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Die Geisterhochzeit zu Lauf

Auf den Burgen Alt- und Neu-Windeck lebten einst angesehene Adelsfamilien, deren Ursprung sich im Dunkel der Vorzeit verliert, deren Stamm aber zu Ende des sechzehnten Jahrhunderts erlosch. Die Schlösser sind zerfallen, Sonnenschein und Regen haben freien Zutritt in die Gemächer, welche Zeuge von dem buntbewegten Treiben, dem Waffenklang und Prachtgewühl des Mittelalters waren; Steingetäfel und Gemäuer bergen sich mehr und mehr in die grüne Hülle von Gras und Efeugerank und die verwitterten Reste einer stolzen Vergangenheit blicken verwundert auf die modernen Besucher, welche zur Sommerszeit gern nach den malerisch gelegenen Ruinen Ausflüge machen.

Neu-Windeck, der Schauplatz der folgenden Sage, wird auch Burg Lauf genannt. Von dem Geschlecht, das dort seinen Wohnsitz hatte, konnte gesagt werden, was immer als das höchste Lob galt: daß seine Männer tapfer und edel, seine Frauen schön und tugendhaft waren. Aber auch der hellste Planet hat seinen Flecken, und ein solcher Schatten war in dem sonst unentweihten Stammbaume derer von Windeck, des letzten Freiherrn Tochter und zugleich der letzte Sproß der Familie. Wohl war Adelheid schön und konnte auch in der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes tugendhaft genannt werden; aber ihr fehlten der milde Sinn und die keusche Wärme des Herzens, die des Weibes echte Zierde bilden und allein es befähigen, seine Sendung auf Erden zu erfüllen. Früh verwaist und unbeschränkte Herrin ansehnlichen Reichtums, mißbrauchte sie ihre Stellung und die Macht ihrer Reize, um Liebe zu entzünden, wo sie solche nicht erwidern mochte. Mancher ehrenhafte ebenbürtige Freier entfloh aus dem Schlosse ein vernichteter gebeugter Mann, und manches trübgeweinte Mädchenauge klagte das schöne kaltsinnige Fräulein an, ihm den Geliebten geraubt, ohne ihn doch beglückt zu haben. Lange Zeit trieb Adelheid dieses schnöde Spiel, in dem sie ihre Jugend vergeudete, bis sie zu ihrem Schrecken gewahrte, daß die Zahl der Bewerber sich immer verkleinerte und zuletzt niemand mehr sie begehrte. Lebensüberdruß und Langeweile bemächtigten sich ihrer und gaben ihr zuletzt den unheilvollen Gedanken ein, ihren Zauber an ihrem Pagen Konrad zu versuchen. Konrad hatte ihr treu gedient und war ihr lange im geheimen mehr zugetan, als mit seiner Stellung als Untergebener vereinbar gewesen sein mochte, aber die Scheu vor ihrem Range hatte bisher jeden Ausbruch seines Gefühls in Schranken gehalten. Die guten Vorsätze jedoch, die seiner ehrenhaften Gesinnung entsprangen und ihm stummes Entsagen als Pflicht vorschrieben, wankten beim ersten huldvollen Lächeln der bisher so strengen Gebieterin; und als dieses Lächeln sich immer und immer wiederholte und Gunstbezeigungen aller Art sich häuften, da verließ den Armen jede Überlegung, und vor dem in den Augen treuer Zuneigung noch immer schönen Weibe niedersinkend, gab er dem lang und schwerbewahrten Geheimnis seines Herzens in glühenden fessellosen Worten Ausdruck.

Das Fräulein hörte ihn ruhig ohne Unterbrechung an und ermutigte ihn dadurch noch mehr; als er aber geendigt hatte und sehnsüchtig flehend zu ihr aufschaute, schlug sie ein helles höhnisches Gelächter auf und ließ den ganzen Strom ihres Unwillens und beleidigten Stolzes über ihn hinfluten. Der glänzende Erfolg ihrer Kunstgriffe hatte sie schnell von neuem übermütig gemacht und sie nahm des Pagen begeisterte Bewunderung für einen unwiderleglichen Beweis, daß sie noch immer unumschränkt über Männerherzen gebieten konnte. Mit harten Worten stieß sie den Armen auf immer aus ihrer Nähe und drohte ihm mit schwerer Züchtigung, falls er sich je wieder vor ihr blicken lasse.

Voll Verzweiflung entfloh Konrad, ihn schreckte nicht die angedrohte Strafe, aber der jähe Sturz von süßer Hoffnung zu schmachvoller Enttäuschung verwandelte seinen bisher kindlich-frommen Sinn in den eines ungläubig Verzweifelnden. Er sah noch einmal seine verwitwete alte Mutter, deren Stütze und Stolz er war, ihr vertraute er sein Leid, aber ihre mitfühlenden Tränen vermochten nicht, einen düsteren Entschluß aus dem Herzen ihres Sohnes wegzuspülen. Am folgenden Morgen, als sie sich leise an sein Lager schlich, ihr Auge an den teuren Zügen zu werden, war er verschwunden!

Bald sah die Mutter ihr Kind, aber als verstümmelte Leiche, wieder; Landleute hatten Konrad am Fuße des Felsens gefunden, von dem er sich herabgestürzt. Da erfaßten die Furien der Rachsucht das des einzigen Kindes beraubte Weib; mit raschem Schritt, als ob die Jugend ihr wiedergegeben, eilte sie zum Schlosse, erzwang sich den Weg durch die Reihen der prunkenden Gemächer bis zu der Verderberin Adelheid und sich mit drohend erhobenem Arme hoch vor ihr aufrichtend, fluchte sie ihr, daß des Fräuleins unerschrockenes Herz sich eisig zusammenzog und ihr Haar sich in Grausen sträubte.

»Verdammt seist du in Zeit und Ewigkeit,« so schrie die unglückliche Mutter, »unbegehrt und ungefreit sinke ins Grab und mit dir verende dein stolzes Geschlecht! Dein schöner Leib falle ekler Krankheit zum Raube und verwese einsam und unbetrauert; dein Geist aber wandle ruhelos durch diese Hallen, bis ein Jüngling sich finde, schön und schuldlos wie Konrad, und von der Truggestalt geblendet, sich dir vor dem Altar als Gatte vermähle. Von Mitternacht bis zum Hahnenschrei sei allnächtlich wieder Adelheid von Windeck, die Schlange mit dem funkelnden Blick, die ihre Opfer erbarmungslos zermalmt! Genieße den Frieden des Grabes erst, wann dein Modergerippe in der Umarmung der Liebe geruht! Ha, ha! viel Glück zur lustigen Hochzeit!

Adelheid stand erstarrt; sie versuchte wohl, ihrer Gewohnheit nach, höhnisch zu lachen und wollte ihre Diener rufen, sich der Alten zu bemächtigen; allein diese war schon aus dem Bereich ihrer Gewalt, ehe sie den vollen Gebrauch der Sinne wiedererlangte.

Um den Eindruck der schauerlichen Szene zu verwischen, stürzte sie sich in den Strudel der Zerstreuung; nach wenigen Wochen jedoch schon ward sie von der schrecklichen Seuche der Blattern befallen und starb elend und verlassen, da niemand sie liebte und ihre Umgebung die Ansteckung fürchtete, am neunten Tage nach ihrer Erkrankung. Von fremden Mietlingshänden ward ihr Leib in die Gruft geworfen und Staub und Vergessenheit deckten für immer die einst so gefeierte Erbin des Windeck'schen Hauses.

Mit Adelheids Tode fiel die Burg völliger Verödung anheim. Verschiedene Versuche, sie wieder wohnlich zu machen, scheiterten an dem gespenstigen Getreibe, das die nächtliche Stille störte und keinem Sterblichen, der sich dort zum Schlafen niederzulegen getraute, die Ruhe gönnte. Türen schlugen auf und zu, Lichter entzündeten sich ohne sichtbare Hand und aus allen Spiegeln zeigte sich das geisterhafte Abbild des letzten Freifräuleins von Windeck, die nimmer ruhend von Mitternacht bis zum ersten Hahnenschrei ihr Haar salbte und schimmernde Gewänder anlegte, den sehnlichst erwarteten Freier zu umgarnen. Vergebens – ach vergebens! Niemand dachte daran, zu unheimlich nächtlicher Stunde sich die verlassene Gespensterburg Lauf zum Obdach wählen zu wollen, und der Fluch der Mutter fand an dem gepeinigten Geiste der Mörderin Konrads seine vollste schreckliche Erfüllung.

Die Mauern sanken unter der rastlosen Hand der Zeit, aber Adelheids Geist harrte noch immer der Erlösung. Da ereignete es sich einmal zu später Stunde, daß ein junger Ritter, – er wird in den Chroniken Kurt von Stein genannt, – der aus fernem Lande ins südliche Deutschland gekommen sein Glück zu suchen, sich auf seinem Wege verirrte und bei völliger Nacht ohne Obdach war. Er besaß nichts als eine hübsche Gestalt, seinen jungen frischen Mut, einen tapferen Arm und ein gutes Schwert; alles ganz artige Besitztümer, wenn man Gelegenheit findet sie geltend zu machen, sonst aber keinen Strohhalm in der weiten Gotteswelt wert. Dank seiner Unbekanntschaft mit der Gegend und dem, was man sich daselbst erzählte, kümmerte es ihn wenig, wo er sein Haupt niederlegen durfte, wenn es nur überhaupt geschehen konnte; und es erschien ihm daher wie eine wahre Schickung der Vorsehung, als er unversehens ein schönes Schloß mit erleuchteten Fenstern vor sich erblickte. Er meinte, es müsse schon Mitternacht sein, »und,« so dachte er, »in dem Schlosse mag man wohl ein Fest feiern und eine wohlbesetzte Tafel wäre gerade etwas so Übles nicht.«

Er ritt daher unverzagt auf die Burg zu und wunderte sich allerdings, die Zugänge unbesetzt zu finden. »Es wird hier zu Lande wohl so Sitte sein,« dachte er mit der raschen Schlußfertigkeit der Jugend, stieg ab, band sein Roß an einen Torpfosten und schritt weiter.

Aber es ward ihm doch sonderbar darüber zu Mut, daß alle diese erleuchteten stattlichen Gemächer, die sich wie von selbst vor ihm öffneten, so ganz menschenleer waren! Keine Ritter und Damen, keine Zofen und Pagen! Immer weiter und weiter und immer nichts! Endlich! Da saß an einem Tische, der mit köstlichem Gerät und noch köstlicheren Speisen und Getränken bedeckt war, ein schönes, schwarzlockiges blasses Fräulein, deren Blick sonderbar aufleuchtete, als sie den Fremden gewahrte. Ihr Gewand, obschon prächtig und kleidsam, war von etwas veraltetem Schnitt, »aber es wird hier zu Lande so Sitte sein,« dachte wieder der junge Ritter.

Artig näherte er sich der Dame und bat in zierlichen Worten um Gastfreundschaft. Lautlos deutete sie auf einen Sessel an ihrer Seite und begann sogleich, einen silbernen Teller mit Speisen und den schimmernden Becher mit perlendem Wein zu füllen. Kurt von Stein hatte eine lange Reise zurückgelegt, ohne daß es ihm je so gut geboten worden, er langte daher wacker zu und hielt es bloß für Schuldigkeit, dem Fräulein zum Lohn für ihre Freundlichkeit und Mühe in allen Ehren den Hof zu machen. Sie schien schweigsamer Natur, die Wahrheit zu sagen, hatte er noch kein Wort von ihr vernommen; aber das Mahl mundete ihm so wohl, daß er keine Zeit hatte, sich unnütze Gedanken zu machen. Der Wein, dem er reichlich zusprach, entzündete seine Einbildungskraft und die blasse stille Maid kam ihm immer schöner und schöner vor. Er war sich selbst eines hübschen Gesichts und einer schlanken Gestalt bewußt, und allerlei Pläne stiegen in ihm auf. Da fiel es ihm plötzlich ein, seine schöne Wirtin nach ihrem Namen zu fragen. »Darauf,« so meinte er, »müsse sie doch einmal Antwort geben.«

»Darf ich fragen,« sprach er mit dem weichsten Ton seiner Stimme, »wem ich so sehr zu Dank verbunden bin?«

»Ich heiße Adelheid von Windeck,« entgegnete sie leise und als ob sie aus einer großen Entfernung spräche.

»Und warum seid Ihr so allein?« fragte wieder Kurt mit wachsender Keckheit.

»Weil ich die letzte meiner Familie bin,« klang es abermals wie aus weiter Ferne.

Diese Antwort zeitigte rasch einen Entschluß in des Junkers Brust. Sie war die letzte, also auch die Erbin einer adeligen Familie; dieses Schloß und Gott weiß, welch' ausgedehnte Ländereien waren ihr Eigentum; er war artig und frei, sie schön und allein. –

Nach zwei weiteren Minuten hatte der Ritter von Stein dem Fräulein Adelheid von Windeck seine Hand angetragen.

Wieder leuchtete es seltsam in ihren Augen auf und diesmal sprach sie mit etwas lauterer Stimme:

»Ich nehme Euren Antrag an, Herr Ritter, wenn Ihr einwilligt, daß die Trauung sogleich vollzogen werde.«

Welcher Liebende, – und der Junker vermeinte allen Ernstes in Adelheid verliebt zu sein, – fand je die Zeit zwischen Verlöbnis und Hochzeit zu kurz?

Kurt sprach einige der Gelegenheit angemessene feurige Worte, die dem ernsten Fräulein fast ein Lächeln entlockten und ihre bleiche Wange fast ein wenig färbten; dann trat sie an einen Schrank und nahm einen dunkelgrünen Kranz, – vielleicht Myrte, vielleicht Rosmarin, – nebst zwei Ringen aus einem der Behälter, wand sich den Kranz um die Stirn, von der schon ein Schleier niederwehte, und winkte dem Ritter ihr zu folgen. Wieder schritten sie durch die lange Flucht verödeter Gemächer, treppauf treppab, durch Hallen und Torwölbungen, bis Adelheid eine schwere Eichentür öffnete. Sie faßte darauf den Ritter bei der Hand und zog ihn mit Hast in den Raum, der eine Kapelle war. Augenblicks entzündeten sich die Kerzen auf dem Altäre, zwei Greise traten aus dunklen Ecken wie hinter Steinplatten hervor, und ein Bischof im Ornat erhob sich aus liegender Stellung. Hatte er auf seiner Gruft geruht?

Der junge Mann fühlte etwas wie Schwindel sich seiner bemächtigen, aber die Lockung, die reiche schöne Erbin als Gattin heimzuführen, sänftigte wieder das in ihm aufsteigende unheimliche Gefühl. Mit neuem Mute führte er die Braut vor den Altar.

Der Bischof begann die Traurede, doch seine Stimme klang so murmelnd und hohl, daß Kurt nur wenig davon Verstand. Auf einmal jedoch ertönte es vernehmlicher:

»Kurt von Stein, wollt Ihr das gegenwärtige Fräulein Adelheid von Windeck zu Eurem ehelichen Gemahl nehmen und sie als solches lieben und ehren?«

Noch ehe der Bräutigam antworten konnte, streckte die Braut ihm den Ring entgegen, begierig ihn an seinen Finger zu stecken. Schon wollte er das verhängnisvolle »Ja« sprechen und den bindenden Goldreif hinnehmen; – das Verlangen, Adelheids Gatte zu werden, stritt in ihm mit dem wachsenden Grauen vor der spukhaften Szene und dem immer stierer blickenden Auge der Braut; – unwillkürlich tönte von seinen Lippen der Angstruf: »Herr mein Gott!« und zugleich brach ein schriller Laut das Schweigen der Nacht.

Es krähte der Hahn!

Da rauschte es gespenstig durch die Kapelle, Modergeruch durchzog die Luft, Eulen schwirrten umher in scheuem Fluge, vor den Augen des entsetzten Ritters wandelte sich Adelheids schlanke Gestalt zum klappernden Gerippe, die Mauern wankten, am Altare erloschen die Lichter, und Leichensteine öffneten sich, die ihren Gräbern Entstiegenen wieder aufzunehmen.

Dem Ritter entwichen die Sinne, er fühlte noch, wie eine Totenhand sich an ihn krallte, dann ward alles Nacht und Bewußtlosigkeit. Als er erwachte, lag er im hohen Grase zwischen zerfallenden Mauern, der Morgen dämmerte und sein gutes Roß hielt bei ihm treue Wacht.

Noch immer allnächtlich harrt Adelheids unerlöster Geist des jungen Freiers, und mehr und mehr versinken die Ruinen von Burg Lauf.


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