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Der Grafensprung

In der Reihe der romantischen Burgen des schönen, gesegneten Landes Baden nimmt Neu-Eberstein oder Ebersteinschloß eine hervorragende Stelle ein. Die wohlgebaute Straße, die sanft ansteigend zu der das Gebäude tragenden Höhe führt, bietet bei jeder Biegung ein neues Bild lieblicher, lebensfrischer Naturherrlichkeit; und wahrlich müßte das Herz ein zu gänzlicher Unempfindlichkeit für Schönheit versteinertes genannt werden, das nicht beim Anblick der wahren Gottespracht dieser duftigen, zauberischen Farben, dieser auf und ab wogenden Hügel mit ihrer schimmernden Waldbekleidung, für eine Weile wenigstens, von aller Erdensorge auszuruhen vermöchte. Wie ein Edelstein in der Spitze einer reichen Krone, so beherrscht Ebersteinschloß, auf einem steilen Felsenvorsprunge des linken Murgufers gelegen, Fluß, Berge und Talgründe und blickt, als ob noch in Gedanken seiner einstigen Bedeutung, mit der Miene eines wohlwollenden Schutzherrn zu dem Städtchen Gernsbach hinab, das sich in malerischer Friedlichkeit tief unten vor ihm ausbreitet. Mit besonderer Liebe weilen die warmen Strahlen der Sommersonne auf dem südlichen Abhange des Schloßfelsens und zeitigen dort die dunkle Traube, aus welcher der unter dem Namen Eberblut bekannte und geschätzte Rotwein gewonnen wird.

Die vielfach mit der Geschichte Badens zusammenfallende Chronik Neu-Ebersteins und des einst mächtigen Geschlechtes seiner Grafen hat der Sage manchen Anhaltspunkt geboten, obschon sie sich hier weniger mit der Geisterwelt, als mit historischen Überlieferungen zu schaffen macht. So verherrlicht sie die aus dem Mittelalter herüberragende ritterliche Gestalt des Grafen Wolfram, gemeiniglich Wolf von Eberstein genannt, indem sie eine seiner kühnsten Taten wohl für immer vor dem Versinken in Vergessenheit bewahrte. Graf Wolf war einer der Tapfersten unter den vielen Tapfern, welche die weitarmigen Zweige seines Stammbaumes zierten. In ihm lebte der stolze, unabhängige, unbeugsame Adelsgeist, der vor Höheren und Niederen gleich fest auf seinem Rechte beharrt, ausdauernd bis zur Halsstarrigkeit und mutig bis zur Tollkühnheit, galt ihm der gerade Weg, wie gefahrvoll er auch sein mochte, stets der liebste; und der Wucht seines Schwertes vertrauend, verschmähte er es, von den mehr verborgenen Waffen der Überlegung und Vorsicht Gebrauch zu machen. Mit diesen Eigenschaften konnte es nicht fehlen, daß er in manche Klemme geriet, aus der ein weniger entschlossener Mann sich nicht so ruhmvoll zu befreien verstanden hätte.

Dem tatendurstigen Sinne des wilden Grafen war nichts widerstrebender, als das Schwert lange in der Scheide und die Rüstung in der Waffenkammer ruhen zu lassen. Es mangelte auch in jenen Zeiten nicht an Gelegenheit zu blutigem Hader, und so kam es, daß Wolf fast beständig eine oder die andere Fehde mit dem Nachbaradel auszukämpfen hatte. Graf Eberhard von Württemberg gehörte zu seinen erbittertsten Feinden; er nahm es auf sich, den Wunsch vieler zur Erfüllung zu bringen und den ewig Kampflustigen einmal gründlich zu zähmen. Es war dabei auf nichts geringeres abgesehen, als die Schloßfeste zu stürmen und Graf Wolf gefangen zu nehmen.

Der letztere, weil zu sehr mit Streifzügen und sonstigen seiner Neigung entsprechenden Unternehmungen beschäftigt, als daß er für die Bewegungen seiner sämtlichen Feinde ein Späherauge offen halten konnte, sah plötzlich und unversehens seine Burg von einer beträchtlichen Streitmacht umringt, die der Württemberger zur Lösung seines Schwures, den Ebersteiner unschädlich zu machen, zusammengezogen hatte. Die Besatzung war schwach, noch schwächer die Proviantvorräte; dennoch zögerte Wolf keinen Augenblick, sich zu äußerster Gegenwehr zu entschließen. Die Belagerer hatten daher einen harten Stand und konnten nach Monatsfrist sich auch nicht des geringsten Erfolges rühmen. – Des Grafen getreues Streiterhäuflein schlug jeden Angriff zurück und wiederholte Aufforderungen, die Feste zu übergeben, wurden mit höhnendem Schweigen beantwortet. Des immer drohender auftretenden Mangels ungeachtet, dachte keiner an freiwillige Unterwerfung, – bis auf einen, der an der tapferen Schar zum Judas ward. Die Württemberger, durch Verrat in die Burg eingelassen, richteten unter der verzweifelt kämpfenden Besatzung ein furchtbares Blutbad an. Leichen von Freund und Feind bedeckten den Boden der Gänge und Hallen; der Verräter fiel mit den Verratenen und bald war Graf Wolf der einzige von den Verteidigern der Feste, der die Waffe noch handhaben konnte. Als der trotzige, unerschrockene Mann gewahrte, daß das Spiel für diesmal verloren sei, kam ihm zum erstenmal in seinem Leben ein Gedanke der List, aber einer List so kühn, daß sie darum ganz wohl zu seinem Charakter paßte. Im Getümmel des Kampfes, während seine Feinde ihn schon zu den Gefallenen zählten, entschlüpfte er in den Stall, wo noch sein bestes Roß gesattelt stand, rasch schwang er sich darauf und erschien plötzlich vor den erstaunten Augen der Sieger am Rande des Felsens, der sich jäh in den Fluß hinabsenkt. Ehe die Verblüfften daran denken konnten, sich auf ihn zu stürzen, rief er ihnen ein höhnisches »Gott befohlen!« zu, winkte wie zum Abschied mit dem erhobenen Schwerte, gab dem Pferde die Sporen und zwang es zu einem gewaltigen Sprunge abwärts in die Murg. Das edle Tier trug wacker den schwergeharnischten Reiter durch die aufschäumenden Wellen und ungefährdet an das andere Ufer. Einmal frei, konnte Graf Wolf den Kampf mit Schicksal und Feindesmacht wieder aufnehmen. Die verwegene Tat ohnegleichen, die er vollbracht, erwarb ihm den unerwarteten Beistand manches ritterlichen Armes und nach kurzer Zeit war er von neuem Herr des Schlosses Eberstein.

In anderer Weise wird der Grafensprung folgendermaßen erzählt.

Ein Graf von Eberstein hatte einmal dem Becher zu oft und zu tief auf den Grund geschaut und ließ es sich dann unvorsichtigerweise beifallen, zu Pferd zu steigen. Das Tier, durch die wilde Handhabung des Reiters aufgestachelt, nahm, scheugeworden, den Lauf nach dem steilen Felsenvorsprunge, und da der Graf, seinerseits unfähig, die Gefahr zu erkennen, fortfuhr, ihm die Sporen in die Flanken zu drücken, setzte es wutschnaubend hinunter in den Fluß. Roß und Reiter nahmen keinen Schaden und der letztere prahlte nächsten Tages gegen seine Freunde mit dieser Handlung unfreiwilliger Keckheit. Anstatt indes Beifall einzuernten, mußte er Bemerkungen der Ungläubigkeit vernehmen und einige gingen so weit, die Sache geradezu für unmöglich zu erklären. Dies reizte den Grafen dergestalt, daß er den gewagten Sprung noch einmal unternehmen wollte. Vergebens suchten ihn die anderen davon zurückzuhalten – er bestieg dasselbe Pferd und trieb es diesmal mit Bewußtsein auf die Felswand und hinunter in die Tiefe. Der Schutzgeist aber, der Kinder, Verliebte und Betrunkene schirmt, verließ den nüchternen Mann und Roß und Reiter erhoben sich nimmer von dem verhängnisvollen Sturze.

Die erste Lesart des Grafensprunges ist jedoch wohl die, welche mit dem Geiste des alten, ruhmvollen Geschlechts der Eberstein am würdigsten in Einklang steht; jedenfalls ist sie die schönere und möge deshalb hier und überall den Vorrang behaupten.


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