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Lichtental

Vallis Lucida – Tal des Lichts – nannten die Römer die anmutige Gegend, welche sich am Fuße des Cäcilienberges, drei Stunden von Baden-Baden, ausbreitet und gegen die Mitte des 13. Jahrhunderts von Irmengard, Witwe des Markgrafen Heinrich V. als Stätte erwählt wurde, ein Kloster darauf zu erbauen, das von jener Bezeichnung den Namen Lichtental erhielt.

Seit jener Zeit bot es manchem Herzen, das an getäuschten Hoffnungen, schweren Verlusten oder mißglücktem Streben krankte und das in der Welt die Heilung nicht finden konnte, eine ersehnte Zuflucht. Schon die sanft heitere Lage des Gebäudes mußte einen wohltuenden Einfluß auf seine Bewohnerinnen üben und gar vielen ging im Tale des irdischen Lichtes das höhere ewige Licht wahrer Religion und eines inneren unvergänglichen Friedens auf. Wiederholt wurde es nach dem Beispiel der hohen Stifterin der Aufenthalt fürstlicher Witwen, die den Rest ihres Lebens in Zurückgezogenheit und Beschaulichkeit zubringen wollten.

Die Ordensregel der Nonnen von Lichtental ist die der Cisterzienserinnen. Bei der Säkularisation der Klöster blieb es als Stiftung des badischen Fürstenhauses verschont, doch wurde zur Ausgleichung geistlicher und weltlicher Ansprüche eine Erziehungsanstalt dem Wirken der frommen Schwestern zuerteilt, in welcher dieselben noch immer mit milder Sorge walten. Der rastlose Schritt der Jahre hat auch dem Gotteshause Lichtental manche verändernde Spur aufgedrückt, allein noch bis auf den heutigen Tag lebt in der Tradition der Namen und in der Sagenkenntnis weltlicher Kreise die Geschichte eines Wunders, das von der heiligen Mutter des Erlösers zur Rettung des Klosters vollbracht ward. Das Marienbild, durch dessen Vermittelung die Wundertat vollzogen, kann noch auf seinem alten Platze und zwar in der jetzigen Totenkapelle gesehen werden, welche zu jener Zeit die Kirche des Klosters war.

Der Krieg hatte seine lodernde Fackel erhoben und zertrat mit eisernem Fuße die Früchte des menschlichen Schaffens. In gleicher Erbarmungslosigkeit schlug er die Werke der Kunst und des Gewerbefleißes, wie den mühevoll errungenen Arbeitsegen des Landmannes zu Boden und vernichtete das Glück und den Wohlstand der Familien. Ströme von Blut und Tränen netzten seinen Weg und Tod und Verarmung gaben ihm das Geleite. Die französischen Heeresmassen, welche der orleanische (oder pfälzische) Krieg an den Rhein warf, verwandelten diesen blühenden deutschen Landstrich in ein trauriges Feld der Zerstörung und glücklich waren noch diejenigen zu nennen, welche beizeiten mit ihrer beweglichen Habe entfliehen konnten, und wenn auch Haus und Hof, so doch kein teures Leben den Feinden preisgeben mußten.

Auch in die fromme Stille von Lichtental drang das Echo des nicht mehr fernen Waffenlärmes. Jeder Tag brachte der Äbtissin beunruhigende Berichte von dem Anrücken feindlicher Streifkorps und obgleich sie so lange als möglich die schlimme Kunde vor den Nonnen verborgen hielt, um den andächtigen Frieden derselben nicht zu stören, so sah sie sich doch zuletzt genötigt, sie mit dem Stande der Dinge bekannt zu machen und über die geeignetsten Mittel zur unvermeidlichen Flucht mit ihnen zu beraten. Die armen Schwestern weinten und wehklagten, daß sie die liebgewordene Heimat, die ihnen so treulich für alle aufgegebenen Bande der Außenwelt Ersatz gewährt, verlassen sollten, um sie, entweiht vom Schritt gotteslästerlicher Kriegsgesellen, vielleicht als flammengeschwärzten Schutthaufen wiederzufinden. Aber das Bleiben sicherte dem Gebäude keine Rettung und bedrohte zugleich die Bewohnerinnen mit den schlimmsten Gefahren. Ein Entschluß mußte gefaßt werden, da schon die nächste Stunde das gefürchtete Ereignis bringen konnte. Der besonnene Sinn der Äbtissin traf alsobald die nötigen Anordnungen. Sämtliche heilige Geräte und sonstige Kostbarkeiten, welche das Kloster besaß, wurden teils im feuerfesten sicheren Versteck der Grabgewölbe, die seit langen Zeiten nicht mehr benützt, verborgen, teils zum Mitnehmen zusammengetan, und die Tür eines unterirdischen Ganges geöffnet, der nach dem Leißberge hinüberführte. Durch diesen wollten die Nonnen sich flüchten, daß die beutegierigen Feinde nur verödete Hallen fänden.

Als alles bereit war, scharten sie sich noch einmal zum vielleicht letzten gemeinsamen Gebet um die Äbtissin. Inbrünstig flehte sie Gott um Beistand für ihr Vorhaben an und tat manches Gelübde, den Schutz der Heiligen für das Kloster zu gewinnen. Noch widerhallten die Mauern von dem frommen Gesang, der dem Gebet gefolgt war, da stürzte hastig ein Landmann durch die Seitentür der Kirche und brachte die erschreckende Botschaft, daß der Feind heranstürme und in wenig Minuten das Kloster umzingelt sein würde. Das augenblickliche Entsetzen raubte den meisten die Fassung; nur die Äbtissin, welcher das Bewußtsein der auf ihr ruhenden Verantwortlichkeit größere Kraft verlieh, enthielt sich des Angstrufes, die Nähe der Gefahr gab ihr eine nur noch höhere Begeisterung; sie winkte die zagende Schar mit der Hand zur Ruhe und schritt dann mit erhobener Haltung auf einen Seitenaltar zu, über dem ein Marienbild thronte. Fest die Stufen hinaufschreitend, nahm sie die Schlüssel zum Haupteingange des Klosters, der schon verschlossen worden war, von ihrem Gürtel, hing sie über den Arm der heiligen Jungfrau und sprach innig und feierlich:

»Gebenedeite Mutter Gottes! Menschliche Kraft vermag nicht mehr dein Haus zu bewahren; so empfange du die Schlüssel der heiligen Stätte und schirme sie gegen feindliche Gewalt, daß wir zu ihr zurückkehren können und deinen Namen preisen bis ans Ende unserer Tage!«

Dann verließ sie die Kirche und betrat mit den Nonnen den unterirdischen Gang.

Nicht lange nachher stürmten rohe Hände gegen die Klosterpforte und als nichts innen sich regte, schlugen sie dieselbe mit Äxten und Kolben ein. Aber schon die ersten, welche vordrangen, wichen bleich entsetzt zurück, denn eine leuchtende Gestalt zeigte sich ihren Blicken und hielt mit drohender, gebietend-abwehrender Gebärde ihnen die Schlüssel des Klosters entgegen. Angstzitternd ergriff die räuberische Schar die Flucht vor einer Macht, die zu bekämpfen sie keine Macht hatte, und da das Gerücht von dem geschehenen Wunder sich bald verbreitete, wagte fürder kein feindlicher Arm das Kloster zu gefährden. Der feste Glaube der Äbtissin hatte gesiegt, die heilige Maria mit eigener Hand die ihr empfohlene Stätte beschützt.

Nach kurzer Frist kehrten die frommen Schwestern mit ihrer Oberin nach Lichtental zurück und priesen mit Herz und Mund die Gnade der heiligen Jungfrau.


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