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Burkhard Keller von Yburg

Spricht jemand von einem Kreuzweg, so hängt sich schnell die Vorstellung von Spuk und unheimlichem Gespenstergetriebe daran, und namentlich weiß die Sage von einem derartigen Unfug zu berichten, der in Zeiten, welchen längst der graue Schleier ferner Vergangenheit die Deutlichkeit verkümmert, sich auf der Stelle zutrug, wo im schönen Lande Baden, im Tale der fröhlichen, klaren Murg, fünf Pfade sich auf einem Punkt begrüßen, ehe sie die Wanderung nach den fünf Endzielen ihres Laufes fortsetzen.

Das nahe alte Schloß Baden war damals der Wohnsitz einer fürstlichen Witwe, welche den hingeschiedenen Gemahl bis an ihr Lebensende mit aufrichtigem Herzen betrauerte und in selbstgewählter Einsamkeit sehnsüchtig zugleich und geduldig der Stunde entgegenharrte, welche ihr irdisches Dasein beschließen und sie mit dem verklärten Gegenstande ihrer Jugendliebe, dann unlösbar, von neuem vereinen würde. Den Ansprüchen ihres Ranges, Ansprüchen, denen hohe Geburt sich nicht entziehen kann, wie Herzenswunden auch bluten mögen, genügte sie durch Beibehaltung eines kleines Hofstaates, gebildet aus Frauen und Fräulein benachbarter Adelsgeschlechter. Natürlich durfte es auch an Rittern nicht fehlen. Unter den Letzteren zeichnete sich durch persönliche Schönheit und gewinnende Anmut des Benehmens Burkhard Keller von Yburg aus. Ein gewisser Leichtmut, um nicht zu sagen Leichtsinn, konnte ihm allerdings nicht abgesprochen werden, allein das verzeiht sich um so eher, wenn der Sproß einer einst berühmten und begüterten Familie sich nur noch gleichsam als einen vom alten Stamme abgerissenen Zweig betrachten kann, der es dulden muß, daß die kalten Luftschwingungen der Mittellosigkeit ihr höhnendes Spiel mit ihm treiben. Und in dieser demütigenden Lage befand sich der erwähnte junge Edelmann. Es gehörte ihm von der ganzen vergangenen Herrlichkeit nur noch der Name der Burg seiner Väter, während der eigentliche Besitz und die damit verbundenen, klingenden Vorteile durch eigenes Verschulden sowohl, als unverdientes Unglück der Vorfahren längst zur Mythe geworden waren. Konnte er indes auch nicht über eine stets gefüllte Börse gebieten, um sich damit über den sonstigen Verfall des Stammes derer von Keller zu trösten, so hatte er doch, weshalb mancher, dem es mangelte, ihn beneidet und gern den leeren Säckel mit in den Kauf genommen haben würde, nämlich sein schönes, stolzes Antlitz, die hohe männliche Gestalt, die beredte Zunge, dabei den echten Frohmut kräftiger, gesunder Jugend; und mehr als das, er hatte, was über das Schlimmste hinweghilft, eine erregte und leidenschaftliche und ebenso erregt und leidenschaftlich erwiderte Liebe. Klara von Tiefenau, die liebliche, sittsame Tochter des Kastellans der Burg Kuppenheim, war es, welche, nach manchen Irrtümern seinerseits, sein besseres Sein gefangen genommen; und jede Stunde, während welcher er sich hinwegstehlen konnte aus seiner ohnehin nicht schweren Dienstpflicht, verbrachte er in der Gesellschaft des holden Wesens, welches zu seiner Gattin zu machen er in guten Stunden endlich gewillt war. Wie voll Entzücken und ach! wie oft vergegenwärtigte er sich auf dem Heimwege durch den nächtlich-stillen Wald nach Schloß Baden den berauschenden Augenblick, wann er die reizende Braut als sein liebes Ehegemahl würde ans Herz drücken können, und diese Hoffnung war durchaus kein so ganz leeres Phantasiegebilde, denn seine fürstliche Beschützerin konnte ihm zu einer Stellung verhelfen, welche einen eigenen Herd gestattete, und überdies war Klara das einzige Kind ihres wohlhabenden, gütigen Vaters. So wenigstens klügelte Junker Burkhard etwaige Bedenken hinweg.

Doch keinem hat noch je eine wahre Glücksblume sich erschlossen, dem die Ausdauer fehlte, das Erschließen abzuwarten und tückische Mächte verfehlen nie, ihre Fänge nach leicht zu erlangender Beute begierig auszustrecken. Und einmal als Junker Burkard wiederum durch den schweigenden, monddurchglitzerten Wald von Kuppenheim zurückwandelte, erblickte er auf dem Kreuzwege der fünf Pfade, den er überschreiten mußte, etwas, das er vordem noch nie bemerkt. Es war ein Steinaltar, wie aus Heidenzeit, von Wind und Wetter geschwärzt, zerbröckelt, und eine steinerne Frauengestalt lehnte darauf. Doch war sie von solch wunderbarer Schönheit, daß es dem jungen Ritter, dem noch der Abschiedskuß der Geliebten auf den Lippen brannte, bedünken wollte, das Bild sei garnicht von Stein und nur das blasse Mondlicht verursache die Täuschung. Das Haar ringelte sich so natürlich von dem kleinen jugendlichen Kopfe, die schlanken Hände legten sich so weich und keusch verhüllend an den zarten Busen, die Augen des fast noch kindlichen Antlitzes blickten so unschuldig vertrauend in die Weite! – – –!

Burkhard konnte das Erschaute nicht vergessen; er fragte nach und erfuhr, daß auf jener Stelle einst ein der Venus geweihter Tempel gestanden, doch von Überresten wollte niemand etwas wissen. Das alles aber kümmerte den Verzauberten nicht, und wenn er jetzt noch öfter, denn zuvor zu der fromm-gläubigen Klara hinüberging, so geschah es weniger um ihretwillen, als um sich immer von neuem zur Mitternachtsstunde an dem Anblick des Steinbildes, das er, wie von Mondenstrahl oder Sternenschimmer der Erde entlockt, unter der nämlichen, mächtigen Eiche unausbleiblich wiederfand, zu berauschen. Und zuletzt ging er gar nicht mehr nach Kuppenheim, sondern nur noch bis zum Asyl der starren Göttin, die, wie es ihm schien, mit ihren Marmorarmen ihn umschlingen wollte. Seine Sinne entflammten mehr und mehr und sie kühlten sich nicht, ob er auch noch so oft den brennenden Mund, in wahnsinnigem Verlangen nach Gewährung lechzend, auf die kalten, unerwidernden Lippen des Götzenweibes preßte. Vergebens flehte die arme Klara, sein guter Engel, in durchwachten und durchweinten Nächten den Himmel um ein Wiedersehen des auf so rätselhafte Weise untreu Gewordenen an, vergebens klammerte sie sich mit jedem neuen Tage an die Hoffnung. Der Abend fand sie immer wieder trostlos. Auch auf Schloß Baden wurde man über des Junkers rätselhaftes Gebaren, sein zerstreutes Wesen, seine allnächtliche Abwesenheit unruhig; und ganz besonders war dies der Fall mit seinem alten, ihm mit Leib und Seele ergebenen Knappen, der ihn zu allererst aufs Roß gehoben und die Anfänge des Waffenhandwerks gelehrt hatte. Dieser schlich ihm eines Abends nach, um im Schutze des Waldesdickichts zu erspähen, wohin sein Herr gehe und was er treibe.

Da sah er denn, beim Kreuzwege angelangt, mit haarsträubendem Grauen, wie jener sich auf den moosigen Grund niederwarf und ein unsichtbares Wesen stürmisch um Erbarmen anflehte. Und ein Steinaltar erhob sich vor ihm und eine Steingestalt stieg hinab; es umfloß sie ein bläulichweißes, geisterhaftes Licht, – sie beugte sich zu dem Knienden. Die eine Hand legte sie ihm leicht aufs pochende Herz, die andere drückte ihm einen dunkelgrünen Kranz aufs lockige Haupt. Der Jüngling jauchzte auf, aber auch schon erlosch sein Blick. Sie hatte ihn erhört und die Erhörung bezahlte er mit dem Leben.

Die Erscheinung zerfloß, der Altar versank, ein Uhu schwirrte kreischend nieder, der treue Knappe entfloh, von Entsetzen gejagt.

Nächsten Tages fand man Junker Burkhards Leiche. Altar und Götzenbild waren für immer verschwunden. – Ein Kreuz wurde später auf der Stätte errichtet zum Gedächtnis des Toten und zur Abwehr höllischen Geisterspuks.


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