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Kapitel 18.
Pech und Leder

Nach Eintritt der Katastrophe kehrte man ganz einfach den Spieß um. Ich war an allem schuld, war des Oberförsters böser Geist gewesen. Nicht sein Trinken – pah, andere Leute trinken auch und gehörig! – vielmehr mein übertriebenes Musikmachen mit ihm, alle die Nächte durch, das hatte ihm den Rest gegeben. Ging meine Amtswürde gänzlich darob in Scherben. Sogar auch die gute Großmutter Dunekake bekreuzigte sich jetzt beinahe vor mir, und so hatte ich überhaupt keinen Menschen mehr in ganz Mufrika, der noch ein wenig zu mir hielt. Hinweg mit ihm, einen anderen Schulmeister wollen wir haben, einen, der besser zu uns paßt! Das war nun Losung und Feldgeschrei. Die am schlimmsten gegen mich wüteten, waren die Puvogelschen und Appel-Wätjenschen. Auch vom Kirchdorf aus hetzte man gegen mich. Der alte Herr Bütkamp wollte mich schleunigst weg haben aus der Gegend, damit sein leichtsinniger Herr Sohn gesichert wäre vor etwaigem Rückfall – bei der Theatergeschichte war ich natürlich auch der Hauptsünder, der Anstifter gewesen – und der alte Dampfsägemüller aber war der größte Steuerzahler und hatte damit den größten weltlichen und geistlichen Einfluß. Das leichtsinnige Paar war inzwischen abgebrannt und reuig wieder zurückgekehrt. Der grundgütige Herr Kubein hatte Lulu wieder in Gnaden angenommen, und Lulu betätigte sich jetzt auch immerhin nützlicher, sie hatte einen »Salon für Damenmodes« aufgemacht.

Allein es bedurfte dieses Kesseltreibens gar nicht. Ich sah schon ganz von selber mich nach einer Vakanz um, möglichst weit von Mufrika entfernt und in der Nähe meiner Heimat, wäre sie auch noch so bescheiden sonst und wenig verlockend.

Eine solche fand sich, Teufel und sie war mager in jedem Betracht, in richtiger Selbsterkenntnis sagte ich mir aber, daß ich keine bessere verdiene. Es handelte sich um eine Hilfslehrerstelle in einem Landstädtchen.

Ich hatte Erfolg. Außer meiner waren überhaupt keine Bewerbungen eingegangen.

Meine paar Habseligkeiten waren dann schnell gepackt, und nur mit der Hinbeförderung zur Bahnstation setzte es Schwierigkeiten, denn Peter Barbraake wollte erst durchaus nicht anspannen, bis endlich die Freude, mich damit loszuwerden, ihn umstimmte.

Der Abschied von Mufrika wurde mir leicht. Nur, ach, als ich der guten alten Großmutter zum letzten Male die Hand drückte! Wenn sie auch so tat, als wäre es aus zwischen uns beiden – im Innersten fühlte sie anders, ich sah's wohl, heimlich wischte sie sich die Augen. Auf mein Klavier aber schleuderte sie haßerfüllte Blicke, als Peter Barbraake es wieder auf seinen Schweinewagen lud, und zwar so, daß es verächtlichermaßen mit den Beinen nach oben stand, und ganz zuletzt, als die Pferde anzogen, da erhielt's von Großmutter noch einen ingrimmigen Puff mit auf den Weg. –

Die Eltern waren inzwischen in eine kleine Mietwohnung auf dem Oldenberg übergesiedelt. Schon bald nach Wieschens Heimgang. Maack erwies sich in der Tat zuletzt als ein weißer Jude. Das traf den Vater schwer, er konnte diese traurige Abmeierung nicht verwinden. Ich fand ihn wie man sagt »in der Kindheit«, er sprach kaum noch ein klares Wort zu mir, er lächelte nur zuweilen in der alten Weise, und schon am anderen Tage ist er sanft hinübergeschlummert. Es war ein schöner Septembertag, in allen Heimgärten blühten die Georginen, Astern, die großen Sonnenrosen lugten neugierig über die Zäune, als man den alten Rentmeister Berkebusch den Oldenberg hinuntertrug und hoch auf der Bahre an der Kirche vorüber und längelang zuletzt durch das Bauernende. Läutete die große Glocke nun auch ihm den Frieden. Um die Hofstellen standen alle Eichen noch in ihrer vollen, sommerlichen Pracht, ein frischer Wind ging hindurch, daß sie rauschten, alles, alles stimmte zu ihm, einen erbeingesessenen Bauer konnte man nicht stolzer, richtiger begraben. Noch lange blieben die Tage so goldschimmernd, so blau, so warm, so mild, mir war, als läge überall des geliebten Vaters innig-gütiges Lächeln. Ach und ich konnte nun nichts mehr an ihm gutmachen!

* * *

Ich hatte schon bald mein neues Amt anzutreten, im benachbarten Ackerbürgerstädtchen. Man nimmt den Ort, einen ehemaligen Flecken, bis auf den heutigen Tag nicht so recht für vollgültig städtisch, zum tiefsten Verdruß der Bürger und E. E. Rat: höhnisch schimpft man ihn den »Schusterflecken«. Denn Haus bei Haus wird da geschustert, man bekommt beim Wandeln durch die erbärmlich gepflasterten Gassen neben dem Gestank der freifließenden Gossen auch noch den übeln Geruch von Pech und Leder gar nicht aus der Nase heraus. Weit über Bedarf schustert die große Schustergilde zusammen, wesmaßen man herumzieht auf die Jahrmärkte und sogar – sic! – bis weit ins Preußische hinein. Nur wenige Namen gibt's, alte Hausnamen, fast alles heißt Beestefeldt, Hamel, Soltendieck, Dreyer, und natürlich mit Zunamen, um unterscheiden zu können: Eck-, Buten-, Nobel-, Pickel-, Barg-, Kuhlen-, Buntkopp-, Humpel-, Krummfaut-Dreyer usw. Ein alleweil fideles Leben im Dings, immer wird Stiftungsfest gefeiert irgendwo in einem der vielen Wirtshäuser. Wenn sie betrunken davon endlich nach Hause torkeln, wird gejuchheit, gejohlt, gegrölt, und zuletzt setzt's Keilerei, man kommt mit langwierigen Körperverletzungs- und Beleidigungsprozessen gar nicht vom Amte weg. In diesem Verein verzankt man sich – in jenem verträgt man sich wieder. Ja, so viel Liederlichkeit, und infolgedessen steht's mit den Finanzen natürlich nicht zum besten. Ist einer fertig, da weiß man schon immer im voraus, wer danach an der Reihe ist. Zuletzt nagelt man sich ein blitzendes Schild an die Haustür und wird Agent. »Lat dat Aas Agente wer'n!« Alle erdenklichen Versicherungsgesellschaften sind deshalb vertreten, fast mehr Agenten gibt's als Versicherte. Überhaupt weiß männiglich sich schnell zu trösten, gute Freunde geben schon noch »Einen aus«, wenn man selber nicht mehr berappen kann und der Wirt durchaus nicht mehr ankreiden will. Das einheimische Bier, von drei Brauereien gebraut und auch mit ausgekrugt, pfui Teufel, es ist dünn und sauer, und noch miserabler ist der Schnaps, ein richtiger Fusel, den Bürgermeister Beestefeldt brennt und den man gar als Doppelkorn auszuschenken sich erdreistet! Fast alle Häuser sind spottschlecht gehalten, kein ganz heiles Dach gibt's. Auf dem Marktplatz, just vorm Rathaus, laufen zusammen alle stinkenden Gossen, und nehmen von hier aus die Abwässer ihren Weg in die Strulle, einen sumpfigen Graben. Ewig wüten deshalb Diphtherie und Typhus, das weiß man, und dennoch schafft man keine Abhilfe.

Hier gefiel mir's, trotz des scheußlichen Gossen- und Pech- und Ledergeruches, anfangs gar nicht so übel. Der Superintendent, mein Vorgesetzter, hatte sogar etwas Sinn für Musik. Auch die Kollegen, der Rektor und die beiden anderen Lehrer, kamen mir freundlich entgegen. Ebenso die biederen Ackerbürger: weil sie fast alle Schuster waren, so erhoffte wohl jeder in mir einen neuen Kunden. Zugleich trachtete man aber auch danach, mich zu kapern für die vielen Vereine und Stammtische, die eine besondere Merkwürdigkeit dort waren, überaus wichtig genommen wurden, allesamt in höchster Blüte standen. In alle soll ich eintreten, strecken sämtliche Männergesang- und Turnvereine ihre Fänge nach mir aus, sämtliche Solo- und Skatklubs, die verschiedenen Keglervereine usw., sogar der homöopathische Verein, und natürlich auch die Stammtische, alles, alles angelt nach mir, ich werde umworben, gehätschelt, überall hält man mir Zuckerbrot hin.

Ach, bald aber schlug's um. Als man dahinterkam, ich säße ewig an meinem Klavier, statt einen anständigen Schoppen irgendwo zu trinken, an irgend einem anständigen Stammtisch. Und die Töchter der Stadt – alle hatten sie mich erst so hold angelächelt, mir ihr Herzchen hingehalten: und nun aber bekümmerte ich mich gar nicht um sie? »Hei hat all 'ne Brut,« hieß es da. »Buten wo eine.«

Ich wohnte beim Schuster Buntkopp-Dreyer, am Markt, schrägüber dem Rathaus. In der Werkstatt just unter mir war immer ein großer Betrieb, die Schusterhämmer pochten beim Stiften oft dermaßen hitzig darauf los – anders als nur »Radda – da – da –!« – daß mich's am Klavier empfindlich störte, ich mußte öfter gar aufhören, mitten im schönsten Schumann, in den ich voller Entzücken jetzt tiefer eindrang. Und dazu auch im Hause ewig der Pech- und Ledergeruch, und in mein Fenster herein stanken die Gossen – besonders wenn die drei Brauereien »abließen« stank die Strulle, stank die ganze Welt.

Schließlich wurden auch meine Kollegen an mir irre. Sonderlich der Herr Rektor, der mit Sicherheit auf mich gerechnet hatte in allen seinen Vereinen. Der Superintendent jedoch, mein Vorgesetzter, blieb mir wohlgesinnt. Ihm zuliebe schon gab ich mir so viel Mühe in der Verwaltung meiner Klasse, als mir's in Anbetracht meiner pädagogischen Minderwertigkeit nur möglich war. So gab mir die Gunst meines Vorgesetzten einen Rückhalt in der ersten Zeit. Ich verehrte ihn hoch. Aus seinem Blick sprach ein so tiefes Verstehen und liebevolles Verzeihen aller Menschlichkeiten. Schon bald aber übertrug er die Schulaufsicht dem zweiten Geistlichen, um sich's bequemer zu machen. Der bigotte und musenfeindliche Herr Pastor Sültze, wehe, der ist nun mein Vorgesetzter, wehe und er will meine Seele retten, er will mit Gewalt einen brauchbaren Schulmeister aus mir machen! Fast täglich sieht und hört er sich an, wie ich schulmeistere, Barmherziger, keinen Augenblick wenden seine blitzenden Brillengläser sich von mir ab! Wenn's gar zu übel gegangen war, bestellte er mich auf den Nachmittag in seine Wohnung, und er gab mir noch pädagogische Anweisungen und Lehren, zu einer Zeit, wo ich gewohnt war, Klavier zu üben. Unser Verhältnis spitzte schnell sich zu in Haß und Feindschaft. –

Wieder hat er mich hinbestellt. Zähneknirschend reiße ich endlich mich los, mitten aus den Schmerzen und Wonnen der »Kreisleriana«, um eilends hinzugehen: da pocht's kurz und heftig, und Herr Pastor Sültze tritt bei mir ein.

»Natürlich am Klavier finde ich Sie!«

Meine Büchersammlung musternd, wundert er sich über die kläglich wenigen pädagogischen Bücher darin. Und die paar vorhandenen, noch so unbenutzt sehen sie aus, er stellt fest, sie sind dick am Rande mit Staub bedeckt. Nur fünfzehn richtige Schulmeisterbücher zählt er zusammen, gegen 43 Bücher über Musik und 56 Gedichtbücher. Und gar mein Notenschatz: Schumann, Schubert und Beethoven, Mozart, Haydn, Händel, Bach, und alle Hefte mit Spuren stärkster Benutzung! Pastor Sültze schüttelt in einem fort den Kopf, als hätte er Wasser in den Ohren.

»Ich denke, ich gehe zu einem meiner Lehrer hier, und nun aber sehe ich, bei einem etablierten, richtigen Musikanten bin ich.«

Er pustet vor Aufregung, er schwitzt, er nimmt sich die goldene Brille ab. Da sehe ich zum ersten Male, wie er eigentlich aussieht. Die glanzlosen, kalten Augen, das bartlose, teigige, ebenmäßige Pfaffengesicht!

Er macht sich vor mir gerade: »Weshalb ich gekommen bin, und zwar nach längerem Warten auf Sie, hierher selber zu Ihnen gekommen bin? Als Ihr Vorgesetzter habe ich Sie pflichtgemäß an Ihre zweite Prüfung zu erinnern, die Sie laut gesetzlicher Bestimmung, wie Ihnen bekannt sein wird – hoffentlich bekannt sein wird, noch abzulegen haben, um sich damit als genügend firm und sittlich gereift auszuweisen, würdig damit einer endgültigen Anstellung im Schuldienst. Denn Sie wissen doch wohl – wissen hoffentlich, daß Sie vorläufig nur provisorisch angestellt sind.«

Mir schaudert die Haut. Freilich weiß ich's. Oh, die vermaledeite zweite Prüfung, wie viele Angstträume, wieviel Alpdrücken hatte sie mir doch schon verursacht! Ich hatte schon oft genug daran gedacht, scheu von hinten herum. Wie sie bestehen? Hatte ich doch in meiner Amtsführung nicht nur nichts zugelernt, ich hatte das meiste mir im Seminar Eingetrichterte längst wieder ausgeschwitzt. Eine schreckliche Abrechnung wird sie für mich sein, die zweite Prüfung, ich werde schmachvoll durchfallen! Alle meine Sünden fallen mir aufs Gewissen wie ein Platzregen. –

Nun wurde das Leben in der Schusterstadt mir vollends unerträglich, mein Amt mir zur Hölle.

Ich gehe wahrhaftig mit offenen Augen auf den Abgrund zu. Weggejagt zu werden, meiner alten Mutter das anzutun, für die zu sorgen ich verpflichtet bin! Und der Hohn der Welt! Oh, die üppig aufgelaufene Saat meiner Sünden! Ich finde keinen Lichtpunkt mehr. Schwer leidet meine Gesundheit, ich verliere alle Farbe, magere ab. Und auch noch – oh, schwere Not, bei meiner schießpulverhaften Empfänglichkeit fürs Weibliche! –: mich äfft auch schon wieder eine unglückselige Leidenschaft! In der einzigen Familie, wo ich etwas Verkehr hatte, ist eines Tages ein Fräulein aus der Verwandtschaft zu Besuch. Sie ist Gouvernante, sie ist musikalisch, und ich spiele mit ihr, vierhändig, die Sinfonien der Klassiker. Gleich nun in der Haydnschen Es-Dur, als ich gewahre, wie sie tiefer eindringt, durch meine eifervollen Erklärungen: – da, o schwere, schwere Not, hab' ich's weg! Sie ist sehr viel älter wie ich, sie ist herb – herb wie eine Quitte, jedennoch: ihr Geist, ihr großer, trägt meine Phantasie wieder mal auf mit ihrem dicksten Pinsel! Meine angebetete Meta, ach, leider aber ist sie keine Franzeska da Rimini, einzig nur Musik will sie von mir, um klug davon zu profitieren, mein armes Herz mag mir ruhig darüber zu Asche verbrennen. Die mir auch hierdurch verursachten Aufregungen im Verein mit einer schweren Erkältung geben mir den Rest. Ich komme zu liegen. Schreckliche Nächte sind's, mit Husten, Fieber, kaltem Schweiß. –

Da, eines Tages, in der Abenddämmerung öffnet sich meine Tür, und herein zu mir tritt – meine Mutter.

Im tiefsten erschrocken, prallt sie zurück, als sie mich in meinem Elend so daliegen sieht.

Nachdem sie endlich einigermaßen sich gefaßt hatte, erfahre ich den Grund ihres Kommens. Mit Gelegenheit ist sie hergefahren, um mir einen großen, amtlichen Brief zu überbringen, Schlimmes enthaltend, nach ihrer Meinung.

Sie reicht ihn mir.

Ich sehe, er ist gerichtet an meine alte Adresse in Mufrika, von dort aber mir nach meinem Heimatsdorf nachgeschickt worden. Und daheim hatte der Postverwalter gleich ausgesprengt, ich hätte es nun mit den Gerichten zu tun.

Auch gar zu schwere Sorgen habe sie in letzter Zeit sich um mich gemacht. Wäre ich doch nun schon so viele, lange Wochen nicht mehr Sonntags nach Hause gekommen. Allen daheim wäre das aufgefallen. Es müsse wohl nicht gut mit mir stehen.

Zitternd reiße ich den Umschlag auf und lese. –

Ich bin gerettet! Der Oberförster hat mir ein Legat ausgesetzt, 6000 Mark, dafür solle ich, da ich doch zum Schullehrer nicht passe, auf irgend einem Konservatorium zum Musiker mich ausbilden. Er wolle mir keinerlei Vorschriften oder gar Einschränkungen machen, heißt's in dem Schriftstück, ich solle ganz meinem inneren Drange folgen und dasjenige Instrument wählen, das ich selber für das am besten für mich geeignete hielte. Nur ein guter Musiker solle ich zu werden trachten. Im Geiste Bachs.


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