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Kapitel 24.
»Wonnevoll!«

Hasselbrink empfing mich auf dem Bahnhof. Ich entwickelte ihm sofort meinen Plan eifervoll und voller Zuversicht, mit Hilfe von Marie, der Brahmssängerin, wolle ich mich emporarbeiten. Sicherlich würde sie Gelegenheit haben, mir Stunden zu verschaffen. Überhaupt Marie, die Brahmssängerin!

»Zunächst, weißt du, biete ich mich ihr als Liederbegleiter an.«

»Hör auf,« unterbrach er mich. »Die Geschichte mach du diesmal gefälligst mit dir allein ab, bin sicher, du fängst sofort Feuer, und wir haben gleich das alte Elend wieder, kenne dich ja, Berkebusch! – Übrigens, du, da: lies. Schon vorige Woche stand's drin.«

Er reichte mir ein Zeitungsblatt, jawohl, und darin stand's gedruckt, fett und grausam groß und deutlich, eine Anzeige in den Familiennachrichten.

»Siehst du, du dummer Teufel, da hast du's, so laufen alle solche kandierten Geschichten immer aus. Du aber wirst sicherlich niemals klug werden! Man sieht's. Mensch, kurz und gut, ich sag dir's nochmals, geht das Gewinsel mit dir gleich wieder los, du, wenn auch in einer anderen Tonart, dann –.«

So fing's an, und ich hütete mich freilich danach, von Marie, der Brahmssängerin, wieder anzufangen.

Es ging dem Freunde jetzt besser, er hatte Glück inzwischen gehabt und seinen zürnenden Giganten gleich vom Modellierbock weg verkauft. Auch ein Auftrag war für ihn noch in der Schwebe, ein Grabdenkmal, man drückte nur filzigermaßen immer noch am Preis.

Ich hauste zunächst wieder in der alten Weise bei ihm im Atelier. Hasselbrink machte wirklich mich stutzig hinsichtlich meiner »letzten Hoffnung«, und deshalb beschloß ich, doch zunächst auf eigene Hand es zu versuchen, Fuß zu fassen. Sofort annoncierte ich auf Klavier- und Theoriestunden, sogar auch auf Notenabschreiben, ich ließ kein Mittel unversucht, mir Einnahmen zu verschaffen. Gottlob, und bald konnte ich immerhin mein Leben so hinfristen. Meine alte Schülerin, die dünne Bahnschaffnerstochter, war mir treu verblieben, und auch ihre Freundin fing an bei mir, unten im gleichen Hause, die Tochter eines Grünwarenhändlers. Es glückt mir sogar gleich Liedermeister zu werden, durch Empfehlung meines hochmögenden Grünwarenhändlers. In der »Sängereiche II«. Die Übungsstunde wurde mir honoriert jedesmal in bar mit zwei Mark. Außerdem noch freie Zeche, bestehend aus einem Stammabendbrot benebenst drei Glas Bier und zwo Zigarren. In den Übungsstunden wurde eigentlich mehr Bier getrunken und dazu gequatscht, als gesungen. Auch der Wirt war wohlweislich mit Sangesbruder. Zuerst stimmte man regelmäßig, breitbeinig dastehend und mit großem Bewußtsein, den freigewählten »Sängerspruch« an. Darin rauscht die deutsche Eiche, schäumt der deutsche kühle Trunk. An Bach und Brahms durfte ich in meinem Männergesangverein »Sängereiche II« nicht denken. Besondere Leiblieder – außer den verschiedenen Marsch- und Ulkliedern mit Brumm- oder »Ha, ha, ha,«- oder »La, la, la«-Bässen – waren: »Frei wie des Adlers mächtiges Gefieder erhebet sich das Lied!« und »Das treue deutsche Herz«. Vom treuen deutschen Herz ist man immer tief gerührt, mag man's auch noch so scheußlich mißhandelt haben. Freilich ein alter Stänker sang mit, von Beruf Mechanikus, völlig kahlköpfig und mit abstehenden Ohren, der prüfte mit einer selbstgefertigten Stimmgabel regelmäßig heimlich nach, hämisch dabei das Maul verziehend. Vor einem anderen, dem »stellvertretenden Notenwart«, einem Sattlermeister, mußte ich sehr mich in acht nehmen, denn der war ein »Heimlicher« und hielt's mit dem früheren Liedermeister, den man abgesetzt hatte, weil er's gar zu genau nahm und leicht fürchterlich grob wurde. Das erzählte man mir. Ich hatte doch auch meinen Anhang. Immer ärger aber wurde »gewühlt« gegen mich. Schon nach sechs Wochen war ich glücklich herausgeekelt, und in der »Sängereiche II« schlug jetzt der alte Grobsack wieder den Takt.

Ich konnte mich immerhin bald nach einer eigenen Wohnung umsehen. Mit einer bescheidenen Schlafstelle begnügte ich mich natürlich, im ältesten Teile der inneren Stadt gelegen, in der Salzgasse.

Da ragt stolz gen Himmel auf die vielbewunderte größte und schönste Kirche. Von meinem Fensterchen aus habe ich einen herrlichen Blick hoch über das Gewinkel der Dächer hinweg auf ihre gigantische Kuppel und darüber hin, tief in die freie, weite, blaue Himmelsglocke hinein. An der alten Silbermannschen Orgel dieser Kirche hatte Er, ich wußte es, einmal gesessen und gespielt: Johann Sebastian Bach, und immer wenn ich daran denke, hallen zugleich die Harmonien der großen G-Moll-Phantasie mir durch die Seele. Vielleicht, daß er sie hier erklingen ließ, oder doch so ähnlich gewaltig phantasierte.

Sonst freilich wohnte ich dürftig genug. In einem alten Barockhause, mit einem durchs ganze Haus duftenden »Kräutergewölbe« im Erdgeschoß links und einem Käseladen rechts. Von einem Dachzimmer gehörte mir die abgeteilte kleinere Hälfte. Nebenan hausten die beiden Söhne und der Stiefsohn meiner Wirtin.

Die Witwe Öhmichen, gottlob, daß sie zu meinem Glück mich aufnahm! Als ich am Fenster mit ihr verhandelte, war gegenüber die riesige steinerne Kuppel überglüht vom herrlichsten Abendrot. Ich fühlte magisch mich dort oben festgehalten. Sie hatte viel durchgemacht in ihrem Leben, die Witwe Karoline Juliane Öhmichen. Ihr Mann, ein Trinker und leichtsinniger Musikant, hatte schnöde sie sitzen lassen und außer mit ihren beiden eigenen Kindern auch noch mit einem angeheirateten Stiefsohn. Mit Waschen und Nähen hatte sie die Jungens durch die Schule gebracht. Ihren Stiefsohn Moritz hatte sie ganz so gehalten wie ihre eigenen Kinder. Ihre beiden eigenen hatten etwas Ordentliches gelernt, waren kleine städtische Beamte geworden, und sie unterstützten jetzt rechtschaffen ihre Mutter. Der Moritz war etwas schwach im Kopf und zu nichts zu gebrauchen. Knochig, fett und plump, glich er einem im Nest der Grasmücke sich durchschmarotzenden Kuckuck. Bald fühlte Mutter Öhmichen, die treffliche, gleich mütterlich für mich wie für ihre Söhne nebst dem nichtsnutzigen Stiefsohn Moritz. Sie konnte bei ihrem starken Muttergefühl nicht anders, und so war ich jetzt da oben im Nest neben dem Moritz gewissermaßen der noch zugeflogene zweite Kuckuck. Sie sah wohl, wie schwer ich kämpfte. Abends brachte sie mir manchmal mit vielen Entschuldigungen einen Kostebissen herein, einen sehr reichlich bemessenen, von einem Gebäck oder dergleichen, was sie just zubereitet hatte, aus ihrer geblümten Nachtjacke heimlich ihn hervorholend, denn die Söhne, hm, brauchten's nicht zu wissen. Dazu der Blick auf mich aus ihren güteverklärten, klaren, hellen, so wahrhaft mütterlichen Augen! Zuletzt ging sie planmäßig zu Werke, fast regelmäßig fand ich abends, versteckt unter meinem Kopfkissen, einen solchen nährenden Kostebissen. –

Als sich's allmählich mit mir etwas geklärt und gebessert hatte, daß ich nun sogar mittags regelmäßig warm aß, wenn zumeist auch nur äußerst bescheiden in einer Volksküche, da lebte gewissermaßen mit meinem sich verbessernden Blut Marie, die Brahmssängerin, stärker wieder in mir auf. Marie, die Brahmssängerin, meine aufgesparte letzte Hoffnung – wie mich ihr wieder nähern, wie, wo, wann endlich sie wiedersehen?

Sicherlich bin ich ihr nicht ganz gleichgültig geblieben, sonst wäre ihr meine Begleitung doch nicht immer erwünscht und angenehm gewesen. Entschieden auch von mir als Musikus hat sie einen hohen Begriff, denn mitten in einer meiner längsten und feurigsten Brahmsschwärmereien – diesmal über die Gesangsquartette mit Klavier – unterbrach sie mich einmal:

»Ihr reiches musikalisches Wissen, Ihre große Phantasie, ich staune nur immer! Sie komponieren doch sicherlich auch?«

Ich aber überhöre ihre Frage, schwärme furioso weiter: attacca subito die Liebeslieder-Walzer, die köstlich humorvollen!

Trotz meiner bohrenden Sehnsucht – immer wieder verschiebe ich's, mich ihr wieder zu nähern. Der ich doch eigentlich im Vertrauen auf ihren Beistand zurückgekehrt bin. Schließlich aber halte ich's nicht mehr aus! Sie wiedersehen endlich, wenn zunächst auch nur von ferne und unerkannt! Und so gehe ich eines Nachmittags hin, um die Zeit, wo nach der Chorstunde sie nun herauskommen muß. In einer Hausflur gegenüber warte ich auf sie, mit dem Hut tief in die Stirn gedrückt, um unerkannt zu bleiben, auf alle Fälle.

Sie kommt! Laut pocht mir das Herz! Magnetisch zieht mich's hin zu ihr, sie zu begrüßen. Aber ich bezwinge mich. In entsprechendem Abstand schleiche ich ihr vorsichtig nach. Völlig gleich ist sie sich geblieben. Ihr schmuckes Jäckchen, aus dunkelblauem Tuch, mit schwarzsamtnen Aufschlägen, ihr Persianermützchen und dazu ihre frischen Farben und auch ganz noch die rüstige Art ihres Ausschreitens. Ihrer Behausung eilt sie zu, die Unermüdliche, Fleißige, gewiß, sie hat noch Stunden zu geben.

Auch wieder das nächste, das übernächste Mal spiele ich den Spion – den Spion aus Liebe.

Als ich zum vierten Male auf sie warte, bleibt sie aus. Das heizt fürchterlich bei mir ein!

Und das nächste Mal: schau, da kommt sie zwar, Teufel, aber in Begleitung, und es ist der Klavierspieler, sehe ich, mit dem sie damals am Übungsabend sprach, als ich sie zum erstenmal sah.

Ich beobachte, Noten trägt ihr Begleiter, und man will wohl zusammen musizieren.

Ich ihnen nach, wie ein seine Opfer hinterrücks beschleichender, dolchgeübter Bravo.

Es sprudelt, es kocht in mir. »Durch dein blödes langes Zaudern, du Esel,« sage ich mir, »siehst du, nun hast du dein Glück verscherzt, ein anderer ist dir, wie immer, zuvorgekommen!«

Als sie zusammen in ihrer Wohnung verschwunden sind, bleibe ich stehen gegenüber an einem Laternenpfahl, spähend, horchend, ohne zu wissen freilich, welches von den vielen Fenstern am Hause das ihrige ist. Kein musikalischer Ton von daher aber dringt an mein Ohr. Nun, da sind sie vielleicht in einem Hinterzimmer. Ich grübele und zermartere mich. Aber sie waren, wie mir scheinen wollte, doch nicht eigentlich intim miteinander, vielleicht handelt sich's rein sachlich nur um ein gemeinsames Konzert. Fast zwei Stunden stehe ich wie ein lauernder Verschwörer da. Als er herauskommt endlich, da ich hinter ihm her, ha, ich hätte ihn gleich erdolchen, ihn aufspießen, ihn zerfetzen mögen.

Endlich reiße ich mich herum und gehe hinaus in die Anlagen, an den Schilfteich. Es ist dunkel geworden inzwischen, ein wolkenbehangener Himmel liegt im Wasser, grau und düster, ein Bild völliger Trostlosigkeit, vollends als es auch noch leise anfängt zu regnen. Ich starre in das schwarze, vom Regen gespenstig bewegte Wasser. Wie ich doch hier damals, an derselben Stelle – da, hinter mir auf der Bank war's – nach einer Isolde so heiß mich sehnte! Marie, die Brahmssängerin – freilich sie ist keine pompöse Isolde oder Brünhilde und überhaupt so ganz und gar nicht ist sie eine Erlösung heischende, hysterische Wagnerische Jungfrau, im Gegenteil, sie ist das fleischgewordene Lied, so sieht sie aus, so ist ihr ganzes Wesen –: brahmshaft ist sie, ganz brahmshaft! Und sie wäre mir nun verloren, meine letzte Hoffnung damit mir erloschen, mein letztes, rettendes Lichtlein in der Finsternis?

Indem hat der Regen nachgelassen, haben die Wolken sich verzogen. Plötzlich sehe ich den Mond vor mir im Wasser. Der zunehmende, schon fast volle Mond – friedevoll schwimmt er auf den glatten Wellen. In seiner silbernen, ruhigen Klarheit: immer wieder muß ich ihn anschauen, und etwas mehr Ruhe kommt über mich allmählich. Klarheit, sage ich mir, muß ich jetzt endlich haben. Ihr schreiben, ihr mitteilen, daß ich wieder da wäre und mich als Musiklehrer niedergelassen hätte, und daran die Bitte knüpfen, mich bei Gelegenheit zu empfehlen für Stunden. Am Schlusse aber auch noch anfügen, bescheiden, wie nebenbei, die Bitte nach einem Wiedersehen.

Kehrtum! – ich eile nach Hause, schreibe den Brief und bringe ihn gleich auch noch auf die Post, als schon die Amseln die Sonne begrüßen.

Und ins Bett lege ich mich danach wieder, wachen Auges überdenke ich das Erlebte, male mir aus die etwaigen Folgen meines Briefes. Ich wälze mich herum, in schrecklicher Unruhe, und auch – ich hatte nichts zur Nacht gegessen – starker Hunger plagt mich. Endlich – schon knarren und poltern die Lastwagen, denn meine Salzgasse ist eine besonders unruhige Verkehrsstraße – endlich verfalle ich in einen dumpfen Halbschlummer, voller schrecklicher Träume. Ein grausiges Ungeheuer verfolgt mich, das hat Drachenflügel und Krallen und dabei lächerlicherweise zwei bebrillte Glotzköpfe –: den Kopf vom großen Hofrat usw. Theobald Seyerich und den Kopf von Pastor Sültze. Zuletzt will ich mich retten durch einen weiten Sprung. Ich springe und falle aber, mit dem Kopf stoße ich hart auf, und mit einem Schrei erwache ich. Mit beiden Händen fahre ich mir an den Kopf und zugleich in etwas Weiches, Breiiges, das mir an den Haaren klebt. Das ermuntert mich sofort. Es ist ein nährender Kostebissen – ein Stück Leberwurst – von meiner Wirtin von Jericho.

Marie, die Brahmssängerin – wie wird sie meinen Brief aufnehmen?

Starke Zweifel nagen an mir, habe ich ihr doch, will mir hinterher scheinen, in gar zu vertraulichen Ausdrücken geschrieben, was allerdings ihr mißfallen müßte, hat sie wirklich inzwischen die Werbung eines anderen erhört.

Ich vergehe vor Erwartung. So wird's Mittag, und mein Hunger, aufs äußerste gesteigert, tobt und schreit geradezu nach Befriedigung.

In der Volksküche, gleich an der Ecke meiner Salzgasse gelegen, gibt's heute statt Nudeln, Erbsen oder Linsen weiße Bohnen zur Abwechslung, und leider sind sie nur halb gar gekocht. Mein großer Hunger aber!

Schlimme Folgen stellen sich ein. Blaß, hohläugig, in krummer Haltung komme ich wieder nach Hause. Unmöglich kann jetzt schon eine Antwort da sein, denke ich. Und doch, Mutter Öhmichen überreicht mir ein Brieflein. Ich besehe, befühle und – berieche es. Das Brieflein duftet weder nach Veilchen, noch nach Lavendel, Rosen oder Nelken, und freilich auch nicht nach grüner Seife.

»Von eener Si...e, gloob' ich. Bringt Sie sicher Glück!«

Unmöglich ist mir's, den Brief hier schon gleich zu öffnen. Luft, hinaus damit ins Freie, in die Anlagen, an den Schilfteich! Und dort gehe ich erst noch um den Teich herum – und immer wieder herum. Vergessen sind meine Schmerzen. An der bewußten Bank endlich erbreche ich, lese ich ihn, und wie ein Lawinensturz löst sich's von meiner Seele. Rettung verheißt mir der Brief, Rettung aus meiner Not und Trübsal! Ich lese das Brieflein von vorn und von hinten und von der Mitte aus, jedes Wort nage ich förmlich ab. Bald weiß ich ihn auswendig, wie ein Gedicht.

Sie gibt darin zunächst ihrer Freude Ausdruck, endlich wieder von mir zu hören. Und ferner schreibt sie: Das träfe sich just gut, sie habe ihrem Klavierbegleiter gerade abgeschrieben und suche einen anderen, einen, der für Brahms Sinn habe. Denn auch zu viel habe sie sich über den früheren gestern ärgern müssen, ein bloßer Maul- und Fingerheld wäre er – natürlich, der ist gemeint, mit dem ich sie gestern sah! – und für alles Mögliche sonst, nur für Brahms, fürs Intime habe er keinen Sinn. Er solle ja bei seinem pompösen Liszt bleiben und Brahms nicht behelligen. Und vollends neuerdings noch seine Aufgeblasenheit, seit er, wie er sich ausdrücke, in die Mode komme und gar Aussicht habe, am Hoftheater als Korrepetitor anzukommen. Nun dazu passe er ja auch. Und endlich schreibt sie mir noch, Marie, die Brahmssängerin: Gewiß könne sie mir helfen mit Stunden, sofort wolle sie mich empfehlen, mit sicherer Aussicht auf Erfolg. Und wenn ich geneigt wäre, für ihren abgeschafften Klavierbegleiter einzuspringen, möchte ich gleich am Nachmittag noch zu ihr kommen.

Eine unermeßliche Freude durchströmt mein Herz. O weh, und darunter mein mißhandelter Magen, solche Pein stehe ich zugleich aus, immer zwischendurch krümme ich mich!

* * *

Im Zeichen Johannes Brahms' wurde mir Heil und Sieg!

Mit meiner Begleitung Brahmsscher Lieder war sie zufrieden, Marie, die Brahmssängerin. Das merkte ich bald. Und sonst auch, merkte ich: sie war mit mir zufrieden.

Zugleich machte sich's mit meinen Stunden. Bald konnte ich meinen Unterhalt mir verdienen leidlich anständig, und auch eine bessere Wohnung mir nun mieten und dazu ein ordentliches Klavier. Als ich Abschied nahm von meiner trefflichen Witwe von Jericho – als da oben der noch zugeflogene zweite Kuckuck die Flügel lüpfte und wieder abflog, machte darob sogar auch der nichtsnutzige Moritz ein aufrichtig betrübtes Gesicht.

So gewinne ich Selbstvertrauen, Mut, Unternehmungsgeist. Ich entwickele mich weiter und weiter hinauf vom Liederbegleiter ohne Stillstand stracks zum Bewerber. Kurzum, ich wurde erhört, und ohne daß ich erst darum Worte zu machen brauche. In Tönen erkläre ich mich ihr, Brahmsschen, Brahms ist mein Freiwerber.

Das kam so. In ihrem netten Stübchen – alle Sachen darin hatte sie sich selber Stück für Stück erworben, zusammenverdient – als wir einmal in der Schummerstunde, wo's so recht zum Immerdableiben traulich bei ihr war, zusammen eifrig brahmsten und zuletzt noch das Magelonenlied »Kann es eine Trennung geben?« durchgehen wollten: plötzlich wird mir dermaßen siedeheiß, ich kann nur noch fühlen, fühlen und nicht mehr denken. Trennung – Trennung – von ihr? Um Gottes willen! – Meine Verwirrung steigert sich. Ich muß abbrechen. Und die nun entstandene peinliche Pause beende ich endlich, indem ich ganz sotto voce sie bitte um jenes ergreifende, seelenvolle Lied, das sie einst an jenem Übungsabend sang, als ich zum ersten Male sie sah und hörte:

»Wie bist du meine Königin, durch sanfte Güte wonnevoll!«

Sie stutzt, sie lächelt schlau: »Nein, lieber was anderes. Das vergebliche Ständchen.«

Ich aber bestehe auf meiner Bitte.

Nur aber bis ans erste »Wonnevoll« tupfen meine Finger die Noten mit. Wiederum komme ich heraus. Und sie, sonst so sicher und taktfest: sie auch.

Meine Augen schwimmen mir weg. Die Notenköpfe vor mir, sie verwandeln sich in Veilchen, in Nelken, Rosen.

Ich gewahre: auch ihre Augen schwimmen, – in Tränen.

Wir beginnen das Lied von neuem.

Das wiederholte und mächtig gesteigerte »Wonnevoll«, wahrhaftig, zum Sterben schön ist's aber auch! So voller Schwärmerei, harmonisch so voll, reich, im quellenden Es-Dur, so tief, so im Tiefsten tief empfunden! Nur wieder bis ans »Wonnevoll« reicht meine Kraft, weiter komme ich auch diesmal wieder nicht. Und sie auch nicht.

Wir sehen stumm eine Weile weg. Als schämten wir uns voreinander. –

Endlich aber schauen wir fragend uns an, lange, lange, und fast so dämonischen Blickes, wie immer bei Wagnern die Männlein und Weiblein sich ansehen, wenn – ja nun wenn sie sich erlösen.

Und unsere Hände finden sich – die Arme – die Lippen – die Herzen.

»Wonnevoll – wonne-wonnevoll!«


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