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Allerheiligen

Die Ruinen des nicht fern von dem Amtsstädtchen Achern gelegenen Klosters Allerheiligen bilden einen der interessantesten Anziehungspunkte des badischen Schwarzwaldes. Mächtige Gebirgsmassen erheben sich rings um die malerischen Reste, die auch in ihrem gegenwärtigen Verfall noch von der einstigen Größe und Pracht des Gotteshauses erzählen. Der Sage nach wurde dasselbe von einer dem Hause Zähringen entstammenden Gräfin gestiftet, welche in dem frommen Unternehmen Trost für die Leiden einer unglücklichen Ehe suche. Nachdem das Kloster mehr als sechs Jahrhunderte bestanden und während derselben durch häufige Schenkungen zu großer Macht, und durch die Gelehrsamkeit und streng-geistlichen Tugenden seiner Mönche zu weit verbreitetem Ansehen gelangt war, schleuderte der Blitzstrahl den verheerenden Feuerbrand in die heiligen Mauern. Dies geschah jedoch nicht eher, als bis die Aufhebung der geistlichen Orden stattgefunden hatte und auch die frommen Brüder von Allerheiligen ihrer Gelübde ledig gesprochen worden waren. Die Flammen fanden demnach ein verödetes Gebäude und bewahrten es, von seiner höheren Bestimmung vielleicht zur Dienstbarkeit profaner Zwecke hinabsteigen zu müssen.

Brausend stürzt der Grindelbach von der Höhe der Felsen, welche durch die Hand Gottes gebildet, ruhig wie alles, das stark ist, auf das Entstehen und Vergehen der Menschenwerke hinblicken. Der silberweiße Schaum springt von Klippe zu Klippe, berührt jede mit flüchtigem und doch immer wiederholtem Kusse, und wirft in glitzernden Tropfen den dunklen Tannen ein Lächeln zu, das diese hinnehmen, wie der lebensgeprüfte Mann den frohen Übermut des Knaben. Wenn die Sonne hoch am Himmel steht und ihr Licht in den Bergkessel ausgießt, empfängt sie ihre Huldigung in den blendenden Regenbogenfarben, welche die Kaskaden ihr zurückstrahlen. Und so rauschen sie tagaus, tagein in die schwindelnde Tiefe. Ein mächtiger Ernst, ein religiöser Friede umwehen die Stätte, sie drängen sich an die Seele des Besuchers und legen deren aufgeregte Wogen in erquickende Ruhe. Obgleich nur eine kurze Strecke von den Schauplätzen entfernt, auf denen Erdenlust und Erdenkämpfe des Erdenlebens Drama weben, macht doch Allerheiligen den Eindruck eines von der Welt gänzlich abgeschiedenen Eilandes. Man blickt das dunkelumgrünte Gestein hinauf, das bald senkrecht, bald in wunderlichen Gestaltungen aufstarrend in den Himmel zu ragen scheint, und fühlt sich wie geschirmt gegen die tausend Anfechtungen, mit denen jede Minute drohen könnte. Gegenüber der erhabenen Ursprünglichkeit der Natur schrumpfen die vielfordernden Begehren der Menschenbrust zu Nichtigkeiten ein, und damit schon allein ist die schwerste Last derselben von ihr hinweggenommen.

Als Allerheiligen noch die Heimat seiner gelehrten Mönche und mit dem Kloster eine Schule verbunden war, entsandte manche vornehme Familie ihren Sprößling in die letztere, daß er in Wissenschaften und Sprachen unterwiesen werde. So kam es, daß Junker Joseph von Wessenberg als Schüler der heiligen Väter mehrere Jahre dort zubrachte. Er war ein lebensfroher, warmherziger, begabter Jüngling, der seiner Erzieher Mühe und Sorgfalt reichlich lohnte und dem daher auch gern eine gewisse Unabhängigkeit des Sinnes nachgesehen wurde. Die strengen Regeln der Schule milderten sich für ihn und in zunehmendem Grade, je mehr der Zeitpunkt seiner Rückkehr zu den Eltern herannahte. Diese sollte mit dem Abschluß seines neunzehnten Lebensjahres erfolgen, und gut wäre es für ihn gewesen, hätten die wohlmeinenden geistlichen Väter wenigstens zu Ende seines Aufenthalts bei ihnen ihm die Freiheit ein wenig verkürzt, er hätte dann vielleicht keine Gelegenheit gefunden, die reizende Erda zu erblicken, die junge Tochter der Zigeunertruppe, die um jene Zeit nahe bei Allerheiligen ihre Zelte aufgeschlagen hatte und deren männliche Mitglieder sich durch allerlei Dienstleistungen im Haushalt der Mönche bei diesen wohlgelitten zu machen wußten. Die letzteren mochten auch die Hoffnung hegen, einige aus dem Stamme zum Christentum zu bekehren. Die Sage berichtet nicht, welcher Erfolg diese fromme Absicht krönte, sie hat es vorzugsweise nur mit Erda zu tun, welche der Beredsamkeit des hübschen, feurigen Junkers, mit der er sie für seinen Glauben, wie für seine Liebe zu gewinnen trachtete, willig ihr Herz öffnete. Aber die dunkeläugige Abkömmlingin des Wandervolkes war tugendhaft, wie der junge Wessenberg ehrenhaft war, und die zärtliche Neigung beider hatte kein anderes Ziel, als durch Priestersegen geheiligt zu werden. Dies war allerdings eine gewagte Hoffnung, da des Junkers Eltern schwerlich eine solche Verbindung gutgeheißen haben würden; allein wie leicht sieht eine erste Liebe über alle Hindernisse hinweg!

Die Liebenden kamen überein, sich einem der Mönche des Klosters anzuvertrauen, der, wie sie nicht zweifelten, durch des Mädchens Bekehrung gerührt, die Trauung vollziehen und die Eltern des jungen Mannes mit dem Geschehenen zu versöhnen suchen würde. Um der erwählten Gattin ein sichtbares Pfand seiner Treue zu geben, schenkte ihr der Junker, in Erwartung der glücklichen Tage ihrer Vereinigung, einen kostbaren Ring, den er sie bat, auf ihrem Herzen zu tragen, bis sie ihren Finger damit zieren dürfe. Mit tausend Küssen bedeckte Erda das bedeutungsvolle Symbol eines heiligen Bundes und gelobte es zu hüten, wie den Stern ihres Auges. Hocherfreut teilte sie dann der alten Zigeunerin, die sie in ihrer Kindheit gepflegt hatte und die Vertraute ihres süßen Geheimnisses war, den Entschluß des Geliebten mit. Diese aber sagte, nachdem sie den Ring aufmerksam betrachtet:

»Entferne dies Kleinod keinen Augenblick von deiner Brust, ehe du dem Manne deiner Liebe als Gattin verbunden, denn wenn du früher die Hand damit schmücken solltest, wird die Sonne deines Lebens für immer erlöschen.«

Der feierliche Ton, in dem diese Worte gesprochen wurden, machten Erda erbeben. Sie befestigte daher sorgsam den Ring an einem Bande und trug ihn getreulich nahe ihrem Herzen Tag und Nacht.

Die Hoffnung des jungen Mannes hatte ihn nicht getäuscht. Sein redlicher Sinn und die Inbrunst, mit welcher Erda den christlichen Glauben umfaßte, gingen einem der Klosterbrüder zu Herzen, so daß er in der kirchlichen Verbindung des Paares ein gottgefälliges Werk erblickte und dasselbe auf die wichtige Handlung vorbereitete.

In seligem Entzücken saß die neubekehrte Christin am Morgen des Tages, dessen Abend sie als Gattin sehen sollte, auf einem traulich geschirmten Plätzchen zwischen den Felsen, das so oft den beiden zum Stelldichein gedient hatte. Wie ein junges Vöglein, das zum erstenmal den Flug in die Weite wagen soll, bebte ihr zärtliches Herz, und alles in der Welt, nur nicht ihre Liebe und das nahende Glück vergessend, gedachte sie nicht mehr der Prophezeiung ihrer Pflegerin. Sie löste den Ring vom Halse, ließ ihn im Sonnenschein funkeln, steckte ihn an den Finger, um zu sehen, wie er sich wohl daran ausnehmen werde, zog ihn dann wieder ab und trieb das unschuldige, verzeihliche Spiel fort und fort, sich über den langsamen Schritt der Zeit zu täuschen.

Hoch oben in der Spalte des Gesteins nistete ein Rabenpaar. Sie suchten nach Futter für ihre Jungen, und krächzend umrauschten sie die Häupter der Tannen und ließen sich die Leiber von den aufsprühenden Tropfen des Sturzbaches kühlen. Erda achtete nicht des Treibens, bis plötzlich ein Schatten auf ihre Hand und den Ring fiel, den ihre Finger dem Sonnenstrahl entgegenhielten. Wie spielten alle sieben Himmelsfarben so glühend in den kostbaren Steinen in einander! Der Schatten und der schrille Laut, der jetzt an ihr Ohr schlug, erschreckten sie, sie ließ den Ring fallen, und im nächsten Augenblick hatte des Raben scharfer Schnabel ihn erfaßt, und husch! schwang sich das schwarze Flügelpaar hinauf zur unabsehbaren Höhe!

Des Mädchens Aufschrei beschleunigte den Schritt Josephs, der eben die Geliebte aufsuchte; unter heißen Tränen klagte sie ihm das erlebte Mißgeschick. Der Jüngling suchte sie zu beruhigen und versprach ihr einen Ersatz für den Verlust; sie aber erinnerte sich jetzt, leider zu spät, der empfangenen Warnung und jammerte fort um den geraubten Schatz. Da versprach er ihr, um sie zu trösten, daß er ihr den Ring, den sie zu seiner Freude so wert hielt, wieder verschaffen wolle, und im blinden Vertrauen, daß ihm alles möglich sei, fragte sie nicht nach dem Wann und Wie!

Verhängnisvolle Gläubigkeit! Denn Joseph beabsichtigte nichts anderes, als das furchtbare Wagnis zu unternehmen, den Rabenfelsen zu erklettern und den Raub dem Räuber abzukämpfen. Erda ging, sich im Zelt bei ihrer Pflegemutter zur Trauung zu schmücken, – Joseph ging in seinen Tod. Dicht am Rabenneste angelangt, verloren die von der übermäßigen Anstrengung ermatteten Hände den Halt, noch klammerte er sich, schon halb bewußtlos, an einen Baumast; dieser brach, und von Klippe zu Klippe stürzte der Arme, tausend Wunden empfangend, in den Abgrund, der ihn statt der liebenden Arme der Braut in vernichtender Umschlingung aufnahm. Die Hochzeitsgewänder wandelten sich in Leichenhüllen, denn als Erdas Blick auf den verstümmelten Körper fiel, der in die Zelle des Mönchs verbracht wurde zur nämlichen Stunde, die sie dem jugendlich-schönen Geliebten verbinden sollte, erbarmte sich der Todesengel des unglücklichen Mädchens, und gebrochenen Herzens sank sie neben der Bahre nieder.

Trauernd bestatteten die guten Mönche den geliebten Schüler in der Klosterkirche von Allerheiligen. Erdas Grab umdunkelten die Tannen und der Sturzbach sang ihr das letzte Schlummerlied.


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