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Die Engels- und Teufelskanzel

Es ereignete sich einmal vor vielen hundert Jahren, daß der Teufel einen bedenklichen Stillstand in seinen Geschäften verspürte. Woche um Woche und Monat um Monat verging und die Zahl der bereits gewonnenen Seelen wollte sich auch nicht um eine einzige mehren. Der Ofen im Höllenvorzimmer ward täglich geheizt, ohne daß jemand wußte, zu welchem Zweck, denn kein neuer Ankömmling fand sich ein, dem Fürsten der Unterwelt seine Aufwartung zu machen.

Der letztere ließ nicht nach, mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln – und deren sind es bekanntlich nicht wenige – für sein Reich zu werben: er mühte sich ganz umsonst. Das war verdrießlich und langweilig, und obschon ihm seine Stellung ganz gut behagte, so lange es ihm nach Wunsch gegangen, so dachte er jetzt auf einmal fast reuig daran, daß er der erste gewesen, der sich gegen die Gesetze des Himmels aufgelehnt und als Rebell die Strafe ewiger Verbannung sich zugezogen hatte. Diese vorwurfsvolle Erinnerung vergällte seine Stimmung noch mehr.

Nun ist üble Laune bei jedermann eine böse Sache für die Umgebung, bei dem obersten der Teufel aber etwas durch und durch Unerträgliches. Sein Kammerdiener, der als nächststehender Untergebener am meisten darunter zu leiden hatte, sann Tag und Nacht, wie er den Stand der Dinge bessern könne; und eines Morgens, als er seinem Gebieter die Hörner polierte und den Pferdefuß in die rechte Richtung brachte, sagte er:

»Gnädiger Herr, ich möchte Euch wohl mit Eurer Erlaubnis ein Wörtlein im Vertrauen sagen.«

Der Teufel schnitt ein noch grimmigeres Gesicht, nickte aber doch zustimmend mit dem Kopfe.

»Gnädiger Herr,« begann jener von neuem, »es ist langweilig in der Hölle und ich weiß weshalb. Das Licht des Christentums, wie sie es oben nennen, blendet die Menschheit und das kommt daher, weil ihr ohne Ruh' und End' davon vorgepredigt wird. Ihr wißt ja wie's geht! – mit wohlgesetzten Worten läßt sich alles erreichen. Mit einer gewandten Zunge beherrscht man die Welt. Und ich wollte meine Stelle als erster Kammerdiener Eurer Gnaden verwetten, daß, wenn Ihr Euch herbeilassen möchtet, auf der Erde eine Predigt zu halten, es bald neue und lustige Gesellschaft bei Euch geben würde.«

Satan war nicht so dumm, sein Ohr vernünftigen Reden zu verschließen. Sobald seine Toilette beendigt, nahm er eine Karte der Oberwelt zur Hand und suchte sich die Punkte heraus, auf welchen er bei seiner Predigerrundreise anhalten wollte. Nachdem er verschiedene Orte notiert, über den Text der beabsichtigten Sermone mit sich einig geworden und die nötigen Vorkehrungen für eine längere Abwesenheit getroffen hatte, machte er sich auf den Weg.

Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß der Teufel einige verdammte Seelen, die er mit ihrer einstigen irdischen Gestalt wiederbekleidete, auf die Reise mitnahm. Er hielt es nämlich für zweckmäßig, es seinen Zuhörern recht leibhaftig vor Augen zu führen, wie gut es diejenigen hatten, welche den Sünden ergeben waren, zu denen er jene verleiten wollte.

Wenn man von Baden-Baden aus die Straße verfolgt, welche zum großen Staufenberg oder Merkurius führt, gelangt man zu einer dichten Tannenwaldung, aus deren dunklen, rauhen Verzweigungen ein riesiger Felsblock sich auftürmt. Auf ihn hatte der Teufel sein besonderes Augenmerk gerichtet und bekundete damit von neuem seinen Scharfblick. Die Felsplatte hatte gerade die rechte Höhe einer Rednerbühne im großen Stil, sie beherrschte einen weiten, gut bevölkerten Landstrich und bot den nötigen Raum für das Gefolge des Höllenfürsten.

Als dieser nun mit seiner starken, tönenden Stimme seine Predigt begann, stellten sich, anfangs wohl nur aus Neugierde, bald einzelne Zuhörer ein. Der Ackersmann verließ den Pflug, der Hirte die Herde, die Weiber Spindel und Webstuhl, um den wohlklingenden Worten des stattlichen Fremden zu lauschen; des Weges ziehende Reisende, herrenlose Söldner und fahrende Bursche, gesellten sich hinzu, und je länger der Teufel sprach, desto rascher wuchs die Schar und desto mächtiger fühlten sich alle angezogen von der feurigen, bewältigenden Rede.

»Greift in eure Brust,« so sprach er unter anderem, »und fragt euch, was euer Streben und Begehren? Ihr alle trachtet nach einem Ziele: – jeder ringt um das, was er seiner Weise nach das Glück nennt. Genuß und Gelingen sind die Zauberworte, welche mit Flammenschrift euch allen lockend entgegenleuchten. Und dann werft den Blick in den weiten Umkreis der Schöpfung. Alles ist euch dort geboten, was euren Wünschen Befriedigung verheißt, es liegt nur an euch, euer Eigentum daraus zu machen. Aber man wehrt euch, es zu tun; die kühne Hand, die sich nach dem Preise ausstrecken möchte, sie ist gelähmt durch neidische Lehren der Entsagung. Sie verbieten dem stolzen Geist, seine hochaufsteigende Bahn zu wandeln; dem weisen Sparer, das Erworbene zu behüten; dem Lebensfrohen, sich an der Fülle des Erschaffenen zu ergötzen; dem gerechten Unwillen, empfangene Beleidigungen zu ahnden; dem ruhigen Sinne, sich der Ruhe zu freuen. Von der Wiege bis zum Grabe sollt ihr in demutsvoller Selbstverleugnung und Entbehrung verkümmern, eure natürlichen Neigungen ausrotten, in Tränen der Zerknirschung und Reue das Feuer eures Innern ersticken, jede Erdenlust als Todsünde von euch weisen. Und welchen Lohn verspricht man euch? Eine Seligkeit, die ihr nicht kennt und Freuden, die ihr nicht begreift; man fordert euch auf, die Gegenwart und ihren Reiz hinwegzugeben, um ein ungewisses Glück zu erlangen, das kein Glück für euch sein wird, weil es eurer Natur nicht angemessen ist. Was nützt dem Hungernden der Trank, dem Durstigen die Speise? Wärme dem Fieberglühenden und Kühle dem Erfrierenden?

»Seht dagegen meine Getreuen, die mir hieher gefolgt sind, durch ihr Beispiel euch zu ermutigen. Weit entfernt, ihr früheres irdisches Gelüsten mit Strafen zu belegen, gönne ich es ihnen, demselben auch ferner zu fröhnen. Seht sie euch an, wie sie mich hier umgeben: – ich trenne den Reichen nicht von seinen Schätzen, den Liebetrunkenen nicht von dem Becher der Lust, den Genußbegierigen nicht von seiner wohlbesetzten Tafel. In meinem Reiche herrscht Freiheit, Freiheit! So werft sie denn ab, die Fesseln der Knechtschaft, die euch Hand und Seele wund drücken, und kommt zu mir, der allein euch zu erlösen und ans ersehnte Ziel zu führen vermag!«

Dies und noch vieles sprach Satan, und die Samenkörner seiner trügerischen Lehren fielen in manches zur Aufnahme derselben nur zu empfängliche Herz. Aber während der Teufel noch fortredete und immer mehr und mehr sich der Gemüter bemächtigte, durchbrach die Sonne den Wolkenschleier, der sie bisher verhüllt hatte, ihr warmer Glanz umfloß den hohen Fels, welcher der Teufelskanzel gegenüber emporragte, und wie von einem Lichtstrahl herniedergetragen, stand plötzlich ein Engel auf demselben. Sein Gewand war schneeweiß, die Flügel schimmerten rosig und goldumsäumt, und die Palme in seiner Linken sprach von der Sendung des Friedens, die zu vollführen er gekommen. Sogar Satan verstummte eine Weile angesichts dieser überraschenden Erscheinung, und die Blicke der wandelbaren Menge richteten sich sogleich zu ihr empor. Wie Äolsharfenklang rauschte es durch die Luft und die letzten Töne der himmlischen Akkorde schmolzen mit den ersten Worten des göttlichen Abgesandten zusammen. Nicht sinnbetäubend und hochklingend, sondern sanft und einfach redete er zu den bereits halbverlockten Seelen, in welche nun die Verheißungen des Evangeliums gleich milden Tautropfen herniederfielen. Die reinen, schönen, ewigen Wahrheiten desselben wurden von allen empfunden; sie sprachen gleich überzeugend zum Verständnis des Greises, des Mannes, des Weibes und des Kindes. Die fieberhafte Aufregung, welche das Teufelswort in den Herzen hervorgerufen, wich einem beseligenden Gefühle heiteren Friedens; und als der Engel die Liebesworte des Heilandes wiederholte: »Kommet alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken,« da schlug manche Hand an die reuige Brust, ein frommer Gesang zum Preise des Herrn stieg zu den Wolken auf und das im Glauben neugestärkte Häuflein war dem Himmelreiche gerettet.

Einzelne blieben bei Satan – ja, allein ihre Zahl war so gering, daß er in einen gewaltigen Zorn geriet, zum großen Entsetzen seines Gefolges auf der Teufelskanzel wütend auf und ab rannte und so heftig mit dem Fuße auf den Boden stampfte, daß der Eindruck des Hufes noch heute erkennbar ist.

Durch den geringen Erfolg seines ersten Versuchs im Predigen entmutigt, fuhr er auf dem geradesten Wege wieder in die Hölle zurück, woselbst es sein erstes Geschäft war, den Kammerdiener abzusetzen, der einen so schlechten Rat gegeben hatte.


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