichen Hang zur Freigebigkeit oder zur Kargheit. Bei den Van Loon's war's Trees, die karg war; sie »gelobte« selten etwas Anderes, als »einen kleinen. Kuchen«. Toon ging bis zur Chokolade, Rik aber war immer »grand«, der that's nie unter Punsch oder warmem Wein. Am St. Nikolaustage beschenkte Mutter die Kinder.


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