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Die Felsen

Vor langen, langen Zeiten bestand in der Nähe von Baden-Baden ein kleines Erbgut, das ein junger Mann, dem die Eltern früh gestorben, in glücklicher Unabhängigkeit verwaltete. Seine Vorfahren, obschon dem Adel des Landes angehörend, waren nie, sei es aus Mangel an Gelegenheit oder weil ihnen hervorragende Eigenschaften fehlten, dahin gelangt, ihren Namen berühmt zu machen, so daß derselbe fast vergessen ward und ihr letzter Sproß gemeiniglich ganz einfach Junker Georg genannt wurde.

Dieser war ein hübscher Jüngling, blühend und kräftig von Gestalt, heiter und sorglos von Sinn, umgänglich und hilfsbereit und daher in der Gegend allgemein beliebt. Ein Blick seiner klaren lachenden Augen genügte, alle Trauer zu verscheuchen, und mit offener ermutigender Rede wußte er manchem Bekümmerten die Welt in besserem Lichte zu zeigen. Daraus läßt sich schließen, daß Junker Georg von Liebe nichts wußte, denn diese mit ihrem unvermeidlichen Gefolge von Bangigkeit und Sorge ist auch im besten Falle die Feindin gleichmäßiger guter Laune und wem sie das Herz schwer macht, der kann für die Angelegenheiten anderer nicht eine rege Teilnahme empfinden.

Der junge Mann tat sich auch nicht wenig darauf zu gute, daß es noch keinem weiblichen Wesen gelungen, seine Gefühle in Fesseln zu legen, und der ungestörte Genuß seiner Freiheit gefiel ihm so wohl, daß er sich zu einem wahren Weiberverächter ausbildete. Unter seinen Jugendgenossen gab es manchen, der von bitteren Erfahrungen in der Liebe erzählen konnte, dem einen hatte der Kaltsinn, den anderen die Flatterhaftigkeit der Erwählten, das Dasein vergällt und selbst diejenigen, denen es nach Wunsch ergangen, konnten das Seufzen nicht lassen, wozu sie denn doch wohl geheime Ursache haben mußten. Das alles bestärkte den Junker in seiner einmal gefaßten Ansicht von Minneglück und Ehestand. Ein paar starke Knechte bestellten seine Äcker und eine alte Haushälterin mit ihrer zwar jungen aber unschönen Nichte hielten das Innere seines Schlößchens in Ordnung, Mit den Söhnen der Nachbarschaft verkehrte er viel und in Freundlichkeit, ließ sich aber in den Familien derselben wenig erblicken. Denn er wußte nichts von zierlichen Reden und Komplimenten, ohne welche ein junger Mann in Gegenwart von Frauen sich übel ausnimmt. Sein Hauptvergnügen bestand in der Jagd und selten sah man ihn anders, als im grünen Wams, die Mütze mit der Hahnenfeder keck aufs eine Ohr gesetzt, mit Bogen, Pfeil und Weidmesser bewaffnet und von einer lustigen Meute gefolgt. Wenn er dann am Abend heimkehrte und die reiche Beute des Tages vor sich liegen sah, so dünkte ihm dieser Anblick schöner, als das süßeste Lächeln des reizendsten Fräuleins.

So ging es ganz vortrefflich während einiger Jahre und Junker Georg blieb der lebensfrohe, muntere Gesell, der für jede wirkliche Not Herz und Hand offen hatte, aber allen Liebesjammer, wie alles Liebesglück, gutmütig verlachte. Sollte er jedoch der erste Sterbliche sein, der ungestraft sich solches unterfangen durfte?

Über dergleichen machte sich jedoch Junker Georg keine Gedanken und jagte nach wie vor. Da traf es sich eines Morgens, daß er sich auf dem Wege herumtummelte, der vom alten Schlosse von Baden nach Ebersteinburg führt und von sich hochtürmenden Felsmassen bezeichnet wird. In kühnen Bogen, die immer mit jähem Niederfall zu drohen scheinen und doch wie von Gigantenhand festgemauert sind, schichten sich die Porphyrblöcke schroff empor und bilden allerlei wunderliche Gestaltungen. Besonders wenn der Nebel seine phantastischen Hüllen hin und her wogend zwischen die Steinmassen gleiten läßt, ragt es rechts und links wie Burgtore und Festungsgemäuer oder fremdländisches Bauwerk, und von allen Seiten schauen graue Menschengesichter, bald stillernst, bald drohend, oder auch höhnisch grinsend, auf den Vorüberwandernden hinab. Moos und Schlinggewächs bilden Haupt- und Barthaar und bei jeder Wendung verschieben und verändern sich die Riesenprofile.

Der etwas prosaische Junker sah in allen diesen Gebilden nichts als große Felsstücke und ging eifrig der Fährte des Wildes nach, die sein Hund aufgespürt hatte. Da auf einmal entstand in einem der Steinblöcke ein breiter Riß und ein schlankes, schneeweißes Reh sprang daraus hervor und dicht vor Georg hin. Dieser stutzte wohl ob des sonderbaren Vorganges, doch faßte er sich sogleich und dachte, daß sein Auge ihn getäuscht habe und alles natürlich zugegangen sei. Schnell schickte er sich an, das Tier zu erlegen, doch als ob die feindliche Absicht erkennend, entschlüpfte es behend seiner Nähe, um jedoch bald wieder dicht bei ihm zum Vorschein zu kommen. So trieb das seltsame Wild es immer fort, verschwindend und wieder sichtbar werdend, und lockte damit den Jäger weiter und weiter. Diesen reizte und erhitzte das neckische Spiel und machte ihn rastlos in der Verfolgung, bis er sich plötzlich an einer ihm ganz fremden Stelle befand. Er sah sich wie in einem versteinerten Meere rings von Felsen eingeschlossen, und wie er unwillkürlich den Blick erhob, schien das kleine Stück Himmel oben so blaß und fern, daß es ihm vorkam, als befände er sich im Mittelpunkt der Erde. Sonderbar beklommen wollte er das Auge wieder nach dem weißen Reh wenden, das zu töten er sich vorgesetzt, da fuhr es wie helles Leuchten vor ihm auf und vor ihm am Rande einer klaren Quelle stand wie hingezaubert ein unbeschreiblich liebliches, unirdisches Frauenbild. Leichte Schleier umhüllten ihre zarte jugendliche Gestalt, die Goldflut ihres Haares umwob' ihr feengleiches Antlitz mit einem Strahlenschein und ein leises züchtiges Erröten flog über die feine Wange, als sie, das sich an sie schmiegende Reh schützend umschlingend, zu Georg sagte:

»Was tat dir dies arme Tier zu Leide, daß du es zu Tode verfolgen willst?«

Der Junker bedeckte mit der Hand die geblendeten Augen und ein bisher ungekanntes Gefühl, halb Schmerz, halb wonnige Seligkeit, durchzuckte sein Herz und bannte den kecken Übermut daraus hinweg. Doch in der nächsten Minute verwandelte sich die Helle um ihn in ein seltsames Düster; er sah auf, die holde Erscheinung nicht zu verlieren, aber schon war sie verschwunden und das Reh entflohen. Statt dessen umgaukelten Nebelbilder die starren Felsgipfel, fratzenhafte Gnomengestalten schossen daraus hervor, unter gellendem Spottgelächter zerrten sie an des Junkers Bogen, raubten ihm das Messer von der Hüfte, zerbrachen Köcher und Pfeil. Dann erhob sich ein Krachen und Knattern und wie von dem Gestein verschlungen, entwich die ganze Koboltschar.

Als Georg wieder zur Besinnung kam, hatte er Mühe, aus dem Felsenlabyrinthe einen Ausgang zu finden und spät am Abende erst erreichte er seine Wohnung.

Eine gänzliche Veränderung war indes mit ihm vorgegangen. Sein Jagdspeer durfte fortan an der Wand verrosten, sein Lachen war auf immer verstummt. Die Liebe hatte endlich sein Herz getroffen, die schmerzensreichste und unheilbarste, die Liebe ohne Hoffnung. Der, welcher jeden Seufzer eine Torheit genannt, mußte nun in Seufzer und Tränen seine Tage und Nächte verbringen; denn wie oft Georg auch unter den Felsen umherirrte, die schöne Bergfee sah er nie wieder.

Lebensmüde verließ er seine kleine, wohnliche Burg und flüchtete sich in die Stille eines Klosters, doch löschte die ernste Kutte des Mönchs das Feuer seines Innern nicht aus. Er starb mit der irdischen Sehnsucht im Herzen und daher fand sein Geist nicht die Ruhe, sondern erwartet allnächtlich unter den Felsen das Wiedererscheinen seiner nur einmal erblickten, seiner ersten und einzigen Liebe.


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